Gepflanzte Profite
Der heutige 16. Oktober wurde 1979 zum Welternährungstag erklärt. Es ist der Gründungstag der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen, die im Jahr 1945 an diesem Tag geschaffen wurde. Der Welternährungstag steht jedes Jahr unter einem besonderen Thema. Im vorigen Jahr lautete das Motto »Das Recht auf Nahrung ist keine Utopie«. Die reale Politik der FAO disqualifiziert dieses Motto zur hohlen Phrase, denn dieses Recht ist unlängst für weitere zig Millionen Menschen zur Utopie geworden. Es ist seit längerem bekannt, daß das sowohl vom Welternährungsgipfel 1996 als auch von der »Millenniumserklärung« der UNO im Jahr 2000 definierte Ziel, die Zahl der chronisch hungernden Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren, nicht erreicht wird. Mittlerweile zeichnet sich ab, daß es nicht einmal gelingen wird, diese Zahl konstant zu halten. Laut FAO erhöhte sich zwischen 1992 und 2005 die Zahl der chronisch Hungernden zunächst von 842 auf 848 Millionen Menschen, um dann im Jahr 2007 sprunghaft auf 943 Millionen zu steigen. Eine weitere dramatische Erhöhung in diesem Jahr ist absehbar.
Diese trockene Statistik macht die Gefahr deutlich, daß der Skandal und die Tragödie, die sich hinter den nüchternen Zahlen verbergen, aus dem Blickfeld geraten. Der Skandal besteht darin, daß weltweit genügend Nahrung vorhanden ist: In den letzten 20 Jahren wuchs die Nahrungsmittelproduktion schneller als die Weltbevölkerung, nämlich im Durchschnitt um über zwei Prozent jährlich, während sich im gleichen Zeitraum das Bevölkerungswachstum global auf 1,14 Prozent reduzierte. Laut FAO gab es nach der Rekordgetreideernte von 2007 anderthalbmal mehr Nahrung, als der derzeitige Bedarf ausmacht.
Angesichts dieser Konstellation ist die Tragödie umso empörender, die in der Hoffnungslosigkeit und dem Schmerz besteht, unter denen fast eine Milliarde Menschen gezwungen sind zu leben. Chronischer Hunger bei 15 Prozent der Weltbevölkerung beschränkt sich nicht auf fehlende Lebensperspektiven. Er bedeutet regelmäßig wiederkehrende Magenkrämpfe und erhöhte Krankheitsanfälligkeit. Umgekehrt zeigt eine im Februar veröffentlichte Langzeitstudie, die das International Food Policy Research Institute (IFPRI) mit 1400 Personen in Guatemala durchführte, daß jene Hälfte, die in der Kindheit in den Genuß eines Kinderspeisungsprogramms gekommen war, im späteren Leben ein 50 Prozent höheres Einkommen hatte. Laut FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) starben schon vor der Explosion der Lebensmittelpreise täglich 25000 Menschen an Hunger. Der Aufschrei blieb bislang aus. Es ist der stille Tod von neun Millionen Menschen jährlich. Es sind die – anscheinend anonymen – »Kräfte des Marktes«, die Jahr für Jahr eine über den globalen Süden verteilte Katastrophe verursachen. Und es bedurfte der Hungerrevolten, die in diesem Jahr innerhalb weniger Monate in rund 40 Ländern ausbrachen, damit dieses Thema sowohl in den Schlagzeilen der Weltpresse als auch in den Gremien der zwischenstaatlichen Organisationen Beachtung fand.
Wirkungsloser Aktionsplan
»Ungerechte Handelsabkommen und Agrarexportsubventionen sind maßgeblich für die zunehmende Armut und den Hunger sowie für die Zerstörung der Märkte der Entwicklungsländer verantwortlich«, schrieben Annette Groth und Alexander King im jW-Thema vom 13. Juni 2008 und belegten dies mit eindrucksvollen Beispielen. Der Hunger in der Welt existiert nicht wegen des oft zitierten »fehlenden politischen Willens«, sondern die Ernährungskrise ist das Ergebnis politischen Willens. Sie wird zugunsten von Unternehmensprofiten bewußt in Kauf genommen. Eben dieser politische Wille verunglimpft knapp eine Milliarde Menschen mit einem permanenten Zynismus. So äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. April 2008 unter Bezugnahme auf 300 Millionen Menschen in Indien, die jetzt eine zweite Mahlzeit am Tag einnehmen: »Wenn die plötzlich doppelt soviel Nahrungsmittel verbrauchen, als sie das früher gemacht haben, und dann auch noch 100 Millionen Chinesen beginnen, Milch zu trinken, dann verzerren sich natürlich unsere gesamten Milchquoten und vieles andere.«1 Diese Äußerung erfolgte anläßlich der Inbetriebnahme einer Anlage zur Herstellung von synthetischem Agrokraftstoff bei Choren Industries im sächsischen Freiberg. Merkel versuchte damit, die Bedeutung dieser Treibstoffe bei der Preisexplosion der Nahrungsmittel herunterzuspielen. Abgesehen davon ist das Nachplappern einer vom US-Präsidenten George W. Bush verbreiteten Behauptung auch sachlich falsch, wie in der Oktober-Ausgabe des Seedling der international für landwirtschaftliche Biodiversität eintretenden Nichtregierungsorganisation GRAIN belegt wird.2
Nachdem Regierungen, die UNO und andere zwischenstaatliche Organisationen die Existenz einer globalen Ernährungskrise schließlich eingestanden hatten, wurde im April 2008 zwecks Krisenmanagement eine Koordinierungsgruppe geschaffen, die »High Level Task Force on the Global Food Crisis«, in der sämtliche für das Thema Ernährung relevanten UN-Organisationen vertreten sind – also nicht nur die FAO, sondern auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO). Die Koordinierungsgruppe veröffentlichte im Juli 2008 einen »Comprehensive Framework of Action« (CFA, Rahmenaktionsplan gegen den Hunger).3
Dieser Rahmenaktionsplan spricht sich dafür aus, daß angemessene Ernährung ein international anerkanntes Menschenrecht ist und die sozialen Sicherungssysteme in den betroffenen Ländern gestärkt werden; er fordert die gezielte Unterstützung von Kleinbauern und schlägt eine Überprüfung der Handels- und Zollpolitik vor. Das Netzwerk FIAN veröffentlichte im September ein Positionspapier4, in dem es die Empfehlungen des Rahmenaktionsplans im Prinzip begrüßt, diese jedoch wegen ihrer fehlenden Spezifität und der daraus resultierenden Wirkungslosigkeit scharf kritisiert. Der Plan stellt mit seiner Oberflächlichkeit insofern ein bedenkliches Signal dar, als das Dokument aufgrund der Zusammensetzung der »High Level Task Force« als Konsens aller wichtigen UN-Institutionen angesehen werden muß.
Das vom Rahmenaktionsplan genannte Recht auf angemessene Ernährung wurde bereits im Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.Dezember 1948 festgeschrieben und ist daher nichts Neues. Im gleichen Atemzug leistet aber der Plan mit bestimmten Formulierungen »der Kriminalisierung sozialer Bewegungen und weiteren Menschenrechtsverletzungen Vorschub«. Zugleich kritisiert FIAN, daß der Aktionsplan keine Antwort auf die Frage gibt, wie das Menschenrecht aller Opfer von Hunger und Unterernährung durchgesetzt und institutionalisiert werden kann.
Saatgut macht Bauern abhängig
Während der Rahmenaktionsplan das weltweite Potential des ökologischen Landbaus für die Kleinbauern lobt und sich zurückhaltend, ja fast kritisch zu gentechnisch veränderten Sorten äußert, bleibt in dem angebotenen »Handlungsmenü« eine der Kernfragen – die nach den beiden wichtigsten Ressourcen Land und Wasser – so gut wie unberücksichtigt. Die Tatsache, daß »der Zugang zu und die Kontrolle über Land und Wasser in den Händen einer immer kleineren Gruppe liegt (…) (wird) vollständig ignoriert. Im Rahmenaktionsplan werden keine Empfehlungen zur Sicherung des Anspruchs auf Land und Wasser ausgegrenzter Gruppen abgegeben«, kritisiert FIAN im Positionspapier.
Die vagen Äußerungen des Rahmenaktionsplans über die »Sicherung des Zugangs zu Landrechten (nicht etwa zu Land – K. P.) für Gemeinden und Personen, insbesondere marginalisierten Gruppen«, dürften ebensoviel praktischen Wert haben wie die papierne Feststellung eines Rechts auf angemessene Ernährung. Die im Plan zitierten Schätzungen über die erforderlichen Finanzmittel schwanken zwischen 25 und 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Mit anderen Worten, die Hälfte dessen, was der Irak-Krieg im Jahr verschlingt, würde ausreichen, um auf zehn Jahre verteilt ein globales Programm zur Überwindung der Ernährungskrise zu finanzieren. Dies als Ergänzung zur Frage nach dem politischen Willen. Wie wäre es, diese vergleichsweise lächerlichen Beträge strikt an die Bedingung zügig durchzuführender Landreformen zu koppeln – die in vielen Ländern des Südens irgendwann einmal angefangen, später aber abgewürgt wurden –, statt an die Bedingung der Liberalisierung der Märkte?
Wesentlich zielgerichteter dürften die Trägerorganisationen des Rahmenaktionsplans mit Empfehlungen wie »der Schaffung eines günstigeren Investitionsklimas« umgehen. Die Vorschläge laufen darauf hinaus, daß »effektive öffentliche Investitionen in die ländliche Entwicklung die Basis für steigende private Investitionen in Unternehmen bieten sollen, die wiederum Inputs und Dienstleistungen für Kleinbauern schaffen sollen«. Damit schließt sich der Kreis: Wir sind beim klassischen »Trickle-down«-Effekt der reinen Lehre des Neoliberalismus angekommen. Auch Professor Peter Michael Schmitz vom Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Universität Gießen behauptete in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, daß es »unstrittig ist, daß Liberalisierung die Wohlfahrt der Entwicklungsländer fördert«. Doch auch er muß eingestehen: »Für Arme ist das Ergebnis dann immer noch völlig offen.« Zugleich ist für ihn die Marktmacht der großen Saatgut- und Pflanzenschutzfirmen »eher eine Legende«.
Schauen wir uns nur ein konkretes Beispiel dieser Legende an: Die Philippinen müssen einen Großteil ihres Reisbedarfs durch Importe abdecken. Die Situation war aufgrund der Explosion der Lebensmittelpreise in diesem Jahr so angespannt, daß dort Löschung und Binnentransport von Reislieferungen massiv militärisch abgesichert wurden. Im Mai 2008 unterzeichnete das philippinische Landwirtschaftsministerium mit dem Internationalen Reisforschungsinstitut (IRRI) ein Projektabkommen über 216 Millionen US-Dollar – man sollte meinen, um diesem Zustand abzuhelfen. Doch Schlüsselkomponente dieses Projekts sind Produktion und Verteilung von subventioniertem Hybridreis. Zum weiteren Verständnis: Im siebenköpfigen Aufsichtsrat des IRRI sitzen drei Vertreter von Saatgutkonzernen, ein Mitarbeiter von Bayer CropScience eingeschlossen.
Hybridsorten, egal von welcher Frucht, sind »ökonomisch steril«, das heißt, es kann kein brauchbares Saatgut aus eigener Ernte für die nächste Aussaat gewonnen werden. Das ist für Kleinbauern ein bedeutender Nachteil, denn sie müssen Saatgut kaufen. Bei Mais und Weizen haben Hybridsorten zumindest den Vorteil, daß sie höhere Erträge bringen, wenngleich aufgrund der teuren chemischen Inputs mit katastrophalen ökologischen und sozialen Langzeitfolgen. Bei Hybridreis war laut offiziellen philippinischen Statistiken aus dem Jahr 2003 der Ertrag jedoch niedriger als bei den bodenständigen Sorten. Das Projekt »ist für uns angesichts der schwachen Leistung des Hybridreisprogramms und der vielen Probleme, die über die Jahre aufgetreten sind, schwer zu verstehen«, sagte Jimmy Tadeo, Präsident des Nationalen Rats der Reisbauern. Wodurch wird eine Regierung zu einem solchen Vorgehen veranlaßt? Als Antwort kommen nur externer politischer Druck, Korruption oder Fehlinformation (etwa durch Lobbyarbeit) in Frage.
»Grüne« Revolution gegen rote
Genau so funktionierte die »grüne Revolution« in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Saatgut von Hybridsorten (Mais, Weizen) wurde anfangs staatlich subventioniert und verdrängte die bodenständigen Sorten. Nach Wegfall der Subventionen kam es bei den Kleinbauern des Südens zu einer schnell wachsenden Verschuldung, denn eine Rückkehr zu den alten Sorten war nicht mehr möglich; ökonomisch gesehen machten sich die Hybridsorten nur bei großflächigem Anbau bezahlt. Die Bauern verloren ihr Land an Gläubiger, die Slums der Städte füllten sich mit den landlos Gewordenen, und der Prozeß der Konzentration des fruchtbaren Bodens in den Händen relativ weniger erhielt neuen Aufschwung bzw. machte die Ergebnisse der Bodenreformen zunichte. Ein Ausdruck der sozialen Folgen der »grünen Revolution« sind die 150000 indischen Kleinbauern, die nach Schätzungen des Madras Institute of Development Studies zwischen 1997 und 2005 Selbstmord begingen, weil sie keinen Ausweg aus der Schuldenfalle sahen.
Davon abgesehen war diese »grüne Revolution« in ihrer Intention kein Aktionsprogramm gegen den Hunger, sondern eine strategische Maßnahme des Westens in der Zeit des kalten Krieges. William Gaud, der damalige Direktor von USAID, dem »Entwicklungshilfe«-Ministerium der USA, der 1968 den Begriff der »grünen Revolution« prägte, erklärte offen, daß es vor allem darum ging, die »roten« Revolutionen einzudämmen.
Die »grüne Revolution« trug zu einer kontinuierlichen Steigerung der weltweiten landwirtschaftlichen Produktion, aber nicht zu einer genügenden Versorgung mit Nahrungsmitteln bei. Trotz ausreichender globaler Produktion sind heute Millionen Menschen unterernährt. Im Jahr 2001 gingen in Indien, dem Vorzeigeland der »grünen Revolution«, 320 Millionen Menschen hungrig zu Bett, und in 13 Bundesstaaten wurden Hungertote registriert. In eben diesem Jahr lagen dort 65 Millionen Tonnen Getreide ungenutzt auf Halde. Langfristig am gravierendsten dürfte jedoch die fehlende Nachhaltigkeit einer auf Hochleistungssorten basierenden Welternährung sein. Es gibt Belege, daß sich eine Landwirtschaft nach den Regeln der »grünen Revolution« im Bereich eines Nettoenergieverlusts bewegt. Das ist nach dem Naturgesetz der Entropie auf Dauer nicht tragfähig: Es werden mehr (fossile) Kalorien als Input verbraucht, als verdauliche Kalorien produziert werden. Darüber hinaus hat Intensivlandwirtschaft nach dem Muster der »grünen Revolution« dazu geführt, daß global inzwischen 75 Prozent des verfügbaren Wassers durch die Landwirtschaft verbraucht werden, was angesichts der sich entfaltenden weltweiten Wasserkrise ebenfalls sehr kritisch zu betrachten ist.
Im Gegensatz zur Intensivlandwirtschaft werden in der traditionellen Landwirtschaft bis zu zehnmal mehr Kalorien für Nahrung produziert als während der Produktion der Nahrung verbraucht wurden. Auch der Weltagrarrat, ein von der UNO berufenes Gremium von 400 Landwirtschaftsexperten, hat sich in seinem im April dieses Jahres in Paris vorgelegten ersten Bericht für eine Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden mit herkömmlichen Produktionsweisen, angestammtem Saatgut und natürlichem Dünger ausgesprochen.
Ein vom Agrobusineß sorgfältig gehegter Mythos sind die vermeintlich geringeren Erträge bei traditionellem Anbau. Im Gegensatz dazu kommt eine umfassende Analyse5, in der die Ergebnisse von über 300 Studien zu beiden Anbauverfahren verglichen wurden, zu dem Schluß, daß eine Ertragsüberlegenheit weder für das eine noch für das andere Anbauverfahren erkennbar war. Eine weitere Schlußfolgerung dieser Analyse besteht darin, daß die derzeitige Weltbevölkerung auf der Basis biologischen Anbaus ernährt werden könnte.
Nächstes Opfer: Afrika
Davon unbeeindruckt drohen inzwischen zwei weitere »grüne Revolutionen«. Die erste ist hinlänglich bekannt: Seit Jahren wird von den multinationalen Agrarkonzernen die Bekämpfung des Hungers mit gentechnisch veränderten Pflanzen versprochen. Obwohl sogar durch Gentechnik vermittelte Ertragssteigerungen – die aber nicht den Hunger bekämpfen – bislang auf dem Niveau eines Marketingbegriffs verharren, triumphiert das Agrobusineß alljährlich über zweistellige Wachstumszahlen in der Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen. Dank Lobbyarbeit und dank an entsprechende Bedingungen geknüpfter »Entwicklungshilfe« umfaßt diese inzwischen sieben Prozent der globalen Ackerfläche (114 Millionen Hektar in 23 Ländern). Davon decken Soja, Mais und Raps 90 Prozent der Anbaufläche ab, also genau jene Nutzpflanzen, die als Tierfutter und zur Herstellung von Agrotreibstoffen verwendet werden sowie durch Flächenkonkurrenz bzw. subventionierte industrielle Nutzung maßgeblich zur Explosion der Lebensmittelpreise beigetragen haben. Die Lobbyisten der Agro-Biotechnologie-Agentur ISAAA (International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications) hingegen sprechen von der Erreichung eines »sehr wichtigen Meilensteins von humanitärer Bedeutung im Jahr 2007« – die Zahl der »ressourcenarmen Kleinbauern«, die in den Genuß der Segnungen gentechnischer Sorten kam, habe erstmals die Zehn-Millionen-Grenze überschritten. Auf dem afrikanischen Kontinent hat die Gentechnik bislang nur in Südafrika Fuß fassen können.
Das soll sich jetzt ändern – mit Hilfe der Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA). Sie wurde 2006 von der Bill & Melinda Gates Stiftung und der Rockefeller-Stiftung ins Leben gerufen. Inzwischen sind auch die Weltbank und zahlreiche andere Institutionen beteiligt. Kofi Annan fungiert als Chef dieser Allianz. Während seiner Amtszeit als UN-Generalsekretär hatte Annan mehrfach die Gentechnik als Lösung des Hungerproblems in Afrika propagiert. In seiner neuen Funktion erklärte er im Juli 2007, daß Gentechnikpflanzen nicht Teil des AGRA-Programms sein werden. Zehn Tage später, am 24.Juli 2007, korrigierte die AGRA diese Äußerung und stellte klar, die Allianz stünde Wissenschaft und Technologie, einschließlich Gentechnologie, aufgeschlossen gegenüber, um afrikanische Kleinbauern »bei ihren dringenden Bemühungen zu unterstützen, Armut und Hunger auszumerzen«. Da ist es nur logisch, daß auf der AGRA-Jahreskonferenz im August in Oslo Florence Wambugu, eine herausragende Befürworterin von Gentechnik und Biotechnologie, mit dem »Yara-Preis für eine grüne Revolution in Afrika« ausgezeichnet wurde. Doch selbst wenn man von der Gentechnik-Komponente des AGRA-Projekts absieht – bereits auf der Website wird klar: Es geht um die Schaffung von »Wertketten«, wie dort wiederholt betont wird. Die afrikanischen Kleinbauern werden sich über kurz oder lang mit patentiertem Saatgut und Kunstdünger überschüttet sehen, um später in den gleichen Teufelskreis einzutreten, in dem sich die indischen Bauern befinden.
Zu guter Letzt sei in Erinnerung gerufen, daß die Gates- und die Rockefeller-Stiftung gemeinsam mit den Agrarkonzernen Monsanto und Syngenta Millionenbeträge investierten, um auf Spitzbergen die weltgrößte Saatgutbank zu installieren. Diese nahm am 26. Februar 2008 ihren Betrieb auf. Auch das paßt ins Gesamtbild. Bereits 1978 kam die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA zu der Erkenntnis, daß die »grüne Revolution« mehr und mehr die eigene züchterische Ausgangsbasis unterhöhlte: »Der Prozeß stellt ein Paradox sozialer und ökonomischer Entwicklung dar, indem das Produkt der Technologie (Züchtung auf hohen Ertrag und Einheitlichkeit) die Ressourcen zerstört, auf denen die Technologie aufbaut.«6
Fußnoten
- Siehe z. B. unter
n-tv.de/Wenn_der_Inder_zweimal_isst_Merkel_findet_Erklaerung/ 170420081816/950504.html - grain.org/seedling_files/seed-08-10.pdf
- un.org/issues/food/taskforce/Documentation/CFA%20Web.pdf
- fian.de/fian/index.php?option=content&task=view&id=599
- C. Bagley u. a.: Organic agriculture and the global food supply, in: Renewable Agriculture and Food Systems 22, S. 86–108 (2007)
- M. Flitner: Sammler, Räuber und Gelehrte. Frankfurt/Main, New York 1995, S. 11 f.
Quelle:
Junge Welt vom 16.10.2009
Klaus Pedersen · Mit freundlicher Genehmigung des Autors.