Das Recht auf Viel­falt – Der Kampf um kri­sen­si­che­res Saat­gut

Die Trans­for­ma­ti­on der Land­wirt­schaft. Über die Geschäfts­prak­ti­ken der ­inter­na­tio­na­len Saat­gut­in­dus­trie. Teil II (und Schluß): Der Kampf um kri­sen­si­che­res Saat­gut

Von Anne Schweig­ler und Peter Claus­ing

Den im Lau­fe des 20. Jahr­hun­derts ent­stan­de­nen Saat­gut­kon­zer­nen gelang es Schritt für Schritt, ihre Mono­pol­macht zu eta­blie­ren und juris­tisch abzu­si­chern – ein bis heu­te andau­ern­der Pro­zeß. Das betrifft sowohl die Bemü­hun­gen, die bestehen­de mono­pol­freund­li­che Gesetz­ge­bung aus­zu­wei­ten als auch die Ver­drän­gung alter Kul­tur­pflan­zen, Land­sor­ten genannt, in jenen Tei­len der Erde, wo indus­tri­el­le Land­wirt­schaft und das dazu­ge­hö­ri­ge Saat­gut noch nicht durch­ge­setzt wor­den sind. Die Län­der des Südens haben aus Sicht der Kon­zer­ne in bei­den Punk­ten den größ­ten »Nach­hol­be­darf« und sind dem­zu­fol­ge beson­ders ver­letz­lich.

Doch die­se Ent­wick­lung ist weder alter­na­tiv­los, noch bleibt sie unwi­der­spro­chen. Der 2008 ver­öf­fent­lich­te, von zahl­rei­chen Regie­run­gen gebil­lig­te Welt­agrar­be­richt belegt nicht nur, daß die Welt­ernäh­rung anders als auf indus­tri­el­le Wei­se gesi­chert wer­den kann, son­dern mehr noch: Es wird dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die­ser alter­na­ti­ve Weg der ein­zig gang­ba­re ist, denn das bis­he­ri­ge Sys­tem »ist nicht geeig­net, um einen Über­gang zu mehr Nach­hal­tig­keit zu unterstützen«.1 Zum ande­ren regt sich Wider­stand gegen die Macht der Kon­zer­ne, und der agiert zuneh­mend glo­bal und koor­di­niert.

Noch gewin­nen welt­weit zir­ka 70 Pro­zent der Bäue­rin­nen und Bau­ern ihr Saat­gut aus der eige­nen Ern­te bzw. tau­schen es unter­ein­an­der. Wenn es der Indus­trie gelin­gen soll­te, auch nur einen Teil die­ses Poten­ti­als für sich nutz­bar zu machen, wür­de dies eine enor­me Markt­er­wei­te­rung bedeu­ten – sowohl für den Absatz des kom­mer­zi­el­len Saat­guts selbst als auch für die dazu­ge­hö­ri­gen Agro­che­mi­ka­li­en. Die Metho­den zur Errei­chung die­ses Zie­les sind unter­schied­lich und rei­chen von unver­hoh­le­nen Ein­grif­fen in die Gesetz­ge­bung mili­tä­risch besetz­ter Län­der bis zu Trans­for­ma­ti­ons­ver­su­chen in Form von »Ent­wick­lungs­hil­fe«.

Agro­im­pe­ria­lis­mus

Eine der medi­al am stärks­ten beach­te­ten Maß­nah­men war ver­mut­lich der »Erlaß 81«2, den der US-ame­ri­ka­ni­sche »Zivil«verwalter Paul Bre­mer im Juni 2004, kurz bevor er den Irak ver­ließ, dekre­tier­te. Die­ser Erlaß, der das ira­ki­sche Patent­ge­setz aus dem Jahr 1970 ablö­sen soll­te, regelt auch den Umgang mit Saat­gut. Zusam­men mit »Focus on the Glo­bal South« alar­mier­te im Okto­ber 2004 die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on GRAIN die Welt­öf­fent­lich­keit, weil damit das uralte Sys­tem der Wie­der­aus­saat eines Teils der Ern­te im Irak fak­tisch über Nacht ver­bo­ten wur­de. Nach Dar­stel­lung der US-Besat­zer ein not­wen­di­ger Schritt, um die Ver­sor­gung des Lan­des mit hoch­wer­ti­gem Getrei­de zu sichern. Nicht ein­mal das im ers­ten Teil die­ses Bei­trags erwähn­te Nach­bau­recht blieb den ira­ki­schen Bau­ern erhal­ten. Das Dekret ver­bie­tet unter Straf­an­dro­hung jeg­li­che Wie­der­aus­saat von »geschütz­ten« Sor­ten und über­trägt die Rech­te auf Pro­duk­ti­on, Repro­duk­ti­on und Han­del den Saat­gut­kon­zer­nen. Gleich­zei­tig wur­de mit dem Erlaß die Aus­brin­gung gen­tech­nisch mani­pu­lier­ter (GM) Sor­ten ermög­licht. Aller­dings wird nach Ein­schät­zung von Joa­chim Guil­li­ard, Koor­di­na­tor der deut­schen Irak-Tri­bu­nal-Initia­ti­ve, die­ser Erlaß in der Pra­xis nicht ange­wen­det – zu groß wäre wohl die Empö­rung in der Bevöl­ke­rung. Doch wie alle Bre­mer-Dekre­te, die nicht expli­zit im nach­hin­ein vom ira­ki­schen Par­la­ment außer Kraft gesetzt wur­den, gilt der Erlaß 81 noch heu­te, ver­bun­den mit der laten­ten Gefahr sei­ner Durch­set­zung zu einem spä­te­ren Zeit­punkt.

Kaum über­ra­schend wur­de auch in Afgha­ni­stan – im Jahr 2006 – ein neu­es Gesetz mit mono­pol­freund­li­chem Inhalt vorgelegt3. Para­graph 10 schreibt die Schaf­fung einer Agen­tur für Saat­gut­zer­ti­fi­zie­rung vor, Para­graph 11 die Eta­blie­rung eines zen­tra­len Labors zur Saat­gut­tes­tung. Para­graph 16 ermäch­tigt die Mit­ar­bei­ter die­ser Agen­tur, zu jeder Zeit und an jedem Ort Pro­ben zu ent­neh­men, wenn der Ver­dacht auf einen Ver­stoß gegen das Saat­gut­ge­setz vor­liegt. Zumin­dest auf dem Papier kön­nen sich die Besit­zer von Saat­gut­li­zen­zen in Afgha­ni­stan sicher füh­len. Wenn jemand die Absicht hat, GM-Saat­gut nach Afgha­ni­stan ein­zu­füh­ren, ist laut Saat­gut­ge­setz das Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um zu infor­mie­ren– von einer Geneh­mi­gungs­pflicht ist in dem Papier kei­ne Rede.

Ein wei­te­res Land, in dem in den letz­ten Jah­ren die ent­spre­chen­de Gesetz­ge­bung ver­schärft wur­de, ist die Tür­kei, wo im Okto­ber 2006 die alte, aus dem Jahr 1963 stam­men­de Rege­lung durch eine neue ersetzt wur­de. Die­ses neue Gesetz Nr.5553 paß­te die tür­ki­schen Ver­hält­nis­se an die euro­päi­sche Saat­gut­ge­setz­ge­bung an und ver­langt seit­dem für Sor­ten, die gehan­delt wer­den sol­len, eine obli­ga­to­ri­sche Regis­trie­rung und Zer­ti­fi­zie­rung, ver­bun­den mit dem auch in der EU bis­lang noch gül­ti­gen Land­wir­te­pri­vi­leg Tausch und Pro­duk­ti­on für den Eigen­be­darf (sie­he Teil1). Die Novel­lie­rung der tür­ki­schen Saat­gut­ge­setz­ge­bung ist offen­sicht­lich ein Ele­ment des Stre­bens nach der EU-Mitgliedschaft.4

Ein belieb­ter »Tür­öff­ner« für die Kon­zer­ne ist die Nah­rungs­mit­tel­hil­fe in Län­dern, die von Hun­ger (und Unru­hen) bedroht sind. Ins­be­son­de­re das weit­ge­hend von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten kon­trol­lier­te Welt­ernäh­rungs­pro­gramm der Ver­ein­ten Natio­nen und die offi­zi­el­le Ent­wick­lungs­hil­fe der USA (USAID) sind dar­an betei­ligt, Hybrid- und zuneh­mend auch GM-Sor­ten in die betrof­fe­nen Län­der ein­zu­füh­ren. Auch die Kon­zer­ne unter­stütz­ten »groß­zü­gig« die­se Hil­fe: Weil nach dem ver­hee­ren­den Erd­be­ben Anfang die­ses Jah­res, die hai­tia­ni­schen Bäue­rin­nen und Bau­ern ihren eigent­lich für die Wie­der­aus­saat auf­be­wahr­ten Mais als Lebens­mit­tel ver­teil­ten, fehl­te die­ser spä­ter bei der Bestel­lung der Fel­der. In einer am 13. Mai 2010 ver­öf­fent­lich­ten Pres­se­mit­tei­lung ver­kün­de­te Agrar­mul­ti Mons­an­to eine »groß­zü­gi­ge Spen­de« von Hybrid­saat­gut (Mais und Gemü­se) an die hai­tia­ni­sche Regie­rung. Sech­zig Ton­nen davon wur­den sofort geschickt, die Lie­fe­rung wei­te­rer 415 Ton­nen in Aus­sicht gestellt. Die Bereit­stel­lung der für den Anbau not­wen­di­gen Agro­che­mi­ka­li­en – ein Teil ver­mut­lich bei Mons­an­to gekauft – über­nahm USAID (im Rah­men sei­nes Hai­ti-spe­zi­fi­schen Pro­gramms WINNER). Und der Trans­port der »mil­den Gabe« von Mons­an­to in die länd­li­chen Gegen­den Hai­tis erfolgt– eben­falls als »Spen­de«– durch den trans­na­tio­na­len Logis­tik-Kon­zern Kueh­ne + Nagel, mit Haupt­quar­tier im Schwei­zer Kan­ton Schwyz. Zeit­gleich zur Pres­se­mit­tei­lung wur­de auf www.monsantoblog.com behaup­tet, daß Hybrid­sor­ten vor drei­ßig Jah­ren auf Hai­ti schon ein­mal ver­brei­tet waren. Mons­an­to wit­ter­te offen­bar die Chan­ce zu einem Come­back. Allein, die hai­tia­ni­schen Bau­ern waren, wie wei­ter unten zu lesen ist, nicht recht glück­lich über sol­cher­art Groß­zü­gig­keit.

Kampf um Afri­kas Märk­te

Die ers­te »Grü­ne Revo­lu­ti­on« der 1960er und 1970er Jah­re hat­te Afri­ka nicht erreicht. So bie­tet sich dem Agro­busi­neß heu­te fast ein gan­zer Kon­ti­nent mit neu­en Märk­ten. Deren »Erschlie­ßung« nahm kon­kre­te For­men an, als im Jahr 2005 die Bill-und-Melin­da-Gates-Stif­tung gemein­sam mit der Rocke­fel­ler-Stif­tung ankün­dig­te, Mil­lio­nen afri­ka­ni­schen Klein­bau­ern dabei hel­fen zu wol­len, sich aus Armut und Hun­ger zu erhe­ben. Es ent­stand die »Alli­anz für eine Grü­ne Revo­lu­ti­on in Afri­ka« (AGRA), der sich 2008 die Welt­bank anschloß. Das erklär­te Ziel der Alli­anz ist es, die Klein­bau­ern Afri­kas mit Hoch­er­trags­sor­ten und den dazu­ge­hö­ri­gen che­mi­schen Inputs zu ver­sor­gen, um die Klein­bäue­rin­nen und Klein­bau­ern in die »Wert­schöp­fungs­ket­te« zu inte­grie­ren. Die AGRA ver­sucht, die Öffent­lich­keit bezüg­lich ihrer Plä­ne für den Anbau von GM-Pflan­zen zu beru­hi­gen – z.T. auch zu täu­schen. Aber Preis­ver­lei­hun­gen an erklär­te Gen­tech­nik­be­für­wor­ter legen bered­tes Zeug­nis von den wah­ren Absich­ten die­ses »phil­an­thro­pi­schen« Pro­jekts ab. Vor­ge­hen und Stra­te­gie der Prot­ago­nis­ten die­ser »zwei­ten Grü­nen Revo­lu­ti­on« unter­schei­den sich kaum von denen der ers­ten.

In Über­ein­stim­mung mit dem Wert­schöp­fungs­ket­ten-Dis­kurs ist ein Pro­gramm zur Aus­bil­dung von Agrar­händ­lern wesent­li­cher Bestand­teil des Vor­ha­bens der AGRA. Das Pro­gramm bie­tet Trai­ning, Kapi­tal und Kre­di­te für die Grün­dung und Stär­kung von 10000 klei­nen Agrar­händ­lern, die gut ver­netzt wer­den sol­len mit Gros­sis­ten, Saat­gut­fir­men und Markt­in­for­ma­ti­ons­be­ra­tern. Die Fol­ge: Indus­tri­el­les Saat­gut ver­drängt das bäu­er­li­che, und die Bau­ern gera­ten in die kom­plet­te Abhän­gig­keit einer von Agrar­kon­zer­nen kon­trol­lier­ten kapi­tal­in­ten­si­ven Land­wirt­schaft.

Ver­netz­ter Wider­stand

Zum Glück ver­lau­fen der­ar­ti­ge Ent­wick­lun­gen nicht so rei­bungs­los, wie es sich das Agro­busi­neß wünscht. Die von Welt­bank und Inter­na­tio­na­lem Wäh­rungs­fonds im Rah­men der »Struk­tur­an­pas­sungs­pro­gram­me« der 1980er Jah­re erzwun­ge­ne »Ver­schlan­kung« der Agrar­po­li­tik in vie­len Län­dern des Südens, hat­te auch eine Schwä­chung der Abhän­gig­kei­ten der länd­li­chen Struk­tu­ren zur Fol­ge, die damals in vie­len Staa­ten des Südens ver­brei­tet waren. Zuvor waren die Orga­ni­sa­tio­nen oft­mals nicht unab­hän­gig, son­dern von den staats­tra­gen­den Par­tei­en ver­ein­nahmt. Dadurch ent­stan­den neue Bau­ern­or­ga­ni­sa­tio­nen, die stär­ker auto­nom waren und mit radi­ka­le­ren For­de­run­gen auf­tra­ten. Im Lau­fe der 1990er Jah­re erwuchs dar­aus ein ursprüng­lich latein­ame­ri­ka­ni­sches Netz­werk, »La Via Cam­pe­si­na« (deutsch: der bäu­er­li­che Weg), das mitt­ler­wei­le von vie­len als die wich­tigs­te trans­na­tio­na­le sozia­le Bewe­gung über­haupt ange­se­hen wird und inzwi­schen bäu­er­li­che Basis­be­we­gun­gen bei­der ame­ri­ka­ni­scher Kon­ti­nen­te, Süd- und Ost­asi­ens, Euro­pas und neu­er­dings auch von zwei Regio­nen Afri­kas ver­eint. Der­zeit hat »La Via Cam­pe­si­na« 148 Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen in 69 Staa­ten und reprä­sen­tiert somit etwa 500 Mil­lio­nen länd­li­che Fami­li­en weltweit.5 Anläß­lich des 1996er Welt­ernäh­rungs­gip­fels brach­te »La Via Cam­pe­si­na« das Kon­zept der Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät in die öffent­li­che Debat­te ein. Die­ses beschränkt sich nicht auf die For­de­rung nach Ver­füg­bar­keit einer aus­rei­chen­den Men­ge an Nah­rungs­mit­teln (»Ernäh­rungs­si­cher­heit«), son­dern schließt das Recht auf Selbst­be­stim­mung und gesamt­ge­sell­schaft­li­che Trans­for­ma­tio­nen ein, inklu­si­ve dem Recht auf Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on mit lokal ange­paß­tem, für alle ver­füg­ba­rem Saat­gut sowie Zugang zu Land. Vor knapp einem Jahr wur­de an die­ser Stel­le im Detail beschrie­ben, daß und war­um klein­bäu­er­li­che Betrie­be – gemes­sen am Gesamt­ertrag und unter Berück­sich­ti­gung der Ener­gie­bi­lanz – die deut­lich effi­zi­en­te­re Form der Land­wirt­schaft sind (»Rea­le Alter­na­ti­ven«, jW-The­ma vom 18.11.2009).

Oft sind es Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen von »La Via Cam­pe­si­na«, die an den Brenn­punk­ten des Gesche­hens sicht- und hör­bar sind. So auch in Hai­ti, als am 4.Juni 2010 zehn­tau­send Bäue­rin­nen und Bau­ern gegen das »töd­li­che« Geschenk von Mons­an­to, den Hybrid­sa­men (sie­he oben) demons­trier­ten. Zu den Kund­ge­bun­gen hat­ten länd­li­che sozia­le Bewe­gun­gen mobi­li­siert, ein­schließ­lich der »La Via Campesina«-Mitgliedsorganisation Papaye Bau­ern­be­we­gung (MPP). Bei den Pro­tes­ten waren unter ande­rem Slo­gans zu hören wie »Lang lebe das ein­hei­mi­sche Mais­saat­gut« und »Mons­an­tos Gen­pflan­zen und Hybrid­saat­gut schä­di­gen die bäu­er­li­che Land­wirt­schaft«. Die Pro­tes­tie­ren­den waren empört, daß die Regie­rung in Port-au-Prin­ce ver­such­te, die Kri­sen­si­tua­ti­on nach dem Erd­be­ben zu nut­zen, um das Land an trans­na­tio­na­le Kon­zer­ne zu ver­kau­fen und damit hai­tia­ni­sche Bäue­rin­nen und Bau­ern in die Abhän­gig­keits­fal­le von Hybrid­sa­men und indus­tri­el­ler Land­wirt­schaft zu zwin­gen. Die­se Pro­tes­te stra­fen das von den Main­stream-Medi­en gern kol­por­tier­te Bild eines im »dunk­len Cha­os« ver­sun­ke­nen Hai­ti Lügen.

Kon­zern­freund­li­che EU-Richt­li­nie

Ähn­lich wie die Tür­kei über einen EU-Bei­tritt ver­han­delt, sind afri­ka­ni­sche Län­der mit der EU im Gespräch über ein Frei­han­dels­ab­kom­men. Rege­lun­gen zu Eigen­tums­rech­ten und Han­dels­fra­gen bei Saat­gut sind Teil der Gesprä­che. Doch mitt­ler­wei­le gibt es in Afri­ka gro­ße Pro­tes­te gegen das geplan­te Abkommen6. Der Wider­stand dürf­te von der im Jahr 2007 in Nye­le­ni, Mali, durch­ge­führ­ten Kon­fe­renz zur Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät einen kräf­ti­gen Sti­mu­lus erhal­ten haben. An dem von »La Via Cam­pe­si­na« orga­ni­sier­ten Tref­fen nah­men zahl­rei­che länd­li­che Orga­ni­sa­tio­nen aus Afri­ka teil.

Wäh­rend in den Ent­wick­lungs­län­dern Zehn­tau­sen­de zu den Pro­test­ak­tio­nen kom­men, sind es in Euro­pa bis­lang nur Hun­der­te. Zu sehr hat sich das Modell der indus­tri­el­len Land­wirt­schaft durch­ge­setzt, und nur weni­ge Bau­ern und Saat­gut­erhal­tungs­in­itia­ti­ven in Deutsch­land haben bis­her ein Pro­blem­be­wußt­sein dafür ent­wi­ckelt.

Genü­gend Anlaß zum Pro­test gäbe es. Wenn zum Bei­spiel die EU-Richt­li­nie vom Juni 2008 »Erhal­tungs­richt­li­nie« genannt wird, soll­te man mei­nen, daß die­se zum Ziel haben müß­te, die Erhal­tung vom Aus­ster­ben bedroh­ter Nutz­pflan­zen zu erleich­tern, um so dem wei­te­ren Sor­ten­ver­lust etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Doch das erweist sich als Trug­schluß. Durch eine Rei­he von Vor­ga­ben erschwert die Richt­li­nie den Anbau von Erhal­tungs­sor­ten. Dazu zäh­len Regis­trie­rungs­pflicht und ört­li­che Begren­zung. Der Arti­kel 14 schützt die indus­tri­el­len Sor­ten vor mög­li­cher Kon­kur­renz durch bäu­er­li­che oder freie Sor­ten (d.h. Sor­ten, deren Schutz erlo­schen ist) mit­tels einer men­gen­mä­ßi­gen Beschrän­kung. Im jewei­li­gen Land darf pro Erhal­tungs­sor­te höchs­tens ein hal­bes Pro­zent des ins­ge­samt ver­wen­de­ten Saat­guts der betref­fen­den Pflan­ze in Ver­kehr gebracht wer­den. Theo­re­tisch könn­ten aber immer noch ganz vie­le ver­schie­de­ne Erhal­tungs­sor­ten mit ihren jeweils 0,5 Pro­zent einen gro­ßen Markt­an­teil bean­spru­chen. Um das zu ver­hin­dern, hat die EU eine zusätz­li­che Beschrän­kung ein­ge­führt: Alle die­se Sor­ten, zum Bei­spiel von Wei­zen, dür­fen in Sum­me nicht mehr als zehn Pro­zent des lan­des­wei­ten Wei­zen­saat­guts aus­ma­chen. Per Gesetz wird tra­di­tio­nel­les bäu­er­li­ches Saat­gut vor­sorg­lich zur musea­len Aus­nah­me defi­niert, das Saat­gut der Kon­zer­ne dage­gen bekommt einen garan­tier­ten Markt­an­teil von 90 Pro­zent.

Ein Kom­pro­miß

Schon 2007 ließ sich erah­nen, daß das unge­re­gel­te Nischen­da­sein von Erhal­tungs­in­itia­ti­ven in Eu­ropa bald ein Ende haben soll­te. Der fran­zö­si­sche Ver­ein Koko­pel­li, der seit vie­len Jah­ren aner­kann­te Arbeit auf die­sem Gebiet leis­tet, war wegen Inver­kehr­brin­gens von ille­ga­lem Saat­gut ver­klagt wor­den. Der Saat­gut-Händ­ler Bau­maux hat­te Koko­pel­li »unlau­te­ren Wett­be­werb« vor­ge­wor­fen, da vie­le der vom Ver­ein ver­trie­be­nen Gemü­se­sor­ten nicht im fran­zö­si­schen Sor­ten­ka­ta­log ver­zeich­net waren. Koko­pel­li habe sich durch die erziel­te Kos­ten­er­spar­nis einen unge­recht­fer­tig­ten Wett­be­werbs­vor­teil erschli­chen.

Im Janu­ar 2008 ver­ur­teil­te das obers­te fran­zö­si­sche Gericht Koko­pel­li schließ­lich zu 12000Euro Scha­dens­er­satz an Bau­maux und 17500Euro Stra­fe für das unge­neh­mig­te Inver­kehr­brin­gen von Saat­gut. Das Urteil rief frank­reich- und euro­pa­weit gro­ße Pro­tes­te her­vor, immer­hin mit dem Ergeb­nis, daß es bis heu­te nicht voll­streckt wurde8.

Ers­te Schwie­rig­kei­ten mit der neu­en Erhal­tungs­richt­li­nie und der dar­in fest­ge­schrie­be­nen Beschrän­kung von Sor­ten auf ihre Ursprungs­re­gi­on hat­te die schwei­ze­ri­sche Erhal­tungs­in­itia­ti­ve Pro Spe­cie Rara. Die Schweiz ist zwar kein EU-Land, setz­te die Richt­li­nie aber als ers­tes um. Als die Initia­ti­ve Anfang 2009 vier­zehn Kar­tof­fel­sor­ten in die Schwei­zer Erhal­tungs­lis­te ein­tra­gen las­sen woll­te, wur­den fünf davon abge­lehnt, was einem Ver­bot des Anbaus von und des Han­dels mit die­sem Pflanz­gut gleich­kam. Die betrof­fe­nen Sor­ten (Cor­ne de gat­te, Vite­lot­te noi­re, Roo­se­velt, High­land Burgan­dy Red und Pata­tes Ver­rayes) hät­ten kei­ne star­ke regio­na­le Bin­dung an die Schweiz, war die Begrün­dung der zustän­di­gen Behör­de. Pro Spe­cie Rara befürch­te­te, daß die Ableh­nung der fünf Kar­tof­fel­sor­ten nur die Spit­ze des Eis­ber­ges sei, star­te­te die Pro­test­kam­pa­gne »Viel­falt für alle« und hat­te Erfolg. Sie konn­te der Schwei­zer Regie­rung einen Kom­pro­miß abrin­gen, indem »Nischen­sor­ten« und »Ama­teur­be­reich« unter­schie­den und unter­schied­lich behan­delt werden9.

Die Saat­gut­kam­pa­gne

Um auf die zen­tra­le Bedeu­tung von Saat­gut und die Zusam­men­hän­ge zwi­schen geis­ti­gen Eigen­tums­rech­ten an Sor­ten, den Restrik­tio­nen im Inter­es­se der Kon­zer­ne und den durch die indus­trie­mä­ßi­ge Land­wirt­schaft her­vor­ge­ru­fe­nen glo­ba­len Pro­ble­men auf­merk­sam zu machen, haben sich meh­re­re euro­päi­sche Saat­gut- und Erhal­tungs­in­itia­ti­ven zu einer Saat­gut­kam­pa­gne ent­schlos­sen, in deren Rah­men Unter­schrif­ten für ent­spre­chen­de For­de­run­gen gesam­melt wer­den (sie­he www.saatgutkampagne.org). Die Kam­pa­gne for­dert:

– das Recht, Saat­gut aus eige­ner Ern­te gewin­nen, nach­bau­en und wei­ter­ge­ben zu kön­nen;

– die regio­na­le Sor­ten­viel­falt durch Unter­stüt­zung von Erhal­tungs­in­itia­ti­ven und Züch­tern tra­di­tio­nel­ler bäu­er­li­cher Sor­ten zu för­dern;

– Gen­tech­nik in der Land­wirt­schaft zu ver­bie­ten;

– kei­ne Paten­te auf Pflan­zen zuzu­las­sen;

– ein neu­es Saat­gut­zu­las­sungs­ver­fah­ren zu eta­blie­ren, das gen­tech­nisch mani­pu­lier­te Pflan­zen und che­mie­in­ten­si­ve Sor­ten aus­schließt;

– Maß­nah­men ein­zu­lei­ten, die den hohen Energie­verbrauch in der Land­wirt­schaft ver­rin­gern, der durch Ein­satz von Indus­trie­sor­ten ent­steht, die ohne Kunst­dün­ger und Pes­ti­zi­de nicht aus­kom­men, sowie durch Mono­kul­tu­ren und damit ver­bun­de­ne wei­te Trans­por­te.

Die Kam­pa­gne will dabei an bestehen­de Akti­vi­tä­ten und Model­le anknüp­fen. In Tei­len Frank­reichs und Groß­bri­tan­ni­ens sind Saat­gut­tausch­bör­sen inzwi­schen zur sozia­len All­tags­pra­xis gewor­den – die »See­dy Sun­days« in Eng­land sind ein Bei­spiel. Dabei sche­ren sich die Men­schen in ihrer Pra­xis nicht dar­um, ob der pflanz­li­che Samen »legal« oder »ille­gal« ist. Wich­tig ist ihnen lokal ange­paß­tes, frucht­ba­res, nach­bau­ba­res Saat­gut, das nicht von erd­öl­ba­sier­ten Inputs (syn­the­ti­scher Dün­ger, Pes­ti­zi­de) abhän­gig ist. Somit wird über Tausch­bör­sen »kri­sen­si­che­res« Saat­gut unter die Leu­te gebracht und gleich­zei­tig auf des­sen Bedeu­tung und die sozia­len und kli­ma­ti­schen Zusam­men­hän­ge auf­merk­sam gemacht.

Sys­tem­wan­del nötig

Auch in Deutsch­land wächst seit eini­ger Zeit das Inter­es­se an »urba­nen Gär­ten«, Gemein­schafts­gär­ten, Tran­si­ti­on-Town-Grup­pen und Stadt-Land-Pro­jek­ten, die über die klas­si­schen Schre­ber­gär­ten hin­aus­ge­hen. Tausch von Saat­gut, gemein­sa­mes Gärt­nern und das Küm­mern um loka­le Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on sind Schrit­te im Sin­ne des Kon­zepts von »La Via Cam­pe­si­na« zur Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät.

Mit die­ser Pra­xis könn­te auch in unse­ren Brei­ten etwas wie­der­be­lebt wer­den, »das nicht Ergeb­nis und Bestand­teil for­ma­ler Wis­sen­schaft ist und heu­te etwas hilf­los oder auch her­ab­las­send als ›tra­di­tio­nel­les‹ bzw. ›loka­les‹ Wis­sen bezeich­net (wird). Die­ses prak­ti­sche Wis­sen ist das wich­tigs­te Hand­werks­zeug von Land- und Forst­wir­ten, Hir­ten, Fischern, Hei­lern und Indi­ge­nen, aber auch von Haus­frau­en, Gärt­nern und Hand­wer­kern in aller Welt. Es ist his­to­risch gewach­sen und erfaßt auf eige­ne Art häu­fig kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge, die mono­kau­sal den­ken­de Natur­wis­sen­schaft­ler bis heu­te über­for­dern können«9. Hier geht es um etwas, das beim übli­chen Gang in den Super­markt kaum ins Bewußt­sein vor­dringt– das »Ende des indus­tri­el­len Pro­duk­ti­vis­mus, (der) die ver­füg­ba­ren natür­li­chen Res­sour­cen unse­res Pla­ne­ten in unver­tret­ba­rem, weil nicht nach­hal­ti­gem Maße aus (beu­tet). Sei­ne Grund­stra­te­gie, mit Groß­tech­nik und Agrar­che­mie den Ein­satz mensch­li­cher Arbeit durch fos­si­le Ener­gie zu erset­zen, erweist sich in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels und schwin­den­der Ölre­ser­ven als Sack­gas­se.« Die­se Sicht­wei­se rüt­telt aller­dings – ohne es direkt aus­zu­spre­chen – an den Grund­fes­ten des herr­schen­den Sys­tems, denn die schein­ba­re Effi­zi­enz der kapi­ta­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft beruht seit über einem Jahr­hun­dert auf nichts ande­rem als der fort­schrei­ten­den Sub­sti­tu­ti­on mensch­li­cher Arbeits­kraft durch fos­si­le Ener­gie. Eine Abkehr von die­sem »Auto­ma­tis­mus« ist nur mit einem grund­sätz­li­chen Sys­tem­wan­del und »kri­sen­si­che­rem Saat­gut« mög­lich.

1 IAASTD (2009): Syn­the­sis Report. A Syn­the­sis of the Glo­bal and Sub-Glo­bal IAASTD Reports

2 Order 81 on »Patent, Indus­tri­al Design, Undis­c­lo­sed Infor­ma­ti­on, Inte­gra­ted Cir­cuits and Plant Varie­ty«, dt.: Erlaß 81 über Paten­te, Indus­trie­de­sign, Geheim­in­for­ma­tio­nen, inte­grier­te Schal­tun­gen und Pflan­zen­viel­falt

3 Seed Law. Isla­mic Repu­blic of Afgha­ni­stan (Final Draft), Kabul, August 2006

4 GRAIN: Turkey’s new seed law. Seed­ling, April 2007

5 Mar­tí­nez-Tor­res, M.E. und P. M. Ros­set (2010): Jour­nal of Peasant Stu­dies 37: S. 149–175. In Deutsch­land ist die Arbeits­ge­mein­schaft Bäu­er­li­che Land­wirt­schaft (AbL, www.abl-ev.de) Mit­glied von »La Via Cam­pe­si­na«

6 Evan­ge­li­scher Ent­wick­lungs­dienst: Die Ent­hül­lung der Grü­nen Revo­lu­ti­on für Afri­ka. Moti­ve, Akteu­re und Kräf­te­spiel, Bonn, Juni 2008

7 www.kokopelli-blog.org

8 Mehr Infor­ma­tio­nen und eine Unter­schrif­ten­lis­te zum Pro­tes­tie­ren gegen die Ver­schär­fung der Schwei­zer Saat­gut­ver­ord­nung fin­det sich unter: www.vielfalt-fuer-alle.ch

9 Wege aus der Hun­ger­kri­se. Die Erkennt­nis­se des Welt­agrarberichts und sei­ne Bot­schaf­ten für eine Land­wirt­schaft von mor­gen, AbL-Ver­lag 2009

Anne Schweig­ler ist Eth­no­lo­gin, Mit­glied der BUKO-Kam­pa­gne gegen Bio­pi­ra­te­rie und der Saat­gut­kam­pa­gne. Peter Claus­ing, eben­falls Mit­glied der BUKO-Kam­pa­gne gegen Bio­pi­ra­te­rie, ver­öf­fent­lich­te unter dem Pseud­onym Klaus Peder­sen »Natur­schutz und Pro­fit« (Unrast Ver­lag, Müns­ter 2008)

Erschie­nen in: Jun­ge Welt vom 15.10.2010

Tag-Wolke