Fünf Mal so vie­le Schwei­ne wie Men­schen

Indus­tri­el­le Schwei­ne­mast in Mexi­ko: Gran­jas Caroll/Smithfield

Von Peter Claus­ing

Indus­tri­el­le Schwein­mast­an­la­gen zer­stö­ren die Umwelt und rufen gesund­heit­li­che Schä­den her­vor. Sie ver­un­rei­ni­gen das Grund­was­ser sowie Ober­flä­chen­ge­wäs­ser und kön­nen Atem­be­schwer­den, Nie­ren­pro­ble­me und ande­re Erkran­kun­gen her­vor­ru­fen. Unter­su­chun­gen bele­gen die psy­chi­schen Wir­kun­gen des per­ma­nen­ten Gestanks, den Mast­fa­bri­ken erzeu­gen. All das bekom­men auch die Bewoh­ne­rIn­nen des Pero­te-Tals im mexi­ka­ni­schen Bun­des­staat Vera­cruz zu spü­ren. Doch es bedurf­te erst des Aus­bruchs der vom H1N1-Virus her­vor­ge­ru­fe­nen Schwei­negrip­pe im Jahr 2009, um die dor­ti­gen Ver­hält­nis­se ins Ram­pen­licht der inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit zu rücken. Der Ursprung die­ser zeit­wei­se von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on als glo­ba­le Epi­de­mie (Pan­de­mie) ein­ge­stuf­ten Grip­pe­wel­le ließ sich in den Ort La Glo­ria zurück­ver­fol­gen, der sich in unmit­tel­ba­rer Nähe zu einer der Mast­fa­bri­ken des Unter­neh­mens Gran­jas Car­roll (GC) befin­det.

In Mexi­ko fand in den letz­ten Jahr­zehn­ten ein wirt­schaft­li­cher Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess statt, in Fol­ge des­sen heut­zu­ta­ge 60 Pro­zent des Schwei­ne­fleischs in „tech­no­lo­gisch fort­ge­schrit­te­nen“ Betrie­ben pro­du­ziert wird, was für den 150 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Land­kreis Pero­te (die Hälf­te der Flä­che von Mün­chen) bedeu­tet, dass von den dort seit 1994 errich­te­ten Mast­fa­bri­ken alle vier Mona­te 330000 Schlacht­schwei­ne aus­ge­spuckt wer­den. In Pero­te leben fünf Mal so vie­le Schwei­ne wie Men­schen.
Die Vor­gän­ge im Pero­te-Tal sind ein Lehr­bei­spiel für Funk­ti­ons­wei­se und Fol­gen neo­li­be­ra­len Wirt­schaf­tens. Nach­dem 1994 das Frei­han­dels­ab­kom­men NAFTA in Kraft trat, gin­gen die dor­ti­gen Tabak- und Kaf­fee­pro­du­zen­tIn­nen rei­hen­wei­se in den Bank­rott. GC konn­te nicht nur bil­lig Land kau­fen, son­dern hat­te auch die Mög­lich­keit aus einem Heer von Erwerbs­lo­sen die Gefü­gigs­ten aus­zu­su­chen. Beim Ein­zug in das Pero­te-Tal 1994/95 grün­de­ten die Gran­jas Caroll (die Caroll-Far­men) und der US-ame­ri­ka­ni­sche Markt­füh­rer Smit­h­field als Joint Ven­ture Gran­jas Caroll de Méxi­co. Im Jahr 1999 über­nahm Smit­h­field das Geschäft kom­plett, um dann im Sep­tem­ber die­ses Jah­res selbst auf­ge­kauft zu wer­den – für 7,1 Mil­li­ar­den Dol­lar vom chi­ne­si­schen Kon­zern Shuang­hui, von dem eine kürz­lich ver­öf­fent­lich­te Stu­die behaup­tet, dass er von Gold­man Sachs kon­trol­liert wird.
Die schnel­le und unge­hemm­te Aus­brei­tung der Mast­fa­bri­ken trifft in Mexi­ko auf beson­ders güns­ti­ge Bedin­gun­gen auf­grund ohne­hin schwa­cher Umwelt­ge­set­ze, die zudem nicht durch­ge­setzt wer­den (1). So stell­ten Regie­rungs­be­hör­den im Febru­ar 2006 bei einer Inspek­ti­on der GC-Pro­duk­ti­ons­stät­ten zahl­rei­che Ver­stö­ße fest. Doch in kei­nem ein­zi­gen Fall wur­de eine Geld­stra­fe erho­ben. Aus den unver­sie­gel­ten Gül­le­seen gelan­gen Stick­stoff und ande­re in den Exkre­men­ten ent­hal­te­ne Schad­stof­fe ins Grund­was­ser. Oder sie lau­fen bei star­ken Regen­fäl­len über und die Gül­le ergießt sich in die Ober­flä­chen­ge­wäs­ser. Die Aus­wir­kun­gen sind bis in den Golf von Mexi­ko nach­weis­bar. Die von GC als „anae­ro­bi­sche Zer­set­zer“ geprie­se­nen Behäl­ter, in denen die wäh­rend der Mast ver­en­de­ten Tie­re lan­den, sind in Wirk­lich­keit ein­fa­che Gru­ben mit einer Metall­ab­de­ckung. Die dar­in ver­we­sen­den Kada­ver sind Brut­stät­te für Mil­lio­nen Flie­gen, die zur uner­träg­li­chen Pla­ge wur­den. David Bacon (2) schil­dert, wie in den Dör­fern die Kin­der in war­men Näch­ten auf­wa­chen und sich wegen des Gestanks über­ge­ben müs­sen, so dass ihre Eltern mit ihnen in ent­fern­te­re Gegen­den fah­ren, um den Rest der Nacht auf dem Pick­up ver­brin­gen. Die Zer­stö­rung der loka­len Öko­no­mien rief eine mas­si­ve Migra­ti­on aus Vera­cruz in die USA her­vor – schla­gen­der Beweis gegen die angeb­li­che Schaf­fung von Arbeits­plät­zen. Die 1200 Jobs, die in den Mast­fa­bri­ken im Pero­te-Tal geschaf­fen wur­den, ste­hen Aber­tau­sen­den von Leu­ten gegen­über, die nach North Caro­li­na emi­grier­ten, um auf den dor­ti­gen Tabak­fel­dern zu arbei­ten oder um in Tar Heel, im welt­größ­ten Schwei­ne­schlacht­hof, den Smit­h­field 1992 in Betrieb nahm, die Afro­ame­ri­ka­ner abzu­lö­sen, die nicht län­ger bereit waren, unter den herr­schen­den Bedin­gun­gen zu arbei­ten.

In einem sol­chen gesetz­lo­sen Zustand bleibt den Betrof­fe­nen sozia­ler Pro­test als ein­zi­ges Mit­tel. Nach zwei Jah­ren immer wie­der­keh­ren­der Stra­ßen­blo­cka­den und ande­rer Pro­test­for­men hat­ten die 18 zu den Pue­blos Uni­dos ver­ei­nig­ten Gemein­den des Pero­te-Tals schließ­lich Erfolg: Im Jahr 2007 unter­zeich­ne­ten der Chef von GC und die Gemein­de­prä­si­den­ten ein Abkom­men, in dem sich das Unter­neh­men ver­pflich­te­te, kei­ne wei­te­ren Mast­an­la­gen zu bau­en. Doch der Frie­den währ­te nicht lan­ge. Im dar­auf­fol­gen­den Jahr erstat­te­te GC gegen Ver­ó­ni­ca Hernán­dez, Leh­re­rin in La Glo­ria, und 13 wei­te­re Akti­vis­tIn­nen Anzei­ge wegen „Dif­fa­mie­rung“. Die Anzei­ge wur­de spä­ter zwar für gegen­stands­los erklärt, aber in den zwei Jah­ren bis dahin muss­ten sich die Beschul­dig­ten alle 14 Tage beim Gericht mel­den. Sowohl die Akti­vis­tIn­nen als auch die Bewoh­ne­rIn­nen der Dör­fer waren ein­ge­schüch­tert und die Pro­test­be­we­gung ver­lor an Schwung. Den­noch pro­tes­tier­ten die 18 Gemein­de­prä­si­den­ten öffent­lich, als im August 2011 bekannt wur­de, dass der Prä­si­dent des Land­krei­ses Gua­d­a­lu­pe Vic­to­ria unter Ver­let­zung des 2007 getrof­fe­nen Abkom­mens dem Bau wei­te­rer Mast­fa­bri­ken zuge­stimmt hat­te. Auch der Schwei­negrip­pen-Skan­dal schaff­te es nicht, GC aus­rei­chend zu dis­kre­di­tie­ren. Der Kon­flikt besteht wei­ter.

(1) Ponen-Gon­za­lez, A.G. & Fry, M. (2010): Pig pan­de­mic: Indus­tri­al hog far­ming in eas­tern Mexi­co. Land Use Poli­cy 27, S. 1107-1110.
(2) Bacon, D. (2013) The right to stay home: How U.S. poli­cy dri­ves Mexi­can migra­ti­on, Bea­con Press, 328 S.

Erschie­nen in: ILA 371 (Dezem­ber 2013)

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