Peak Soil I – Hunger nach Land
Hintergrund »Peak Soil« – Bodenzerstörung, Landraub und Ernährungskrise. Teil I: Wie Konzerne und Spekulanten von der Verknappung von Lebensmitteln profitieren
Peter Clausing
»Peak Soil«1 lautet der Titel des 2009 erschienenen Buches des Berliner Autors Thomas Fritz, einer ersten umfassenderen Übersicht zum Thema »Land Grabbing« (Landnahme) in deutscher Sprache. Der Begriff »Land Grabbing« bezieht sich auf den Kauf bzw. die langfristige Pachtung großer Landflächen – vor allem in den Ländern des Südens, aber auch in Osteuropa – mit oft drastischen Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung.
Die Ansichten, ab wann von »großen Landflächen« zu sprechen ist, divergieren. Während Olivier de Schutter, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, 1000 Hektar als Untergrenze betrachtet, definierte die Nichtregierungsorganisation (NGO) GRAIN 10000 Hektar als unteres Limit. Entsprechend der Bedeutung dieses bedrohlichen Phänomens ist inzwischen eine Reihe von Publikationen erschienen, und es fanden zahlreiche nationale und internationale Tagungen zum Thema statt. »Land Grabbing, so scheint es, kommt wie ein Tsunami über die Welt, eine in kürzester Zeit aus dem Nichts anschwellende Welle. Die Daten über das Ausmaß der Landgeschäfte, Vertragskonditionen und Anbauprodukte sind unvollständig und unzuverlässig. Der Trend aber ist eindeutig: Die neue Landnahme nimmt enorme Ausmaße an«, schreibt der Publizist Uwe Hoering im INKOTA-Brief 152 vom Juni 2010. Die Aneignung von 15 bis 20 Millionen Hektar zwischen 2006 und April 2008 (Schätzungen des International Food Policy Research Institute, IFPRI) ließ vor rund zwei Jahren bei NGOs und internationalen Institutionen gleichermaßen die Alarmglocken schrillen. Doch diese Zahl verblaßt angesichts der weiteren Entwicklung: Allein von Oktober 2008 bis Juni 2009 wurden von der Weltbank 463 Landdeals erfaßt, die eine Fläche von insgesamt 47 Millionen Hektar betrafen – einem Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Europäischen Union. Drei Viertel der Transaktionen fanden in Afrika statt.
Jagd nach Rendite
Der seit längerem stattfindende Prozeß der Kommodifizierung, des »Zur-Ware-Werdens« der Welternährung, verbunden mit der vorgeschalteten privaten Aneignung des Produktionsmittels Boden, erfuhr in den letzten drei Jahren durch mehrere Faktoren eine maßgebliche Beschleunigung. Erstens hatten sich im Jahr 2008 die Weltmarktpreise für Reis, Weizen und Mais innerhalb weniger Monate zeitweilig verdoppelt bis verdreifacht. Dies führte bei finanzstarken Ländern mit aktuell oder perspektivisch prekärer Eigenversorgung zur Suche nach Lösungen, um ihre Abhängigkeit vom Weltmarkt zu verringern. Zu diesen Ländern zählten vor allem China, Südkorea und erdölreiche Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate.
Zum zweiten sind seit der globalen Finanzkrise immer mehr Anleger auf der Suche nach renditeträchtigen Sachwerten. So lockt die zur Deutschen Bank gehörende DWS auf der Webseite ihres Fonds Invest Global Agribusiness (LC) mit der Formulierung: »Die rasant wachsende Weltbevölkerung, (…) Land- und Wasserknappheit – all das sind Punkte, die für überdurchschnittlich gute Perspektiven der Agrarwirtschaft sprechen.« Andere Agrarfonds werben mit ähnlich inhumanen Slogans und treten so das durch internationale Abkommen garantierte Recht auf Nahrung mit Füßen – zugunsten der Verheißung von Alpha-Renditen.2
Drittens kommt es durch den vor allem aus machtpolitischen Erwägungen geförderten Anbau von Agrotreibstoffen zu einer dauerhaften Flächenkonkurrenz mit der Produktion von Nahrungsmitteln. Wenngleich die Bedeutung des Anteils von »Biosprit« an der Preisexplosion von Nahrungsmitteln im Jahr 2008 teilweise überschätzt wurde – Spekulationen, vor allem an der Chicagoer Börse, waren nach neueren Analysen offenbar deutlich stärker beteiligt –, schränkt die Produktion von Mais, Zuckerrohr, Jatropha und Soja zur Erzeugung von Ethanol und »Biodiesel« jedoch langfristig die Verfügbarkeit von Lebensmitteln ein.
Viertens rücken mögliche Ernteausfälle infolge des Klimawandels mehr und mehr in den Vordergrund. Aus der fehlenden Bereitschaft, insbesondere der Industriestaaten, umfassende und verbindliche Maßnahmen zur Reduzierung der Freisetzung von Treibhausgasen zu vereinbaren, resultiert letztlich, daß klimabedingte Ernteausfälle künftig an Bedeutung gewinnen werden – Prognosen zufolge insbesondere in den Ländern des Südens.
Schizophrene Situation
Waren es anfangs vor allem Länder wie China oder Saudi-Arabien, die in Sachen Ackerland auf Einkaufstour gingen, wies die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bereits im August 2009 darauf hin, daß inzwischen die Mehrzahl der Landkäufe durch den Privatsektor erfolgt.3 Mittlerweile verfügen private Investmentfonds über 14 Milliarden US-Dollar für den Erwerb von Landflächen, Tendenz steigend. Es wird erwartet, daß sich dieser Betrag in den kommenden Jahren auf bis zu 42 Milliarden Dollar erhöhen wird.4
Von den 30 dort erwähnten Investmentfonds kommen 24 aus Europa und Nordamerika. Einer Statistik von Klaus Deininger, Weltbankexperte zu Landfragen, die er Anfang Januar 2010 auf einer Konferenz in Rom präsentierte, ist zu entnehmen, daß bei 290 von 389 analysierten Landgeschäften die Käufer bzw. Pächter aus den Bereichen Agrobusineß, Industrie und Investmentfonds kamen. Knapp 15 Prozent aller Transaktionen fanden Deininger zufolge im Sudan, in Ghana und Madagaskar statt. Unter den 25 Ländern Afrikas und Asiens, in denen nach Angaben von IFPRI und GRAIN derartige Geschäfte abgeschlossen wurden, befinden sich 20, die gleichzeitig Empfängerländer der Welthungerhilfe sind. Laut Welternährungsorganisation (FAO) sind in Angola, Äthiopien, Kambodscha, Kamerun, Kenia, der Demokratischen Republik Kongo, Malawi, Pakistan, Sudan und Tansania – alles Staaten in denen große Landgeschäfte getätigt werden – jeweils mehr als 20 Prozent der Bevölkerung unterernährt.5
Angesichts dieser schizophrenen Situation argumentieren die Vertreter der mächtigen Institutionen, daß es sich bei diesem Prozeß um Agrarinvestitionen handeln würde, aus denen beide Seiten einen Nutzen zögen – die gern bemühte »Win-Win«-Situation. Es lohnt sich deshalb, deren vier Hauptargumente näher anzuschauen, denn inzwischen mußte selbst die Weltbank einräumen, daß »bei vielen Investitionen die Erwartungen nicht erfüllt wurden und daß diese, anstatt nachhaltige Vorteile zu erzeugen, zum Verlust von Hab und Gut beitrugen und die Bevölkerung in eine Situation brachten, die schlechter war, als sie ohne Investitionen gewesen wäre.«6 Dessen ungeachtet werden die »Win-Win«-Argumente von den Vertretern der Finanzinstitutionen gebetsmühlenartig wiederholt, so von Thomas Koch, Abteilungsleiter bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft.
Dabei steht außer Zweifel, daß Investitionen in die Landwirtschaft in den Ländern des Südens dringend benötigt werden, allerdings in eine sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft. Doch Landkäufe per se stellen noch keine Investitionen in die Produktion von Nahrungsmitteln dar, und an der Frage, welches landwirtschaftliche Modell dem Ziel einer nachhaltigen Lösung des Welternährungsproblems dient, scheiden sich die Geister.
Koch propagierte die Etablierung einer »hocheffizienten«, d.h. industriemäßigen Landwirtschaft auf den gekauften Flächen, die der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung diene und deshalb unabdingbar sei. Die Nachhaltigkeit eines solchen Ansatzes sei an dieser Stelle deutlich in Frage gestellt, ganz abgesehen von dem Tatbestand, daß bereits jetzt – trotz ausreichender Produktion von Nahrungsmitteln – über eine Milliarde Menschen chronisch hungert.
Auch ohne das Eingeständnis der Weltbank läßt ein prüfender Blick auf die vermeintlichen Vorteile von Verkauf und Verpachtung der riesigen Ländereien erhebliche Zweifel aufkommen.
Zynische Floskeln
Von den Protagonisten des »Land Grabbing« wird behauptet, es würden bislang ungenutzte Flächen produktiv gemacht – die Landnahme habe somit a priori keine Auswirkungen auf die örtliche Bevölkerung.
Das Argument ignoriert die Tatsache, daß bei einem großen Teil der Weltbevölkerung der Lebensunterhalt auf ganz andere Weise erfolgt und nicht auf dem Verkauf der Arbeitskraft basiert, sondern auf Weiderechten, Zugangsrechten zu Wasser, der Verfügbarkeit von Heilpflanzen, dem lokalen Austausch von Gütern usw. Mit anderen Worten, vermeintlich ungenutzte Flächen spielen für die örtliche Bevölkerung eine wichtige Rolle. Das Argument negiert die Perspektive, daß die oftmals harten und in ihrem aktuellen Zustand häufig nicht erstrebenswerten Bedingungen zum Ausgangspunkt für Verbesserungen gemacht werden könnten, anstatt die vorhandenen Existenzgrundlagen zu beseitigen. Mit der Zerstörung der kulturellen und wirtschaftlichen Grundlage dieses nicht in die Logik des Weltmarkts passenden Lebens wird das Versprechen eines neuen »modernen« Lebens verbunden, das sich dann für eine verschwindende Minderheit – die neue Mittelschicht des Südens – materialisiert und parallel dazu die große Mehrheit in die Slums der Metropolen des Südens, in brutale Lohnsklaverei oder an die Mauern der »Festung Europa« treibt.
Die Verfechter des »Land Grabbing« behaupten weiter, mit der Nutzung der verkauften und verpachteten Flächen käme es zu einem Transfer moderner Technologie in die Landwirtschaft des »Gastgeberlandes« und somit zu Produktivitätssteigerungen. Dazu muß an dieser Stelle zunächst die prinzipielle Frage wiederholt werden: Ist eine vom Agrobusineß kontrollierte Landwirtschaft mit energieintensiven Inputs, gentechnisch veränderten Sorten und Monopolen an »geistigen Eigentumsrechten« das Modell der Zukunft? Oder ist das ein Freifahrtschein in die ökologische und soziale Katastrophe für die Mehrheit der Weltbevölkerung? Abgesehen davon gibt es bislang kein Beispiel dafür, daß profitorientierte ausländische Investoren Technologie an lokale Kleinbauern transferiert hätten. Die Einführung kommerziellen Saatguts und erdölbasierter Inputs wie Kunstdünger und Pestizide mit dem Ziel ihres gewinnorientierten Verkaufs als »Technologietransfer« zu bezeichnen, ist ein Euphemismus.
Institutionen wie die Weltbank sprechen außerdem von einer »Miternährung« der Bevölkerung des »Gastgeberlandes« durch die höheren Erträge auf den verpachteten Flächen. Bislang ist es unmöglich, dies fundiert zu beurteilen. Bei der nahezu völligen Intransparenz der Vertragsinhalte läßt sich die Verbindlichkeit entsprechender medienwirksamer Verlautbarungen kaum überprüfen. Unbeschadet der Vertragsinhalte muß berücksichtigt werden, daß ein beträchtlicher Teil der verhökerten Flächen – laut Deininger inzwischen mehr als 35 Prozent – zur Produktion von Agrotreibstoffen genutzt wird. In diesem Fall degeneriert das Argument der »Miternährung« zur zynischen Floskel. Ferner ist das Outsourcing der landwirtschaftlichen Produktion in Drittländer in besonderem Maße an Preisfluktuationen auf dem Weltmarkt gekoppelt. Es ist also nur logisch zu erwarten, daß in Zeiten hoher Weltmarktpreise, wenn die »Miternährung« der Bevölkerung des »Gastgeberlandes« besonders dringlich wäre, die Ernte zu hundert Prozent ins »Mutterland« transferiert oder auf den Weltmarkt geworfen wird (Stichwort Alpha-Rendite). Falls dem vertragliche Klauseln entgegenstehen, ist die Vermutung leider nicht unbegründet, daß die in vielen »Gastgeberländern« verbreitete Korruption ausreichen dürfte, um vielfach die betreffenden Klauseln zu umgehen. Selbst die Weltbank mußte eingestehen, daß sich Investoren insbesondere auf Länder mit »schwacher Staatlichkeit« konzentrieren.
Weiterhin wird behauptet, mit den vermeintlichen Agrarinvestitionen, die im Zusammenhang mit dem Verkauf bzw. der Verpachtung großer Ländereien in das »Gastgeberland« flössen, würden Arbeitsplätze geschaffen. Klar ist, daß mit dem »Land Grabbing« das Konzept einer industriemäßigen, hochtechnisierten Landwirtschaft verfolgt wird, was unter anderem Thomas Koch unumwunden erklärte. Wie auf diese Weise Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, ist nicht nachvollziehbar, es sei denn, man verzichtet in der Bilanz auf die Berücksichtigung der dadurch zerstörten kleinbäuerlichen Existenzen.
Sklavenarbeit
Auch in den Zentren der Macht – vom G-8-Gipfel über die Weltbank bis zu nationalen Regierungen – ruft das schwindelerregende Tempo bei den Landkäufen Besorgnis hervor. Es darf unterstellt werden, daß die Entscheidungsträger dieser Institutionen weniger von den Schicksalen der Menschen berührt werden als von der Sorge um politische Stabilität. Das führt reflexartig zu Rufen nach freiwilligen Selbstverpflichtungen der Investoren, nach Transparenz, Nachhaltigkeit und Anhörung aller Betroffenen (»stakeholder consultation«). Diese Appelle wirken scheinheilig und hilflos. Sie offenbaren einen objektiven Widerspruch, der aus dem Wunsch nach politischer Stabilität einerseits und dem Diktat der Märkte andererseits resultiert. Ein Widerspruch, der auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten ist und dem man vor Ort mit »sicherheitspolitischen« Maßnahmen zu begegnen versucht – häufig unter dem Deckmantel der »Terrorbekämpfung«. Doch während die internationalen Gremien freiwillige Verpflichtungen (»Code of Conduct«) propagieren, fehlt augenscheinlich die Basis, deren Einhaltung auch nur annähernd zu überblicken. So gab die Bundesregierung im August 2010 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei zur Antwort: »Über eine Beteiligung deutscher Unternehmen an großflächigen Landnahmen in Ländern des globalen Südens hat die Bundesregierung keine Kenntnisse.«7
Der Antwort der Bundesregierung zufolge ist ihr auch nicht bekannt, »welche deutschen Finanzinstitutionen sich in Landfonds engagieren und/oder mit Land oder mit Agrarprodukten spekulieren«. Der Bundesregierung bleibt also verschlossen, was Autoren wie Thomas Fritz zutage fördern konnten. Um mit dem extremsten der in seiner Untersuchung aufgeführten Beispiele zu beginnen: Die Deutsche Bank investiert über ihre Investmentgesellschaft DWS mindestens in drei Landfonds des brasilianischen Zucker- und Ethanolunternehmens Cosan, das die Landkäufe über seinen eigenen an der New Yorker Börse gelisteten Fonds, Radar Propriedades Agricolas S.A., abwickelt. Von den gigantischen Landkäufen abgesehen – der Konzern kontrolliert mittlerweile mindestens 700000 Hektar – steht Cosan seit Anfang 2010 auf der schwarzen Liste des brasilianischen Arbeitsministeriums, in der Unternehmen verzeichnet sind, die ihre Angestellten unter sklavenartigen Bedingungen schuften lassen. Das hatte zur Folge, daß seitens der brasilianischen Staatsbank bereits vereinbarte Kreditzahlungen an Cosan ausgesetzt wurden. »Die DWS hingegen«, so Fritz, »ermöglicht es ihren AnlegerInnen, von Cosans Geschäftsmethoden zu profitieren – Landnahme und Sklavenarbeit inbegriffen.«8
Und da es »keine aufsichtsrechtliche Verpflichtung« der Bundesregierung gegenüber deutschen Finanzinstitutionen gibt, braucht sich die Bundesregierung auch nicht darum zu kümmern. Die »Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten«, deren Entwicklung von der Bundesregierung seit Ende 2009 mitgefördert wird, werden es schon richten. Gefordert (und durchgesetzt) wird statt dessen von der Bundesregierung seit diesem Jahr die von der EU festgelegte Erhöhung des Ethanolanteils an Benzinkraftstoffen auf zehn Prozent. Cosan hat Vorsorge getroffen und vereinbarte im August 2010 ein Joint Venture mit Shell, so daß Cosans Ethanol weltweit durch Zapfsäulen des Mineralölkonzerns fließen kann. Vom DWS-Fonds gelangt auch Geld in das argentinische Unternehmen Cresud S.A. und in die in Singapur ansässigen Konzerne Wilmar International Ltd. und Olam International – Unternehmen mit einer katastrophalen Umweltbilanz und darüber hinaus für gravierende Menschenrechtsverletzungen bei der Durchsetzung ihrer Interessen bekannt.
Bundesregierung sieht zu
Ist die Deutsche Bank das »schwarze Schaf« in einer sonst heilen Welt der deutschen Anlegerlandschaft? Nein. Was der Bundesregierung aufgrund ihrer fehlenden und offensichtlich auch nicht angestrebten »aufsichtsrechtlichen Verpflichtung« vorenthalten bleibt, ist die Kenntnisnahme weiterer Fälle sozialer und ökologischer Fehlinvestitionen deutscher »Finanzdienstleister«. Auch der von der Allianz-Gruppe im April 2008 aufgelegte Fonds RCM Global Agricultural Trends investiert in Cosan. Die in Gelching bei München ansässige Acazis AG (früher Flora Ecopower) hat in Äthiopien 50jährige Pachtverträge über 56000 Hektar zum Anbau von »Energiepflanzen« (Castor und Eukalyptus) abgeschlossen und verfügt über Konzessionen für weitere 200 000 Hektar.9
Abgesehen davon, daß die Segnungen der Agrarinvestitionen von Flora Ecopower ausblieben – zeitweilig wurden nicht einmal die Löhne ausgezahlt –, ist das ein konkretes Beispiel dafür, wie in einem Land (Äthiopien), das sich am Tropf des Welternährungsprogramms befindet, Flächen der Stillung des Energiehungers in den kapitalistischen Kernländern dienen statt der des Hungers der Bevölkerung im eigenen Land.
Auch Saturnio Borras und Jennifer Franco, zwei in Kanada arbeitende Wissenschaftler, kommen in einer Publikation der Yale-Universität zu dem Schluß, daß der oben erwähnte »Code of Conduct« zum Scheitern verurteilt ist.10 Sie führen dafür einige Punkte an: Erstens wird damit das konzernkontrollierte Modell landwirtschaftlicher Produktion nicht in Frage gestellt; zweitens ist die Verbesserung der Lage der Landbevölkerung des Südens nicht primärer Gegenstand dieser Art von »Entwicklung«; drittens wird suggeriert, die Klärung von Landeigentumsrechten sei eine Lösung (für sich selbst genommen ist sie es nicht, denn es muß gleichzeitig geklärt werden, ob und unter welchen Bedingungen dort Nahrungsmittel produziert werden); und viertens betrachten Borras und Franco »Transparenz« und »Partnerschaft« nicht automatisch als Garantien für Fairneß, und schließlich steht das Prinzip der Freiwilligkeit notwendigen Sanktionen bei Verstößen entgegen.
Welche Alternativen gäbe es angesichts der »Land Grabbing«-Welle? Die dringendste und am schnellsten realisierbare Maßnahme wäre – bei vorhandenem politischen Willen – ein globales Moratorium für großflächige Landkäufe. Damit würde Zeit gewonnen, um Mechanismen zu installieren, die garantieren, daß Agrarinvestitionen ihren eigentlichen Zweck erfüllen – die Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung. Olivier de Schutter hat im Dezember 2009 anläßlich der 13. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats minimale Prinzipien für großflächige Landkäufe aufgelistet11: Freies und bewußtes vorheriges Einverständnis der örtlichen Bevölkerung bei Änderungen in der Landnutzung, die Förderung arbeitsintensiver Anbausysteme (d.h. kleinbäuerlichen Wirtschaftens, P.Cl.), angemessener Schutz und Einräumung gewerkschaftlicher Rechte für Landarbeiter, Förderung umweltverträglicher Produktionsmethoden sowie Verträge zur Landnutzung mit sanktionierbaren Verpflichtungen gegenüber den Investoren. Die »alternative Agenda« von Thomas Fritz sieht ähnlich aus. Zusätzlich schlägt er eine Stärkung des Widerstandes gegen Landgeschäfte und deren systematische Überwachung vor. Diesen Widerstand gibt es schon heute, und er ist weiter verbreitet, als man vermutet. Die Tatsache, daß von den eingangs erwähnten 463 Landdeals laut Weltbank-Angaben zum Erfassungszeitpunkt nur 21 Prozent praktisch umgesetzt waren, hat viele Ursachen. Eine der anerkannten ist lokaler Widerstand – ein nicht ganz unbedeutendes »Investitionshindernis«.
Anmerkungen
1 von engl. peak (dt. Gipfelpunkt) und soil (dt. Land/Boden). Der Begriff bezeichnet in Anlehnung an »Peak Oil«, dem Zeitpunkt, ab dem mehr Erdöl verbraucht wird als an Förderquellen neu erschlossen werden, die Grenzen der globalen Vernutzung von Boden – d. Red.
2 Fritz, T.: Das große Bauernlegen. Agrarinvestionen und der Run auf’s Land, FDCL-Verlag, Berlin 2010, S. 10. Durch die Erzielung von Extrarenditen (»Alpha«) versprechen die Fonds jährliche Erträge von 15 bis 25 Prozent.
3 GTZ: Foreign Direct Investment (FDI), in: Land in developing countries, Eschborn, 2009.
4 Fritz a.a.O., S. 10
5 FAO: The state of food insecurity in the world, Rome, 2008.
6 World Bank: Rising global interest in farmland. Can it yield sustainable and equitable benefits? 2011, S. 118
7 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/2779 vom 20.08.2010, S.3
8 Fritz a.a.O., S. 12
9 land-grabbing.de/fallbeispiele
10 Borras Jr., S. und Franco, J.: From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a ’Code of Conduct’ for Land-Grabbing. Yale Human Rights & Development Law Journal, Vol 13, 2010, S. 507-523
11 www.srfood.org/images/stories/pdf/officialreports/20100305_a-hrc-13-33-add2_land-principles_en.pdf
Erschienen in: junge Welt vom 28.03.2011