Tur­bo­ko­lo­nia­lis­mus

Vor knapp einem Jahr erober­ten Berich­te über Hun­ger­auf­stän­de als Fol­ge der explo­die­ren­den Lebens­mit­tel­prei­se in den Län­dern des Südens die Schlag­zei­len. Allein von Janu­ar bis Mai 2008 kam es in elf Län­dern Afri­kas, Asi­ens und der Kari­bik zu der­ar­ti­gen Revol­ten. Von den zum Teil gewalt­sa­men, vor allem aber gewalt­sam unter­drück­ten Pro­tes­ten wur­de denen in Kame­run (Febru­ar 2008) und Hai­ti (April 2008) die meis­te Beach­tung geschenkt. Nach kur­zer Zeit wur­de das The­ma durch die ers­ten Ein­ge­ständ­nis­se einer welt­wei­ten Finanz- und Wirt­schafts­kri­se von den Titel­sei­ten der Welt­pres­se ver­drängt.

Die Prei­se für land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­te sind inzwi­schen wie­der deut­lich gesun­ken. Zum Bei­spiel wird von der Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on der Preis für eine Ton­ne Mais mit 170 US-Dol­lar ange­ge­ben, gegen­über 240 Dol­lar im April vori­gen Jah­res. Ähn­lich beim Wei­zen, für den die Welt­markt­prei­se vor zwölf Mona­ten rund 60 Pro­zent höher lagen. Deu­tet dies auf eine Ent­span­nung im Ernäh­rungs­sek­tor hin? Die Exper­ten sagen nein. Man ist sich einig, daß die Welt­ernäh­rungs­si­tua­ti­on einer dra­ma­ti­schen Zuspit­zung ent­ge­gen­steu­ert. Dar­an ändert weder der Preis­sturz beim Erd­öl etwas, noch das rezes­si­ons­be­ding­te Abflau­en des Agro­treib­stoff­hy­pes. Sogar jetzt, bei gesun­ke­nen Welt­markt­prei­sen, sind die loka­len Lebens­mit­tel­prei­se in den meis­ten afri­ka­ni­schen Län­dern süd­lich der Saha­ra höher als vor einem Jahr (Bran­ford 2009).

Doch kon­junk­tu­rel­le Ent­wick­lun­gen sind für die Beur­tei­lung lang­fris­ti­ger Trends unge­eig­net. Zu die­sen Fak­to­ren bezüg­lich der Wirt­schaft­la­ge zähl­te der Ein­fluß der Ener­gie­kos­ten auf die Nah­rungs­mit­tel­prei­se, deren Ver­teue­rung in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren zu 15 bis 20 Pro­zent von der Ver­dopp­lung der Treib­stoff- und der Ver­drei­fa­chung der Dün­ge­mit­tel­prei­se (seit 2006) und ande­rer ener­gie­in­ten­si­ver Inputs getrie­ben war. Vor allem aber hat­te der Agro­treib­stoff­boom der Jah­re 2007 und 2008 zur Preis­explo­si­on bei den Lebens­mit­teln bei­getra­gen. Wenn, wie in den USA im Jahr 2008, ein Drit­tel der Mais­ern­te in den Auto­tanks lan­det, ergibt sich eine Ver­knap­pung, die dann als mexi­ka­ni­sche »Tor­til­la­kri­se« ihren Weg in die Schlag­zei­len fin­det.

Als Faust­re­gel gilt, daß sich das Geschäft mit den Agro­treib­stof­fen so rich­tig lohnt, wenn der Preis pro Bar­rel Roh­öl die 100-Dol­lar-Mar­ke über­schrei­tet. Der Agro­treib­stoff­boom von 2008 hat­te also eine deut­lich spe­ku­la­ti­ve Kom­po­nen­te. Doch das Geschäft damit wird auch auf­grund stra­te­gi­scher Über­le­gun­gen geför­dert. Ein Geflecht staat­li­cher Sub­ven­tio­nen sicher­te bis­lang auch bei nied­ri­ge­ren Ölprei­sen die Über­le­bens­fä­hig­keit der Bran­che, und zwar nicht nur als net­te Ges­te gegen­über den Inves­to­ren. Die Stüt­zungs­gel­der sind Teil eines lang­fris­ti­gen Kon­zepts der erd­öl­im­por­tie­ren­den Län­der. Inwie­weit sich dies ange­sichts der all­um­fas­sen­den Kri­se auf­recht­erhal­ten läßt, bleibt abzu­war­ten. Vom Steu­er­zah­ler finan­ziert und gern als Bei­trag zum Kli­ma­schutz ver­kauft, sind die Sub­ven­tio­nen als Maß­nah­me zur Ver­rin­ge­rung der Abhän­gig­keit bei den Ener­gie­trä­ger­im­por­ten gedacht sowie als tech­no­kra­ti­scher Lösungs­an­satz ange­sichts der End­lich­keit der fos­si­len Brenn­stof­fe.

Ern­te­schä­den durch Kli­ma­wan­del

Im Ergeb­nis die­ser poli­tisch gewoll­ten Ent­wick­lung redu­zier­te sich von 2001 bis 2007 die Anbau­flä­che der acht größ­ten Wei­zen­ex­por­teu­re um 8,4 Mil­lio­nen Hekt­ar zuguns­ten des Anbaus von Raps und Soja. Wäre dies nicht erfolgt, hät­te das Schrump­fen der glo­ba­len Wei­zen­vor­rä­te zu einem Gut­teil ver­hin­dert wer­den kön­nen.

Doch neben der von den Agro­treib­stof­fen aus­ge­lös­ten Flä­chen­kon­kur­renz gibt es einen wei­te­ren wesent­li­chen Fak­tor für die befürch­te­te Zuspit­zung der Welt­ernäh­rungs­si­tua­ti­on: die pro­gnos­ti­zier­te Aus­wir­kung des nicht mehr auf­halt­ba­ren Kli­ma­wan­dels auf die glo­ba­le Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on. Modell­rech­nun­gen über den unmit­tel­ba­ren Effekt von Hit­zestreß (nicht zu ver­wech­seln mit Dür­re) auf die wich­tigs­ten Feld­früch­te ver­wei­sen auf 2,5 bis 16 Pro­zent Ern­te­ver­lust pro Grad glo­ba­ler Erwär­mung. Ver­an­schau­licht wer­den die­se Modell­rech­nun­gen mit dem »Rekord­som­mer« 2003 in West­eu­ro­pa. In Frank­reich und Spa­ni­en lagen Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren von Juni bis August 3,6 Grad Cel­si­us über dem lang­jäh­ri­gen Mit­tel – eine Erhö­hung, die etwa den glo­ba­len Pro­gno­sen des Welt­kli­ma­rats für die zwei­ten Hälf­te die­ses Jahr­hun­derts ent­spricht. Mit ande­ren Wor­ten, was im Jahr 2003 eine regio­na­le Aus­nah­me war, wird dann zur welt­wei­ten Regel. Wäh­rend des besag­ten Rekord­som­mers star­ben in West­eu­ro­pa 52000 Men­schen an Hitz­schlag, und die Ern­te­ver­lus­te in Frank­reich belie­fen sich auf 36 Pro­zent bei Mais und 21 Pro­zent bei Wei­zen. Wei­te­re Ern­te­aus­fäl­le durch den hit­ze­be­ding­ten Ver­lust an Boden­feuch­tig­keit (Dür­re) und damit ver­bun­de­ner Ero­si­on sowie Ver­lus­te an land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che infol­ge stei­gen­der Mee­res­spie­gel kom­men bei den glo­ba­len Sze­na­ri­en hin­zu. Die US-ame­ri­ka­ni­schen Natur­wis­sen­schaft­ler David Bat­tis­ti und Rosa­mond Nay­lor ver­wen­de­ten 23 glo­ba­le Kli­ma­mo­del­le sowie die his­to­ri­schen Daten über Extrem­som­mer der letz­ten 106 Jah­re und gelang­ten so zu einer 90prozentigen sta­tis­ti­schen Sicher­heit ihrer Aus­sa­gen.

Der­ar­ti­ge Pro­gno­sen könn­ten eine Erklä­rung für jene rasan­te Ent­wick­lung lie­fern, deren ers­te Kon­tu­ren 2007 erkenn­bar wur­den und die inzwi­schen dra­ma­ti­sche Aus­ma­ße ange­nom­men hat: eine glo­ba­le Land­nah­me, deren rasan­tes Tem­po den Begriff »Tur­bo­ko­lo­nia­lis­mus« sug­ge­riert. Die in Bar­ce­lo­na ansäs­si­ge, zu land­wirt­schaft­li­chen The­men arbei­ten­de Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on GRAIN ver­öf­fent­lich­te hier­zu im Okto­ber 2008 ein Dos­sier, das eine umfas­sen­de Ana­ly­se zu die­ser Pro­ble­ma­tik lie­fert. GRAIN führt die neue kolo­nia­le Erobe­rung, die aus Land­käu­fen oder lang­fris­ti­gen (bis zu 99 Jah­re gül­ti­gen) Pacht­ver­trä­gen besteht, auf zwei Moti­ve zurück: Ernäh­rungs­si­cher­heit in Län­dern, die kei­ne Selbst­ver­sor­ger sind, und Spe­ku­la­tio­nen, ver­bun­den mit der Erwar­tung, daß die Prei­se für Nah­rungs­mit­tel und Agro­s­prit wie­der stei­gen wer­den. Die End­lich­keit der Ölvor­rä­te und die oben auf­ge­zeig­ten Fol­gen des Kli­ma­wan­dels für die Welt­ernäh­rungs­si­tua­ti­on machen die­se Land­nah­me zu einer »siche­ren Wet­te« auf künf­ti­ge Pro­fi­te.

Die damit ver­bun­de­nen Unsi­cher­hei­ten – gra­vie­ren­de sozia­le Kon­se­quen­zen für die von der Land­nah­me betrof­fe­ne Bevöl­ke­rung – wird man mit mili­tä­ri­schen Mit­teln zu kon­trol­lie­ren ver­su­chen. Ein Indiz dafür sind die Bemü­hun­gen um eine Inten­si­vie­rung der »zivil-mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit« hier­zu­lan­de wie anders­wo. »Daß die Bun­des­wehr die Debat­te um den Kli­ma­wan­del aktiv vor­an­treibt, läßt erken­nen, daß die Bun­des­re­gie­rung mili­tä­ri­sche Ant­wor­ten zur Bewäl­ti­gung sei­ner Fol­gen in Betracht zieht«, wird auf der Inter­net­sei­te Ger­man-For­eign-Poli­cy geschluß­fol­gert. Sie ver­weist dar­auf, daß ähn­li­che Über­le­gun­gen seit gerau­mer Zeit auch vom Aus­wär­ti­gen Amt in Ver­bin­dung mit einer welt­wei­ten Inter­ven­ti­ons­in­itia­ti­ve ange­stellt wer­den. »Als zuläs­si­ge Inter­ven­ti­ons­grün­de wer­den in die­sem Zusam­men­hang auch Natur- und Umwelt­ka­ta­stro­phen genannt.« Das Ber­li­ner Poli­tik­be­ra­tungs­un­ter­neh­men Adel­phi Con­sult, Mit­ge­stal­ter meh­re­rer Kon­fe­ren­zen zu die­ser The­ma­tik, ist der Ansicht, daß Res­sour­cen­ver­knap­pung und Umwelt­de­gra­da­ti­on in den Ent­wick­lungs­län­dern zu Migra­ti­ons­be­we­gun­gen in die west­li­chen Indus­trie­staa­ten füh­ren wer­den, mit der Fol­ge einer gefähr­de­ten »eth­ni­schen Balan­ce«, sozia­ler Span­nun­gen bis hin zum Zusam­men­bruch der öffent­li­chen Ord­nung. Die Mili­ta­ri­sie­rung der euro­päi­schen Außen­gren­zen (Fron­tex) liegt also voll im Trend.

Siche­rung der Ernäh­rungs­ba­sis

Zurück zum Dos­sier von GRAIN. Als Län­der, denen kei­ne aus­rei­chen­de eige­ne Ernäh­rungs­ba­sis zur Ver­fü­gung steht bzw. die dies für die Zukunft befürch­ten, ver­or­tet die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Ägyp­ten, Chi­na, Indi­en, Japan, Liby­en, Süd­ko­rea und die Golf­staa­ten (Bah­rain, Kuwait, Oman, Qatar, Sau­di-Ara­bi­en, Ver­ei­nig­te Ara­bi­sche Emi­ra­te). Die Preis­explo­si­on für Nah­rungs­mit­tel von 2007/2008 lös­te eine diplo­ma­ti­sche Offen­si­ve aus, bei der sich hoch­ran­gi­ge Poli­ti­ker bemü­hen, mit­tels bila­te­ra­ler Ver­trä­ge den Zugang zu Acker­bo­den in ande­ren Län­dern zu sichern. Lang­fris­tig sehen die­se Län­der dar­in eine Per­spek­ti­ve, um auf preis­güns­ti­ge Wei­se die Ernäh­rung der eige­nen Bevöl­ke­rung zu sichern. Zu den Dritt­län­dern, die gro­ße Land­flä­chen ver­kau­fen oder ver­pach­ten, gehö­ren sowohl Kri­sen­re­gio­nen (z.B. Sudan) als auch sol­che mit eige­nen Ver­sor­gungs­pro­ble­men (wie Kam­bo­dscha), fer­ner Schwel­len­län­der (etwa Bra­si­li­en) und sogar Indus­trie­staa­ten (z.B. Aus­tra­li­en). Oft­mals ver­wi­schen sich die bei­den Haupt­mo­ti­ve der Land­nah­me (Siche­rung der natio­na­len Ernäh­rungs­ba­sis bzw. Pro­fi­ter­war­tun­gen), näm­lich dann, wenn mit diplo­ma­ti­schen Mit­teln die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen wer­den und die Land­nah­me anschlie­ßend über pri­va­te Inves­ti­tio­nen erfolgt.

Sum­miert man die von GRAIN bis Okto­ber 2008 erfaß­ten Land­käu­fe und -ver­pach­tun­gen, erge­ben sich 22 Mil­lio­nen Hekt­ar (zum Ver­gleich: die land­wirt­schaft­li­che Nutz­flä­che der BRD umfaßt 19,1 Mil­lio­nen Hekt­ar). Danach wur­den wei­te­re Ver­trä­ge abge­schlos­sen, wie jener über ins­ge­samt 1,3 Mil­lio­nen Hekt­ar zwi­schen dem korea­ni­schen Misch­kon­zern Dae­woo und Mada­gas­kar. Nur etwa zwei Drit­tel der rund 100 von GRAIN gelis­te­ten Land­ge­schäf­te ent­hal­ten Flä­chen­an­ga­ben. Für den Rest sind nur Inves­ti­ti­ons­sum­men genannt – die Gesamt­flä­che des neu­en glo­ba­len Land­raubs ist also noch deut­lich grö­ßer. Selbst der Gene­ral­se­kre­tär der Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (FAO), Jac­ques Diouf, warnt davor, daß der Wett­lauf um die Siche­rung von bebau­ba­rem Land zu einem neo­ko­lo­nia­len Sys­tem füh­ren kön­ne.

Tei­le die­ser neo­li­be­ra­len Lan­der­obe­rung muten an wie ein gro­ßes Grund-und-Boden-Rou­lette: Wäh­rend Chi­na über 1,6 Mil­lio­nen Hekt­ar gekauft bzw. geleast hat, pach­ten japa­ni­sche Fir­men Flä­chen in Chi­na. Fer­ner sind die Deut­sche Bank und Gold­man Sachs dabei, sich die chi­ne­si­sche Geflü­gel­ver­ar­bei­tung unter den Nagel zu rei­ßen (bis­lang wur­den 360 Mil­lio­nen Dol­lar inves­tiert). Ägyp­ten, selbst das Ziel von Land­ein­käu­fern aus Japan und den Golf­staa­ten, pro­du­ziert künf­tig zwei Mil­lio­nen Ton­nen Wei­zen pro Jahr im Nord­su­dan. Dar­über hin­aus ver­han­del­te Ägyp­ten am 27. Juni 2008 auf minis­te­ri­el­ler Ebe­ne über die Ver­pach­tung von 840000 Hekt­ar Land in Ugan­da (nach Pro­tes­ten in Ugan­da wur­de die Flä­chen­an­ga­be demen­tiert, ohne daß eine ande­re Zahl genannt wur­de). Nahe­zu gro­tesk wirkt es, wenn einer der größ­ten Eröl­ex­por­teu­re der Welt, Sau­di-Ara­bi­en, Land pach­tet, um Agro­treib­stof­fe zu pro­du­zie­ren. Aber genau dies ist Teil eines Deals mit Indo­ne­si­en, bei dem es um die Nut­zungs­rech­te für 1.6 Mil­lio­nen Hekt­ar Land geht.

Die meis­ten Ver­trä­ge fol­gen einem immer wie­der­keh­ren­den Sche­ma: Regie­rungs­de­le­ga­tio­nen berei­ten das Ter­rain durch bila­te­ra­le Rah­men­ver­ein­ba­run­gen vor, in denen Export­be­schrän­kun­gen für Nah­rungs­mit­tel besei­tigt, gege­be­nen­falls diplo­ma­ti­sche Ver­tre­tun­gen ein­ge­rich­tet, die spä­te­re Über­nah­me des Geschäfts durch pri­va­te Unter­neh­men ver­ein­bart und die Lang­fris­tig­keit der Vor­ha­ben gesi­chert wer­den. Das gan­ze wird in den Medi­en als eine Sache ver­mark­tet, bei der es aus­schließ­lich Gewin­ner gibt. Ölrei­che Län­der gestal­ten die­se Vor­gän­ge nicht sel­ten als Tausch­ge­schäft: Nah­rungs­mit­tel gegen Öl.

Hun­ger trotz guter Ern­ten

Ist es nicht eine ver­nünf­ti­ge Sache, die mul­ti­na­tio­na­len Agrar­kon­zer­ne wie Car­gill, Archer Dani­el Mid­lands oder Nest­lé beim inter­na­tio­na­len Agrar­han­del aus­zu­boo­ten, um die Geschäf­te direkt abzu­schlie­ßen? Die Ant­wort könn­te posi­tiv aus­fal­len, wenn dies auf der Basis gleich­be­rech­tig­ter Bezie­hun­gen erfol­gen wür­de. Doch sol­che Geschäf­te, die nicht sel­ten mit den kor­rup­ten Macht­ha­bern der ärms­ten Län­der abge­schlos­sen wer­den, unter­lie­gen den eiser­nen Geset­zen der »frei­en« Markt­wirt­schaft und dem Berei­che­rungs­drang der Betei­lig­ten. »Die inter­na­tio­na­len Unter­neh­men haben alle Rech­te eines Land­eigen­tü­mers und kön­nen frei ent­schei­den, wem sie ihre Nah­rungs­mit­tel ver­kau­fen wol­len«, wird der Rechts­an­walt Ste­phen Bar­ris­ter in einem Bei­trag des aus­tra­li­schen Dai­ly Tele­graph vom 7. März 2009 zitiert. In Län­dern, die von der FAO im Jahr 2008 als Hoch­ri­si­ko­län­der bezüg­lich der Ernäh­rungs­si­tua­ti­on ein­ge­stuft wur­den, fin­det ein zum Teil mas­si­ver Aus­ver­kauf frucht­ba­ren Acker­lan­des statt. Dazu zäh­len Äthio­pi­en, Mada­gas­kar und Mocam­bi­que. Auch der Sudan ist, wie bereits erwähnt, trotz der kon­flikt­be­ding­ten Hun­ger­kri­se belieb­tes Objekt der Land­spe­ku­lan­ten.

Die in Mün­chen ansäs­si­ge Fir­ma Flo­raE­co­Power hat sich bereits vor zwei Jah­ren über 10000 Hekt­ar in der äthio­pi­schen Regi­on Oro­mia zur Pro­duk­ti­on von Agro­treib­stof­fen gesi­chert. Dann titelt die Finan­cial Times in ihrer Aus­ga­be vom 7. März 2009 »Sau­dis get first tas­te of for­eign har­ve­st« (Sau­di-Ara­bi­en erhält einen ers­ten Geschmack von der aus­län­di­schen Ern­te) und bezieht sich dar­auf, daß dem sau­di­schen König Abdul­lah der ers­te in Äthio­pi­en geern­te­te Reis in einer Zere­mo­nie über­ge­ben wur­de. Wäh­rend der Reis in Äthio­pi­en gedieh, ver­teil­te das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm der Ver­ein­ten Natio­nen dort Nah­rungs­mit­tel­hil­fe an elf Mil­lio­nen Men­schen.

Der süd­ko­rea­ni­sche Dae­woo-Kon­zern hat­te sich Ende 2008 mit dem kor­rup­ten Prä­si­den­ten Mada­gas­kars, Marc Rava­lo­man­a­na, auf einen 99jährigen Pacht­ver­trag über 1,3 Mil­lio­nen Hekt­ar geei­nigt, mehr als die Hälf­te des frucht­ba­ren Lan­des der Insel. Laut FAO-Sta­tis­tik sind 37 Pro­zent der Bevöl­ke­rung Mada­gas­kars chro­nisch unter­ernährt; im Jahr 2008 erhiel­ten 600 000 Men­schen Nah­rungs­mit­tel­hil­fen aus dem Welt­ernäh­rungs­pro­gramm. Fol­ge­rich­tig spiel­te der Dae­woo-Deal eine zuneh­men­de Rol­le bei den immer wie­der auf­flam­men­den und blu­tig unter­drück­ten Pro­tes­ten gegen den Prä­si­den­ten, bei denen fast 200 Men­schen von den Sicher­heits­kräf­ten erschos­sen wur­den. Nach­dem Rava­lo­man­a­na am 17. März von sei­nem Amt zurück­ge­tre­ten war und sein Gegen­spie­ler Andry Rajo­eli­na mit Unter­stüt­zung der Armee und des Ver­fas­sungs­ge­richts das Prä­si­den­ten­amt über­nahm, erklär­te letz­te­rer, daß er den Ver­trag mit Dae­woo annul­lie­ren wol­le. Ob damit einer der spek­ta­ku­lärs­ten Land­raub­ver­su­che der Gegen­wart geschei­tert ist, bleibt abzu­war­ten. Am 18. März gab sich Dae­woo zuver­sicht­lich, daß auch die neue Regie­rung den abge­schlos­se­nen Ver­trag ein­hal­ten wird.

Befürch­tun­gen ande­rer Art, die auch auf vie­le wei­te­re Län­der zutref­fen, wur­den in Paki­stan laut. Ibra­him Mughal, Vor­sit­zen­der der paki­sta­ni­schen Bau­ern­ver­ei­ni­gung, äußer­te im Okto­ber 2008 gegen­über der kuwai­ti­schen Nach­rich­ten­agen­tur KUNA die Sor­ge, das es zur Ver­trei­bung Tau­sen­der Dorf­be­woh­ner kom­men könn­te, wenn die mit den aus­län­di­schen Inves­to­ren ange­bahn­ten Ver­trä­ge umge­setzt wer­den soll­ten. Der »Board of Invest­ment«, eine von der paki­sta­ni­schen Regie­rung mit der Akqui­se von Aus­lands­in­ves­ti­tio­nen beauf­trag­te Insti­tu­ti­on, hat allein in der Pro­vinz Pun­jab 2,7 Mil­lio­nen Hekt­ar aus­ge­wie­sen, die für die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft geeig­net sei­en. Soll­ten die­se Plä­ne Rea­li­tät wer­den, sei mit der Ver­trei­bung der Bewoh­ner von bis zu 25 000 Dör­fern zu rech­nen, befürch­tet Mughal.

Zu den rüh­rigs­ten Akteu­ren der neu­en glo­ba­len Land­nah­me gehö­ren die Golf­staa­ten. Die Lis­te der Län­der, mit denen sie Ver­hand­lun­gen füh­ren oder Ver­trä­ge abge­schlos­sen haben, ist lang und reicht von Äthio­pi­en über Aus­tra­li­en, Bur­ma, Indo­ne­si­en, Jemen, Kam­bo­dscha, Laos, Marok­ko, Paki­stan, Phil­ip­pi­nen, Phil­ip­pi­nen, Sudan, Tadschi­ki­stan und Thai­land bis zu Viet­nam. Die Ver­mu­tung liegt nahe, daß die welt­wei­ten Hun­ger­auf­stän­de der Jah­re 2007/2008 den Herr­schern der Golf­staa­ten in die Glie­der gefah­ren sind. Schließ­lich beträgt in die­sen Län­dern der Anteil der Wan­der­ar­bei­ter an der Gesamt­be­völ­ke­rung deut­lich über 50, in den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten sind es sogar 80 Pro­zent. Die sozia­len Unru­hen bei einer Ver­knap­pung bzw. dra­ma­ti­schen Ver­teue­rung der Lebens­mit­tel könn­ten also erheb­lich sein.

Chi­na seit 20 Jah­ren dabei

Chi­na beher­bergt 20 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung auf neun Pro­zent der glo­ba­len Land­flä­che. Durch den indus­tri­el­len Boom der letz­ten zehn Jah­re ist zusätz­lich land­wirt­schaft­li­che Nutz­flä­che ver­lo­ren­ge­gan­gen. Des­halb über­rascht es nicht, daß Chi­na zu den wich­tigs­ten Län­dern zählt, die sich an der neu­en glo­ba­len Land­nah­me betei­li­gen. Die Volks­re­pu­blik hat mit die­ser Poli­tik schon sehr zei­tig begon­nen. Berich­ten zufol­ge gin­gen die ers­ten chi­ne­si­schen »Offshore«-Farmen bereits 1989 in Betrieb. Damals han­del­te es sich um 43000 Hekt­ar im neu­see­län­di­schen Queens­land. Im Jahr 2003 gin­gen 7000 Hekt­ar in Kasach­stan unter Ver­trag, und es wur­den dort 3000 chi­ne­si­sche Bau­ern ange­sie­delt. Zu Mocam­bi­que wur­de eine chi­ne­si­sche Inves­ti­ti­on von 1,2 Mil­li­ar­den US-Dol­lar bekannt. In die­sem Zusam­men­hang war die Rede von 10000 chi­ne­si­schen Sied­lern. Ins­ge­samt hat Chi­na laut GRAIN min­des­tens 30 Ver­trä­ge über eine Gesamt­sum­me von mehr als 50 Mil­li­ar­den Dol­lar abge­schlos­sen, unter ande­rem mit Bra­si­li­en, Bur­ma, Indo­ne­si­en, Kame­run, Kuba, Laos, Mexi­ko, Phil­ip­pi­nen, Ruß­land, Tan­sa­nia, Ugan­da und Sim­bab­we.

Um so über­ra­schen­der klingt eine am 4. März 2008 von Qian Keming, hoch­ran­gi­ger Beam­ter des chi­ne­si­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums, abge­ge­be­ne Erklä­rung, Chi­na wür­de nicht danach drän­gen, im Aus­land Land­wirt­schaft zu betrei­ben, und chi­ne­si­sche Fir­men sei­en auf­grund der Sor­gen über poli­ti­sche Risi­ken weni­ger aktiv (Reu­ters). In eini­gen Län­dern lägen Miß­ver­ständ­nis­se über die Aus­lands­ak­ti­vi­tä­ten chi­ne­si­scher Fir­men vor. Die­se Fir­men wür­den das nur aus Geschäfts­grün­den tun und nicht mit staat­li­cher Ermun­te­rung in der Absicht, die Ern­ten nach Chi­na zu ver­schif­fen. Die­se Äuße­run­gen wir­ken nahe­zu skur­ril, wenn man sich die 10,5 Mil­li­ar­den Dol­lar vor Augen hält, die kürz­lich Sinopec und die Chi­ne­se Natio­nal Over­se­as Oil Cor­po­ra­ti­on, zwei staat­li­che chi­ne­si­sche Ölfir­men, in Indo­ne­si­en inves­tier­ten, und dort Mais anzu­bau­en, die­sen in Agro­s­prit umzu­wan­deln und ihn dann nach Chi­na zu expor­tie­ren.

Aus den euro­päi­sche Län­dern sind es nahe­zu aus­schließ­lich Inves­ti­tio­nen pri­va­ter Fir­men. Man kann sicher davon aus­ge­hen, daß die euro­päi­sche Außen­po­li­tik mit diver­sen bi- und mulit­la­te­ra­len »Frei«handelsverträgen schon vor län­ge­rem die nöti­ge Vor­ar­beit geleis­tet hat. Laut GRAIN wur­den in Sum­me mehr als 2,5 Mil­lio­nen Hekt­ar unter Ver­trag genom­men. Die Haupt­ak­teu­re sind die schwe­di­schen Fir­men Agro und Earth Far­ming, die mit 200000 bzw. 331000 Hekt­ar in Ruß­land ver­tre­ten sind. Der in Lon­don ansäs­si­ge Hedge­fonds Capi­tal hat sich, auf ver­schie­dens­te Län­der ver­teilt, 1,2 Mil­lio­nen Hekt­ar unter den Nagel geris­sen, und die rus­si­sche Invest­ment­bank Capi­tal ihrer­seits hat sich in der Ukrai­ne 300000 Hekt­ar zur Sei­te gelegt.

Die sozia­len Aus­sich­ten für 2009 sind auch wegen der hier geschil­der­ten Ent­wick­lun­gen düs­ter, wäh­rend der »Tur­bo­ko­lo­nia­lis­mus« ein­ge­denk des zu erwar­ten­den Wie­der­an­stiegs der Nah­rungs­mit­tel­prei­se wie ein Schlupf­loch aus der welt­wei­ten Rezes­si­on anmu­tet.

Fuß­no­ten

  1. Sue Bran­ford: The G20’s Miss­ing Voice, www.opendemocracy.net/article/the-g20-s-missing-voice
  2. David S. Battisti/Rosamond L. Nay­lor: His­to­ri­cal War­nings of Future Food Inse­cu­ri­ty with Unpre­ce­den­ted Sea­so­nal Heat, in: Sci­ence, Heft 323 (2009);
    iis-db.stanford.edu/pubs/22374/battisti_naylor_2009.pdf
  3. www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57407
  4. www.grain.org/briefings_files/landgrab-2008-en.pdf
  5. Klaus Peder­sen: Die welt­wei­ten Hun­ger­re­vol­ten (Food Riots) 2007/2008, in: Z. Zeit­schrift Mar­xis­ti­sche Erneue­rung, Heft 76 (2008)
  6. Reu­ters: Chi­na says not pushing to expand far­ming over­se­as; Reu­ters-Mel­dung vom 4.3.2009, sie­he
    farmlandgrab.blogspot.com/2009_03_01_archive.html
  7. L. Wang: Inter­na­tio­nal Capi­tal Taps into China’s Agri­cul­tu­ral Sec­tor, Chi­na Sta­kes vom 6.8.2008; www.chinastakes.com/story.aspx?id=576
Von Klaus Peder­sen zuletzt erschie­nen: Natur­schutz und Pro­fit. Men­schen zwi­schen Ver­trei­bung und Natur­zer­stö­rung, Unrast Ver­lag Müns­ter, 140 Sei­ten, 13,80 Euro

Quel­le
Jun­ge Welt vom 11.08.2009
Klaus Peder­sen · Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors

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