Land­be­sitz: Eine Fra­ge der Sicher­heit!

Land ist die Grund­la­ge der Ernäh­rung und die Basis für Reich­tum und Macht. Die Ver­fü­gungs­ge­walt über Land bie­tet Sicher­heit. Ver­än­de­run­gen beim Land­eigen­tum sind glei­cher­ma­ßen Aus­gangs­punkt und Resul­tat von Kon­flik­ten.

Zu Recht schlu­gen Orga­ni­sa­tio­nen wie GRAIN im Okto­ber 2008 Alarm1, weil Staa­ten und Invest­ment­ge­sell­schaf­ten in einen Kauf­rausch ver­fal­len sind, bei dem rie­si­ge Län­de­rei­en, vor allem in Afri­ka, durch Pacht oder Eigen­tums­über­schrei­bung ihren Besit­zer gewech­selt hat­ten oder noch wech­seln soll­ten. Das Phä­no­men ist viel­schich­tig, und die Ereig­nis­se in den letz­ten zwei Jah­ren reprä­sen­tie­ren nur die Spit­ze eines Eis­bergs, der seit rund zwei Jahr­zehn­ten durch die neo­li­be­ra­len Gewäs­ser drif­tet. Doch das »Kaufrausch«-Phänomen beweg­te die Gemü­ter so hef­tig, dass nicht nur kri­ti­sche NGOs, son­dern auch Thinktanks und mäch­ti­ge Insti­tu­tio­nen in kur­zer Abfol­ge dazu Ana­ly­sen ver­öf­fent­lich­ten2, Kon­fe­ren­zen ver­an­stal­te­ten3 und Stu­di­en in Auf­trag gaben.4

Die Vor­ge­schich­te

Regio­nal unter­schied­lich, fin­det seit über 10 Jah­ren ein glo­ba­les Roll-back der (teil­wei­se rudi­men­tä­ren) post­ko­lo­nia­len Land­re­for­men statt. Staat­li­che Land­re­form­pro­gram­me wur­den nach Ent­zug der Finanz­mit­tel durch die Welt­bank im Jahr 1983 zum Aus­lauf­mo­dell. U. Hoe­ring gab in sei­nem Buch »Agrar-Kolo­nia­lis­mus in Afri­ka« einen kom­pak­ten Über­blick zu des­sen grund­le­gen­den Pro­zes­sen. Er datier­te den Beginn der »neu­en« Umver­tei­lung auf den Anfang der 90er Jah­re, als die Welt­bank in Bra­si­li­en, Kolum­bi­en und Süd­afri­ka ihr Kon­zept einer »markt­ge­stütz­ten« Land­re­form erprob­te, die auf Struk­tur­an­pas­sungs­maß­nah­men zuge­schnit­ten war5. (S.87)

Der ers­te wich­ti­ge Schritt in die­sem Pro­zess war und ist die »Klä­rung« der Besitz­ver­hält­nis­se nach west­li­chem Vor­bild. Tra­di­tio­nell gehört Land in Afri­ka, basie­rend auf Gewohn­heits­recht, den dörf­li­chen Gemein­schaf­ten. Das soll­te kein Grund zur Roman­tik sein, denn hin­ter die­ser schein­ba­ren dörf­li­chen Idyl­le ver­ber­gen sich nicht sel­ten qua­si-feu­da­le Struk­tu­ren und in aller Regel streng patri­ar­cha­le Ver­hält­nis­se. Die­ser nicht erstre­bens­wer­te Zustand könn­te nach Hoe­ring aber »in Zusam­men­ar­beit mit der Bevöl­ke­rung … als Aus­gangs­punkt für Ver­bes­se­run­gen genutzt wer­den«5. (S.93) Statt­des­sen jedoch rollt die Pri­va­ti­sie­rungs­wel­le: Durch »Ent­wick­lungs­hil­fe« wer­den natio­na­le Regie­run­gen dazu gebracht, recht­li­che Rah­men­be­din- gun­gen und somit Inves­ti­ti­ons­si­cher­heit zu schaf­fen − eine Grund­vor­aus­set­zung für die Inte­gra­ti­on länd­li­cher Gebie­te in den Welt­markt. Dabei ist die Aus­gangs­si­tua­ti­on regio­nal sehr hete­ro­gen: Wäh­rend Ende der 90er Jah­re zum Bei­spiel in West- und Zen­tral­afri­ka Land­be­sitz ver­mut­lich zu mehr als 90% durch tra­di­tio­nel­le, nicht schrift­lich fixier­te Rech­te gere­gelt war, gab es in Kenia bereits für ein Drit­tel des Lan­des juris­ti­sche Titel5.(S. 83) In ande­ren Län­dern wur­de nach dem Ende der Kolo­ni­al­zeit der Boden viel­fach zu Staats­ei­gen­tum erklärt und (wei­ter­hin) tra­di­tio­nell genutzt. In Ango­la, Äthio­pi­en, und Mocam­bi­que, die in den 1970er/80er Jah­ren die Unter­stüt­zung des sozia­lis­ti­schen Lagers genos­sen, wur­de pri­va­ter Groß­grund­be­sitz ent­eig­net und danach kol­lek­tiv bzw. staat­lich bewirt­schaf­tet.

Mit Imple­men­tie­rung der Struk­tur­an­pas­sungs­pro­gram­me begann für vie­le Län­der des Südens die oben erwähn­te »Klä­rung« der Besitz­ver­hält­nis­se nach west­li­chen Vor­ga­ben. Trotz gegen­tei­li­ger Beteue­run­gen sei­tens der mäch­ti­gen Insti­tu­tio­nen (Welt­bank, G8-Regie­run­gen etc.) und aus­füh­ren­der Orga­ne wie der deut­schen Gesell­schaft für Tech­ni­sche Zusam­men­ar­beit (GTZ) kam es durch die Boden­ka­tas­ter-Pro­jek­te eben nicht zu einem bes­se­ren Schutz der Klein­bau­ern, son­dern zu ihrer neu­er­li­chen Ver­trei­bung, ver­bun­den mit einer teils ver­deck­ten, teils unver­hoh­le­nen Pri­va­ti­sie­rung von öffent­li­chem Land.5 (S.84) So rief das Katas­ter­pro­jekt der GTZ in der Regi­on des Bio­sphä­ren­re­ser­vats Rio Plá­ta­no, Hon­du­ras, im Jahr 2006 Pro­tes­te von indi­ge­nen und Bau­ern­or­ga­ni­sa­tio­nen hervor6, und die Abschaf­fung der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Garan­tien der Unver­käuf­lich­keit von Gemein­de­land (Eji­do-Land) war nicht zuletzt ein wich­ti­ger Aus­lö­ser für den zapa­tis­ti­schen Auf­stand zu Beginn des Jah­res 1994 in Chia­pas, Mexi­ko.

Neo­ko­lo­nia­le Land­nah­me gab es bereits vor dem Aus­bruch des oben genann­ten gro­ßen Kauf­rauschs. So erwarb bei­spiels- wei­se im Jahr 2001 die Ham­bur­ger Kaf­fee­fir­ma Neu­mann 2.000 Hekt­ar in Ugan­da, um dort die größ­te Kaf­fee­plan­ta­ge des Lan­des anzu­le­gen, was die Zwangs­um­sied­lung von 2.000 Men­schen zur Fol­ge hat­te, vgl.5, S. 84. Als wei­te­res Bei­spiel sei­en die in US-ame­ri­ka­ni­scher Hand befind­li­chen Domi­ni­on Farms erwähnt, die im Jahr 2004 mit der kenia­ni­schen Regie­rung einen 25- jäh­ri­gen Pacht­ver­trag für eine Flä­che von 2.300 Hekt­ar in der Nähe des Vik­to­ria­sees abschlos­sen. Der loka­len Bevöl­ke­rung wur­de ver­spro­chen, dass sich das Unter­neh­men auf die­se Flä­che beschrän­ken wür­de. Inzwi­schen nut­zen die Domi­ni­on Farms 14.000 Hekt­ar und über­flu­te­ten zur eige­nen Strom­ge­win­nung (Klein­stau­damm) gro­ße Flä­chen Gemein­de­land.7

Die neue Dyna­mik

Der län­ger­fris­ti­ge Pro­zess der Kom­mo­di­fi­zie­rung der Welt­ernäh­rung mit der vor­ge­schal­te­ten pri­va­ten Aneig­nung des Pro­duk­ti­ons­mit­tels Boden wird seit kur­zem durch meh­re­re ein­schnei­den­de Ereig­nis­se beschleu­nigt. Dazu zäh­len (a) der von der 2008er Preis­explo­si­on im Nah­rungs­mit­tel­be­reich betrie­be­ne Stra­te­gie­wech­sel finanz­star­ker import­ab­hän­gi­ger Län­der, durch Kauf oder Pacht von Flä­chen im Aus­land weni­ger abhän­gig von Lebens­mit­tel­im­por­ten zu wer­den, (b) die von der Finanz­kri­se ver­ur­sach­te Suche der Invest­ment­ban­ker nach siche­ren Anla­gen − Grund und Boden statt Hedge­fonds und Deri­va­te lau­tet die Devi­se, (c) das Stre­ben rei­cher Län­der, durch den Anbau von Agro­treib­stof­fen die ener­ge­ti­sche Basis zu diver­si­fi­zie­ren, (d) die lang­fris­ti­ge Absi­che­rung gegen zu erwar­ten­de Ern­te­aus­fäl­le infol­ge des Kli­ma­wan­dels und der glo­ba­len Boden­mü­dig­keit. Die Inbe­sitz­nah­me von Grund und Boden und den sich dar­an anschlie­ßen­den Trans­fer land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­te gibt es bereits seit der Kolo­ni­al­zeit. Doch wäh­rend in der Ver­gan­gen­heit die »Kolo­ni­al­wa­ren«, d.h. Tee, Kaf­fee, Kakao bis hin zu Schnitt­blu­men und in jün­ge­rer Zeit Soja für die Tier­er­näh­rung im Vor­der­grund stan­den, geht es jetzt um die mas­sen­wei­se Aus­fuhr von Grund­nah­rungs­mit­teln − Reis, Getrei­de, Mais − sowie Agro­treib­stof­fen.

Allein Äthio­pi­en, Gha­na, Mada­gas­kar, Mali und Sudan schlos­sen mit Inves­to­ren aus dem Nor­den in den letz­ten 5 Jah­ren Land­nut­zungs­ver­trä­ge über 2,5 Mil­lio­nen Hekt­ar ab.4 Der tat­säch­li­che Umfang die­ser Land­nah­me ist infol­ge eines Dickichts aus unter­schrie­be­nen bzw. umge­setz­ten Kauf- und Pacht­ver­trä­gen, noch offe­nen Absichts­er­klä­run­gen, intrans­pa­ren­ten Trans­ak­tio­nen sowie rück­gän­gig gemach­ten und teil­wei­se in ande­rer Form reak­ti­vier­ten Abkom­men kaum über­schau­bar. Die Sum­me der von GRAIN1 auf­ge­lis­te­ten Trans­ak­tio­nen für die Zeit von Janu­ar bis Okto­ber 2008 (ange­kün­dig­te und voll­zo­ge­ne) beläuft sich auf 22 Mil­lio­nen Hekt­ar. Nach Schät­zun­gen des Inter­na­tio­nal Food Poli­cy Rese­arch Insti­tu­te (IFPRI) dürf­te die Flä­che der seit 2006 rechts­kräf­tig gewor­de­nen Kauf- und Pacht­ver­trä­ge die 20-Mil­lio­nen-Hekt­ar-Mar­ke erreichen8, was mehr als der gesam­ten land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che der BRD ent­spricht.

Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist die Abtre­tung von Flä­chen in Län­dern, die auf der »Hun­ger­lis­te« der Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (FAO) ste­hen: In Ango­la, Äthio­pi­en, Kam­bo­dscha, Kame­run, Kenia, der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go, Mala­wi, Paki­stan, Sudan und Tan­sa­nia ist jeweils mehr als ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung unter­ernährt9 und alle ste­hen auf der Emp­fän­ger­lis­te des Welt­ernäh­rungs­pro­gramms der Ver­ein­ten Natio­nen. Die Befür­wor­ter sol­cher Geschäf­te argu­men­tie­ren, dass dies eine Chan­ce böte, die »Ent­wick­lung« in den »Gast­ge­ber­län­dern« (Host count­ries ist der gern ver­wen­de­te Begriff im ang­lo-ame­ri­ka­ni­schen Sprach­raum) anzu­kur­beln. Die Argu­men­te der Prot­ago­nis­ten sol­cher Deals rei­chen von der pro­duk­ti­ven Nut­zung angeb­lich unge­nutz­ter Flä­chen, über Tech­no­lo­gie-Trans­fer und »Mit­er­näh­rung« der Bevöl­ke­rung des »Gast­ge­ber­lan­des« bis hin zur Schaf­fung von Arbeits­plät­zen. Dass die­se Form der »Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit« mit Risi­ken ver­bun­den ist, d.h. mit erheb­lich mehr Risi­ken als der übli­chen Entwicklungs»hilfe« ohne­hin anhaf­ten, wird von den mäch­ti­gen Insti­tu­tio­nen (FAO, Welt­bank) eben­so aner­kannt wie von den Thinktanks (IFPRI etc.). Doch das Ein­ge­ständ­nis wird sogleich mit dem Ruf nach Richt­li­ni­en abge­schwächt, die even­tu­el­len Miss­bräu­chen ent­ge­gen­wir­ken sol­len. Da die Lawi­ne der neo­li­be­ra­len Land­nah­me aber bereits rollt, kön­ne nur eine schnel­le Lösung Abhil­fe schaf­fen. Frei­wil­li­ge Richt­li­ni­en und Ver­hal­tens­ap­pel­le sind die ein­zi­gen, aber unwirk­sa­men Instru­men­te, die über­haupt eine Chan­ce hät­ten, so zügig ver­ab­schie­det zu wer­den, dass dann wenigs­tens ein Teil der Beu­te noch nicht ver­teilt ist. Ein­ge­denk jahr­zehn­te­lan­ger, nega­ti­ver Erfah­run­gen selbst mit ver­bind­li­chen inter­na­tio­na­len Reg­lun­gen, die trotz­dem an Kor­rup­ti­on, feh­len­dem poli­ti­schem Wil­len oder man­geln­den Res­sour­cen für ihre Durch­set­zung geschei­tert sind, dürf­ten sol­che frei­wil­li­gen Richt­li­ni­en weni­ger Wert haben als ein Wahl­ver­spre­chen. Kon­se­quen­ter­wei­se bezeich­net Hoe­ring die geplan­ten Regeln als »Leit­li­ni­en für Land­raub« und bringt sei­ne Ver­wun­de­rung zum Aus­druck, dass selbst Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie FIAN »… glaub(en), sol­che unver­bind­li­chen und aus­le­gungs­fä­hig for- mulier­ten Richt­li­ni­en könn­ten ein Instru­ment für sozia­le Bewe­gun­gen, betrof­fe­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen und die Zivil­ge­sell­schaft wer­den, um den Anspruch auf Land und natür­li­che Res­sour­cen zu demo­kra­ti­sie­ren«.10

Die ver­meint­li­chen Vor­tei­le

Ein prü­fen­der Blick auf die ver­meint­li­chen Vor­tei­le von Ver­kauf und Ver­pach­tung der rie­si­gen Län­de­rei­en lässt erheb­li­che Zwei­fel an deren Trag­fä­hig­keit auf­kom­men.

Argu­ment Nr. 1: Es wer­den bis­lang unge­nutz­te Flä­chen pro­duk­tiv gemacht − mit ande­ren Wor­ten, die Land­nah­me hat a prio­ri kei­nen nega­ti­ven Ein­fluss auf die ört­li­che Bevöl­ke­rung. Das Argu­ment ist natür­lich voll­kom­men zutref­fend, wenn man nur das als wirt­schaft­li­che Akti­vi­tät gel­ten lässt, was in die glo­ba­len Waren- strö­me und makro­öko­no­mi­schen Kenn­zif­fern der Welt­bank ein­fließt. Es igno­riert die Tat­sa­che, dass bei einem gro­ßen Teil der Welt­be­völ­ke­rung der Lebens­un­ter­halt auf ganz ande­re Wei­se erfolgt und nicht auf dem Ver­kauf der Arbeits­kraft basiert, son­dern auf Wei­de­rech­ten, Zugangs­rech­ten zu Was­ser, der Ver­füg­bar­keit von Heil­pflan­zen, dem loka­len Aus­tausch von Gütern usw. Die­ses Argu­ment negiert die Per­spek­ti­ve, dass die­ses oft­mals har­sche und in sei­nem jet­zi­gen Zustand häu­fig nicht erstre­bens­wer­te Leben zum Aus­gangs­punkt für Ver­bes­se­run­gen gemacht wer­den könn­te, statt es aus­zu­lö­schen. Ver­bun­den mit dem Aus­lö­schen der kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Basis die­ses nicht in die Logik des Welt­markts pas­sen­den Lebens ist das Ver­spre­chen eines neu­en »moder­nen« Lebens, das sich dann für eine ver­schwin­den­de Min­der­heit − die neue Mit­tel­schicht des Südens − mate­ria­li­siert und par­al­lel dazu die gro­ße Mehr­heit in die Slums der Metro­po­len des Südens, bru­ta­le Lohn­skla­ve­rei oder an die Mau­ern der »Fes­tung Euro­pa« treibt.

Proteste gegen Holzraub

Argu­ment Nr. 2: Die Nut­zung der ver­kauf­ten und ver­pach­te­ten Flä­chen durch die neu­en aus­län­di­schen Eigen­tü­mer wird zu einem Tech­no­lo­gie-Trans­fer in die Land­wirt­schaft des »Gast­ge­ber­lan­des« und somit zur Stei­ge­rung von des­sen Pro­duk­ti­vi­tät füh­ren. Zunächst schei­den sich hier die Geis­ter an einem grund­le­gen­den Punkt: Ist eine vom Agro-Busi­ness kon­trol­lier­te Land­wirt­schaft mit ener­gie­in­ten­si­ven exter­nen Inputs, gen­tech­nisch ver­än­der­ten Sor­ten und Mono­po­len an »geis­ti­gen Eigen­tums- rech­ten« das Modell der Zukunft oder ist es ein Frei­fahrt­schein in die öko­lo­gi­sche und sozia­le Kata­stro­phe für die Mehr­heit der Welt­be­völ­ke­rung? Abge­se­hen von die­ser grund­sätz­li­chen Fra­ge (vgl. auch Abschnitt »Risi­ken und Neben­wir­kun­gen«), ist es schwer nach­voll­zieh­bar, war­um pro­fit­ori­en­tier­te aus­län­di­sche Inves­to­ren eine grö­ße­re Ver­an­las­sung zum Tech­no­lo­gie-Trans­fer an loka­le Klein­bäue­rIn­nen haben soll­ten als bei­spiels­wei­se gua­te­mal­te­ki­sche Lati­fun­di­en­be­sit­zer gegen­über den Maya-Cam­pe­si­nos ihres Lan­des − und da ist er gleich Null.

Argu­ment Nr. 3: Zunächst ist fest­zu­hal­ten, dass es fak­tisch unmög­lich ist, die Opti­on der »Mit­er­näh­rung« der Bevöl­ke­rung des »Gast­ge­ber­lan­des« durch die ver­pach­te­ten hoch­pro­duk­ti­ven Flä­chen fun­diert zu beur­tei­len. Bei der nahe­zu völ­li­gen Intrans­pa­renz der Ver­trags­in­hal­te besteht kei­ner­lei Mög­lich­keit, die Ver­bind­lich­keit ent­spre­chen­der medi­en­wirk­sa­mer Ver­laut­ba­run­gen zu über­prü­fen. Sofern es über­haupt zu sol­chen Ver­laut­ba­run­gen kommt, muss deren Wahr­heits­ge­halt zunächst dem von Wer­be­slo­gans gleich gesetzt wer­den. Hin­zu kommt, dass ein nicht unbe­trächt­li­cher Teil der ver­hö­ker­ten Flä­chen zur Pro­duk­ti­on von Agro­treib­stof­fen genutzt wird − in die­sem Fall wird das Argu­ment der »Mit­er­näh­rung« zur zyni­schen Flos­kel. Die expli­zi­te Stra­te­gie des Out­sour­cing der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on in Dritt­län­der besteht dar­in, Preis­fluk­tua­tio­nen auf dem Welt­markt abzu­puf­fern. Es ist also nur logisch zu erwar­ten, dass in Zei­ten hoher Welt­markt­prei­se, wenn die »Mit­er­näh­rung« der Bevöl­ke­rung des »Gast­ge­ber­lan- des« beson­ders dring­lich wäre, die Ern­te zu hun­dert Pro­zent ins »Mut­ter­land« trans­fe­riert wird. Falls dem ver­trag­li­che Klau­seln ent­ge­gen ste­hen, ist lei­der die Ver­mu­tung nicht abwe­gig, dass die in vie­len »Gast­ge­ber­län­dern« ver­brei­te­te Kor­rup­ti­on genü­gen dürf­te, um die betref­fen­den Klau­seln zu umge­hen. Umge­kehrt ist in Peri­oden nied­ri­ger Welt­markt­prei­se das Dum­ping eines Teils der Ern­te im Her­kunfts­land zu befürch­ten − die noto­ri­schen EU-Agrar­ex­por­te nach Afri­ka haben da Maß­stä­be gesetzt.

Argu­ment Nr. 4: Dass in einer hoch­tech­ni­sier­ten Land­wirt­schaft Arbeits­plät­ze geschaf­fen wer­den, darf getrost bezwei­felt wer­den, denn das wäre ent­ge­gen sämt­li­chen his­to­ri­schen Erfah­run­gen. Es sei aber auf Argu­ment Nr. 1 ver­wie­sen − wenn man bei der Zäh­lung von Arbeits­plät­zen nur jenen Men­schen den Besitz eines sol­chen zubil­ligt, die ihre Arbeits­kraft ver­kau­fen. Den »Ein­tausch« von fünf sub­sis­tenz­wirt­schaft­li­chen Exis­tenz­grund­la­gen gegen einen (schlecht bezahl­ten) Lohn­ar­beits­platz (so etwa die Pro­por­ti­on bei der Eta­blie­rung von Palm­öl­plan­ta­gen in Indo­ne­si­en) kann man wohl nicht wirk­lich als Schaf­fung von Arbeits­plät­zen bezeich­nen.11

Risi­ken und Neben­wir­kun­gen

Die zu erwar­ten­den Nach­tei­le wer­den im Dis­kurs der Befür­wor­ter der neu­en Land­nah­me völ­lig aus­ge­blen­det. Das betrifft sowohl jene Prot­ago­nis­ten, die mit der Lob­prei­sung der ver­meint­li­chen Vor­tei­le die­ser Schacher­ge­schäf­te gern der neo­li­be­ra­len »Trickle-down«-Theorie neu­es Leben ein­hau­chen wür­den, als auch jene, die von einer sozi­al ver­träg­li­chen Land­nah­me auf der Basis unver­bind­li­cher Richt­li­ni­en und zahn­lo­ser Appel­le fan­ta­sie­ren. Wer Ver­kauf und Ver­pach­tung gro­ßer Land­flä­chen in Dritt­län­dern akzep­tiert oder gar befür­wor­tet, spricht sich auto­ma­tisch für eine indus­tri­el­le Land­wirt­schaft aus und schlägt damit die Erkennt­nis­se, Befürch­tun­gen und Vor­schlä­ge des Welt­agrar­rats (IAASTD) in den Wind − eines Gre­mi­ums von über 400 Wis­sen­schaft­lern, des­sen abschlie­ßen­der 606-sei­ti­ger Bericht in die­sem Jahr erschie­nen ist. In die­sem Bericht wird eine kla­re und drin­gen­de Emp­feh­lung zur wis­sen­schaft­li­chen und öko­no­mi­schen För­de­rung klein­bäu­er­li­cher Betrie­be aus­ge­spro­chen. Obwohl der IAASTD-Bericht von 57 Regie­run­gen gebil­ligt wur­de, ste­hen die Chan­cen eher schlecht, dass die­ser Ansatz in nächs­ter Zeit zum domi­nie­ren­den Modell einer zukunfts­träch­ti­gen, wahr­haft nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft zur Siche­rung der Welt­ernäh­rung wer­den wird.
Viel mehr stre­ben mäch­ti­ge Akteu­re, die das Schei­tern der »Grü­nen Revo­lu­ti­on« des 20. Jahr­hun­derts nach wie vor bestrei­ten, heu­te nach einer »Neu­en Grü­nen Revo­lu­ti­on« für Afri­ka. Die »alte« Grü­ne Revo­lu­ti­on hat maß­geb­lich zur Ermü­dung der Acker­bö­den bei­getra­gen (zwei Drit­tel der glo­ba­len Acker­flä­che ist von Boden­mü­dig­keit und folg­lich von sta­gnie­ren­den oder sin­ken­den Erträ­gen betrof­fen).8 Fer­ner sind ihre Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren beson­ders bewäs­se­rungs­in­ten­siv, was dazu führ­te, dass heu­te 70% der Süß­was­ser­res­sour­cen für land­wirt­schaft­li­che Zwe­cke ver­wen­det wer­den. Dem ste­hen etwa 1,8 Mil­li­ar­den Men­schen gegen­über, die bis zum Jahr 2025 von abso­lu­ter Was­ser­knapp­heit betrof­fen sein wer­den.8 Neben den unmit­tel­ba­ren Aus­wir­kun­gen des Was­ser­man­gels auf die Lebens­be­din­gun­gen der betrof­fe­nen Men­schen sind dar­aus resul­tie­ren­de Kon­flik­te und gewalt­sa­me Aus­ein­an­der­set­zun­gen vor­her­seh­bar.

Aus der sich abzeich­nen­den Offen­si­ve der indus­tri­el­len Land­wirt­schaft in den »Gast­ge­ber­län­dern« ergibt sich nicht nur eine Prä­ka­ri­sie­rung der Lebens­grund­la­ge der länd­li­chen Bevöl­ke­rung die­ser Län­der, son­dern es erwächst auch eine aku­te Bedro­hung der bio­lo­gi­schen Viel­falt. In der Ver­gan­gen­heit wur­den welt­weit Mil­lio­nen von Men­schen im Namen des Natur­schut­zes ver­trie­ben oder zwangs­um­ge­sie­delt.13 Durch die neue Land­nah­me kommt es zu einer erneu­ten mas­sen­wei­sen Ent­wur­ze­lung von Tei­len der Bevöl­ke­rung und dar­über hin­aus infol­ge von Che­mi­sie­rung und groß­flä­chi­gen Mono­kul­tu­ren zu einer mas­si­ven Umwelt­zer­stö­rung. Ins­be­son­de­re für Äthio­pi­en, eines der gefrag­tes­ten Län­der für die Befrie­di­gung der Kauf- und Pacht­wün­sche, wird ein­ge­schätzt, dass die rei­che, aber schon jetzt fra­gi­le Bio­di­ver­si­tät von den »Entwicklungs«plänen stark betrof­fen sein wird.

Trieb­kräf­te der Land­nah­me

Bereits in der vor einem Jahr publi­zier­ten Ana­ly­se von GRAIN1 wur­den zwei wesent­li­che Inter­es­sen­grup­pen unter­schie­den, die sich als Akteu­re der neu­en Land­nah­me her­vor­tun: (a) finanz­kräf­ti­ge Län­der mit unzu- rei­chen­der land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che im Ver­hält­nis zur Grö­ße ihrer Bevöl­ke­rung und (b) Invest­ment­fir­men, die − wie bereits oben erwähnt − nach sicher erschei­nen­den Anla­gen bzw. einer Diver­si­fi­zie­rung ihres Port­fo­li­os trach­ten. Oft ist es aller­dings so, dass die Regie­run­gen der Län­der mit einer pre­kä­ren Eigen­ver­sor­gung ihre Pri­vat­un­ter­neh­men zur Land­nah­me ermu­ti­gen und sie dabei unter­stüt­zen.

Vor allem Chi­na, Indi­en, Japan, Liby­en, Süd­ko­rea und die Golf­staa­ten (Bah­rain, Kuwait, Oman, Qatar, Sau­di-Ara­bi­en, Ver­ei­nig­te Ara­bi­sche Emi­ra­te) gehö­ren nach Ein­schät­zung von GRAIN zu den Län­dern, denen kei­ne aus­rei­chen­de eige­ne Ernäh­rungs­ba­sis zur Ver­fü­gung steht und die des­halb am Off­shore far­ming inter­es­siert sind. Hin­zu kom­men euro­päi­sche Invest­ment­fir­men, die vor allem am Geschäft mit Agro­treib­stof­fen inter­es­siert sind. Die Preis­explo­si­on für Nah­rungs­mit­tel von 2007/2008 lös­te eine diplo­ma­ti­sche Offen­si­ve aus, bei der sich hoch­ran­gi­ge Poli­ti­ker bemü­hen, mit­tels bila­te­ra­ler Ver­trä­ge den Zugang zum Acker­bo­den in ande­ren Län­dern zu sichern.

Als Teil der Regie­rungs­de­le­ga­tio­nen oder nach erfolg­ter poli­ti­scher Vor­ar­beit­kom­men dann Ver­tre­ter von Ban­ken und Kon­sor­ti­en oder Ein­zel­per­so­nen, wie Scheich Moham­med Hus­sein Ali Al Amou­di, zweit­reichs­ter Ein­woh­ner Sau­di-Ara­bi­ens, der für die Über­nah­me von 200.000 Hekt­ar in der äthio­pi­schen Pro­vinz Gam­bel­la die Fir­ma Sau­di Star Agri­cul­tu­ral Deve­lo­p­ment Plc grün­de­te und dafür umge­rech­net mehr als 50 Mil­lio­nen Euro aus­ge­ben will (10.000 Hekt­ar hat er bis­lang unter Dach und Fach). Mit einer ande­ren, vor einem Jahr gegrün­de­ten Fir­ma, Hori­zon Ethio­pia, trach­tet er nach wei­te­ren 250.000 Hekt­ar. In den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten und Qatar liegt der Migran­ten-Anteil bei 73% bzw. 75% der Gesamt­be­völ­ke­rung. In den ande­ren Golf­staa­ten liegt der Pro­zent­satz eben­falls hoch, wenn­gleich nicht bei drei Vier­teln der Bevöl­ke­rung. Die Golf­staa­ten stre­ben nach der Siche­rung nied­ri­ger Lebens­mit­tel­prei­se für die­sen hohen Anteil bil­li­ger Arbeits­kräf­te und betrach­ten das Off­shore far­ming als Mit­tel zum Erhalt des sozia­len Frie­dens im eige­nen Land.

Die Volks­re­pu­blik Chi­na beher­bergt 20 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung auf neun Pro­zent der glo­ba­len Land­flä­che. Chi­na ist eines der Län­der mit der gerings­ten Acker­flä­che pro Kopf der Bevöl­ke­rung: Sta­tis­tisch gese­hen ste­hen für jeden der 1,33 Mil­li­ar­den Ein­woh­ner 1.100 m2 Acker­flä­che zur Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on zur Ver­fü­gung. Zugleich ist es das Land, in dem die durch­aus dra­ma­ti­schen, aber eben nicht nach­hal­ti­gen Ertrags­stei­ge­run­gen der Grü­nen Revo­lu­ti­on tat­säch­lich der Bevöl­ke­rung zugu­te kamen: In der Zeit von 1970 bis 1990 sank in Chi­na die Zahl der Hun­gern­den von 406 auf 189 Mil­lio­nen Men­schen, wäh­rend sie in die­ser Peri­ode im Rest der Welt − trotz Grü­ner Revo­lu­ti­on − von 536 auf 597 Mil­lio­nen stieg.15 Chi­na wur­de Selbst­ver­sor­ger und die Kör­ner- frucht­ern­te erreich­te 1998 sei­nen Spit­zen- wert von 392 Mil­lio­nen Ton­nen. Seit­dem sinkt die Men­ge geern­te­ter Kör­ner­früch­te kon­ti­nu­ier­lich, wobei der 18%-ige Ver­lust im Jahr 2003 (70 Mil­lio­nen Ton­nen weni­ger ver­gli­chen mit 1998) noch ziem­lich gut mit dem 16%-igen Ver­lust an Acker­flä­che über­ein­stimmt.16 Der Flä­chen­ver­lust ent­steht einer­seits durch die rasan­te Umwand­lung von land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che in Bau­land, Stra­ßen und Park­plät­ze, zum ande­ren durch die galop­pie­ren­de Deser­ti­fi­ka­ti­on. Chi­nas Wüs­ten wach­sen jähr­lich um 3.600 km2. Vor die­sem Hin­ter­grund wird nach­voll­zieh­bar, war­um die Volks­re­pu­blik Chi­na zu den füh­ren­den Län­dern beim Off­shore far­ming gehört. Noch ungüns­ti­ger als in Chi­na ist der Quo­ti­ent aus Bevöl­ke­rung zu Acker­flä­che in Süd­ko­rea: Pro Ein­woh­ner ste­hen 400 Hekt­ar zur Ver­fü­gung mit dem Ergeb­nis, dass etwa die Hälf­te aller Nah­rungs­mit­tel impor­tiert wer­den muss.

Im Prin­zip ist es nur logisch, die natio­na­len Bedürf­nis­se der ver­schie­de­nen Län­der mit ihren unter­schied­li­chen natür­li­chen Gege­ben­hei­ten und his­to­ri­schen Vor­aus­set­zun­gen durch Han­del und Aus­tausch aus­zu­glei­chen. Auch scheint es auf den ers­ten Blick ver­nünf­tig, mul­ti­na­tio­na­le Agrar­kon­zer­ne wie Car­gill, Archer Dani­el Mid­lands oder Nest­lé durch Direkt­ver­trä­ge aus­zu­schal­ten. Das Pro­blem besteht dar­in, dass auch das Off­shore far­ming den Geset­zen der »frei­en« Markt­wirt­schaft und dem Berei­che­rungs­drang der Betei­lig­ten unter­wor­fen ist. Folg­lich fin­det ein sol­cher Aus­tausch nicht auf der Basis gleich­be­rech­tig­ter Bezie­hun­gen im Inter­es­se eines gegen­sei­ti­gen Aus­gleichs statt, son­dern folgt der Logik des Pro­fits. Das erklärt, war­um sich bei den »Gast­ge­bern« des Off­shore far­ming eine auf­fäl­li­ge Häu­fung von armen Län­dern mit kor­rup­ten Regie­run­gen fin­det.

»Gast­ge­ber­län­der«: Situa­ti­on und Kon­flikt­po­ten­ti­al

Äthio­pi­en, Ango­la, Indo­ne­si­en, Kam­bo­dscha, Kame­run, Kenia, Kon­go (Braz­z­aville), Mada­gas­kar, Mali, Mocam­bi­que, Paki­stan, die Phil­ip­pi­nen, Sam­bia, der Sudan und Tan­sa­nia zäh­len zu den belieb­ten »Gast­ge­ber­län­dern« beim glo­ba­len Pacht- und Land­kauf-Rou­lette. Dies hat zum Teil kul­tu­rel­le Grün­de: Die Golf­staa­ten las­sen eine gewis­se Vor­lie­be für »Gast­ge­ber­län­der« mit mos­le­mi­scher Bevöl­ke­rung erken­nen. Doch außer Kon­go (Braz­z­aville) lie­gen alle hier genann­ten afri­ka­ni­schen Län­der sowie Kam­bo­dscha und Paki­stan im unters­ten Vier­tel des Human Deve­lo­p­ment Index der Ver­ein­ten Natio­nen. Und außer Mada­gas­kar befin­den sich alle auf­ge­führ­ten Län­der im unte­ren Drit­tel des Kor­rup­ti­ons­in­dex von Trans­pa­ren­cy Inter­na­tio­nal (je höher der Index­wert des­to gerin­ger die Kor­rup­ti­on). Dar­aus folgt, dass sich alle Län­der, was die Aus­hand­lung der oben dis­ku­tier­ten ver­meint­li­chen Vor­tei­le anbe­trifft, in einer ungüns­ti­gen Posi­ti­on befin­den.

Die ein­gangs zitier­te Zahl, der zufol­ge wäh­rend der letz­ten fünf Jah­re in fünf afri­ka­ni­schen Län­dern Land­nut­zungs­ver­trä­ge über 2,5 Mil­lio­nen Hekt­ar abge­schlos­sen wur­den, ist inzwi­schen längst über­holt. Laut einer Mel­dung vom 15. Sep­tem­ber 2009 gab der äthio­pi­sche Land­wirt­schafts­mi­nis­ter bekannt, dass allein in die­sem Land die Ver­ga­be von 2,7 Mil­lio­nen Hekt­ar Land geplant ist, von denen 1,7 Mil­lio­nen Hekt­ar bereits zur nächs­ten Ern­te­sai­son den Inves­to­ren zur Ver­fü­gung ste­hen sol­len.17 Die­se ste­hen inzwi­schen Schlan­ge. Der zitier­ten Mel­dung zufol­ge lie­gen in Äthio­pi­en 8.000 Land­nut­zungs- bzw. Land­kauf­an­trä­ge aus­län­di­scher Inves­to­ren vor, von denen bis­lang 2.000 bewil­ligt wur­den. Dies steht damit im Kon­trast, dass die Lebens­grund­la­ge von 85% der äthio­pi­schen Bevöl­ke­rung auf Land­wirt­schaft basiert. Außer­dem emp­fan­gen dort 5,2 Mil­lio­nen Men­schen Nah­rungs­mit­tel­hil­fe aus dem Aus­land. David Hil­lam, der stell­ver­tre­ten­de Direk­tor der FAO, wird zu die­ser Kon­stel­la­ti­on in der Times of India vom 26. Sep­tem­ber 2009 mit den Wor­ten zitiert: »Stel­len Sie sich vor, lee­re LKWs fah­ren in ein Land wie Äthio­pi­en zu einer Zeit hin­ein, in der durch Dür­re­pe­ri­oden oder bewaff­ne­te Kon­flik­te Nah­rungs­mit­tel­knapp­heit exis­tiert und fah­ren, bela­den mit Getrei­de, wie­der hin­aus, um eine Bevöl­ke­rung in Über­see zu ernäh­ren − kön­nen Sie sich die poli­ti­schen Kon­se­quen­zen aus­ma­len?«18

Auf­grund sozia­ler Unru­hen infol­ge des Ein­drin­gens von Chi­na nach Mocam­bi­que (es war nicht nur geplant, Land für die Pro­duk­ti­on von einer hal­ben Mil­li­on Ton­nen Reis unter Ver­trag zu neh­men, son­dern auch gleich 10.000 chi­ne­si­sche Land­ar­bei­ter mit­zu­brin­gen), wur­de ein 800-Mil­lio­nen-Dol­lar-Ver­trag gekün­digt und es ent­stand eine Kluft in der chi­ne­si­schen Her­an­ge­hens­wei­se an das Off­shore Far­ming. Wäh­rend die Chefs pri­va­ter chi­ne­si­scher Fir­men ver­such­ten, die poli­ti­sche Füh­rung zu wei­te­ren Deals zu drän­gen, äußer­ten sich Xue Guo­li und Qian Keming, zwei hoch­ran­gi­ger Beam­te des chi­ne­si­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums, zu unter­schied­li­chen Zeit­punk­ten dahin­ge­hend, dass Chi­na künf­tig mehr Zurück­hal­tung bei der Land­nah­me wal­ten las­sen wolle.19

Einer der spek­ta­ku­lärs­ten Vor­gän­ge der jüngs­ten Zeit waren der 99-jäh­ri­ge Pacht­ver­trag des süd­ko­rea­ni­schen Dae­woo-Kon­zerns mit dem dama­li­gen Prä­si­den­ten Mada­gas­kars, Marc Rava­lo­man­a­na, was ent­spre­chen­de Fol­gen hat­te. Die bei­den Ver­trags­par­tei­en hat­ten sich Ende 2008 auf die Ver­pach­tung von über 1,3 Mil­lio­nen Hekt­ar geei­nigt, mehr als die Hälf­te des frucht­ba­ren Lan­des der Insel, deren Bevöl­ke­rung laut FAO-Sta­tis­tik zu 37 Pro­zent chro­nisch unter­ernährt ist (im Jahr 2008 erhiel­ten 600.000 Men­schen Nah­rungs­mit­tel­hil­fe aus dem Welt­ernäh­rungs­pro­gramm). In der Kon­se­quenz war der Dae­woo-Deal ein wich­ti­ger Mobi­li­sie­rungs­fak­tor bei den immer wie­der auf­flam­men­den und blu­tig unter­drück­ten Pro­tes­ten gegen den Prä­si­den­ten. Fast 200 Men­schen wur­den bei die­sen Unru­hen von den Sicher- heits­kräf­ten erschos­sen bis Rava­lo­man­a­na schließ­lich am 17. März 2009 von sei­nem Amt zurück­trat. Sein Gegen­spie­ler Andry Rajo­eli­na über­nahm mit Unter­stüt­zung der Armee und des Ver­fas­sungs­ge­richts das Prä­si­den­ten­amt und annul­lier­te den Ver­trag mit Dae­woo. Damit war einer der spek­ta­ku­lärs­ten Land­raub­ver­su­che der Gegen­wart geschei­tert. Doch ob in der Poli­tik Mada­gas­kars tat­säch­lich Wan­del ein­setzt, bleibt abzu­war­ten. Nach Pres­se­mel­dun­gen ging Dae­woo Anfang Juli bank­rott. Ande­re jedoch, zum Bei­spiel die indi­sche Fir­ma Varun Inter­na­tio­nal, klop­fen bereits an die Tür. Varun Inter­na­tio­nal gab bekannt, dass sie über den Anbau von Reis, Mais und Wei­zen auf 170.914 Hekt­ar ver­han­deln und auf einen bal­di­gen Abschluss hoffen.18 Län­der mit aus­ge­wach­se­nen Bür­ger­krie­gen (Sudan) oder bür­ger­kriegs­ar­ti­gen Zustän­den (Paki­stan) schei­nen zu den Favo­ri­ten bei der neu­en Land­nah­me zu gehö­ren. Der deso­la­te Zustand die­ser Län­der scheint den Abschlüs­sen eher för­der­lich als hin­der­lich zu sein. Man könn­te mei­nen, dass die Inves­to­ren davon aus­ge­hen, dass ihre Geschäf­te frü­her oder spä­ter ohne­hin zu sozia­len Unru­hen füh­ren wer­den, was in Län­dern mit einer unüber­sicht­li­chen Lage wie Sudan oder Paki­stan dann nicht wei­ter auf­fal­len wür­de. So hat das Sayegh-Kon­sor­ti­um aus den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten im Sudan kürz­lich 15.000 km2 Land erwor­ben, auf dem es »für inter­na­tio­na­le Märk­te« pro­du­zie­ren wol­le.20 Wei­te­re 1.500 km2 sind durch ande­re Ver­trä­ge gebun­den und hin­zu kom­men min­des­tens drei Abkom­men, bei denen der Umfang der ver­hö­ker­ten Flä­che nicht bekannt ist.4 In Paki­stan hat das »Board of Invest­ment«, eine von der Regie­rung mit der Akqui­se von Aus­lands­in­ves­ti­tio­nen beauf­trag­te Insti­tu­ti­on, allein in der Pro­vinz Pun­jab 2,7 Mil­lio­nen Hekt­ar aus­ge­wie­sen, die für die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft geeig­net sei­en. Und Waqar Ahmad Khan, der umtrie­bi­ge Minis­ter für Inves­ti­tio­nen, hat­te sich kürz­lich zu einer »Road Show« nach Dubai bege­ben, um das Inter­es­se aus­län­di­scher Inves­to­ren für paki­sta­ni­sche Län­de­rei­en wei­ter anzu­sta­cheln. Das Ver­kaufs­ziel für die Macht­ha­ber in Paki­stan liegt bei über 2,8 Mil­lio­nen Hekt­ar.21 Gerüch­te, dass die künf­ti­gen Äcker der Sau­dis von Mili­tär bewacht wer­den sol­len, hal­ten sich hart­nä­ckig.18

Getreidefeld

Anmer­kun­gen

  1. GRAIN Brie­fing: Sei­zed ! The 2008 land grab for food and finan­cial secu­ri­ty. Octo­ber 2008. http://www.grain.org/briefings_files/landgrab-2008-en.pdf
  2. Braun, J.v. & Mein­zen-Dick, J.: Land grab­bing by for­eign inves­tors in deve­lo­ping count­ries: risks and oppor­tu­ni­ties. IFPRI Poli­cy Brief 13, April 2009. http://www.ifpri.org/sites/default/files/publications/bp013all.pdf
  3. Wood­row Wil­son Inter­na­tio­nal Cen­ter for Scho­lars: Land grab: the race for the world’s farm­land. Kon­fe­renz am 5. Mai 2009. http://www.wilsoncenter.org/index.cfm?topic_id=1462&fuseaction=topics.event_summary&event_ id=517903
  4. FAO, IIED and IFAD: Land grab or deve­lop- ment oppor­tu­ni­ty? Agri­cul­tu­ral invest­ment and inter­na­tio­nal land deals in Afri­ca. 2009. http://www.ifad.org/pub/land/land_grab.pdf
  5. Hoe­ring, U.: Agrar-Kolo­nia­lis­mus in Afri­ka. VSA-Ver­lag, Ham­burg, 2007.
  6. Peder­sen, K.: Indi­ge­ner Pro­test gegen deut- sche Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit. Poo­nal Nr. 713 vom 11. April 2006 (http://www.npla.de/poonal/p713.html#start)
  7. Godoy, J.: AFRIKA: Raub oder Chan­ce − Kon­tro­ver­se um Agrar­land­ver­trä­ge mit rei­chen Inves­to­ren. Inter Press Ser­vice (www.ipseuropa.org), Mel­dung vom 13.07.2009
  8. Spiel­doch, A.: The social cos­ts of over­se­as land acqui­si­ti­on. Impli­ca­ti­ons for food secu­ri­ty and pover­ty alle­via­ti­on. Prä­sen­ta­ti­on am 5. Mai 2009 – sie­he (3).
  9. FAO: The sta­te of food inse­cu­ri­ty in the world. Rom, 2008. http://www.fao.org/docrep/011/i0291e/i0291e00.htm
  10. Hoe­ring, U.: Leit­li­ni­en für Land­raub. http://www.globe-spotting.de/comments.html
  11. Nach Aus­sa­ge von F. Ira­wan von der indo­ne­si­schen Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on »Walhi« auf einer Ver­an­stal­tung am 04.03.2008 in Lin­dau
  12. IAASTD Glo­bal Report, S. 518. http://www.agassessment.org/reports/IAASTD/EN/ Agriculture%20at%20a%20Crossroads_Global%20Report%20%28English%29.pdf
  13. Peder­sen, K.: Natur­schutz und Pro­fit. Unrast- Ver­lag, Müns­ter, 2008.
  14. Addis For­tu­ne vom 14.09.2009, vgl. http://farmlandgrab.org/7554
  15. Ros­set, P., Coll­ins, J. und Lap­pé, F.M.: Les­sons from the Green Revo­lu­ti­on. 08.04.2000. http://www.foodfirst.org/en/media/opeds/2000/4-greenrev.html
  16. Brown, L.R.: Rever­sing China’s Har­ve­st Decli­ne. In: Brown, L.R.: Out­gro­wing the earth: The food secu­ri­ty chall­enge in an age of fal­ling water tables and rising tem­pe­ra­tures. W.W. Nor­ton & Co., New York, 2005, S. 133-155. http://www.earthpolicy.org/images/uploads/ book_files/outch08.pdf
  17. vgl. http://farmlandgrab.org/7574
  18. vgl. http://farmlandgrab.org/7906
  19. vgl. Reu­ters: Chi­na says not pushing to expand far­ming over­se­as; Reu­ters-Mel­dung vom 4.3.2009 und http://farmlandgrab.org/2618
  20. vgl. http://farmlandgrab.org/7915
  21. vgl. http://farmlandgrab.org/7458

Quel­le

Aus­druck − IMI-Maga­zin − Okto­ber 2009
Klaus Peder­sen

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