„Saue­rei!“ – Bau­er Wil­lis miss­lun­ge­ne Dem­ago­gie (Rezen­si­on)

von Peter Claus­ing

„Saue­rei!“ hät­te ein gutes Buch wer­den kön­nen. Es ist flüs­sig geschrie­ben, wenn­gleich etwas distanz­los-kum­pel­haft, aber das trifft sicher den Nerv vie­ler Lese­rin­nen und Leser. Und der Ver­fas­ser ist ein ech­ter Insi­der. Kre­mer-Schil­lings bewirt­schaf­tet 50 Hekt­ar, den glei­chen Hof wie sein Vater und sein Groß­va­ter. Er schöpft aus dem Vol­len, was die Beschrei­bung des Lebens eines Land­wirts anbe­trifft – und das über drei Gene­ra­tio­nen.

Aber „Saue­rei“ ist im bes­ten Fall ein ärger­li­ches Buch, eher aber ein gefähr­li­ches, wenn man dem Apho­ris­mus von Georg Chris­toph Lich­ten­berg folgt, der schon im 18. Jahr­hun­dert erkann­te: „Das Gefähr­li­che sind nicht die dicken Lügen, son­dern Wahr­hei­ten, mäßig ent­stellt.“ Das Buch cha­rak­te­ri­siert detail­reich die Kri­se der deut­schen und euro­päi­schen Land­wirt­schaft, um dann den Popanz des „Ver­brau­chers“ auf­zu­bau­en, der an der Mise­re des Land­wirts schuld sei und in des­sen Macht es läge, dar­an etwas zu ändern. Das soll uns nicht von ver­ant­wor­tungs­vol­lem Ver­brauch frei­spre­chen. Doch damit allein wird das Pro­blem nicht gelöst. Es ist nicht ein­mal der Kern des Pro­blems. Und genau hier endet die Logik des Buches – oder wird sie bewusst ver­las­sen? Eine Haupt­be­schäf­ti­gung des Autors, der selbst „auch für den Welt­markt pro­du­ziert, des­sen Regeln für (ihn) schwer durch­schau­bar sind“ (S.41), ist das Aus­tei­len von Sei­ten­hie­ben gegen jene, die sich gegen eine noch wei­te­re Ver­schlech­te­rung der glo­ba­len Spiel­re­geln ein­set­zen, näm­lich Gewerk­schaf­ten und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs). Den NGOs spricht er die Kom­pe­tenz ab, weil, „wer sich öffent­lich über Lebens­mit­tel äußert und Sozio­lo­gie, Poli­to­lo­gie oder Theo­lo­gie stu­diert hat, defi­ni­tiv kein Exper­te“ ist (S.138) und igno­riert die Tat­sa­che, dass sol­che Äuße­run­gen in der Regel auf Gut­ach­ten und Stu­di­en basie­ren, die von Bio­lo­gin­nen, Tier­ärz­ten und Land­wir­ten erar­bei­tet wur­den.

Ein Autor, für den „der Begriff Unter­neh­mer posi­tiv besetzt“ ist (S.44) ist, soll­te zumin­dest so viel öko­no­mi­schen Ver­stand haben, dass er erkennt, dass dere­gu­lier­te Märk­te und dar­aus resul­tie­ren­de Über­pro­duk­ti­on die Mut­ter des von ihm zu Recht beklag­ten Ver­falls von Erzeu­ger­prei­sen ist. Das ist bei Milch und Getrei­de nicht anders als bei Erd­öl oder Stahl. Doch um öko­no­mi­sche Zusam­men­hän­ge geht es ihm nicht, son­dern viel­mehr dar­um, mit Anek­do­ten eine schein­ba­re Glaub­wür­dig­keit zu erzeu­gen, die sich dann hof­fent­lich auf die von ihm ver­folg­te pro-agrar­in­dus­tri­el­le Agen­da über­trägt. Falsch­dar­stel­lun­gen wer­den in dem Buch beson­ders dort offen­sicht­lich, wo der Autor mit Hil­fe von Zah­len und Gra­fi­ken „Objek­ti­vi­tät“ sug­ge­riert. So etwa beim Ver­such, die Zunah­me von Agrar­fa­bri­ken zu bestrei­ten. Es „lägen exakt 70,1 Pro­zent (der Betrie­be) im Bereich bis 50 Hekt­ar“ (S.28), dem vom Autor defi­nier­ten Schwel­len­wert für Groß­be­trie­be. Was er nicht erwähnt, ist, dass die­se nur 21,4 Pro­zent der land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che bewirt­schaf­ten. An ande­rer Stel­le rech­net Kre­mer-Schil­lings vor, dass ein kom­plet­ter Ver­zicht auf Pes­ti­zi­de und syn­the­ti­schen Dün­ger zu Hun­gers­nö­ten oder mas­si­ven Lebens­mit­tel­im­por­ten füh­ren wür­de. Sei­ne Hoch­rech­nun­gen sind unlau­ter, denn sie berück­sich­ti­gen weder die Boden­wert­zah­len der Betrie­be noch ande­re Rah­men­be­din­gun­gen.

Das Buch wim­melt von fal­schen Behaup­tun­gen für deren Wider­le­gung hier der Platz fehlt. „Das ich von den Saat­gut­kon­zer­nen abhän­gig sein soll, ist also gro­ber Unfug, passt aber so man­chem gut in den Kram“, gibt Kre­mer-Schil­lings zu Pro­to­koll (S.189). Bei den gut doku­men­tier­ten Mono­po­li­sie­rungs­pro­zes­sen der Saat­gut­mul­tis geht es aber nicht um sein sub­jek­ti­ves Emp­fin­den, son­dern um die kon­ti­nu­ier­lich wach­sen­de Markt­macht trans­na­tio­na­ler Kon­zer­ne. Gen­tech­nik dient bei ihm nicht nur der Pro­fit­ma­xi­mie­rung, „son­dern auch zur Bekämp­fung des Hun­gers in der Welt“ (S.147) – den Beweis muss er schul­dig blei­ben, denn den gibt es bis­lang nicht.

Aber wenn man bereit ist, sich den skur­ri­len Pas­sa­gen des Buches zu öff­nen, hat es trotz­dem einen gewis­sen Unter­hal­tungs­wert. Zum Bei­spiel wenn der Ver­fas­ser bean­sprucht, Pazi­fist zu sein, weil er kein Jäger ist, nach­dem er uns ein paar Sei­ten zuvor von sei­ner Zeit bei der Bun­des­wehr berich­te­te.

Kre­mer-Schil­lings, W.: Saue­rei! Bau­er Wil­li über bil­li­ges Essen und unse­re Macht als Ver­brau­cher. Piper Ver­lag München/Berlin 2016. 330 Sei­ten, 14,99 EUR.

Erschie­nen in „Land & Wirt­schaft“, Bei­la­ge der Jun­gen Welt vom 10.8.2016

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