Peak Soil I – Hun­ger nach Land

Hin­ter­grund »Peak Soil« – Boden­zer­stö­rung, Land­raub und Ernäh­rungs­kri­se. Teil I: Wie Kon­zer­ne und Spe­ku­lan­ten von der Ver­knap­pung von Lebens­mit­teln pro­fi­tie­ren

Peter Claus­ing

»Peak Soil«1 lau­tet der Titel des 2009 erschie­ne­nen Buches des Ber­li­ner Autors Tho­mas Fritz, einer ers­ten umfas­sen­de­ren Über­sicht zum The­ma »Land Grab­bing« (Land­nah­me) in deut­scher Spra­che. Der Begriff »Land Grab­bing« bezieht sich auf den Kauf bzw. die lang­fris­ti­ge Pach­tung gro­ßer Land­flä­chen – vor allem in den Län­dern des Südens, aber auch in Ost­eu­ro­pa – mit oft dras­ti­schen Aus­wir­kun­gen auf die Lebens­wirk­lich­keit der Bevöl­ke­rung.

Die Ansich­ten, ab wann von »gro­ßen Land­flä­chen« zu spre­chen ist, diver­gie­ren. Wäh­rend Oli­vi­er de Schutter, Son­der­be­richt­erstat­ter der Ver­ein­ten Natio­nen für das Recht auf Nah­rung, 1000 Hekt­ar als Unter­gren­ze betrach­tet, defi­nier­te die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO) GRAIN 10000 Hekt­ar als unte­res Limit. Ent­spre­chend der Bedeu­tung die­ses bedroh­li­chen Phä­no­mens ist inzwi­schen eine Rei­he von Publi­ka­tio­nen erschie­nen, und es fan­den zahl­rei­che natio­na­le und inter­na­tio­na­le Tagun­gen zum The­ma statt. »Land Grab­bing, so scheint es, kommt wie ein Tsu­na­mi über die Welt, eine in kür­zes­ter Zeit aus dem Nichts anschwel­len­de Wel­le. Die Daten über das Aus­maß der Land­ge­schäf­te, Ver­trags­kon­di­tio­nen und Anbau­pro­duk­te sind unvoll­stän­dig und unzu­ver­läs­sig. Der Trend aber ist ein­deu­tig: Die neue Land­nah­me nimmt enor­me Aus­ma­ße an«, schreibt der Publi­zist Uwe Hoe­ring im INKO­TA-Brief 152 vom Juni 2010. Die Aneig­nung von 15 bis 20 Mil­lio­nen Hekt­ar zwi­schen 2006 und April 2008 (Schät­zun­gen des Inter­na­tio­nal Food Poli­cy Rese­arch Insti­tu­te, IFPRI) ließ vor rund zwei Jah­ren bei NGOs und inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen glei­cher­ma­ßen die Alarm­glo­cken schril­len. Doch die­se Zahl ver­blaßt ange­sichts der wei­te­ren Ent­wick­lung: Allein von Okto­ber 2008 bis Juni 2009 wur­den von der Welt­bank 463 Land­deals erfaßt, die eine Flä­che von ins­ge­samt 47 Mil­lio­nen Hekt­ar betra­fen – einem Vier­tel der land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che der Euro­päi­schen Uni­on. Drei Vier­tel der Trans­ak­tio­nen fan­den in Afri­ka statt.

Jagd nach Ren­di­te
Der seit län­ge­rem statt­fin­den­de Pro­zeß der Kom­mo­di­fi­zie­rung, des »Zur-Ware-Wer­dens« der Welt­ernäh­rung, ver­bun­den mit der vor­ge­schal­te­ten pri­va­ten Aneig­nung des Pro­duk­ti­ons­mit­tels Boden, erfuhr in den letz­ten drei Jah­ren durch meh­re­re Fak­to­ren eine maß­geb­li­che Beschleu­ni­gung. Ers­tens hat­ten sich im Jahr 2008 die Welt­markt­prei­se für Reis, Wei­zen und Mais inner­halb weni­ger Mona­te zeit­wei­lig ver­dop­pelt bis ver­drei­facht. Dies führ­te bei finanz­star­ken Län­dern mit aktu­ell oder per­spek­ti­visch pre­kä­rer Eigen­ver­sor­gung zur Suche nach Lösun­gen, um ihre Abhän­gig­keit vom Welt­markt zu ver­rin­gern. Zu die­sen Län­dern zähl­ten vor allem Chi­na, Süd­ko­rea und erd­öl­rei­che Län­der wie Sau­di-Ara­bi­en und die Ver­ei­nig­ten Emi­ra­te.

Zum zwei­ten sind seit der glo­ba­len Finanz­kri­se immer mehr Anle­ger auf der Suche nach ren­di­te­träch­ti­gen Sach­wer­ten. So lockt die zur Deut­schen Bank gehö­ren­de DWS auf der Web­sei­te ihres Fonds Invest Glo­bal Agri­busi­ness (LC) mit der For­mu­lie­rung: »Die rasant wach­sen­de Welt­be­völ­ke­rung, (…) Land- und Was­ser­knapp­heit – all das sind Punk­te, die für über­durch­schnitt­lich gute Per­spek­ti­ven der Agrar­wirt­schaft spre­chen.« Ande­re Agrar­fonds wer­ben mit ähn­lich inhu­ma­nen Slo­gans und tre­ten so das durch inter­na­tio­na­le Abkom­men garan­tier­te Recht auf Nah­rung mit Füßen – zuguns­ten der Ver­hei­ßung von Alpha-Renditen.2

Drit­tens kommt es durch den vor allem aus macht­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen geför­der­ten Anbau von Agro­treib­stof­fen zu einer dau­er­haf­ten Flä­chen­kon­kur­renz mit der Pro­duk­ti­on von Nah­rungs­mit­teln. Wenn­gleich die Bedeu­tung des Anteils von »Bio­sprit« an der Preis­explo­si­on von Nah­rungs­mit­teln im Jahr 2008 teil­wei­se über­schätzt wur­de – Spe­ku­la­tio­nen, vor allem an der Chi­ca­go­er Bör­se, waren nach neue­ren Ana­ly­sen offen­bar deut­lich stär­ker betei­ligt –, schränkt die Pro­duk­ti­on von Mais, Zucker­rohr, Jatro­pha und Soja zur Erzeu­gung von Etha­nol und »Bio­die­sel« jedoch lang­fris­tig die Ver­füg­bar­keit von Lebens­mit­teln ein.

Vier­tens rücken mög­li­che Ern­te­aus­fäl­le infol­ge des Kli­ma­wan­dels mehr und mehr in den Vor­der­grund. Aus der feh­len­den Bereit­schaft, ins­be­son­de­re der Indus­trie­staa­ten, umfas­sen­de und ver­bind­li­che Maß­nah­men zur Redu­zie­rung der Frei­set­zung von Treib­haus­ga­sen zu ver­ein­ba­ren, resul­tiert letzt­lich, daß kli­ma­be­ding­te Ern­te­aus­fäl­le künf­tig an Bedeu­tung gewin­nen wer­den – Pro­gno­sen zufol­ge ins­be­son­de­re in den Län­dern des Südens.

Schi­zo­phre­ne Situa­ti­on
Waren es anfangs vor allem Län­der wie Chi­na oder Sau­di-Ara­bi­en, die in Sachen Acker­land auf Ein­kaufs­tour gin­gen, wies die Deut­sche Gesell­schaft für Tech­ni­sche Zusam­men­ar­beit (GTZ) bereits im August 2009 dar­auf hin, daß inzwi­schen die Mehr­zahl der Land­käu­fe durch den Pri­vat­sek­tor erfolgt.3 Mitt­ler­wei­le ver­fü­gen pri­va­te Invest­ment­fonds über 14 Mil­li­ar­den US-Dol­lar für den Erwerb von Land­flä­chen, Ten­denz stei­gend. Es wird erwar­tet, daß sich die­ser Betrag in den kom­men­den Jah­ren auf bis zu 42 Mil­li­ar­den Dol­lar erhö­hen wird.4

Von den 30 dort erwähn­ten Invest­ment­fonds kom­men 24 aus Euro­pa und Nord­ame­ri­ka. Einer Sta­tis­tik von Klaus Dei­nin­ger, Welt­bank­ex­per­te zu Land­fra­gen, die er Anfang Janu­ar 2010 auf einer Kon­fe­renz in Rom prä­sen­tier­te, ist zu ent­neh­men, daß bei 290 von 389 ana­ly­sier­ten Land­ge­schäf­ten die Käu­fer bzw. Päch­ter aus den Berei­chen Agro­busi­neß, Indus­trie und Invest­ment­fonds kamen. Knapp 15 Pro­zent aller Trans­ak­tio­nen fan­den Dei­nin­ger zufol­ge im Sudan, in Gha­na und Mada­gas­kar statt. Unter den 25 Län­dern Afri­kas und Asi­ens, in denen nach Anga­ben von IFPRI und GRAIN der­ar­ti­ge Geschäf­te abge­schlos­sen wur­den, befin­den sich 20, die gleich­zei­tig Emp­fän­ger­län­der der Welt­hun­ger­hil­fe sind. Laut Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (FAO) sind in Ango­la, Äthio­pi­en, Kam­bo­dscha, Kame­run, Kenia, der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go, Mala­wi, Paki­stan, Sudan und Tan­sa­nia – alles Staa­ten in denen gro­ße Land­ge­schäf­te getä­tigt wer­den – jeweils mehr als 20 Pro­zent der Bevöl­ke­rung unterernährt.5

Ange­sichts die­ser schi­zo­phre­nen Situa­ti­on argu­men­tie­ren die Ver­tre­ter der mäch­ti­gen Insti­tu­tio­nen, daß es sich bei die­sem Pro­zeß um Agrar­in­ves­ti­tio­nen han­deln wür­de, aus denen bei­de Sei­ten einen Nut­zen zögen – die gern bemüh­te »Win-Win«-Situation. Es lohnt sich des­halb, deren vier Haupt­ar­gu­men­te näher anzu­schau­en, denn inzwi­schen muß­te selbst die Welt­bank ein­räu­men, daß »bei vie­len Inves­ti­tio­nen die Erwar­tun­gen nicht erfüllt wur­den und daß die­se, anstatt nach­hal­ti­ge Vor­tei­le zu erzeu­gen, zum Ver­lust von Hab und Gut bei­tru­gen und die Bevöl­ke­rung in eine Situa­ti­on brach­ten, die schlech­ter war, als sie ohne Inves­ti­tio­nen gewe­sen wäre.«6 Des­sen unge­ach­tet wer­den die »Win-Win«-Argumente von den Ver­tre­tern der Finanz­in­sti­tu­tio­nen gebets­müh­len­ar­tig wie­der­holt, so von Tho­mas Koch, Abtei­lungs­lei­ter bei der Deut­schen Inves­ti­ti­ons- und Ent­wick­lungs­ge­sell­schaft.

Dabei steht außer Zwei­fel, daß Inves­ti­tio­nen in die Land­wirt­schaft in den Län­dern des Südens drin­gend benö­tigt wer­den, aller­dings in eine sozi­al- und umwelt­ver­träg­li­che Land­wirt­schaft. Doch Land­käu­fe per se stel­len noch kei­ne Inves­ti­tio­nen in die Pro­duk­ti­on von Nah­rungs­mit­teln dar, und an der Fra­ge, wel­ches land­wirt­schaft­li­che Modell dem Ziel einer nach­hal­ti­gen Lösung des Welt­ernäh­rungs­pro­blems dient, schei­den sich die Geis­ter.

Koch pro­pa­gier­te die Eta­blie­rung einer »hoch­ef­fi­zi­en­ten«, d.h. indus­trie­mä­ßi­gen Land­wirt­schaft auf den gekauf­ten Flä­chen, die der Ernäh­rung der wach­sen­den Welt­be­völ­ke­rung die­ne und des­halb unab­ding­bar sei. Die Nach­hal­tig­keit eines sol­chen Ansat­zes sei an die­ser Stel­le deut­lich in Fra­ge gestellt, ganz abge­se­hen von dem Tat­be­stand, daß bereits jetzt – trotz aus­rei­chen­der Pro­duk­ti­on von Nah­rungs­mit­teln – über eine Mil­li­ar­de Men­schen chro­nisch hun­gert.

Auch ohne das Ein­ge­ständ­nis der Welt­bank läßt ein prü­fen­der Blick auf die ver­meint­li­chen Vor­tei­le von Ver­kauf und Ver­pach­tung der rie­si­gen Län­de­rei­en erheb­li­che Zwei­fel auf­kom­men.

Zyni­sche Flos­keln
Von den Prot­ago­nis­ten des »Land Grab­bing« wird behaup­tet, es wür­den bis­lang unge­nutz­te Flä­chen pro­duk­tiv gemacht – die Land­nah­me habe somit a prio­ri kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die ört­li­che Bevöl­ke­rung.

Das Argu­ment igno­riert die Tat­sa­che, daß bei einem gro­ßen Teil der Welt­be­völ­ke­rung der Lebens­un­ter­halt auf ganz ande­re Wei­se erfolgt und nicht auf dem Ver­kauf der Arbeits­kraft basiert, son­dern auf Wei­de­rech­ten, Zugangs­rech­ten zu Was­ser, der Ver­füg­bar­keit von Heil­pflan­zen, dem loka­len Aus­tausch von Gütern usw. Mit ande­ren Wor­ten, ver­meint­lich unge­nutz­te Flä­chen spie­len für die ört­li­che Bevöl­ke­rung eine wich­ti­ge Rol­le. Das Argu­ment negiert die Per­spek­ti­ve, daß die oft­mals har­ten und in ihrem aktu­el­len Zustand häu­fig nicht erstre­bens­wer­ten Bedin­gun­gen zum Aus­gangs­punkt für Ver­bes­se­run­gen gemacht wer­den könn­ten, anstatt die vor­han­de­nen Exis­tenz­grund­la­gen zu besei­ti­gen. Mit der Zer­stö­rung der kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Grund­la­ge die­ses nicht in die Logik des Welt­markts pas­sen­den Lebens wird das Ver­spre­chen eines neu­en »moder­nen« Lebens ver­bun­den, das sich dann für eine ver­schwin­den­de Min­der­heit – die neue Mit­tel­schicht des Südens – mate­ria­li­siert und par­al­lel dazu die gro­ße Mehr­heit in die Slums der Metro­po­len des Südens, in bru­ta­le Lohn­skla­ve­rei oder an die Mau­ern der »Fes­tung Euro­pa« treibt.

Die Ver­fech­ter des »Land Grab­bing« behaup­ten wei­ter, mit der Nut­zung der ver­kauf­ten und ver­pach­te­ten Flä­chen käme es zu einem Trans­fer moder­ner Tech­no­lo­gie in die Land­wirt­schaft des »Gast­ge­ber­lan­des« und somit zu Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen. Dazu muß an die­ser Stel­le zunächst die prin­zi­pi­el­le Fra­ge wie­der­holt wer­den: Ist eine vom Agro­busi­neß kon­trol­lier­te Land­wirt­schaft mit ener­gie­in­ten­si­ven Inputs, gen­tech­nisch ver­än­der­ten Sor­ten und Mono­po­len an »geis­ti­gen Eigen­tums­rech­ten« das Modell der Zukunft? Oder ist das ein Frei­fahrt­schein in die öko­lo­gi­sche und sozia­le Kata­stro­phe für die Mehr­heit der Welt­be­völ­ke­rung? Abge­se­hen davon gibt es bis­lang kein Bei­spiel dafür, daß pro­fit­ori­en­tier­te aus­län­di­sche Inves­to­ren Tech­no­lo­gie an loka­le Klein­bau­ern trans­fe­riert hät­ten. Die Ein­füh­rung kom­mer­zi­el­len Saat­guts und erd­öl­ba­sier­ter Inputs wie Kunst­dün­ger und Pes­ti­zi­de mit dem Ziel ihres gewinn­ori­en­tier­ten Ver­kaufs als »Tech­no­lo­gie­trans­fer« zu bezeich­nen, ist ein Euphe­mis­mus.

Insti­tu­tio­nen wie die Welt­bank spre­chen außer­dem von einer »Mit­er­näh­rung« der Bevöl­ke­rung des »Gast­ge­ber­lan­des« durch die höhe­ren Erträ­ge auf den ver­pach­te­ten Flä­chen. Bis­lang ist es unmög­lich, dies fun­diert zu beur­tei­len. Bei der nahe­zu völ­li­gen Intrans­pa­renz der Ver­trags­in­hal­te läßt sich die Ver­bind­lich­keit ent­spre­chen­der medi­en­wirk­sa­mer Ver­laut­ba­run­gen kaum über­prü­fen. Unbe­scha­det der Ver­trags­in­hal­te muß berück­sich­tigt wer­den, daß ein beträcht­li­cher Teil der ver­hö­ker­ten Flä­chen – laut Dei­nin­ger inzwi­schen mehr als 35 Pro­zent – zur Pro­duk­ti­on von Agro­treib­stof­fen genutzt wird. In die­sem Fall dege­ne­riert das Argu­ment der »Mit­er­näh­rung« zur zyni­schen Flos­kel. Fer­ner ist das Out­sour­cing der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on in Dritt­län­der in beson­de­rem Maße an Preis­fluk­tua­tio­nen auf dem Welt­markt gekop­pelt. Es ist also nur logisch zu erwar­ten, daß in Zei­ten hoher Welt­markt­prei­se, wenn die »Mit­er­näh­rung« der Bevöl­ke­rung des »Gast­ge­ber­lan­des« beson­ders dring­lich wäre, die Ern­te zu hun­dert Pro­zent ins »Mut­ter­land« trans­fe­riert oder auf den Welt­markt gewor­fen wird (Stich­wort Alpha-Ren­di­te). Falls dem ver­trag­li­che Klau­seln ent­ge­gen­ste­hen, ist die Ver­mu­tung lei­der nicht unbe­grün­det, daß die in vie­len »Gast­ge­ber­län­dern« ver­brei­te­te Kor­rup­ti­on aus­rei­chen dürf­te, um viel­fach die betref­fen­den Klau­seln zu umge­hen. Selbst die Welt­bank muß­te ein­ge­ste­hen, daß sich Inves­to­ren ins­be­son­de­re auf Län­der mit »schwa­cher Staat­lich­keit« kon­zen­trie­ren.

Wei­ter­hin wird behaup­tet, mit den ver­meint­li­chen Agrar­in­ves­ti­tio­nen, die im Zusam­men­hang mit dem Ver­kauf bzw. der Ver­pach­tung gro­ßer Län­de­rei­en in das »Gast­ge­ber­land« flös­sen, wür­den Arbeits­plät­ze geschaf­fen. Klar ist, daß mit dem »Land Grab­bing« das Kon­zept einer indus­trie­mä­ßi­gen, hoch­tech­ni­sier­ten Land­wirt­schaft ver­folgt wird, was unter ande­rem Tho­mas Koch unum­wun­den erklär­te. Wie auf die­se Wei­se Arbeits­plät­ze geschaf­fen wer­den sol­len, ist nicht nach­voll­zieh­bar, es sei denn, man ver­zich­tet in der Bilanz auf die Berück­sich­ti­gung der dadurch zer­stör­ten klein­bäu­er­li­chen Exis­ten­zen.

Skla­ven­ar­beit
Auch in den Zen­tren der Macht – vom G-8-Gip­fel über die Welt­bank bis zu natio­na­len Regie­run­gen – ruft das schwin­del­erre­gen­de Tem­po bei den Land­käu­fen Besorg­nis her­vor. Es darf unter­stellt wer­den, daß die Ent­schei­dungs­trä­ger die­ser Insti­tu­tio­nen weni­ger von den Schick­sa­len der Men­schen berührt wer­den als von der Sor­ge um poli­ti­sche Sta­bi­li­tät. Das führt reflex­ar­tig zu Rufen nach frei­wil­li­gen Selbst­ver­pflich­tun­gen der Inves­to­ren, nach Trans­pa­renz, Nach­hal­tig­keit und Anhö­rung aller Betrof­fe­nen (»stake­hol­der con­sul­ta­ti­on«). Die­se Appel­le wir­ken schein­hei­lig und hilf­los. Sie offen­ba­ren einen objek­ti­ven Wider­spruch, der aus dem Wunsch nach poli­ti­scher Sta­bi­li­tät einer­seits und dem Dik­tat der Märk­te ande­rer­seits resul­tiert. Ein Wider­spruch, der auch in vie­len ande­ren gesell­schaft­li­chen Berei­chen zu beob­ach­ten ist und dem man vor Ort mit »sicher­heits­po­li­ti­schen« Maß­nah­men zu begeg­nen ver­sucht – häu­fig unter dem Deck­man­tel der »Ter­ror­be­kämp­fung«. Doch wäh­rend die inter­na­tio­na­len Gre­mi­en frei­wil­li­ge Ver­pflich­tun­gen (»Code of Con­duct«) pro­pa­gie­ren, fehlt augen­schein­lich die Basis, deren Ein­hal­tung auch nur annä­hernd zu über­bli­cken. So gab die Bun­des­re­gie­rung im August 2010 auf eine Klei­ne Anfra­ge der Frak­ti­on der Links­par­tei zur Ant­wort: »Über eine Betei­li­gung deut­scher Unter­neh­men an groß­flä­chi­gen Land­nah­men in Län­dern des glo­ba­len Südens hat die Bun­des­re­gie­rung kei­ne Kenntnisse.«7

Der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung zufol­ge ist ihr auch nicht bekannt, »wel­che deut­schen Finanz­in­sti­tu­tio­nen sich in Land­fonds enga­gie­ren und/oder mit Land oder mit Agrar­pro­duk­ten spe­ku­lie­ren«. Der Bun­des­re­gie­rung bleibt also ver­schlos­sen, was Autoren wie Tho­mas Fritz zuta­ge för­dern konn­ten. Um mit dem extrems­ten der in sei­ner Unter­su­chung auf­ge­führ­ten Bei­spie­le zu begin­nen: Die Deut­sche Bank inves­tiert über ihre Invest­ment­ge­sell­schaft DWS min­des­tens in drei Land­fonds des bra­si­lia­ni­schen Zucker- und Etha­nol­un­ter­neh­mens Cosan, das die Land­käu­fe über sei­nen eige­nen an der New Yor­ker Bör­se gelis­te­ten Fonds, Radar Pro­prie­da­des Agri­co­las S.A., abwi­ckelt. Von den gigan­ti­schen Land­käu­fen abge­se­hen – der Kon­zern kon­trol­liert mitt­ler­wei­le min­des­tens 700000 Hekt­ar – steht Cosan seit Anfang 2010 auf der schwar­zen Lis­te des bra­si­lia­ni­schen Arbeits­mi­nis­te­ri­ums, in der Unter­neh­men ver­zeich­net sind, die ihre Ange­stell­ten unter skla­ven­ar­ti­gen Bedin­gun­gen schuf­ten las­sen. Das hat­te zur Fol­ge, daß sei­tens der bra­si­lia­ni­schen Staats­bank bereits ver­ein­bar­te Kre­dit­zah­lun­gen an Cosan aus­ge­setzt wur­den. »Die DWS hin­ge­gen«, so Fritz, »ermög­licht es ihren Anle­ge­rIn­nen, von Cosans Geschäfts­me­tho­den zu pro­fi­tie­ren – Land­nah­me und Skla­ven­ar­beit inbegriffen.«8

Und da es »kei­ne auf­sichts­recht­li­che Ver­pflich­tung« der Bun­des­re­gie­rung gegen­über deut­schen Finanz­in­sti­tu­tio­nen gibt, braucht sich die Bun­des­re­gie­rung auch nicht dar­um zu küm­mern. Die »Frei­wil­li­gen Leit­li­ni­en zur ver­ant­wor­tungs­vol­len Ver­wal­tung von Boden- und Land­nut­zungs­rech­ten«, deren Ent­wick­lung von der Bun­des­re­gie­rung seit Ende 2009 mit­ge­för­dert wird, wer­den es schon rich­ten. Gefor­dert (und durch­ge­setzt) wird statt des­sen von der Bun­des­re­gie­rung seit die­sem Jahr die von der EU fest­ge­leg­te Erhö­hung des Etha­nol­an­teils an Ben­zin­kraft­stof­fen auf zehn Pro­zent. Cosan hat Vor­sor­ge getrof­fen und ver­ein­bar­te im August 2010 ein Joint Ven­ture mit Shell, so daß Cosans Etha­nol welt­weit durch Zapf­säu­len des Mine­ral­öl­kon­zerns flie­ßen kann. Vom DWS-Fonds gelangt auch Geld in das argen­ti­ni­sche Unter­neh­men Cre­sud S.A. und in die in Sin­ga­pur ansäs­si­gen Kon­zer­ne Wil­mar Inter­na­tio­nal Ltd. und Olam Inter­na­tio­nal – Unter­neh­men mit einer kata­stro­pha­len Umwelt­bi­lanz und dar­über hin­aus für gra­vie­ren­de Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen bei der Durch­set­zung ihrer Inter­es­sen bekannt.

Bun­des­re­gie­rung sieht zu
Ist die Deut­sche Bank das »schwar­ze Schaf« in einer sonst hei­len Welt der deut­schen Anle­ger­land­schaft? Nein. Was der Bun­des­re­gie­rung auf­grund ihrer feh­len­den und offen­sicht­lich auch nicht ange­streb­ten »auf­sichts­recht­li­chen Ver­pflich­tung« vor­ent­hal­ten bleibt, ist die Kennt­nis­nah­me wei­te­rer Fäl­le sozia­ler und öko­lo­gi­scher Fehl­in­ves­ti­tio­nen deut­scher »Finanz­dienst­leis­ter«. Auch der von der Alli­anz-Grup­pe im April 2008 auf­ge­leg­te Fonds RCM Glo­bal Agri­cul­tu­ral Trends inves­tiert in Cosan. Die in Gel­ching bei Mün­chen ansäs­si­ge Aca­zis AG (frü­her Flo­ra Eco­power) hat in Äthio­pi­en 50jährige Pacht­ver­trä­ge über 56000 Hekt­ar zum Anbau von »Ener­gie­pflan­zen« (Cas­tor und Euka­lyp­tus) abge­schlos­sen und ver­fügt über Kon­zes­sio­nen für wei­te­re 200 000 Hektar.9

Abge­se­hen davon, daß die Seg­nun­gen der Agrar­in­ves­ti­tio­nen von Flo­ra Eco­power aus­blie­ben – zeit­wei­lig wur­den nicht ein­mal die Löh­ne aus­ge­zahlt –, ist das ein kon­kre­tes Bei­spiel dafür, wie in einem Land (Äthio­pi­en), das sich am Tropf des Welt­ernäh­rungs­pro­gramms befin­det, Flä­chen der Stil­lung des Ener­gie­hun­gers in den kapi­ta­lis­ti­schen Kern­län­dern die­nen statt der des Hun­gers der Bevöl­ke­rung im eige­nen Land.

Auch Satur­nio Bor­ras und Jen­ni­fer Fran­co, zwei in Kana­da arbei­ten­de Wis­sen­schaft­ler, kom­men in einer Publi­ka­ti­on der Yale-Uni­ver­si­tät zu dem Schluß, daß der oben erwähn­te »Code of Con­duct« zum Schei­tern ver­ur­teilt ist.10 Sie füh­ren dafür eini­ge Punk­te an: Ers­tens wird damit das kon­zern­kon­trol­lier­te Modell land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on nicht in Fra­ge gestellt; zwei­tens ist die Ver­bes­se­rung der Lage der Land­be­völ­ke­rung des Südens nicht pri­mä­rer Gegen­stand die­ser Art von »Ent­wick­lung«; drit­tens wird sug­ge­riert, die Klä­rung von Land­eigen­tums­rech­ten sei eine Lösung (für sich selbst genom­men ist sie es nicht, denn es muß gleich­zei­tig geklärt wer­den, ob und unter wel­chen Bedin­gun­gen dort Nah­rungs­mit­tel pro­du­ziert wer­den); und vier­tens betrach­ten Bor­ras und Fran­co »Trans­pa­renz« und »Part­ner­schaft« nicht auto­ma­tisch als Garan­tien für Fair­neß, und schließ­lich steht das Prin­zip der Frei­wil­lig­keit not­wen­di­gen Sank­tio­nen bei Ver­stö­ßen ent­ge­gen.

Wel­che Alter­na­ti­ven gäbe es ange­sichts der »Land Grabbing«-Welle? Die drin­gends­te und am schnells­ten rea­li­sier­ba­re Maß­nah­me wäre – bei vor­han­de­nem poli­ti­schen Wil­len – ein glo­ba­les Mora­to­ri­um für groß­flä­chi­ge Land­käu­fe. Damit wür­de Zeit gewon­nen, um Mecha­nis­men zu instal­lie­ren, die garan­tie­ren, daß Agrar­in­ves­ti­tio­nen ihren eigent­li­chen Zweck erfül­len – die Sicher­stel­lung der Ernäh­rung der Bevöl­ke­rung. Oli­vi­er de Schutter hat im Dezem­ber 2009 anläß­lich der 13. Sit­zung des UN-Men­schen­rechts­rats mini­ma­le Prin­zi­pi­en für groß­flä­chi­ge Land­käu­fe aufgelistet11: Frei­es und bewuß­tes vor­he­ri­ges Ein­ver­ständ­nis der ört­li­chen Bevöl­ke­rung bei Ände­run­gen in der Land­nut­zung, die För­de­rung arbeits­in­ten­si­ver Anbau­sys­te­me (d.h. klein­bäu­er­li­chen Wirt­schaf­tens, P.Cl.), ange­mes­se­ner Schutz und Ein­räu­mung gewerk­schaft­li­cher Rech­te für Land­ar­bei­ter, För­de­rung umwelt­ver­träg­li­cher Pro­duk­ti­ons­me­tho­den sowie Ver­trä­ge zur Land­nut­zung mit sank­tio­nier­ba­ren Ver­pflich­tun­gen gegen­über den Inves­to­ren. Die »alter­na­ti­ve Agen­da« von Tho­mas Fritz sieht ähn­lich aus. Zusätz­lich schlägt er eine Stär­kung des Wider­stan­des gegen Land­ge­schäf­te und deren sys­te­ma­ti­sche Über­wa­chung vor. Die­sen Wider­stand gibt es schon heu­te, und er ist wei­ter ver­brei­tet, als man ver­mu­tet. Die Tat­sa­che, daß von den ein­gangs erwähn­ten 463 Land­deals laut Welt­bank-Anga­ben zum Erfas­sungs­zeit­punkt nur 21 Pro­zent prak­tisch umge­setzt waren, hat vie­le Ursa­chen. Eine der aner­kann­ten ist loka­ler Wider­stand – ein nicht ganz unbe­deu­ten­des »Inves­ti­ti­ons­hin­der­nis«.

Anmer­kun­gen
1 von engl. peak (dt. Gip­fel­punkt) und soil (dt. Land/Boden). Der Begriff bezeich­net in Anleh­nung an »Peak Oil«, dem Zeit­punkt, ab dem mehr Erd­öl ver­braucht wird als an För­der­quel­len neu erschlos­sen wer­den, die Gren­zen der glo­ba­len Ver­nut­zung von Boden – d. Red.
2 Fritz, T.: Das gro­ße Bau­ern­le­gen. Agrar­in­ves­tio­nen und der Run auf’s Land, FDCL-Ver­lag, Ber­lin 2010, S. 10. Durch die Erzie­lung von Extra­ren­di­ten (»Alpha«) ver­spre­chen die Fonds jähr­li­che Erträ­ge von 15 bis 25 Pro­zent.
3 GTZ: For­eign Direct Invest­ment (FDI), in: Land in deve­lo­ping count­ries, Esch­born, 2009.
4 Fritz a.a.O., S. 10
5 FAO: The sta­te of food inse­cu­ri­ty in the world, Rome, 2008.
6 World Bank: Rising glo­bal inte­rest in farm­land. Can it yield sus­tainable and equi­ta­ble bene­fits? 2011, S. 118
7 Deut­scher Bun­des­tag, Druck­sa­che 17/2779 vom 20.08.2010, S.3
8 Fritz a.a.O., S. 12
9 land-grabbing.de/fallbeispiele
10 Bor­ras Jr., S. und Fran­co, J.: From Thre­at to Oppor­tu­ni­ty? Pro­blems with the Idea of a ’Code of Con­duct’ for Land-Grab­bing. Yale Human Rights & Deve­lo­p­ment Law Jour­nal, Vol 13, 2010, S. 507-523
11 www.srfood.org/images/stories/pdf/officialreports/20100305_a-hrc-13-33-add2_land-principles_en.pdf

Erschie­nen in: jun­ge Welt vom 28.03.2011

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