Mono­pol und Elend (Gast­bei­trag)

Die welt­wei­te Ver­ein­heit­li­chung von Saat­gut dient den Inter­es­sen der Agrar­kon­zer­ne und führt zur Ent­rech­tung und Ent­eig­nung klei­ner Land­wir­te

Von Anne Schweig­ler

Im August 2013 streik­ten die Bau­ern in Kolum­bi­en für meh­re­re Wochen und stell­ten die Belie­fe­rung der Städ­te mit Nah­rungs­mit­teln qua­si ein. Zusam­men mit Stu­den­ten, Indi­ge­nen und Indus­trie­ar­bei­tern, die sich soli­da­risch erklär­ten, leg­ten sie das Land lahm. Die Aus­wir­kun­gen der Frei­han­dels­ab­kom­men mit den USA und Euro­pa auf die Land­wirt­schaft des Lan­des und die Empö­rung über eine damit zusam­men­hän­gen­de Saat­gut­ver­ord­nung waren der zen­tra­le Aus­lö­ser. Mit letz­te­rer wur­de selbst­pro­du­zier­tes Saat­gut für ille­gal erklärt und des­sen Beschlag­nah­mung und Zer­stö­rung ver­fügt.

Kolum­bi­en ist ein Bei­spiel dafür, wie Saat­gut welt­weit Schritt für Schritt pri­va­ti­siert und mono­po­li­siert wird. Dahin­ter ste­hen die Inter­es­sen der Agrar­kon­zer­ne, deren Ziel es ist, nicht nur »ihre« indus­tri­el­len Sor­ten mit Hil­fe von Rech­ten an geis­ti­gem Eigen­tum zu kon­trol­lie­ren, son­dern gleich­zei­tig auch die Alter­na­ti­ven, das heißt freie Sor­ten, ver­bie­ten zu las­sen. Dies erfolgt, indem die jahr­tau­sen­de­al­te Pra­xis, einen Teil der Ern­te auf­zu­be­wah­ren und als Saat­gut zu ver­wen­den, per Gesetz in eine Straf­tat ver­wan­delt wird.

Bereits 2005 beklag­te die inter­na­tio­na­le Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO) GRAIN, daß die Geset­ze in repres­si­ver Wei­se vor­schrei­ben, wel­che Samen weder ver­kauft noch getauscht, ja nicht mal in den Boden gebracht wer­den dür­fen. In den letz­ten Jah­ren ver­viel­fach­ten sich die Stra­te­gien zur Pri­va­ti­sie­rung von und zur Kon­trol­le über Saat­gut. Die ent­spre­chen­den Geset­zes­ent­wür­fe wur­den umfas­sen­der und restrik­ti­ver. Das betrifft zum einen den Bereich der Ver­ord­nun­gen, die den Markt­zu­gang und den Han­del mit Saat­gut betref­fen und zum ande­ren den Bereich der Rech­te auf geis­ti­ges Eigen­tum auf Saat­gut. Bei­de Regel­wer­ke ergän­zen und ver­schär­fen sich gegen­sei­tig.

Mit der Umstel­lung von bäu­er­li­cher auf indus­tri­el­le Land­wirt­schaft und auf ratio­na­li­sier­te Ver­ar­bei­tungs­pro­zes­se ent­stan­den ande­re Anfor­de­run­gen an das Saat­gut. Des­halb bezo­gen sich die ers­ten Geset­ze auch ursprüng­lich nur auf Neu­züch­tun­gen der Indus­trie. Die dafür auf­ge­stell­ten Markt­zu­gangs­kri­te­ri­en ver­lan­gen, daß eine Sor­te von ande­ren Sor­ten unter­scheid­bar, homo­gen und sta­bil sein muß (also kei­ne gene­ti­sche Varia­bi­li­tät auf­wei­sen darf und von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on unver­än­dert blei­ben muß). Nur Sor­ten, die die­se »DUS«-Kriterien – von eng­lisch »distinct, uni­form and sta­ble« – erfül­len, kön­nen in einer ent­spre­chen­den Lis­te regis­triert wer­den und sind somit für den Ver­kauf zuge­las­sen.

Im Gegen­satz dazu ist es ein her­vor­ste­chen­des Merk­mal tra­di­tio­nel­ler, bäu­er­li­cher Sor­ten, daß sie eine hohe gene­ti­sche Varia­bi­li­tät auf­wei­sen und dem­zu­fol­ge nicht über­mä­ßig sta­bil sind. Dies garan­tiert ihre Anpas­sungs­fä­hig­keit an sich ver­än­dern­de Bedin­gun­gen, was für künf­ti­ge Züch­tun­gen, aber auch für eine dem Kli­ma­wan­del aus­ge­setz­te glo­ba­le Land­wirt­schaft von zen­tra­ler Bedeu­tung ist.

Im zwei­ten Bereich, der Siche­rung von Eigen­tums­rech­ten an Pflan­zen oder Samen, gibt es zwei Mög­lich­kei­ten. Da ist zunächst das Patent­recht, das in den USA für Saat­gut bereits vor dem Zwei­ten Welt­krieg ein­ge­führt wur­de und dem Patent­in­ha­ber Mono­pol­rech­te auf eine Sor­te und alle »ihre Nach­kom­men« für die nächs­ten Jahr­zehn­te sichert. Mit der Unter­zeich­nung des unter der Abkür­zung »TRIPS« bekann­ten Abkom­mens zum Schutz der Rech­te auf geis­ti­ges Eigen­tum ver­pflich­ten sich alle Mit­glieds­län­der der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on (WTO), Patent- oder ver­gleich­ba­re Geset­ze ein­zu­füh­ren. Die zwei­te Mög­lich­keit zur Siche­rung von Eigen­tums­rech­ten auf Pflan­zen ist das UPOV-Abkom­men (Uni­on Inter­na­tio­na­le pour la Pro­tec­tion des Obten­ti­ons Végé­ta­les), das in Euro­pa am 10.8.1968 in Kraft trat. Das Abkom­men regelt einen län­der­über­grei­fen­den Sor­ten­schutz. Den UPOV-Richt­li­ni­en lie­gen die DUS-Kri­te­ri­en zugrun­de.

Im Gegen­satz zum Patent­recht besaß das Regle­ment der UPOV ursprüng­lich zwei wesent­li­che Aus­nah­men von einem strik­ten Eigen­tums­schutz – den Züch­ter­vor­be­halt (geschütz­te Sor­ten durf­ten unge­fragt für die Züch­tung von neu­en Sor­ten genutzt wer­den) und das Land­wir­te­pri­vi­leg (Land­wir­te hat­ten das Recht, Saat­gut aus der eige­nen Ern­te auf­zu­he­ben und auf den eige­nen Fel­dern aus­zu­sä­en, selbst wenn das Ursprungs­ma­te­ri­al sor­ten­recht­lich geschützt war). Die­se »Pri­vi­le­gi­en« wur­den aller­dings mit jeder Über­ar­bei­tung des Abkom­mens wei­ter beschnit­ten. Für die Län­der, die der aktu­el­len Fas­sung UPOV’91 bei­tre­ten, gilt: Bezie­hen Bau­ern sor­ten­schutz­recht­lich geschütz­tes Saat­gut, müs­sen sie Lizenz­ge­büh­ren zah­len, falls sie Nach­bau betrei­ben. In die­ser ver­schärf­ten Fas­sung kommt der UPOV-Sor­ten­schutz dem Patent­recht gleich.

Die tra­di­tio­nel­le Vor­ge­hens­wei­se von Land­wir­ten und Bau­ern – Tausch, Nach­bau von Ern­te­gut und Wei­ter­züch­tung – darf dem­nach nicht wei­ter ohne Beschrän­kun­gen prak­ti­ziert wer­den, obwohl eigent­lich auch die UPOV-Kon­ven­ti­on aner­kennt, daß Pflan­zen­züch­tung auf den kumu­la­ti­ven Ergeb­nis­sen und Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit und frei zugäng­li­chem Aus­gangs­ma­te­ri­al basiert. (1)

Latein­ame­ri­ka

In Kolum­bi­en konn­ten star­ke Pro­tes­te 2012 den Bei­tritt des Lan­des zum UPOV-Abkom­men ver­hin­dern. Der Wider­stand im Som­mer und Herbst des ver­gan­ge­nen Jah­res war noch grö­ßer. Dabei ging es vor allem um die Reso­lu­ti­on 970, die den Markt­zu­gang von Saat­gut regeln soll. Die von der Agrar­be­hör­de, dem Insti­tu­to Colom­bia­no Agro­pecua­rio (ICA), bereits 2010 ver­faß­te Reso­lu­ti­on sieht vor, daß nur zer­ti­fi­zier­te Sor­ten für den Anbau in Kolum­bi­en erlaubt sind. Vor­aus­set­zung für eine Zer­ti­fi­zie­rung ist die Erfül­lung der DUS-Kri­te­ri­en, was vom ICA geprüft und regis­triert wird. Die Bean­tra­gung einer Zer­ti­fi­zie­rung wie­der­um ist nur für eine Per­son mög­lich, die beim ICA offi­zi­ell als Züch­ter regis­triert ist.

Der 2013 erschie­ne­ne Film »Reso­lu­ti­on 970« mach­te das The­ma lan­des­weit bekannt und sorg­te für viel Empö­rung. Seit 2011 hat das ICA über 2000 Ton­nen »ille­ga­les« Reis-Saat­gut beschlag­nahmt und zum Teil zer­stört. Die Bau­ern­fa­mi­li­en wur­den von die­sen Maß­nah­men kalt getrof­fen, hat­ten sie doch nur, wie seit Gene­ra­tio­nen üblich, einen Teil der Ern­te auf­be­wahrt – für sich selbst, zum Tausch mit den Nach­barn oder zum Ver­kauf auf loka­len Märk­ten. Betrof­fen wären von die­ser Reso­lu­ti­on ca. 3,5 Mil­lio­nen Bau­ern­fa­mi­li­en. Neben der Ver­nich­tung ihres Saat­guts droh­ten den Bau­ern Geld- und Gefäng­nis­stra­fen. Auch die­ses Mal zeig­ten die star­ken Pro­tes­te Wir­kung: Die kolum­bia­ni­sche Regie­rung setz­te die Reso­lu­ti­on 970 aus, aller­dings zunächst nur für zwei Jah­re.

Kolum­bi­en ist kein Ein­zel­fall. Auch in ande­ren latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern regt sich Wider­stand gegen die Pri­va­ti­sie­rung von Saat­gut und das dazu­ge­hö­ri­ge Modell einer indus­tria­li­sier­ten Land­wirt­schaft. Hin­ter­grund sind meist Frei­han­dels­ab­kom­men mit den USA bzw. Euro­pa, die zu ent­spre­chen­den Rege­lun­gen ver­pflich­ten. Das zeigt unter ande­rem eine aktu­el­le Stu­die von GRAIN.(2) Dem­nach sind in Kolum­bi­en und Mexi­ko Zer­ti­fi­zie­rungs­pflicht und Han­dels­ge­set­ze zen­tra­le Mecha­nis­men, die zur Ver­drän­gung und Ille­ga­li­sie­rung tra­di­tio­nel­len Saat­guts füh­ren kön­nen. In Chi­le sieht die ent­spre­chen­de Geset­zes­in­itia­ti­ve neben dem Bei­tritt zu UPOV’91 auch die Über­ga­be der exe­ku­ti­ven Kon­trol­le über die neu­en Rege­lun­gen an Agrar­kon­zer­ne vor. Dies wür­de qua­si die Schaf­fung einer pri­va­ten Poli­zei bedeu­ten. Nach star­ken Pro­tes­ten ver­schob die Regie­rung die Ent­schei­dung dar­über auf die Zeit nach der Wahl, die am 17. Novem­ber 2013 statt­fand.

In Argen­ti­ni­en sind die geplan­ten Saat­gut­ge­set­zes­än­de­run­gen ein direk­tes Ergeb­nis von Mons­an­tos Lob­by­ar­beit. Seit 2003 for­dert der welt­größ­te Saat­gut- und Gentech­kon­zern »juris­ti­sche Sicher­heit« für sei­ne Inves­ti­tio­nen in gen­tech­nisch ver­än­der­te Pflan­zen. Geis­ti­ge Eigen­tums­rech­te sol­len dem Kon­zern Lizenz­ge­büh­ren auf sei­ne Pflan­zen garan­tie­ren. Die argen­ti­ni­sche Regie­rung hat sich dem lan­ge Zeit ver­wei­gert. Aller­dings führ­ten 2012 direk­te Ver­hand­lun­gen der Prä­si­den­tin Cris­ti­na Fernán­dez de Kirch­ner mit Ver­tre­tern von Mons­an­to zur Zulas­sung der neu­en gen­tech­nisch ver­än­der­ten Soja­sor­te »Int­ac­ta RR2« (3) und zu einer Ver­ein­ba­rung über die Eröff­nung einer Auf­be­rei­tungs­sta­ti­on für trans­ge­nes Saat­gut von Mons­an­to im Nor­den Argen­ti­ni­ens. Im Gegen­zug für die­se erneu­ten Inves­ti­tio­nen setzt sich die Regie­rung für eine Über­ar­bei­tung der Saat­gut­ge­set­ze ein. Ein vor­ab bekannt gewor­de­ner Ent­wurf sieht die übli­chen Ver­bo­te und Pri­va­ti­sie­run­gens­mög­lich­kei­ten von UPOV’91 vor, beinhal­tet dar­über hin­aus aber auch die Beson­der­heit eines Pflicht­re­gis­ters für »Saat­gut­nut­zer«. Das soll für alle gel­ten, die Nah­rungs­mit­tel anbau­en, egal ob sie es ver­kau­fen oder ob es für den Eigen­ver­brauch ist. Wegen gro­ßer Pro­tes­te hat die Regie­rung die Ver­hand­lun­gen über das Saat­gut­ge­setz auf die Zeit nach der Wahl 2015 ver­scho­ben. Auch gegen Mons­an­tos Auf­be­rei­tungs­an­la­ge gibt es ent­schlos­se­nen Wider­stand. Seit dem 18. Sep­tem­ber 2013 hal­ten Nach­barn, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten und Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von Gly­pho­sat-Opfern (4), die Zufahr­ten zur Bau­stel­le besetzt. Im Okto­ber hat Mons­an­to wegen der anhal­ten­den Blo­cka­de den Bau aus­ge­setzt.

In punc­to Lizenz­ge­büh­ren ver­folgt Mons­an­to aller­dings noch einen Plan B. Statt auf die staat­li­che und juris­ti­sche Aner­ken­nung der Rech­te auf geis­ti­ges Eigen­tum zu war­ten, läßt Mons­an­to alle Land­wir­te, die Saat­gut der neu­en Soja­sor­te »RR2Intacta« kau­fen, einen Ver­trag unter­schrei­ben, mit dem sie einer Lizenz­ge­bühr zustim­men. Die Ver­pflich­tun­gen des Land­wir­tes sind dann pri­vat­recht­lich ein­klag­bar.

Afri­ka

Afri­ka hat eine lan­ge Tra­di­ti­on des Wider­stan­des sowohl gegen vor­geb­li­che Eigen­tums­rech­te als auch gegen gen­tech­nisch ver­än­der­te Pflan­zen (GVO). Aber auf vie­len Ebe­nen arbei­ten star­ke Kräf­te dar­an, das zu ändern. So ver­sucht bei­spiels­wei­se die Afri­ka­ni­sche Regio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Geis­ti­ges Eigen­tum (ARIPO) Mecha­nis­men zu ent­wi­ckeln, die Län­der dazu zwin­gen, dem UPOV-’91-Abkommen bei­zu­tre­ten. Sie sieht dies als eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung, um die afri­ka­ni­sche bäu­er­li­che Land­wirt­schaft mit Hil­fe einer nicht nach­hal­ti­gen soge­nann­ten grü­nen Revo­lu­ti­on »moder­ni­sie­ren« zu kön­nen.

Eine wei­te­re Offen­si­ve gegen die Bau­ern und ihr Saat­gut ist der neue über­re­gio­na­le Gemein­sa­me Markt für das Öst­li­che und Süd­li­che Afri­ka (COMESA), über des­sen dro­hen­de Ein­füh­rung die NGO »Third World Net­work« infor­miert. Die neu­en Rege­lun­gen sehen Qua­li­täts­kon­trol­len und Regis­trie­rungs­vor­schrif­ten vor, die sich an den DUS-Kri­te­ri­en aus­rich­ten. Gene­tisch uni­for­mes, kom­mer­zi­ell gezüch­te­tes Saat­gut wird so qua­si als »das nor­ma­le« defi­niert. Damit sind afri­ka­ni­sche Klein­bau­ern, die regio­na­le, tra­di­tio­nel­le Sor­ten züch­ten und nut­zen, aus dem von der COMESA vor­ge­se­he­nen Zer­ti­fi­zie­rungs- und Zulas­sungs­sys­tem aus­ge­schlos­sen. Die Bedeu­tung die­ser Maß­nah­me wird klar, wenn man sich vor Augen führt, daß in Afri­ka noch rund 80 Pro­zent des Saat­guts aus Res­sour­cen stam­men, die lokal und gemein­schaft­lich ver­wal­tet wer­den. In den neu­en Rege­lun­gen kom­men bäu­er­li­che Land­wirt­schaft und tra­di­tio­nel­le Sor­ten nicht mehr vor, es gibt auch kei­ne Rege­lun­gen zum Schutz und Erhalt der tra­di­tio­nel­len Viel­falt. Nur eine Form der Züch­tung ist vor­ge­se­hen, die mit Spit­zen­tech­no­lo­gie. Eine Unter­schei­dung (und damit spe­zi­el­le Zulas­sungs­kri­te­ri­en) zwi­schen GVO- und ande­ren Samen gibt es in die­sem neu­en Abkom­men nicht. Und statt staat­li­cher Insti­tu­tio­nen sind »pri­vat­wirt­schaft­li­che Akteu­re« für das Zulas­sungs­ver­fah­ren vor­ge­se­hen.
Die bis­her gül­ti­gen Rege­lun­gen meh­re­rer Län­der der COME­SA-Regi­on berück­sich­ti­gen zum Teil den Erhalt und Schutz von tra­di­tio­nel­len Sor­ten und ent­hal­ten stren­ge Zulas­sungs­vor­schrif­ten oder gar ein Ver­bot von GVO. Die ein­zel­nen Natio­nal­staa­ten wer­den sich nach dem neu­en Abkom­men aber nicht mehr vor gen­tech­nisch mani­pu­lier­ten Saat­gut schüt­zen kön­nen. Und auch eine Land­wirt­schafts­po­li­tik, die bäu­er­li­ches, regio­nal ange­paß­tes Mate­ri­al akzep­tiert oder sogar för­dert, ist damit nicht mehr erlaubt. Natio­na­le Selbst­be­stim­mung wird durch das über­re­gio­na­le Abkom­men aus­ge­he­belt.

Euro­pa

Ent­spre­chend dem in Euro­pa vor rund 100 Jah­ren ent­wi­ckel­ten Beur­tei­lungs­sys­tem und Normden­ken in DUS-Kri­te­ri­en, wer­den Samen schon lan­ge einem Zulas­sungs­ver­fah­ren unter­zo­gen, bevor sie in eine Sor­ten­lis­te ein­ge­tra­gen und gehan­delt wer­den dürfen.(5) Bis vor kur­zem waren tra­di­tio­nel­le und bäu­er­li­che Sor­ten von die­sen Markt­zu­gangs­re­geln nicht betrof­fen. Doch mit der Über­ar­bei­tung der EU-Saat­gut­ge­set­ze soll sich das ändern. Im Mai 2013 hat­te die EU-Kom­mis­si­on ihren Vor­schlag nach fast fünf Jah­ren ver­öf­fent­licht. Die­ser wird aktu­ell dis­ku­tiert. Eine Ent­schei­dung wird für Anfang 2014 erwar­tet.

Laut die­sem Ent­wurf soll das Markt­zu­las­sungs­sys­tem mit DUS-Kri­te­ri­en künf­tig auch für bäu­er­li­ches Saat­gut und Erhal­tungs­sor­ten gel­ten – nur nicht so streng, weil sie den Kri­te­ri­en ja eigent­lich nicht ent­spre­chen. Außer­dem wird ihre Regis­trie­rung in einer Erhal­tungs­sor­ten­lis­te vor­ge­schrie­ben. Trotz mög­li­cher Aus­nah­me­re­ge­lun­gen, erschwert die geplan­te Neu­re­ge­lung die Bewah­rung bio­lo­gi­scher Sor­ten­viel­falt durch hohen büro­kra­ti­schen Auf­wand, mehr Kos­ten, Men­gen­be­schrän­kun­gen und viel­fäl­ti­ge Regle­men­tie­run­gen. Aber selbst die­se klei­ne Nische gibt es mög­li­cher­wei­se doch nicht. Der als Bericht­erstat­ter für das EU-Par­la­ment bestimm­te Ita­lie­ner Ser­gio Sil­vestris hat in sei­nem Ent­wurf für die Stel­lungs­nah­me des Par­la­men­tes bestehen­de Aus­nah­men für hete­ro­ge­nes Mate­ri­al gestri­chen.
Ein Punkt, den er nicht gestri­chen hat, ist die Vor­ga­be, daß alle ver­kaufs­ori­en­tier­ten Pro­du­zen­ten, gro­ße wie klei­ne, sich als »Saat­gut-Unter­neh­mer« anmel­den und alle ihre Saat­gut­ak­ti­vi­tä­ten doku­men­tie­ren müs­sen. Begrün­det wird das mit »Pflan­zen­hy­gie­ne«, also mit dem Schutz vor Schäd­lin­gen.

Auch Land­wir­te, die im Rah­men ihrer Berufs­aus­übung Saat­gut erzeu­gen und ver­kau­fen, sol­len die­se Vor­ga­be erfül­len. Kom­men sie ihrer Doku­men­ta­ti­ons­pflicht nicht oder nur unge­nü­gend nach, kann ihnen die Zulas­sung ent­zo­gen wer­den. Grund­sätz­lich sol­len sie bis auf Aus­nah­men die Kos­ten für Kon­trol­len selbst tra­gen. Der Auf­wand für Erhal­tungs­in­itia­ti­ven oder für Bau­ern­hö­fe mit viel­fäl­ti­gem Anbau wird damit unver­hält­nis­mä­ßig groß. Selbst der Deut­sche Bun­des­rat for­mu­lier­te in sei­ner Stel­lung­nah­me zur neu­en Saat­gut­richt­li­nie sei­ne Sor­ge vor wei­te­ren büro­kra­ti­schen Hür­den und finan­zi­el­len Belas­tun­gen für die Land­wir­te.

Wie schon für ande­re Län­der beschrie­ben, kön­nen auch in Euro­pa die Behör­den pri­va­te Unter­neh­men mit den Kon­trol­len beauf­tra­gen, und es gibt kei­nen natio­na­len Spiel­raum bei der Umset­zung. Bäu­er­li­che Orga­ni­sa­tio­nen und Erhal­tungs­in­itia­ti­ven meh­re­rer euro­päi­scher Län­der ver­fol­gen seit Jah­ren kri­tisch den Über­ar­bei­tungs­pro­zeß. Die Kam­pa­gne für Saat­gut-Sou­ve­rä­ni­tät infor­miert und doku­men­tiert ihn seit 2009 auf ihrer Webseite.(6) Sie schätzt, daß die end­gül­ti­ge Ent­schei­dung über die Richt­li­nie im Früh­jahr 2014 fal­len wird.

Trotz mehr­fa­cher direk­ter Ein­ga­ben an poli­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger, euro­pa­wei­ter Pro­tes­te und meh­re­rer Peti­tio­nen mit For­de­run­gen nach einer Ände­rung der Geset­ze zuguns­ten einer bäu­er­li­chen und viel­fäl­ti­gen Land­wirt­schaft fan­den die­se kei­nen sub­stan­ti­el­len Ein­gang in den Geset­zes­text.

Jetzt haben die bei­den öster­rei­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen »Akti­on GEN-Kla­ge« und »Ärz­te, Bau­ern und Juris­ten gegen Gen­tech­nah­rung« eine Kla­ge beim Aus­schuß für wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Men­schen­rech­te der Ver­ein­ten Natio­nen in Genf ein­ge­reicht. Die dro­hen­de EU-Saat­gut­richt­li­nie wider­spricht dem­nach dem »Inter­na­tio­na­len Pakt für wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Men­schen­rech­te« der UNO, da sie aus­schließ­lich die Abhän­gig­keit unse­rer Ernäh­rung von eini­gen weni­gen Saat­gut­kon­zer­nen, den­sel­ben Glo­bal Play­ern, die auch den Markt der soge­nann­ten grü­nen Gen­tech­nik beherr­schen, ver­stärkt.

Trei­ben­de Kräf­te

Die Angriffs­punk­te zur Ent­eig­nung und Ent­rech­tung von Land­wir­ten und Bau­ern sind zahl­reich. Indus­trie­freund­li­che Akteu­re, nicht nur Kon­zern­ver­tre­ter und deren Lob­by­ver­ei­ne, son­dern auch Poli­ti­ker, Diplo­ma­ten und sich phil­an­throp geben­de Stif­tun­gen, gehen je nach Land und Regi­on unter­schied­lich vor. Gibt es gegen Paten­te grö­ße­ren Wider­stand, steigt der Druck auf das Land, das UPOV-’91-Abkommen zu unter­zeich­nen. Außer­dem die­nen GVO häu­fig als Tür­öff­ner für die Ein­füh­rung von Geset­zen zum Schutz des »geis­ti­gen Eigen­tums« auf ande­ren Gebie­ten.

Ver­han­delt wird meist hin­ter ver­schlos­se­nen Türen, mit (inter­na­tio­na­len) Bera­tern der Indus­trie und ohne Betei­li­gung der betrof­fe­nen Bau­ern. Eine zen­tra­le Rol­le bei der Ein­füh­rung schär­fe­rer Geset­ze spie­len über­re­gio­na­le (Han­dels-) Abkom­men, die eine Ein­fluß­nah­me der Bevöl­ke­rung und auch ein­zel­ner Län­der mini­mie­ren und Wider­stand häu­fig ins Lee­re lau­fen las­sen.

Nicht nur US-Kon­zer­ne trei­ben eine Indus­tria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft mit den ent­spre­chen­den Geset­zen vor­an. Auch euro­päi­sche Fir­men haben das glei­che Inter­es­se. Der Schwei­zer Kon­zern Syn­gen­ta kon­trol­liert bei eini­gen Gemü­se­ar­ten einen gro­ßen Teil des glo­ba­len Saat­gut­mark­tes. Und aktu­ell kom­men die meis­ten Patent­an­trä­ge auf Pflan­zen in Euro­pa von der deut­schen Fir­ma Bay­er Crop­sci­ence.

Welt­weit sind meh­re­re Fäl­le bekannt­ge­wor­den, bei denen (ehe­ma­li­ge) Mit­ar­bei­ter von Agrar­kon­zer­nen in die Poli­tik bzw. auf Pos­ten wech­sel­ten, wo sie unmit­tel­bar am Ent­wurf von neu­en Geset­zen, Regu­lie­run­gen und Abkom­men betei­ligt sind. So bei­spiels­wei­se auch bei der Über­ar­bei­tung der EU-Saat­gut­richt­li­nie. Frank­reich schick­te eine »natio­na­le Exper­tin« nach Brüs­sel, die beim Schrei­ben des neu­en Geset­zes­tex­tes half. Zuvor aber war sie jah­re­lang Direk­to­rin der fran­zö­si­schen Saat­gut­in­dus­trie-Ver­ei­ni­gung GNIS. Auch die Euro­päi­sche Saat­gut-Asso­zia­ti­on (ESA), Lob­by­or­ga­ni­sa­ti­on in Brüs­sel, betrieb aggres­si­ve Inter­es­sen­ver­tre­tung. Ihr Ziel: kei­ne Nischen­re­ge­lun­gen oder Aus­nah­men für bäu­er­li­che Sor­ten, nur regis­trier­te Sor­ten sol­len auf dem Markt exis­tie­ren. (7)

Wider­stand lohnt sich

Die Ver­knüp­fung der Markt­zu­gangs­re­geln mit den bio­di­ver­si­täts­feind­li­chen DUS-Kri­te­ri­en hat fata­le Aus­wir­kun­gen für die bio­lo­gi­sche Viel­falt auf dem Acker und bedeu­tet eine gra­vie­ren­de Her­ab­stu­fung tra­di­tio­nel­ler Sor­ten in öko­no­mi­scher Hin­sicht. An die Stel­le des ursprüng­li­chen UPOV-Abkom­mens, bei dem eine Qua­li­täts­si­che­rung des Saat­guts noch im Vor­der­grund stand, ist eine Regu­lie­rung getre­ten, die ein star­kes Instru­ment zum Aus­bau der Mono­pol­macht der Kon­zer­ne ist, das zusam­men mit Markt­zu­gangs- und Han­dels­ge­set­zen den Bau­ern ihre tra­di­tio­nel­le Arbeits­wei­se und die eige­nen Pro­duk­ti­ons­mit­tel ille­ga­li­siert und damit die welt­wei­te Durch­set­zung eines glo­ba­len Saat­gut­markts und des indus­tri­el­len Land­wirt­schafts­mo­dells for­ciert.

Der bis­her (im glo­ba­len Süden) vor­herr­schen­de nicht­kom­mer­zi­el­le Saat­gut­be­reich steht über­all mas­siv unter Druck. Er soll per Gesetz den glo­ba­len Markt­re­geln unter­ge­ord­net oder weit­ge­hend ver­bo­ten wer­den. Daß Zulas­sung­sys­te­me und die Kon­trol­le über die Ein­hal­tung der Vor­schrif­ten in vie­len Län­dern pri­va­ten Wirt­schafts­ak­teu­ren, sprich den Saat­gut­kon­zer­nen, über­las­sen wer­den sol­len, unter­streicht, in wes­sen Inter­es­se die­se Regeln erlas­sen wer­den.

Die Beson­der­heit von Land­wirt­schaft und Saat­gut ist, daß sie sich über die Jahr­tau­sen­de in unter­schied­li­cher Natur und Kul­tur unter­schied­lich ent­wi­ckelt haben – dank nicht­ho­mo­ge­ner und nicht­sta­bi­ler Sor­ten.

Die zen­tra­le Bedeu­tung der Viel­falt an bäu­er­li­chen, regio­nal ange­paß­ten Sor­ten ist unum­strit­ten. Die Saat­gut­kon­zer­ne sind für ihre zukünf­ti­gen Züch­tun­gen aller­dings nicht mehr dar­auf ange­wie­sen, daß die­se Viel­falt auf dem Acker erhal­ten bleibt. Sie haben sich, wie eine kürz­lich erschie­ne­ne Stu­die der NGO »Erklä­rung von Bern« zeigt, die­se wich­ti­ge Res­sour­ce mitt­ler­wei­le in pri­va­ten Gen­ban­ken bzw. über enge Koope­ra­tio­nen mit öffent­li­chen Gen­ban­ken gesi­chert.

Für zir­ka 80 Pro­zent der Bau­ern auf der Welt, vor allem in den nicht­in­dus­tria­li­sier­ten Län­dern, die (noch) mit bäu­er­li­chen Sor­ten und bäu­er­li­cher Land­wirt­schaft das Rück­grat der welt­wei­ten Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung bil­den, sind die­se Geset­ze eine Kata­stro­phe. Wenn sie gezwun­gen wer­den teu­res Saat­gut der Kon­zer­ne zu kau­fen, hat das auch Aus­wir­kun­gen auf alle, die von den von ihnen pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln abhän­gig sind.

Die lan­des­wei­ten Auf­stän­de in Kolum­bi­en zei­gen, wel­che exis­ten­ti­el­le Bedeu­tung Saat­gut­fra­gen für alle haben. Und sie zei­gen, daß es mög­lich ist, trotz der gro­ßen Über­macht der Kon­zern­in­ter­es­sen, das Schlimms­te zu ver­hin­dern.

Anmer­kun­gen

1 Kai­ser, G.: Eigen­tum und All­men­de. Oekom-Ver­lag, Mün­chen, 2012

2 GRAIN (Okto­ber 2013): Las Leyes de Semil­las en Amé­ri­ca Lati­na. Una ofen­si­va que no cede y una resis­ten­cia que cre­ce y suma; www.grain.org

3 Die gen­tech­nisch ver­än­der­te Soja­sor­te »Int­ac­ta RR2« (Roun­dup-Rea­dy) kom­bi­niert nach Anga­ben des Agrar­kon­zerns Mons­an­to in einem Samen­korn Her­bi­zid­to­le­ranz und Insek­ten­re­sis­tenz.

4 Die »Müt­ter von Itu­zain­gó«, deren Kin­der durch die Ein­wir­kung ver­sprüh­ter Gly­pho­sat-Her­bi­zi­de miß­ge­bil­det, erkrankt oder gestor­ben sind, vgl. www.keine-gentechnik.de/news-gentechnik/news/de/26218.html

5 Die Zulas­sung für trans­ge­nes Saat­gut ist dage­gen im Gen­tech­nik­ge­setz gere­gelt.

6 Die Kam­pa­gne für Saat­gut-Sou­ve­rä­ni­tät hat u.a. 2011 die ers­te euro­pa­wei­te Saat­gut-Pro­test­ak­ti­on in Brüs­sel initi­iert. Der Film »Wider­stän­di­ge Saat« dar­über fin­det sich auf: www.saatgutkampagne.org

7 corporateeurope.org

Anne Schweig­ler ist Eth­no­lo­gin, im Akti­ons­netz­werk glo­ba­le Land­wirt­schaft tätig und Mit­be­grün­de­rin der Saat­gut­kam­pa­gne (www.saatgutkampagne.org)

Erschie­nen als jun­ge-Welt-The­ma­sei­te am 23.1.2014

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