Neo­li­be­ra­le Schein­lö­sun­gen (Rezen­si­on)

Der Gen­tech­nik-Befür­wor­ter Paul Col­lier macht Vor­schlä­ge zur Ret­tung der Welt

Peter Claus­ing

Der bri­ti­sche Öko­no­mie­pro­fes­sor Paul Col­lier nimmt in sei­nem im Mai in deut­scher Über­set­zung erschie­ne­nen Buch »Der hung­ri­ge Pla­net« für sich in Anspruch, »Ideen aus der prä­zi­sen, aber schwer ver­ständ­li­chen Spra­che der moder­nen Wirt­schafts­wis­sen­schaft in eine Form zu über­set­zen, die auch außer­halb des engen Zir­kels von Fach­leu­ten gele­sen wer­den kann« (S. 14). Das ist ihm gelun­gen: Der Ver­ein­fa­chungs­grad des Buches liegt auf BILD-Niveau. In dem Werk wim­melt es von simp­len Ant­wor­ten auf noch simp­le­re Fra­gen – ver­mut­lich mit ein Grund, war­um Col­lier zu den Best­sel­ler­au­toren im Sach­buch­be­reich gehört. Doch bei falsch gestell­ten Fra­gen wer­den die Ant­wor­ten auch nicht rich­ti­ger, trotz der aus­ge­feil­ten Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen, auf die Col­lier so häu­fig Bezug nimmt. Ab und zu wer­den kor­rekt beschrie­be­ne Sach­ver­hal­te mit weni­ger kor­rek­ten Schluß­fol­ge­run­gen gekop­pelt, so daß man unwill­kür­lich an Georg Chris­toph Lich­ten­bergs Apho­ris­mus »Die gefähr­lichs­ten Unwahr­hei­ten sind Wahr­hei­ten, mäßig ent­stellt« den­ken muß.

Meist geht es im Buch also sehr ein­fach zu. Die Öko­no­men zer­fal­len in zwei Lager – Uti­li­ta­ris­ten und Ethi­ker –, die Mensch­heit ins­ge­samt in drei: Umwelt­plün­de­rer, die von Col­lier als »Igno­ran­ten« eti­ket­tiert wer­den; Umwelt­schüt­zer, die er als »Roman­ti­ker« bezeich­net und zu deren wich­tigs­tem Prot­ago­nis­ten er Prinz Charles aus­er­ko­ren hat, sowie die »kri­ti­sche Mas­se der Bür­ger«, die durch eine von ihm vor­ge­schla­ge­ne »Char­ta für natür­li­che Res­sour­cen« geläu­tert wer­den soll. Die­sen Läu­te­rungs­pro­zeß betrach­tet er des­halb als erfolg­ver­spre­chend, weil er von »drei poli­ti­schen Rie­sen aus roh­stoff­rei­chen Län­dern« gelei­tet wird, zu denen er unter ande­rem den frü­he­ren mexi­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Ernes­to Zedil­lo zählt. Mit die­ser »glaub­wür­di­gen Füh­rung«, so Col­lier, »gleicht die Char­ta durch Auto­ri­tät aus, was ihr an insti­tu­tio­nel­ler Macht fehlt« (S. 239). Ken­nern der Ver­hält­nis­se in Mexi­ko dürf­ten bei die­ser Offen­ba­rung die Haa­re zu Ber­ge ste­hen.

Kor­rup­ti­on als Mys­te­ri­um

Im Mit­tel­punkt von Col­liers Erör­te­run­gen ste­hen der von ihm so genann­te Res­sour­cen­fluch und sei­ne The­se von der »miß­ver­stan­de­nen Natur«. Mit ers­te­rem umschreibt er die Beob­ach­tung, daß zahl­rei­che Län­der des Südens roh­stoff­reich, aber bit­ter­arm sind. Der Pro­fes­sor kommt zu der nicht ganz tau­fri­schen Erkennt­nis, daß die Aus­plün­de­rung natür­li­cher Res­sour­cen in den Län­dern Afri­kas, Asi­ens und Latein­ame­ri­kas mit Kor­rup­ti­on ein­her­geht. An der einen oder ande­ren Stel­le fällt ihm sogar auf, daß es neben den Besto­che­nen auch jene gibt, die das Geld zur Ver­fü­gung stel­len. Col­liers aus­gie­bi­ge Erör­te­rung des The­mas Kor­rup­ti­on ist jedoch von einer bemer­kens­wert ahis­to­ri­schen Betrach­tungs­wei­se gekenn­zeich­net, die den Bei­trag west­li­cher Regie­run­gen zur Ent­ste­hung kor­rup­ter Regimes kom­plett aus­blen­det. Das betrifft deren geheim­dienst­lich betrie­be­ne Instal­lie­rung (erin­nert sei hier an John Per­kins’ Buch »Bekennt­nis­se eines Eco­no­mic Hit Man. Unter­wegs im Dienst der Wirt­schafts­ma­fia«) und jahr­zehn­te­lan­ge Unter­stüt­zung durch Län­der mit »guter Regie­rungs­füh­rung«. Auch die fort­dau­ern­de Blo­cka­de eines gerech­te­ren Welt­wirt­schafts­sys­tems durch die west­li­chen Län­der kommt mit kei­nem Wort zur Spra­che. Für Col­lier ist Kor­rup­ti­on ein fast mys­ti­sches Gesche­hen: »Es ist oft wahr­schein­lich, daß Regie­rungs­mit­glie­der, gemein­sam mit den natür­li­chen Res­sour­cen, von pri­va­ten Inter­es­sen ver­ein­nahmt wer­den« (S. 77). Die­ser Pro­zeß wird nicht beleuch­tet, denn schuld sind eigent­lich nicht die »pri­va­ten Inter­es­sen«, deren kon­kre­te Benen­nung Col­lier strikt ver­mei­det, son­dern die natür­li­chen Res­sour­cen selbst: »Sier­ra Leo­nes Dia­man­ten haben den sozia­len Zusam­men­halt der Gesell­schaft zer­stört; Nige­ri­as Öl hat die Kor­rup­ti­on der poli­ti­schen Klas­se genährt« (S. 53). Die­sem Dilem­ma setzt er die sank­ti­ons­frei­en Selbst­ver­pflich­tun­gen der Extra­c­ti­ve Indus­try Trans­pa­ren­cy Initia­ti­ve (EITI) als Pro­blem­lö­sung ent­ge­gen. Abge­se­hen davon, daß neun Jah­re nach deren Beginn bis­lang nur zehn Län­der »EITI-zer­ti­fi­ziert« sind, wer­den die öko­lo­gi­schen und sozia­len Pro­ble­men in den roh­stoff­rei­chen Län­dern von der Initia­ti­ve unge­nü­gend berück­sich­tigt. Kein The­ma für Col­lier. Statt des­sen ver­langt er unter ande­rem, die »Wald­be­woh­ner« Bra­si­li­ens soll­ten »kei­ne Rech­te auf das Öl unter dem Wald haben«, eine For­de­rung, die mit den Bestim­mun­gen der Kon­ven­ti­on 169 der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on ILO über die Rech­te indi­ge­ner Völ­ker kol­li­diert (S. 50).

Skan­da­lö­se Igno­ranz

Col­lier pro­pa­giert auch die The­se, der Ein­marsch der USA in den Irak 2003 sei in der Absicht erfolgt, »die Demo­kra­tie in den roh­stoff­rei­chen Nahen Osten (zu) brin­gen« (S.65), nur sei die »neo­kon­ser­va­ti­ve Agen­da naiv« gewe­sen. Denn, man höre und stau­ne: Der Ölreich­tum Iraks ver­ei­tel­te den Auf­bau einer guten Regie­rungs­pra­xis.

Col­liers Lamen­to über die Res­sour­cen­plün­de­rung beschränkt sich auf das Anpran­gern der Ver­schwen­dung der dabei erziel­ten Erlö­se: Wert gleich Markt­wert. Gebrauchs­wer­te und der stoff­li­che Ver­lust von Res­sour­cen sowie des­sen öko­lo­gi­sche Kon­se­quen­zen haben im Den­ken Col­liers kei­nen Platz. Er ist unbe­küm­mert, denn: »Im 19.Jahrhundert war die bri­ti­sche Regie­rung besorgt, ihr könn­ten die hohen Bäu­me für Schiffs­mas­ten aus­ge­hen. Was pas­sier­te, war natür­lich, daß Schif­fe irgend­wann kei­ne Mas­ten mehr brauch­ten« (S. 110). Dem­ago­gie oder Ein­falt? Das Land, das heu­te kei­ne Schiffs­mas­ten mehr braucht, hat einen jähr­li­chen Pro-Kopf-Ver­brauch an Papier von über 200 Kilo­gramm pro Jahr und wür­de mit den acht Pro­zent Wald, die ihm noch ver­blie­ben sind, gera­de mal die Hälf­te die­ses Bedarfs decken kön­nen, wenn man den Wald kom­plett dafür nut­zen wür­de.

In die­sem Stil geht es wei­ter: Col­lier schlägt »eine gegen­sei­ti­ge Dees­ka­la­ti­on der Dumm­heit« vor. »Im Aus­tausch gegen Euro­pas Auf­he­bung des selbst­zer­stö­re­ri­schen Ver­bots von gen­tech­nisch ver­än­der­ten Lebens­mit­teln könn­te Ame­ri­ka sei­ne selbst­zer­stö­re­ri­schen Sub­ven­tio­nen für Bio­kraft­stof­fe auf­he­ben.« (S. 213) Der Autor ver­mit­telt so den Ein­druck, Agro­treib­stof­fe sei­en in Euro­pa kein The­ma. Der EU droht also die Selbst­zer­stö­rung durch das – längst auf­ge­weich­te – Gen­tech­nik­ver­bot von 1996. Schuld dar­an ist in Col­liers Kos­mos Prinz Charles, der Anfüh­rer der Bio­bau­ern der Welt. Die­se mas­si­ve Ver­zer­rung – umfas­sen­de wis­sen­schaft­li­che Argu­men­te gegen Agro­gen­tech­nik und bei­spiels­wei­se »La Via Cam­pe­si­na«, die glo­ba­le poli­ti­sche Bewe­gung der Klein­bau­ern, uner­wähnt zu las­sen und ihre Ver­tre­ter damit still­schwei­gend in einen Topf mit aris­to­kra­ti­schen Umwelt­ro­man­ti­kern zu ste­cken – ist einer der beson­ders ärger­li­chen Aspek­te des Buches. Als wür­den der 2008 von 400 Exper­ten ver­öf­fent­lich­te Welt­agrar­be­richt und die wich­ti­gen Publi­ka­tio­nen renom­mier­ter Agrar­öko­lo­gen nicht exis­tie­ren.

Das gan­ze Kapi­tel ist ein Skan­dal: Pro­tes­te gegen Hun­ger bil­den die »klas­si­sche poli­ti­sche Basis für Dem­ago­gie«; in Brüs­sel wütet eine »Agrar­lob­by«, womit Col­lier aller­dings Green­peace und ähn­li­che Orga­ni­sa­tio­nen meint. Sei­ne Behaup­tung, die euro­päi­sche Getrei­de­pro­duk­ti­on sei wegen des Gen­tech­nik­ver­bots ab 1996 um jähr­lich ein bis zwei Pro­zent gesun­ken, läßt sich mit offi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken wider­le­gen. Afri­kas Klein­bau­ern ver­gleicht der Öko­nom mit Stra­ßen­händ­lern, »die man dort an jeder Ecke trifft« und die er durch die Errich­tung von Super­märk­ten ver­schwin­den las­sen will. Wohin, ver­rät er nicht. Auch die Klein­bau­ern schei­nen sich ein­fach in Luft auf­zu­lö­sen, wenn Afri­kas Land­wirt­schaft eines Tages durch­me­cha­ni­siert ist, denn sie wer­den nicht wei­ter erwähnt.

Das Bedenk­lichs­te an die­sem faden­schei­ni­gen Plä­doy­er für eine nicht nach­hal­ti­ge, neo­li­be­ra­le Schein­lö­sung gro­ßer Welt­pro­ble­me ist, daß sich – betrach­tet man die Ver­kaufs­zah­len und die Rezep­ti­on des Buches in Medi­en wie Deutsch­land­funk und Welt – kaum jemand dar­an zu stö­ren scheint.

Paul Col­lier: Der hung­ri­ge Pla­net. Wie kön­nen wir Wohl­stand meh­ren, ohne die Erde aus­zu­plün­dern. Aus dem Eng­li­schen von Mar­tin Rich­ter, Sied­ler Ver­lag, Mün­chen 2011, 272 S., 22,99 Euro

Rezen­si­on erschie­nen in:
jun­ge Welt, Bei­la­ge „land & wirt­schaft“ vom 03.08.2011

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