Mexiko: Klimawandel, Landwirtschaft und Menschenrechte
Von Peter Clausing
Klimawandel und Landwirtschaft
Nach Einschätzungen des Weltklimarates (IPCC) wird in Mexiko der Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche bis zum Jahr 2050 zwischen 13 und 27 Prozent betragen. Eine düstere Perspektive mit Blick auf das völkerrechtlich garantierte Recht auf Nahrung wie es unter anderem im Pakt über zivile und politische Rechte (Artikel 6) und im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Artikel 11 und 12) zugesichert ist. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind vor allem jene 40 Millionen Mexikaner, die mit weniger als drei Dollar pro Tag auskommen müssen – eine Zahl, die die 7,5 Millionen mexikanischen Indigenas nahezu vollständig einschließt.
Rund ein Viertel der rund 100 Millionen Einwohner Mexikos haben bereits jetzt unter den Folgen extremer Wettererscheinungen zu leiden. Während der Südosten in letzter Zeit regelmäßig von Überschwemmungen infolge der häufiger auftretenden Hurrikane heimgesucht wird, gibt es in anderen Teilen dieses Landes, das ungefähr fünfmal so groß ist wie die Bundesrepublik, ausgedehnte Dürreperioden. Die Hälfte der Fläche Mexikos, fast 100 Millionen Hektar, weist Bodendegradation oder Erosion auf – Auswirkung von Klimaveränderung und veränderter Landnutzung. Eine im August veröffentlichte Studie der Princeton Universität (USA) schätzt, dass sich die Migration aus Mexiko aufgrund klimabedingter Ernteausfällen in den nächsten Jahrzehnten kumulativ um sechs bis sieben Millionen Menschen erhöhen dürfte – zusätzlich zu der ohnehin seit Jahren stattfindenden Auswanderung aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Misere.
Ein wichtiger Grund für Bodendegradation und Erosion in Mexiko ist der überdurchschnittlich hohe Waldverlust. Als Folge einer Kombination von Abholzung, gelegten und natürlichen Waldbränden – letztere verstärkt durch klimawandelbedingte Trockenperioden – betrug der jährliche Waldverlust in den vergangenen 35 Jahren 0,6 Prozent (bzw. 1,1 Prozent von 1990 bis 2000). Die Vegetationsdecke reduzierte sich von 1970 bis 2005 um 18 Millionen Hektar – eine Fläche, die mehr als dem Anderthalbfachen der ehemaligen DDR entspricht.
Ein Fall, bei dem die rücksichstlose Abholzung einer ganzen Region zu Missernten und Mindererträgen führte, befindet sich in der Region Sierra de Petatlán y Coyuca de Catalán im mexikanischen Bundesstaat Guerrero, wo allein zwischen 1992 und 2000 etwa 40 Prozent der dortigen Waldfläche, 86.000 Hektar, verloren gingen. Die Verwüstungen, die vor allem auf das Konto des US-amerikanischen Holzkonzerns “Boise Cascade” gingen, wurden seitens der betroffenen Bäuerinnen und Bauern, damit beantwortet, dass sie sich in der Organisation OCESP (Organización de Campesinos Ecologistas de la Sierra de Petatlán y Coyuca de Catalán) zusammenschlossen.
Menschenrechtsverletzungen
Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera, über die nachfolgend noch die Rede sein wird, waren Mitbegründer von OCESP. Eine entsprechende Konzession zur Abholzung vergab der damalige Gouverneur des Bundesstaates Guerrero, Rubén Figueroa, an die US-amerikanischen Firma “Boise Cascade”. Die Mitglieder von OCESP protestierten gegen die Abholzung der Wälder in ihren Heimatregionen, durch die ihre Flüsse austrockneten, was aufgrund des Wassermangels entsprechende Ertragseinbußen nach sich zog. Als ihre Petitionen und Proteste nicht fruchteten, gingen sie zu Wegblockaden über und erreichten schließlich, dass “Boise Cascade” die Region verließ.
Parallel zu diesem Geschehen setzten die Repressionen gegen diese Basisinitiative ein. „Der Protest gegen die Entwaldung greift die ökonomischen Vereinbarungen der lokalen Machthaber zur Abholzung an. Dies hatte die andauernde Verfolgung der Proteste der Campesinos Ecologistas durch Polizei und Militär zur Folge. Die Campesinos Ecologistas (Ökobauern) durchliefen alle instiutionellen Ebenen, um sich gegen die Abholzung zu wehren. Auf ihre Anfragen erhielten sie keine Antworten – die Reaktion bestand aus Repression, Verfolgung und Festnahmen“, gab Silvestre Pacheco, Umweltaktivist in Guerrero, im Interview mit der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko am 28. Oktober 2008 zu Protokoll.
Für Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera bedeutete das 1999 willkürliche Festnahme, Folter und die fälschlich Beschuldigung illegalen Waffenbesitzes. Nach zweijähriger Haft wurden sie aufgrund nationaler und internationaler Proteste im Jahr 2001 freigelassen – freigesprochen wurden sie bis heute nicht. Folglich erhielten sie keine Entschädigung. Weder die Täter noch die geistigen Urheber dieser Menschenrechtsverletzungen – unter ihnen Militärangehörige – wurden zur Rechenschaft gezogen. Der mexikanische Staat weigert sich bis heute, den Aktivisten Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen und ihre Unschuld anzuerkennen. Deshalb wird ihr Fall momentan vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt, wo Rodolfo Montiel am 26. August 2010 seine Aussagen machte. Montiel und Cabrera waren nicht die einzigen OCESP-Aktivisten, die Repressionen erleiden mussten. Auch Felipe Arreaga war monatelang willkürlich inhaftiert (2004/2005). Seine Frau, Celsa Valodvinos, wurde bedroht. Und zwei Kinder von Albertano Peñaloza Dominguez wurden im Jahr 2005 umgebracht.
Regierungsrhetorik und Geschäftsbeziehungen
Der oben geschilderte Fall – wenngleich ein besonders prominenter, leider nur einer von vielen in Mexiko – steht in starkem Kontrast zur aktuellen Rhetorik der mexikanischen Regierung, sich an dem von den Vereinten Nationen unterstützten REDD-Programm (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) beteiligen zu wollen. Dies mag in weltpolitischem Kontext attraktiv erscheinen, zumal Beobachter des Klimagipfels in Cancún nicht allzu viel konkrete Ergebnisse erwarten, am ehesten noch die Verabschiedung eines Abkommens zum Schutz der Urwälder, allerdings auf der Basis eines marktgesteuerten Instrumentariums. Das REDD-Programm ist ein Vorläufer dieses Instruments zum Schutz von “CO2-Senken”. Doch eine Reihe von Regierungen des Südens, allen voran Bolivien, sowie zahlreiche Basisinitiativen kritisieren das marktgesteuerte Programm vor allem deshalb, weil es mit den spekulativen Märkten des Emissionshandels und der Veräußerung traditioneller Bodenrechte verknüpft ist. Die “Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde”, an der im April in Bolivien 45.000 Vertreterinnen und Vertreter aus 136 Ländern teilnahmen, haben sich aus eben diesen Gründen markant gegen das REDD-Programm ausgesprochen und einen Alternativvorschlag formuliert, den sie auf der angelaufenen Klimakonferenz einbringen werden.
In den Industrieländern wird suggeriert, dass die Klimakrise ohne grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, allein mit technisch-organisatorischen Lösungen in den Griff zu bekommen sei. Die Folge ist, neben der Verletzung der obengenannten Menschenrechte, eine unmittelbare Beeinträchtigung der Lebensgrundlage von jenen Teilen der Bevölkerung, auf deren Grund und Boden die alternativen Energien gewonnen werden. In fast allen Fällen geht es um Landrechte, denn die Nutzung alternativer Energien ist mit einem entsprechenden Flächenbedarf verknüpft. Dabei dienen diese Technologien oftmals der “CO2-neutralen” Stillung des Energiehungers der Industrieländer – erinnert sei an das Solarstromvorhaben DESERTEC in Mauretanien und Mali.
Auch in Mexiko werden solche Technologien installiert, was bestimmten “Exportnationen” neue Wertschöpfungsmöglichkeiten bietet. Ausdruck dessen war unter anderem die erste “Unternehmerreise” der deutschen Energiewirtschaft nach Mexiko, die vom 12. bis 20. Juni 2010 stattfand. Darüber hinaus kündigte die Europäische Investitionsbank am 5. Mai an, dass sie sich mit 78,5 Millionen Euro am Bau der Windkraftanlage “La Venta III” in Santa Domingo Ingenio im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca beteiligen wird. Gleichartige Projekte in der Nähe von “La Venta III” waren Ziel von Protesten seitens der lokalen Bevölkerung. Dazu zählen der bereits in Betrieb befindliche Windpark “La Venta II” und der Eurus Windpark, der von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mitfinanziert wird. Ähnlich wie beim Eurus Windpark, dessen Hauptabnehmer der transnationale Zementkonzern CEMEX sein wird, kommt die in solchen Anlagen erzeugte Energie der örtlichen Bevölkerung kaum zugute. Seit 2004 fördert die mexikanische Regierung darüber hinaus Palmölplantagen, deren negative ökologische und soziale Folgen hinlänglich bekannt sind. Inzwischen gibt es davon allein in Chiapas 44.000 Hektar, mit dem Ziel, dort bis 2012 die 100.000-Hektar-Marke zu überschreiten. Langfristig sind 900.000 Hektar angepeilt. Die Europäische Union förderte die Errichtung dieser Plantagen im Rahmen des PRODESIS-Projekts (2004-2007). Die erwähnte „erste deutsche Unternehmerreise der Energiewirtschaft nach Mexiko” folgte diesem Trend und integrierte das Thema Agrotreibstoffe in ihr Programm.
Querverweise:
Factsheet „Klimawandel“ der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko
Schwerpunktseite der junge Welt vom 27.11.2010:
Verschleppt und gefoltert
Neuer Anlauf
Hintergrundbeitrag auf amerika21.de vom 1.12.2010:
Wo Klimaschutz verhandelt wird, werden die Menschenrechte mit Füßen getreten