Landbesitz: Eine Frage der Sicherheit!
Land ist die Grundlage der Ernährung und die Basis für Reichtum und Macht. Die Verfügungsgewalt über Land bietet Sicherheit. Veränderungen beim Landeigentum sind gleichermaßen Ausgangspunkt und Resultat von Konflikten.
Zu Recht schlugen Organisationen wie GRAIN im Oktober 2008 Alarm1, weil Staaten und Investmentgesellschaften in einen Kaufrausch verfallen sind, bei dem riesige Ländereien, vor allem in Afrika, durch Pacht oder Eigentumsüberschreibung ihren Besitzer gewechselt hatten oder noch wechseln sollten. Das Phänomen ist vielschichtig, und die Ereignisse in den letzten zwei Jahren repräsentieren nur die Spitze eines Eisbergs, der seit rund zwei Jahrzehnten durch die neoliberalen Gewässer driftet. Doch das »Kaufrausch«-Phänomen bewegte die Gemüter so heftig, dass nicht nur kritische NGOs, sondern auch Thinktanks und mächtige Institutionen in kurzer Abfolge dazu Analysen veröffentlichten2, Konferenzen veranstalteten3 und Studien in Auftrag gaben.4
Die Vorgeschichte
Regional unterschiedlich, findet seit über 10 Jahren ein globales Roll-back der (teilweise rudimentären) postkolonialen Landreformen statt. Staatliche Landreformprogramme wurden nach Entzug der Finanzmittel durch die Weltbank im Jahr 1983 zum Auslaufmodell. U. Hoering gab in seinem Buch »Agrar-Kolonialismus in Afrika« einen kompakten Überblick zu dessen grundlegenden Prozessen. Er datierte den Beginn der »neuen« Umverteilung auf den Anfang der 90er Jahre, als die Weltbank in Brasilien, Kolumbien und Südafrika ihr Konzept einer »marktgestützten« Landreform erprobte, die auf Strukturanpassungsmaßnahmen zugeschnitten war5. (S.87)
Der erste wichtige Schritt in diesem Prozess war und ist die »Klärung« der Besitzverhältnisse nach westlichem Vorbild. Traditionell gehört Land in Afrika, basierend auf Gewohnheitsrecht, den dörflichen Gemeinschaften. Das sollte kein Grund zur Romantik sein, denn hinter dieser scheinbaren dörflichen Idylle verbergen sich nicht selten quasi-feudale Strukturen und in aller Regel streng patriarchale Verhältnisse. Dieser nicht erstrebenswerte Zustand könnte nach Hoering aber »in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung … als Ausgangspunkt für Verbesserungen genutzt werden«5. (S.93) Stattdessen jedoch rollt die Privatisierungswelle: Durch »Entwicklungshilfe« werden nationale Regierungen dazu gebracht, rechtliche Rahmenbedin- gungen und somit Investitionssicherheit zu schaffen − eine Grundvoraussetzung für die Integration ländlicher Gebiete in den Weltmarkt. Dabei ist die Ausgangssituation regional sehr heterogen: Während Ende der 90er Jahre zum Beispiel in West- und Zentralafrika Landbesitz vermutlich zu mehr als 90% durch traditionelle, nicht schriftlich fixierte Rechte geregelt war, gab es in Kenia bereits für ein Drittel des Landes juristische Titel5.(S. 83) In anderen Ländern wurde nach dem Ende der Kolonialzeit der Boden vielfach zu Staatseigentum erklärt und (weiterhin) traditionell genutzt. In Angola, Äthiopien, und Mocambique, die in den 1970er/80er Jahren die Unterstützung des sozialistischen Lagers genossen, wurde privater Großgrundbesitz enteignet und danach kollektiv bzw. staatlich bewirtschaftet.
Mit Implementierung der Strukturanpassungsprogramme begann für viele Länder des Südens die oben erwähnte »Klärung« der Besitzverhältnisse nach westlichen Vorgaben. Trotz gegenteiliger Beteuerungen seitens der mächtigen Institutionen (Weltbank, G8-Regierungen etc.) und ausführender Organe wie der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) kam es durch die Bodenkataster-Projekte eben nicht zu einem besseren Schutz der Kleinbauern, sondern zu ihrer neuerlichen Vertreibung, verbunden mit einer teils verdeckten, teils unverhohlenen Privatisierung von öffentlichem Land.5 (S.84) So rief das Katasterprojekt der GTZ in der Region des Biosphärenreservats Rio Plátano, Honduras, im Jahr 2006 Proteste von indigenen und Bauernorganisationen hervor6, und die Abschaffung der verfassungsmäßigen Garantien der Unverkäuflichkeit von Gemeindeland (Ejido-Land) war nicht zuletzt ein wichtiger Auslöser für den zapatistischen Aufstand zu Beginn des Jahres 1994 in Chiapas, Mexiko.
Neokoloniale Landnahme gab es bereits vor dem Ausbruch des oben genannten großen Kaufrauschs. So erwarb beispiels- weise im Jahr 2001 die Hamburger Kaffeefirma Neumann 2.000 Hektar in Uganda, um dort die größte Kaffeeplantage des Landes anzulegen, was die Zwangsumsiedlung von 2.000 Menschen zur Folge hatte, vgl.5, S. 84. Als weiteres Beispiel seien die in US-amerikanischer Hand befindlichen Dominion Farms erwähnt, die im Jahr 2004 mit der kenianischen Regierung einen 25- jährigen Pachtvertrag für eine Fläche von 2.300 Hektar in der Nähe des Viktoriasees abschlossen. Der lokalen Bevölkerung wurde versprochen, dass sich das Unternehmen auf diese Fläche beschränken würde. Inzwischen nutzen die Dominion Farms 14.000 Hektar und überfluteten zur eigenen Stromgewinnung (Kleinstaudamm) große Flächen Gemeindeland.7
Die neue Dynamik
Der längerfristige Prozess der Kommodifizierung der Welternährung mit der vorgeschalteten privaten Aneignung des Produktionsmittels Boden wird seit kurzem durch mehrere einschneidende Ereignisse beschleunigt. Dazu zählen (a) der von der 2008er Preisexplosion im Nahrungsmittelbereich betriebene Strategiewechsel finanzstarker importabhängiger Länder, durch Kauf oder Pacht von Flächen im Ausland weniger abhängig von Lebensmittelimporten zu werden, (b) die von der Finanzkrise verursachte Suche der Investmentbanker nach sicheren Anlagen − Grund und Boden statt Hedgefonds und Derivate lautet die Devise, (c) das Streben reicher Länder, durch den Anbau von Agrotreibstoffen die energetische Basis zu diversifizieren, (d) die langfristige Absicherung gegen zu erwartende Ernteausfälle infolge des Klimawandels und der globalen Bodenmüdigkeit. Die Inbesitznahme von Grund und Boden und den sich daran anschließenden Transfer landwirtschaftlicher Produkte gibt es bereits seit der Kolonialzeit. Doch während in der Vergangenheit die »Kolonialwaren«, d.h. Tee, Kaffee, Kakao bis hin zu Schnittblumen und in jüngerer Zeit Soja für die Tierernährung im Vordergrund standen, geht es jetzt um die massenweise Ausfuhr von Grundnahrungsmitteln − Reis, Getreide, Mais − sowie Agrotreibstoffen.
Allein Äthiopien, Ghana, Madagaskar, Mali und Sudan schlossen mit Investoren aus dem Norden in den letzten 5 Jahren Landnutzungsverträge über 2,5 Millionen Hektar ab.4 Der tatsächliche Umfang dieser Landnahme ist infolge eines Dickichts aus unterschriebenen bzw. umgesetzten Kauf- und Pachtverträgen, noch offenen Absichtserklärungen, intransparenten Transaktionen sowie rückgängig gemachten und teilweise in anderer Form reaktivierten Abkommen kaum überschaubar. Die Summe der von GRAIN1 aufgelisteten Transaktionen für die Zeit von Januar bis Oktober 2008 (angekündigte und vollzogene) beläuft sich auf 22 Millionen Hektar. Nach Schätzungen des International Food Policy Research Institute (IFPRI) dürfte die Fläche der seit 2006 rechtskräftig gewordenen Kauf- und Pachtverträge die 20-Millionen-Hektar-Marke erreichen8, was mehr als der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der BRD entspricht.
Besonders problematisch ist die Abtretung von Flächen in Ländern, die auf der »Hungerliste« der Welternährungsorganisation (FAO) stehen: In Angola, Äthiopien, Kambodscha, Kamerun, Kenia, der Demokratischen Republik Kongo, Malawi, Pakistan, Sudan und Tansania ist jeweils mehr als ein Fünftel der Bevölkerung unterernährt9 und alle stehen auf der Empfängerliste des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Die Befürworter solcher Geschäfte argumentieren, dass dies eine Chance böte, die »Entwicklung« in den »Gastgeberländern« (Host countries ist der gern verwendete Begriff im anglo-amerikanischen Sprachraum) anzukurbeln. Die Argumente der Protagonisten solcher Deals reichen von der produktiven Nutzung angeblich ungenutzter Flächen, über Technologie-Transfer und »Miternährung« der Bevölkerung des »Gastgeberlandes« bis hin zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Dass diese Form der »Entwicklungszusammenarbeit« mit Risiken verbunden ist, d.h. mit erheblich mehr Risiken als der üblichen Entwicklungs»hilfe« ohnehin anhaften, wird von den mächtigen Institutionen (FAO, Weltbank) ebenso anerkannt wie von den Thinktanks (IFPRI etc.). Doch das Eingeständnis wird sogleich mit dem Ruf nach Richtlinien abgeschwächt, die eventuellen Missbräuchen entgegenwirken sollen. Da die Lawine der neoliberalen Landnahme aber bereits rollt, könne nur eine schnelle Lösung Abhilfe schaffen. Freiwillige Richtlinien und Verhaltensappelle sind die einzigen, aber unwirksamen Instrumente, die überhaupt eine Chance hätten, so zügig verabschiedet zu werden, dass dann wenigstens ein Teil der Beute noch nicht verteilt ist. Eingedenk jahrzehntelanger, negativer Erfahrungen selbst mit verbindlichen internationalen Reglungen, die trotzdem an Korruption, fehlendem politischem Willen oder mangelnden Ressourcen für ihre Durchsetzung gescheitert sind, dürften solche freiwilligen Richtlinien weniger Wert haben als ein Wahlversprechen. Konsequenterweise bezeichnet Hoering die geplanten Regeln als »Leitlinien für Landraub« und bringt seine Verwunderung zum Ausdruck, dass selbst Nichtregierungsorganisationen wie FIAN »… glaub(en), solche unverbindlichen und auslegungsfähig for- mulierten Richtlinien könnten ein Instrument für soziale Bewegungen, betroffene Bevölkerungsgruppen und die Zivilgesellschaft werden, um den Anspruch auf Land und natürliche Ressourcen zu demokratisieren«.10
Die vermeintlichen Vorteile
Ein prüfender Blick auf die vermeintlichen Vorteile von Verkauf und Verpachtung der riesigen Ländereien lässt erhebliche Zweifel an deren Tragfähigkeit aufkommen.
Argument Nr. 1: Es werden bislang ungenutzte Flächen produktiv gemacht − mit anderen Worten, die Landnahme hat a priori keinen negativen Einfluss auf die örtliche Bevölkerung. Das Argument ist natürlich vollkommen zutreffend, wenn man nur das als wirtschaftliche Aktivität gelten lässt, was in die globalen Waren- ströme und makroökonomischen Kennziffern der Weltbank einfließt. Es ignoriert die Tatsache, dass bei einem großen Teil der Weltbevölkerung der Lebensunterhalt auf ganz andere Weise erfolgt und nicht auf dem Verkauf der Arbeitskraft basiert, sondern auf Weiderechten, Zugangsrechten zu Wasser, der Verfügbarkeit von Heilpflanzen, dem lokalen Austausch von Gütern usw. Dieses Argument negiert die Perspektive, dass dieses oftmals harsche und in seinem jetzigen Zustand häufig nicht erstrebenswerte Leben zum Ausgangspunkt für Verbesserungen gemacht werden könnte, statt es auszulöschen. Verbunden mit dem Auslöschen der kulturellen und wirtschaftlichen Basis dieses nicht in die Logik des Weltmarkts passenden Lebens ist das Versprechen eines neuen »modernen« Lebens, das sich dann für eine verschwindende Minderheit − die neue Mittelschicht des Südens − materialisiert und parallel dazu die große Mehrheit in die Slums der Metropolen des Südens, brutale Lohnsklaverei oder an die Mauern der »Festung Europa« treibt.
Argument Nr. 2: Die Nutzung der verkauften und verpachteten Flächen durch die neuen ausländischen Eigentümer wird zu einem Technologie-Transfer in die Landwirtschaft des »Gastgeberlandes« und somit zur Steigerung von dessen Produktivität führen. Zunächst scheiden sich hier die Geister an einem grundlegenden Punkt: Ist eine vom Agro-Business kontrollierte Landwirtschaft mit energieintensiven externen Inputs, gentechnisch veränderten Sorten und Monopolen an »geistigen Eigentums- rechten« das Modell der Zukunft oder ist es ein Freifahrtschein in die ökologische und soziale Katastrophe für die Mehrheit der Weltbevölkerung? Abgesehen von dieser grundsätzlichen Frage (vgl. auch Abschnitt »Risiken und Nebenwirkungen«), ist es schwer nachvollziehbar, warum profitorientierte ausländische Investoren eine größere Veranlassung zum Technologie-Transfer an lokale KleinbäuerInnen haben sollten als beispielsweise guatemaltekische Latifundienbesitzer gegenüber den Maya-Campesinos ihres Landes − und da ist er gleich Null.
Argument Nr. 3: Zunächst ist festzuhalten, dass es faktisch unmöglich ist, die Option der »Miternährung« der Bevölkerung des »Gastgeberlandes« durch die verpachteten hochproduktiven Flächen fundiert zu beurteilen. Bei der nahezu völligen Intransparenz der Vertragsinhalte besteht keinerlei Möglichkeit, die Verbindlichkeit entsprechender medienwirksamer Verlautbarungen zu überprüfen. Sofern es überhaupt zu solchen Verlautbarungen kommt, muss deren Wahrheitsgehalt zunächst dem von Werbeslogans gleich gesetzt werden. Hinzu kommt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der verhökerten Flächen zur Produktion von Agrotreibstoffen genutzt wird − in diesem Fall wird das Argument der »Miternährung« zur zynischen Floskel. Die explizite Strategie des Outsourcing der landwirtschaftlichen Produktion in Drittländer besteht darin, Preisfluktuationen auf dem Weltmarkt abzupuffern. Es ist also nur logisch zu erwarten, dass in Zeiten hoher Weltmarktpreise, wenn die »Miternährung« der Bevölkerung des »Gastgeberlan- des« besonders dringlich wäre, die Ernte zu hundert Prozent ins »Mutterland« transferiert wird. Falls dem vertragliche Klauseln entgegen stehen, ist leider die Vermutung nicht abwegig, dass die in vielen »Gastgeberländern« verbreitete Korruption genügen dürfte, um die betreffenden Klauseln zu umgehen. Umgekehrt ist in Perioden niedriger Weltmarktpreise das Dumping eines Teils der Ernte im Herkunftsland zu befürchten − die notorischen EU-Agrarexporte nach Afrika haben da Maßstäbe gesetzt.
Argument Nr. 4: Dass in einer hochtechnisierten Landwirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden, darf getrost bezweifelt werden, denn das wäre entgegen sämtlichen historischen Erfahrungen. Es sei aber auf Argument Nr. 1 verwiesen − wenn man bei der Zählung von Arbeitsplätzen nur jenen Menschen den Besitz eines solchen zubilligt, die ihre Arbeitskraft verkaufen. Den »Eintausch« von fünf subsistenzwirtschaftlichen Existenzgrundlagen gegen einen (schlecht bezahlten) Lohnarbeitsplatz (so etwa die Proportion bei der Etablierung von Palmölplantagen in Indonesien) kann man wohl nicht wirklich als Schaffung von Arbeitsplätzen bezeichnen.11
Risiken und Nebenwirkungen
Die zu erwartenden Nachteile werden im Diskurs der Befürworter der neuen Landnahme völlig ausgeblendet. Das betrifft sowohl jene Protagonisten, die mit der Lobpreisung der vermeintlichen Vorteile dieser Schachergeschäfte gern der neoliberalen »Trickle-down«-Theorie neues Leben einhauchen würden, als auch jene, die von einer sozial verträglichen Landnahme auf der Basis unverbindlicher Richtlinien und zahnloser Appelle fantasieren. Wer Verkauf und Verpachtung großer Landflächen in Drittländern akzeptiert oder gar befürwortet, spricht sich automatisch für eine industrielle Landwirtschaft aus und schlägt damit die Erkenntnisse, Befürchtungen und Vorschläge des Weltagrarrats (IAASTD) in den Wind − eines Gremiums von über 400 Wissenschaftlern, dessen abschließender 606-seitiger Bericht in diesem Jahr erschienen ist. In diesem Bericht wird eine klare und dringende Empfehlung zur wissenschaftlichen und ökonomischen Förderung kleinbäuerlicher Betriebe ausgesprochen. Obwohl der IAASTD-Bericht von 57 Regierungen gebilligt wurde, stehen die Chancen eher schlecht, dass dieser Ansatz in nächster Zeit zum dominierenden Modell einer zukunftsträchtigen, wahrhaft nachhaltigen Landwirtschaft zur Sicherung der Welternährung werden wird.
Viel mehr streben mächtige Akteure, die das Scheitern der »Grünen Revolution« des 20. Jahrhunderts nach wie vor bestreiten, heute nach einer »Neuen Grünen Revolution« für Afrika. Die »alte« Grüne Revolution hat maßgeblich zur Ermüdung der Ackerböden beigetragen (zwei Drittel der globalen Ackerfläche ist von Bodenmüdigkeit und folglich von stagnierenden oder sinkenden Erträgen betroffen).8 Ferner sind ihre Produktionsverfahren besonders bewässerungsintensiv, was dazu führte, dass heute 70% der Süßwasserressourcen für landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden. Dem stehen etwa 1,8 Milliarden Menschen gegenüber, die bis zum Jahr 2025 von absoluter Wasserknappheit betroffen sein werden.8 Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Wassermangels auf die Lebensbedingungen der betroffenen Menschen sind daraus resultierende Konflikte und gewaltsame Auseinandersetzungen vorhersehbar.
Aus der sich abzeichnenden Offensive der industriellen Landwirtschaft in den »Gastgeberländern« ergibt sich nicht nur eine Präkarisierung der Lebensgrundlage der ländlichen Bevölkerung dieser Länder, sondern es erwächst auch eine akute Bedrohung der biologischen Vielfalt. In der Vergangenheit wurden weltweit Millionen von Menschen im Namen des Naturschutzes vertrieben oder zwangsumgesiedelt.13 Durch die neue Landnahme kommt es zu einer erneuten massenweisen Entwurzelung von Teilen der Bevölkerung und darüber hinaus infolge von Chemisierung und großflächigen Monokulturen zu einer massiven Umweltzerstörung. Insbesondere für Äthiopien, eines der gefragtesten Länder für die Befriedigung der Kauf- und Pachtwünsche, wird eingeschätzt, dass die reiche, aber schon jetzt fragile Biodiversität von den »Entwicklungs«plänen stark betroffen sein wird.
Triebkräfte der Landnahme
Bereits in der vor einem Jahr publizierten Analyse von GRAIN1 wurden zwei wesentliche Interessengruppen unterschieden, die sich als Akteure der neuen Landnahme hervortun: (a) finanzkräftige Länder mit unzu- reichender landwirtschaftlicher Nutzfläche im Verhältnis zur Größe ihrer Bevölkerung und (b) Investmentfirmen, die − wie bereits oben erwähnt − nach sicher erscheinenden Anlagen bzw. einer Diversifizierung ihres Portfolios trachten. Oft ist es allerdings so, dass die Regierungen der Länder mit einer prekären Eigenversorgung ihre Privatunternehmen zur Landnahme ermutigen und sie dabei unterstützen.
Vor allem China, Indien, Japan, Libyen, Südkorea und die Golfstaaten (Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) gehören nach Einschätzung von GRAIN zu den Ländern, denen keine ausreichende eigene Ernährungsbasis zur Verfügung steht und die deshalb am Offshore farming interessiert sind. Hinzu kommen europäische Investmentfirmen, die vor allem am Geschäft mit Agrotreibstoffen interessiert sind. Die Preisexplosion für Nahrungsmittel von 2007/2008 löste eine diplomatische Offensive aus, bei der sich hochrangige Politiker bemühen, mittels bilateraler Verträge den Zugang zum Ackerboden in anderen Ländern zu sichern.
Als Teil der Regierungsdelegationen oder nach erfolgter politischer Vorarbeitkommen dann Vertreter von Banken und Konsortien oder Einzelpersonen, wie Scheich Mohammed Hussein Ali Al Amoudi, zweitreichster Einwohner Saudi-Arabiens, der für die Übernahme von 200.000 Hektar in der äthiopischen Provinz Gambella die Firma Saudi Star Agricultural Development Plc gründete und dafür umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro ausgeben will (10.000 Hektar hat er bislang unter Dach und Fach). Mit einer anderen, vor einem Jahr gegründeten Firma, Horizon Ethiopia, trachtet er nach weiteren 250.000 Hektar. In den Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar liegt der Migranten-Anteil bei 73% bzw. 75% der Gesamtbevölkerung. In den anderen Golfstaaten liegt der Prozentsatz ebenfalls hoch, wenngleich nicht bei drei Vierteln der Bevölkerung. Die Golfstaaten streben nach der Sicherung niedriger Lebensmittelpreise für diesen hohen Anteil billiger Arbeitskräfte und betrachten das Offshore farming als Mittel zum Erhalt des sozialen Friedens im eigenen Land.
Die Volksrepublik China beherbergt 20 Prozent der Weltbevölkerung auf neun Prozent der globalen Landfläche. China ist eines der Länder mit der geringsten Ackerfläche pro Kopf der Bevölkerung: Statistisch gesehen stehen für jeden der 1,33 Milliarden Einwohner 1.100 m2 Ackerfläche zur Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. Zugleich ist es das Land, in dem die durchaus dramatischen, aber eben nicht nachhaltigen Ertragssteigerungen der Grünen Revolution tatsächlich der Bevölkerung zugute kamen: In der Zeit von 1970 bis 1990 sank in China die Zahl der Hungernden von 406 auf 189 Millionen Menschen, während sie in dieser Periode im Rest der Welt − trotz Grüner Revolution − von 536 auf 597 Millionen stieg.15 China wurde Selbstversorger und die Körner- fruchternte erreichte 1998 seinen Spitzen- wert von 392 Millionen Tonnen. Seitdem sinkt die Menge geernteter Körnerfrüchte kontinuierlich, wobei der 18%-ige Verlust im Jahr 2003 (70 Millionen Tonnen weniger verglichen mit 1998) noch ziemlich gut mit dem 16%-igen Verlust an Ackerfläche übereinstimmt.16 Der Flächenverlust entsteht einerseits durch die rasante Umwandlung von landwirtschaftlicher Nutzfläche in Bauland, Straßen und Parkplätze, zum anderen durch die galoppierende Desertifikation. Chinas Wüsten wachsen jährlich um 3.600 km2. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum die Volksrepublik China zu den führenden Ländern beim Offshore farming gehört. Noch ungünstiger als in China ist der Quotient aus Bevölkerung zu Ackerfläche in Südkorea: Pro Einwohner stehen 400 Hektar zur Verfügung mit dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte aller Nahrungsmittel importiert werden muss.
Im Prinzip ist es nur logisch, die nationalen Bedürfnisse der verschiedenen Länder mit ihren unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten und historischen Voraussetzungen durch Handel und Austausch auszugleichen. Auch scheint es auf den ersten Blick vernünftig, multinationale Agrarkonzerne wie Cargill, Archer Daniel Midlands oder Nestlé durch Direktverträge auszuschalten. Das Problem besteht darin, dass auch das Offshore farming den Gesetzen der »freien« Marktwirtschaft und dem Bereicherungsdrang der Beteiligten unterworfen ist. Folglich findet ein solcher Austausch nicht auf der Basis gleichberechtigter Beziehungen im Interesse eines gegenseitigen Ausgleichs statt, sondern folgt der Logik des Profits. Das erklärt, warum sich bei den »Gastgebern« des Offshore farming eine auffällige Häufung von armen Ländern mit korrupten Regierungen findet.
»Gastgeberländer«: Situation und Konfliktpotential
Äthiopien, Angola, Indonesien, Kambodscha, Kamerun, Kenia, Kongo (Brazzaville), Madagaskar, Mali, Mocambique, Pakistan, die Philippinen, Sambia, der Sudan und Tansania zählen zu den beliebten »Gastgeberländern« beim globalen Pacht- und Landkauf-Roulette. Dies hat zum Teil kulturelle Gründe: Die Golfstaaten lassen eine gewisse Vorliebe für »Gastgeberländer« mit moslemischer Bevölkerung erkennen. Doch außer Kongo (Brazzaville) liegen alle hier genannten afrikanischen Länder sowie Kambodscha und Pakistan im untersten Viertel des Human Development Index der Vereinten Nationen. Und außer Madagaskar befinden sich alle aufgeführten Länder im unteren Drittel des Korruptionsindex von Transparency International (je höher der Indexwert desto geringer die Korruption). Daraus folgt, dass sich alle Länder, was die Aushandlung der oben diskutierten vermeintlichen Vorteile anbetrifft, in einer ungünstigen Position befinden.
Die eingangs zitierte Zahl, der zufolge während der letzten fünf Jahre in fünf afrikanischen Ländern Landnutzungsverträge über 2,5 Millionen Hektar abgeschlossen wurden, ist inzwischen längst überholt. Laut einer Meldung vom 15. September 2009 gab der äthiopische Landwirtschaftsminister bekannt, dass allein in diesem Land die Vergabe von 2,7 Millionen Hektar Land geplant ist, von denen 1,7 Millionen Hektar bereits zur nächsten Erntesaison den Investoren zur Verfügung stehen sollen.17 Diese stehen inzwischen Schlange. Der zitierten Meldung zufolge liegen in Äthiopien 8.000 Landnutzungs- bzw. Landkaufanträge ausländischer Investoren vor, von denen bislang 2.000 bewilligt wurden. Dies steht damit im Kontrast, dass die Lebensgrundlage von 85% der äthiopischen Bevölkerung auf Landwirtschaft basiert. Außerdem empfangen dort 5,2 Millionen Menschen Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland. David Hillam, der stellvertretende Direktor der FAO, wird zu dieser Konstellation in der Times of India vom 26. September 2009 mit den Worten zitiert: »Stellen Sie sich vor, leere LKWs fahren in ein Land wie Äthiopien zu einer Zeit hinein, in der durch Dürreperioden oder bewaffnete Konflikte Nahrungsmittelknappheit existiert und fahren, beladen mit Getreide, wieder hinaus, um eine Bevölkerung in Übersee zu ernähren − können Sie sich die politischen Konsequenzen ausmalen?«18
Aufgrund sozialer Unruhen infolge des Eindringens von China nach Mocambique (es war nicht nur geplant, Land für die Produktion von einer halben Million Tonnen Reis unter Vertrag zu nehmen, sondern auch gleich 10.000 chinesische Landarbeiter mitzubringen), wurde ein 800-Millionen-Dollar-Vertrag gekündigt und es entstand eine Kluft in der chinesischen Herangehensweise an das Offshore Farming. Während die Chefs privater chinesischer Firmen versuchten, die politische Führung zu weiteren Deals zu drängen, äußerten sich Xue Guoli und Qian Keming, zwei hochrangiger Beamte des chinesischen Landwirtschaftsministeriums, zu unterschiedlichen Zeitpunkten dahingehend, dass China künftig mehr Zurückhaltung bei der Landnahme walten lassen wolle.19
Einer der spektakulärsten Vorgänge der jüngsten Zeit waren der 99-jährige Pachtvertrag des südkoreanischen Daewoo-Konzerns mit dem damaligen Präsidenten Madagaskars, Marc Ravalomanana, was entsprechende Folgen hatte. Die beiden Vertragsparteien hatten sich Ende 2008 auf die Verpachtung von über 1,3 Millionen Hektar geeinigt, mehr als die Hälfte des fruchtbaren Landes der Insel, deren Bevölkerung laut FAO-Statistik zu 37 Prozent chronisch unterernährt ist (im Jahr 2008 erhielten 600.000 Menschen Nahrungsmittelhilfe aus dem Welternährungsprogramm). In der Konsequenz war der Daewoo-Deal ein wichtiger Mobilisierungsfaktor bei den immer wieder aufflammenden und blutig unterdrückten Protesten gegen den Präsidenten. Fast 200 Menschen wurden bei diesen Unruhen von den Sicher- heitskräften erschossen bis Ravalomanana schließlich am 17. März 2009 von seinem Amt zurücktrat. Sein Gegenspieler Andry Rajoelina übernahm mit Unterstützung der Armee und des Verfassungsgerichts das Präsidentenamt und annullierte den Vertrag mit Daewoo. Damit war einer der spektakulärsten Landraubversuche der Gegenwart gescheitert. Doch ob in der Politik Madagaskars tatsächlich Wandel einsetzt, bleibt abzuwarten. Nach Pressemeldungen ging Daewoo Anfang Juli bankrott. Andere jedoch, zum Beispiel die indische Firma Varun International, klopfen bereits an die Tür. Varun International gab bekannt, dass sie über den Anbau von Reis, Mais und Weizen auf 170.914 Hektar verhandeln und auf einen baldigen Abschluss hoffen.18 Länder mit ausgewachsenen Bürgerkriegen (Sudan) oder bürgerkriegsartigen Zuständen (Pakistan) scheinen zu den Favoriten bei der neuen Landnahme zu gehören. Der desolate Zustand dieser Länder scheint den Abschlüssen eher förderlich als hinderlich zu sein. Man könnte meinen, dass die Investoren davon ausgehen, dass ihre Geschäfte früher oder später ohnehin zu sozialen Unruhen führen werden, was in Ländern mit einer unübersichtlichen Lage wie Sudan oder Pakistan dann nicht weiter auffallen würde. So hat das Sayegh-Konsortium aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im Sudan kürzlich 15.000 km2 Land erworben, auf dem es »für internationale Märkte« produzieren wolle.20 Weitere 1.500 km2 sind durch andere Verträge gebunden und hinzu kommen mindestens drei Abkommen, bei denen der Umfang der verhökerten Fläche nicht bekannt ist.4 In Pakistan hat das »Board of Investment«, eine von der Regierung mit der Akquise von Auslandsinvestitionen beauftragte Institution, allein in der Provinz Punjab 2,7 Millionen Hektar ausgewiesen, die für die industrielle Landwirtschaft geeignet seien. Und Waqar Ahmad Khan, der umtriebige Minister für Investitionen, hatte sich kürzlich zu einer »Road Show« nach Dubai begeben, um das Interesse ausländischer Investoren für pakistanische Ländereien weiter anzustacheln. Das Verkaufsziel für die Machthaber in Pakistan liegt bei über 2,8 Millionen Hektar.21 Gerüchte, dass die künftigen Äcker der Saudis von Militär bewacht werden sollen, halten sich hartnäckig.18
Anmerkungen
- GRAIN Briefing: Seized ! The 2008 land grab for food and financial security. October 2008. http://www.grain.org/briefings_files/landgrab-2008-en.pdf
- Braun, J.v. & Meinzen-Dick, J.: Land grabbing by foreign investors in developing countries: risks and opportunities. IFPRI Policy Brief 13, April 2009. http://www.ifpri.org/sites/default/files/publications/bp013all.pdf
- Woodrow Wilson International Center for Scholars: Land grab: the race for the world’s farmland. Konferenz am 5. Mai 2009. http://www.wilsoncenter.org/index.cfm?topic_id=1462&fuseaction=topics.event_summary&event_ id=517903
- FAO, IIED and IFAD: Land grab or develop- ment opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa. 2009. http://www.ifad.org/pub/land/land_grab.pdf
- Hoering, U.: Agrar-Kolonialismus in Afrika. VSA-Verlag, Hamburg, 2007.
- Pedersen, K.: Indigener Protest gegen deut- sche Entwicklungszusammenarbeit. Poonal Nr. 713 vom 11. April 2006 (http://www.npla.de/poonal/p713.html#start)
- Godoy, J.: AFRIKA: Raub oder Chance − Kontroverse um Agrarlandverträge mit reichen Investoren. Inter Press Service (www.ipseuropa.org), Meldung vom 13.07.2009
- Spieldoch, A.: The social costs of overseas land acquisition. Implications for food security and poverty alleviation. Präsentation am 5. Mai 2009 – siehe (3).
- FAO: The state of food insecurity in the world. Rom, 2008. http://www.fao.org/docrep/011/i0291e/i0291e00.htm
- Hoering, U.: Leitlinien für Landraub. http://www.globe-spotting.de/comments.html
- Nach Aussage von F. Irawan von der indonesischen Umweltorganisation »Walhi« auf einer Veranstaltung am 04.03.2008 in Lindau
- IAASTD Global Report, S. 518. http://www.agassessment.org/reports/IAASTD/EN/ Agriculture%20at%20a%20Crossroads_Global%20Report%20%28English%29.pdf
- Pedersen, K.: Naturschutz und Profit. Unrast- Verlag, Münster, 2008.
- Addis Fortune vom 14.09.2009, vgl. http://farmlandgrab.org/7554
- Rosset, P., Collins, J. und Lappé, F.M.: Lessons from the Green Revolution. 08.04.2000. http://www.foodfirst.org/en/media/opeds/2000/4-greenrev.html
- Brown, L.R.: Reversing China’s Harvest Decline. In: Brown, L.R.: Outgrowing the earth: The food security challenge in an age of falling water tables and rising temperatures. W.W. Norton & Co., New York, 2005, S. 133-155. http://www.earthpolicy.org/images/uploads/ book_files/outch08.pdf
- vgl. http://farmlandgrab.org/7574
- vgl. http://farmlandgrab.org/7906
- vgl. Reuters: China says not pushing to expand farming overseas; Reuters-Meldung vom 4.3.2009 und http://farmlandgrab.org/2618
- vgl. http://farmlandgrab.org/7915
- vgl. http://farmlandgrab.org/7458
Quelle
Ausdruck − IMI-Magazin − Oktober 2009
Klaus Pedersen