Zukunft säen – Vielfalt ernten
Wir rufen zu einer europaweiten Kampagne auf: für gentechnikfreies Saatgut, für die Erhaltung des bäuerlichen Rechts, Samen aus eigener Ernte zu gewinnen, zu tauschen und zu vermarkten, für Transparenz im Saatgutbereich und für langfristige Ernährungssouveränität. Wir wehren uns gegen die Monopolisierung des Saatgutes durch transnationale Konzerne und eine weitere Verschärfung geistiger Eigentumsrechte auf Pflanzen.
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat die EU-Kommission 2008 begonnen, das EU-Saatgutverkehrsrecht zu überarbeiten. Die Änderungen sollen Ende 2010 in Kraft treten. Unter der Bezeichnung »Better Regulation« will sie beim Saatgutrecht Bürokratie abbauen und die Gesetze vereinheitlichen. Zwölf Richtlinien regeln bisher den Saatgutverkehr in der EU. Jedes Mitgliedsland setzt sie unterschiedlich um. Die EU übertrug die Evaluation der derzeitigen Gesetzgebung privaten Firmen unter Leitung des Consultingbüros »Arcadia«, das bereits mehrfach für die Gentechnik-Industrie tätig war.Nach Inkrafttreten der ersten Saatgutverkehrs- gesetze in den 1960er Jahren hat das internationale Business den Saatgutmarkt entdeckt. Inzwischen kontrollieren die zehn führenden Saatgutkonzerne − unter ihnen Bayer, Monsanto, Syngenta, Limagrain − 67% dieses weltweiten Marktes. Sie üben auf die Änderungsvorhaben der EU entscheidenden Einfluss aus.
Neue Bürokratie für alte Sorten
Bisher unterlag der Markt nicht eingetragener Sorten in den meisten Ländern keiner Kontrolle. Deshalb hat die EU-Kommission im Juni 2008 eine Richtlinie für die Erhaltung von Getreide und Kartoffeln vorgelegt, welche die Vermarktung von Landsorten, regional angepassten oder vom Aussterben bedrohten Sorten regeln soll. Dazu zählen auch die meisten Sorten aus biologischer Züchtung, sowie von Bauern und Bäuerinnen selbst gewonnenes Saatgut und Sortengemische. Eine entsprechende Richtlinie für Gemüse soll folgen.Organisationen, die sich für die Erhaltung und Entwicklung der Pflanzenvielfalt und für ökologische Landwirtschaft einsetzen, wurden in der Vorbereitung zwar angehört, aber von ihren Vorschlägen ist kaum etwas übrig geblieben. Die sogenannte „Erhaltungsrichtlinie“ verfehlt das selbstgesteckte Ziel, den Verlust biologischerVielfalt in der Landwirtschaft aufzuhalten und das Saatgutrecht zu vereinfachen. Zwar ermöglicht sie Züchtern und Züchterinnen endlich regionale Sorten und solche für die biologische Landwirtschaft einzutragen. Sie errichtet aber bürokratische Hürden für die Eintragung und droht die Verbreitung nicht registrierter Sorten zu unterbinden. Alle EU-Länder müssen diese Richtlinie in nationales Recht umsetzen.
Drei Anforderungen sind besonders absurd und mit enormem Kontroll-Aufwand verbunden:
- der Nachweis über die Bedeutung einerSorte für die Erhaltung der Pflanzenvielfalt;
- die starke regionale Bindung der Sorten an ihr Herkunftsgebiet;
- die quantitative Beschränkung ihres Anbaus prozentual zu den üblichen Handels- sorten.
Diese Anforderungen sollen verhindern, dass die Saatgutindustrie auch nur einen Teil des Marktes an alternatives Saatgut abgeben muss. Wir er- warten, dass nur wenige Sorten, für die sich der bürokratische Aufwand wirtschaftlich lohnt, ein- getragen werden. Alle andern sind dann illegal. Besonders betroffen sind Länder wie die Türkei oder Rumänien, in denen ein großer Teil der gebräuchlichen Kulturpflanzen nicht auf den Listen der EU-Staaten steht, weil Bauern, Bäuerinnen und GärtnerInnen das regionale Saatgut selbst gewinnen und vermarkten. Dort drohen durch diese Richtlinie verheerende Auswirkungen.UPOV, der internationale Verband zum Rechtsschutz von Pflanzenzüchtungen, vertritt auf allen Kontinenten die Interessen der europäischen Saatgutindustrie. Setzt dieser mächtige Verband seine Interessen durch, so kann aus der EU-Erhaltungs-Richtlinie bei sinngemäßer Anwendung außerhalb Europas eine regelrechte Verbots-Richtlinie für alles einheimische Saatgut werden.
Geistige Eigentumsrechte auf alle Kulturpflanzen?
Die Saatgutkonzerne fordern die Ausweitung ihrer Privilegien. Ihnen entgehen noch gut 40% des potentiellen Marktes durch »illegalen Nachbau«, wie sie es nennen, und den Anbau von nicht zugelassenen Sorten.Die Gentechnik bietet für die Industrie eine ideale Lösung, sich geistige Eigentumsrechte zu sichern, weil gentechnisch verändertes Saatgut patentiert und auf den Feldern eindeutig feststellbar ist. Gentech-Konzerne nehmen Bauern und Bäuerinnen unter Vertrag und klagen gegen Landwirte wegen illegalem Nachbau, wenn sie auf deren Feldern Spuren ihrer Patente nach- weisen können. Die Monsanto-Prozesse gegen Percy und Louise Schmeiser in Kanada sind von vielen Fällen in Nordamerika die bekanntesten.Obwohl Gentechnik in Europa auf breite Ablehnung der Bevölkerung stößt, üben die Agrochemie-Konzerne Druck aus, um Gentechnik durchzusetzen. Sie weigern sich, die Haftung für Schäden durch GVOs zu übernehmen und beharren auf Schwellenwerten, die gentechnische Verunreinigungen in Saatgut ohne Kennzeichnung erlauben.Da der Widerstand gegen Gentechnik wächst, sucht die Saatgutindustrie nun nach anderen Wegen. Sie fordert in den Verhandlungen um ein neues Saatgutverkehrsgesetz die Identifizierung der Sorten durch eine Gensequenz, genannt genetische Marker. Obwohl diese Forderung den Sortenschutz und nicht den Saatgutverkehr betrifft, soll sie hier schon gesetzlich verankert werden. Mit genetischen Markern wollen die Konzerne den Nachweis ihrer Sorten auf den Feldern und im Erntegut erbringen und Nachbau verhindern. Allerdings lässt sich eine Gensequenz auch bei unbeabsichtigten Einkreuzungen in Nachbars Getreide nachweisen.
Patente auf Sorten
Auch auf nicht gentechnisch manipulierte Pflanzen haben Saatgutfirmen bereits Patente angemeldet. Beispiele dafür sind die »Antischrumpeltomate« (EP 1211926 B1), antikarzinogen wirkender Brokkoli (EP 1069819 B1) und eine Melone mit besonders hohem Zuckergehalt (EP 1587933 B1). Gegen all diese Patenteintragungen gibt es breite Proteste. Durch die Einführung molekularer Marker würden alle Kulturpflanzen mit einem Schlag patentierbar, der Widerstand gegen einzelne Patente wäre sinnlos.
Die Konzerne wollen die Vorteile von Patenten auf Pflanzen auch ohne Gentechnik nutzen. Sie fordern von der EU:
- den bisherigen Sortenschutz durch Funktionen der Patentrechte zu ergänzen und die Identifikation aller Sorten durch molekulare Marker zu ermöglichen;
- der Saatgutindustrie die Prüfung für die Zulassung der Sorten zu überlassen;
- bäuerliches Saatgut und Nachbau wegen Wettbewerbsverzerrung und sanitärer Gefahren zu verbieten;
- ihre Monopolrechte auf eine zugelassene Sorte von 25 auf 30 Jahre auszudehnen.
Die Landwirtschaft würde so in völlige Abhängigkeit zu wenigen Saatgutfirmen geraten, die − nicht zufällig − mit den transnationalen Agrochemiekonzernen identisch oder eng verflochten sind. Ihr Saatgut benötigt chemische Dünger, Pestizide und Bewässerung, erfordert also eine energie- und erdölintensive Landwirtschaft. Bauern, die sich auf diese Abhängigkeit eingelassen haben, geben heute bereits fünfmal mehr für Kunstdünger und Spritzmittel aus, als für das Saatgut selbst.
Die weltweite Situation zwingt uns zum Umdenken
Die in Brüssel ausstehenden Entscheidungen zum Saatgut betreffen nicht nur die Saatgutkonzerne und Landwirte, sie betreffen unser aller Ernährung. Deshalb wollen wir mit unseren Vorschlägen eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit beginnen.
Samen sind Ursprung des Lebens. Jahrtausendelang hat die Vielfalt der Kulturpflanzen die Menschheit ernährt. Für unsere Ernährungssouveränität sind die an uns weitergegebenen Saaten der größte Schatz. Diesen zu hüten und zu entfalten muss Ziel der neuen Saatgutgesetzgebung sein.Anstatt energiefressende Monokulturen mit chemieabhängigen Pflanzen muss die EU regional angepasste Sorten fördern. Sie muss die Vielfalt regionaler Landsorten gegenüber dem Weltmarkt weniger Industriesorten bevorzugen. Landsorten dürfen nicht in abgegrenzte Regionen verbannt und aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen werden. Für ihre Züchtung sollen Förderungen bereit- stehen.Für eine Wende in der Agrarpolitik: Auch weil das Erdöl knapp wird, hat die industrielle Landwirtschaft keine Zukunft. Die Landwirtschaft muss aus dem hohen Energieverbrauch mit Hilfe der Kulturpflanzenvielfalt aussteigen. Sie muss die Bodenfruchtbarkeit wie- der in den Mittelpunkt stellen, anstatt durch Überdüngung den Boden zu zerstören und klimaschädliche Lachgase freizusetzen.Allein gentechnikfreies Saatgut erzeugt gentechnikfreie Nahrung. Deshalb fordern wir Nulltoleranz für GVO-Verunreinigungen in gentechnikfreiem Saatgut und das VerursacherInnenprinzip.In der Überarbeitung des Saatgutverkehrsrechts liegt auch die Chance, mehr Transparenz zu schaffen. Alle gentechnischen und sonstigen Methoden, die bei der Züchtung einer Sorte verwendet wurden, sollen bei ihrer Registrierung bekannt gegeben werden. Die so informierte Öffentlichkeit kann sich auf diese Weise vor unbekannten Folgen schützen.Das sind hochgesteckte Ziele. Ihre Umsetzung beginnt mit der Einhaltung des Rechts, Samen aus eigener Ernte zu gewinnen und zu vermarkten. Die Vielfalt wurde nicht im Chemielabor geschaffen, sondern durch Menschen auf der ganzen Welt, die auf ihren Feldern und in ihren Gärten den Pflanzen helfen, sich an lokale Bedingungen und Klimaveränderungen anzupassen. Unsere Zukunft liegt in der Vielfalt. Die kultivierte Pflanzenvielfalt muss wieder zu einer Grundlage unserer Ernährung werden. Das wollen wir in der europäischen Saatgutgesetzgebung verankern.Die UPOV muss ihre Politik ändern und die bäuerlichen Rechte respektieren, die im Internationaler UN-Vertrag über Pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGR-FA) festgeschrieben sind. Dieser Vertrag wurde von der EU und allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Vierzig Jahre lang hat die Chemie- und Saatgutindustrie behauptet, dass sie den Hunger in der Welt bekämpft. Doch die Zahl der Hungernden ist gestiegen, obwohl die Landwirtschaft immer mehr industrialisiert wurde. Vor einem Jahr endlich hat der von Weltbank und UNO in Auftrag gegebene Weltagrarbericht IAASTD festgestellt, dass Kleinbauern und -bäuerinnen den größten Beitrag zur Welternährung leisten. Die vierhundert WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt, die den Bericht erarbeitet haben, empfehlen eine Wende in der Landwirtschaftspolitik hin zu kleineren Strukturen und mehr Vielfalt.
Vorschläge für eine europaweite Saatgutkampagne
Wir hoffen, dass sich viele Gruppen und weitere Initiativen dieser Saatgutkampagne an- schließen, um mit Aktionen möglichst viele Menschen auf diese brennenden Fragen aufmerksam zu machen. Aktionen können nach Belieben regional, landesweit oder länderübergreifend geplant, koordiniert und auf der Webseite der Saatgutkampagne angekündigt und dokumentiert werden.
- »Zukunft säen«: Im vergangenen Jahr haben in der Schweiz vierzig Bäuerinnen und Bauern die Menschen ihrer Umgebung eingeladen, gemeinsam ein Feld mit einer regional angepassten Sorte einzusäen, um für die Verlängerung des Moratoriums gegen Gentechnik zu demonstrieren. Bei derartigen Veranstaltungen entstehen Verbindungen rund um die Fragen der Ernährung. Einen solchen Tag können viele Menschen, die über ein Stück Land verfügen, veranstalten und mit eigenen Ideen bereichern.
- Im Juni 2009 fanden die Wahlen zum Europaparlament statt. Wir werden die neu gewählten Abgeordneten im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments über die drohenden Auswirkungen der geplanten EU- Saatgutrichtlinien informieren, und fordern, dass sie dazu Stellung beziehen.
- Um möglichst viele Leute an der Diskussion über die Saatgutgesetzgebung zu beteiligen, suchen wir Unterstützung für die Unterschriftenaktion »Zukunft säen − Vielfalt ernten«. Auch Vereine, Kirchgemeinden,Schulklassen, Bürgerinitiativen können denAufruf unterschreiben.
- Ähnliche Saatgutinitiativen finden in andereneuropäischen Ländern statt. Im März 2010 koordinieren wir diese beim V. Europäischen Saatguttreffen in Graz (Österreich) und planen eine gemeinsame Aktion zur Übergabe unserer Forderungen in Brüssel.
Erstunterzeichner:
IG Saatgut (Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit)
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft,
AbLInteressengemeinschaft Nachbau
Europäisches BürgerInnen Forum
BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie