Pres­se­rat rügt Daim­ler und Bay­er wegen getarn­ter Jatro­pha-Wer­bung

Kos­ten­lo­ser Arti­kel auf LifeGen.de

Daim­ler und Bay­er woll­ten Medi­en fop­pen – und kas­sie­ren öffent­li­che Rüge

Der Deut­sche Pres­se­rat hat heu­te einen Ver­stoß der Sin­del­fin­ger Zeitung/Böblinger Zei­tung (SZBZ) gegen den Pres­se­ko­dex fest­ge­stellt. Von den vier mög­li­chen Sank­ti­ons­mög­lich­kei­ten wur­de die schärfs­te („öffent­li­che Rüge mit Abdruck­ver­pflich­tung“) ver­hängt. Der Pres­se­rat hat­te sich auf Antrag der Coor­di­na­ti­on gegen BAY­ER-Gefah­ren mit dem am 5. Febru­ar erschie­ne­nen Arti­kel „Grund­stoff für Bio­die­sel-Pro­duk­ti­on“ befasst. Dar­in wird ein Pro­jekt der Fir­men Daim­ler und Bay­er zum Anbau der ölhal­ti­gen Pflan­ze Jatro­pha in Indi­en vor­ge­stellt. Als Autor wird SZBZ-Redak­teur Wer­ner Eber­hardt genannt. Pein­lich für die PR-Pro­fis bei­der Kon­zer­ne: Einen Tag zuvor war der Arti­kel jedoch wort­gleich auf der Home­page der Daim­ler AG erschie­nen. Als Copy­right wur­de ange­ge­ben „Daim­ler AG. Alle Rech­te vor­be­hal­ten“.

Da die Ver­öf­fent­li­chung in der SZBZ nicht als Anzei­ge gekenn­zeich­net war, ver­stößt der Abdruck gegen Zif­fer 7 des Pres­se­ko­dex („Tren­nung zwi­schen redak­tio­nel­lem Text und Ver­öf­fent­li­chun­gen zu werb­li­chen Zwe­cken“).

Phil­ipp Mim­kes, Beschwer­de­füh­rer der Coor­di­na­ti­on gegen BAY­ER-Gefah­ren: „Der Anbau von Pflan­zen für die Her­stel­lung von Bio­die­sel führt zu einer wach­sen­den Kon­kur­renz um Anbau­flä­chen und Was­ser. Nicht zuletzt der Welt­agrar­be­richt nennt nach­wach­sen­den Treib­stoff eine Bedro­hung für die Ernäh­rungs­si­cher­heit. Es ist daher nicht hin­zu­neh­men, dass die Redak­ti­on der Sin­del­fin­ger Zei­tung bei einem solch sen­si­blen The­ma die Pro­pa­gan­da von Daim­ler und Bay­er eins zu eins über­nimmt.“ Paul Russ­mann, Spre­cher der Kri­ti­schen Daim­ler-Aktio­nä­re, ergänzt: „Daim­ler nutzt sei­ne Macht­stel­lung als einer der größ­ten Arbeit­ge­ber der Regi­on aus, um die loka­le Pres­se mit unlau­te­ren Wer­be­me­tho­den zum ver­län­ger­ten Arm der Öffent­lich­keits­ab­tei­lung zu machen“.

Die Coor­di­na­ti­on gegen BAY­ER-Gefah­ren (CBG) doku­men­tiert seit drei Jahr­zehn­ten die Ein­fluss­nah­me gro­ßer Unter­neh­men auf Medi­en und Bericht­erstat­tung. Der Fir­ma Bay­er gelingt es immer wie­der, den Abdruck kri­ti­scher Berich­te zu ver­hin­dern. Die Maga­zi­ne Spie­gel und Stern muss­ten nach kri­ti­schen Berich­ten mehr als zehn Jah­re lang auf Anzei­gen von Bay­er ver­zich­ten; O-Ton aus der Zen­tra­le des Che­mie-Mul­tis: „Damit die Jungs in Ham­burg mal ler­nen, wer hier das Sagen hat“. Und nach einem Stör­fall in einem Bay­er-Werk gelang­te kürz­lich ein Stra­te­gie­pa­pier des Kon­zerns in die Öffent­lich­keit, in dem emp­foh­len wird, kri­ti­sche Medi­en zu „mar­gi­na­li­sie­ren“. Axel Köh­ler-Schnura vom Vor­stand der CBG: „Die Wahr­heit und die Inter­es­sen von Mensch und Umwelt blei­ben bei die­ser Art von Bericht­erstat­tung auf der Stre­cke.“

Groß­kon­zer­ne kapern Deutsch­lands Medi­en

Sind in Deutsch­land die Medi­en über Umwe­ge doch käuf­lich und beein­fluss­bar? Die Fra­ge zu stel­len erscheint nicht nur nach Bay­er und Daim­ler legi­tim. Denn nahe­zu unbe­merkt von der Öffent­lich­keit haben die Kon­zer­ne BASF, Sie­mens und RWE einen direk­ten Ein­fluss auf den jour­na­lis­ti­schen Nach­wuchs in Deutsch­land eta­bliert: Im Rah­men der „Initia­ti­ve Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus“ tra­gen sie zur Aus­bil­dung und Fort­bil­dung von Medi­en­ver­tre­tern bei. „Mit dem Men­to­ring­pro­gramm 2010 wol­len die Part­ner jun­gen Wis­sen­schaft­lern den qua­li­fi­zier­ten Ein­stieg in den Jour­na­lis­mus erleichtern“m heißt es dazu von der betei­lig­ten TU Dort­mund, und: „In neun Mona­ten absol­vie­ren die Teil­neh­mer ein jour­na­lis­ti­sches Inten­siv­trai­ning, zwei redak­tio­nel­le Prak­ti­ka bei hoch­ran­gi­gen Medi­en sowie eine „freie“ Recher­che­pha­se“. Die unter Betei­li­gung der BASF lau­fen­den Akti­on invol­voert prak­tisch nahe­zu alle füh­ren­den Medi­en Deutsch­lands. Die SPIE­GEL-Grup­pe ist nicht dabei, wäh­rend selbst die Deut­sche Pres­se­agen­tur (DPA) de fac­to unter Kon­sor­ti­al­flag­ge der BASF die begehr­ten Prak­ti­ka anbie­tet. Auch BAYER bil­det Jour­na­lis­ten aus – auf Semi­na­ren in der Medi­en­stadt Ham­burg.

So heißt es in der Selbst­dar­stel­lung des Pro­jekts:

„Die Prak­ti­ka wer­den von fol­gen­den Wis­sen­schafts­re­dak­tio­nen ange­bo­ten: Deutsch­land­funk, dpa, Focus, FAZ/FAS, Frank­fur­ter Rund­schau, GEO, Hes­si­scher Rund­funk, NZZ, PM, Säch­si­sche Zei­tung, Spek­trum der Wis­sen­schaft, spek­tr­umdi­rekt, Stern, Stutt­gar­ter Zei­tung, Süd­deut­sche Zei­tung, SWR, VDI nach­rich­ten, WELT, WDR, ZDF und ZEIT. Wahl­wei­se ist auch eine Spe­zia­li­sie­rung auf den Bereich Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on durch Prak­ti­ka bei Fraun­ho­fer und Max-Planck-Gesell­schaft sowie RWE und Sie­mens mög­lich“.

Die Aus- und Fort­bil­dung der Jour­na­lis­ten wird zudem durch finan­zi­el­le Anrei­ze beglei­tet. So stellt das omi­nö­se Kon­sor­ti­um „Recher­che­sti­ped­ni­en“ in Höhe von EUR 10.000 zur Ver­fü­gung.

Einen Inter­es­sens­kon­flikt zwi­schen den betei­lig­ten Groß­kon­zer­nen und der frei­en Pres­se sehen die Betei­lig­ten nicht.

Auch Bay­er Health­Ca­re gab Jour­na­lis­ten kos­ten­lo­se Nach­hil­fe

BASF ist kein Ein­zel­fall. Auch der Phar­ma­kon­zern Bay­er Health­Ca­re bot Jour­na­lis­ten im Juli ver­gan­ge­nen Jah­res einen kos­ten­lo­sen Kurs an – um The­men zu fin­den. „Von den Fak­ten zur Sto­ry – The­men fin­den und plat­zie­ren“ hieß die ent­spre­chen­de Ver­an­stal­tung in der Ham­bur­ger Spei­cher­stadt. Ohne­hin erstaun­lich, wie sehr sich der Kon­zern um den media­len Unter­richt bemüh­te: „Im Mit­tel­punkt des Work­shops steht die The­men­fin­dung. Sie gehört zur täg­li­chen Her­aus­for­de­rung von Jour­na­lis­ten. Wie kön­nen Sie span­nen­de The­men recher­chie­ren und in der wach­sen­den Infor­ma­ti­ons­flut immer wie­der neue Sto­ries ent­wi­ckeln? Und wie kön­nen Redak­teu­re ihre Bei­trä­ge noch bes­ser in den Redak­tio­nen plat­zie­ren?“.

Wer sich als Jour­na­list auf die PR-Akti­on des Unter­neh­mens ein­ließ, kam zudem in den Genuss einer per­fek­ten Rund­um-Betreu­ung: „Fra­gen beant­wor­ten wir ger­ne unter der kos­ten­frei­en Ser­vice-Hot­line 0800 2040020“.

FOCUS und Evo­nik: Ver­schwim­men­de Gren­ze zur Cor­po­ra­te Com­mu­ni­ca­ti­ons PR?

Wie sehr die Gren­zen zwi­schen Fir­men-PR und Jour­na­lis­mus ver­schwim­men, belegt das Nach­rich­ten­ma­ga­zin FOCUS in der Aus­ga­be vom 22. März 2010. „Steck­do­se statt Zapf­säu­le“ heißt eine Son­der­bei­la­ge, die weder als Anzei­ge, noch als Kun­den­zeit­schrift dekla­riert ist. Das „Gemein­schafts-Spe­zi­al von FOCUS und Evo­nik“ outet sich frei­lich bei nähe­rem Hin­se­hen als PR-Coup des einst als Degus­sa bekann­ten Che­mie­rie­sen. „Aus der säch­si­schen Pro­vinz star­ten der Esse­ner Indus­trie­kon­zern Evo­nik und die Daim­ler AG gemein­sam in das Wett­ren­nen um das Auto der Zukunft“, heißt es dazu auf Sei­te 15 des „FOCUS-Spe­zi­al“ – unab­hän­gi­ger Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus sieht anders aus.

Dass die Offen­si­ve der Indus­trie fruch­tet, belegt auch Bay­er Health­Ca­re mit einem aktu­el­len Ange­bot an die Medi­en. So heißt es in einem Rund­schrei­ben der Abtei­lung für Cor­po­ra­te Com­mu­ni­ca­ti­ons: „Drei Din­ge rei­chen aus, um Redak­teu­re von einem guten Arti­kel zu über­zeu­gen: ein pas­sen­der Titel, ein span­nen­der Anle­ser und eine anspre­chen­de Illus­tra­ti­on. Wenn die­se Ele­men­te gut auf­ein­an­der abge­stimmt sind, wecken sie Auf­merk­sam­keit und begeis­tern den Leser für das The­ma“. Als ob Jour­na­lis­ten min­der­be­mit­tel­te Schrei­ber­lin­ge ohne Sinn für The­men und Hin­ter­grunds­to­ries wären, bie­tet das Unter­neh­men sei­ne Nach­hil­fe an:

„Mit der Fra­ge, wie Sie eine Sto­ry mit den rich­ti­gen jour­na­lis­ti­schen Mit­teln auf­be­rei­ten, beschäf­tigt sich Peter Lin­den in unse­rem dies­jäh­ri­gen viva.vita Redak­ti­ons­work­shop. Unse­re nächs­te Sta­ti­on ist Leip­zig. Jour­na­lis­ten die dar­an teil­neh­men möch­ten, soll­ten sich mit dem bei­lie­gen­den Ant­wort­fax schnell anmel­den. Es sind nur noch weni­ge Plät­ze frei!“

Was Bay­er Health­Ca­re zu erwäh­nen ver­gaß: Unlieb­sa­me Medi­en, die bei­spiels­wei­se über Medi­ka­men­te des Kon­zerns berich­ten, die im Ver­dacht ste­hen, lebens­be­droh­li­che Neben­wir­kun­gen zu haben, kon­fron­tiert Bay­er ger­ne mit Kla­ge­dro­hun­gen. Auch wir bei LifeGen.de mach­ten im ver­gan­ge­nen Jahr mit die­ser Art der The­men­auf­ar­bei­tung von Bay­er Health­Ca­re Bekannt­schaft – und freu­ten uns auf den ange­droh­ten Pro­zess. In dem wir ger­ne, vor Gericht, auf die ent­spre­chen­den Medi­ka­men­te sehr aus­führ­lich ein­ge­gan­gen wären. Am Ende zog Bay­er den beauf­trag­ten Anwalt zurück und ent­schul­dig­te sich für das „Miss­ver­ständ­nis“ tele­fo­nisch – ein von LifeGen.de erbe­te­nes Inter­view zum pikan­ten The­ma blieb bis heu­te aus.

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