Peak Soil II – Boden­zer­stö­rung

Deut­li­ches Gefah­ren­po­ten­ti­al
Hin­ter­grund. »Peak Soil« – Boden­zer­stö­rung, Land­raub und Ernäh­rungs­kri­se. Teil II: Der Ver­lust land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­chen und wie er abge­wen­det wer­den kann

Peter Claus­ing

Peak Soil – die unter­schätz­te Kri­se des Bodens« lau­tet der Titel eines im Vor­jahr erschie­ne­nen Hefts der Zeit­schrift Poli­ti­sche Öko­lo­gie. »Der Boden ist das ver­ges­se­ne Medi­um der Umwelt­po­li­tik. Erst viel zu spät und dann auch nicht voll­stän­dig hat das Umwelt­recht auf die Schä­den an den Böden reagiert«, stellt Gün­ther Bach­mann dort für die Situa­ti­on in Deutsch­land fest.1 Win­fried E. H. Blum, Pro­fes­sor für Boden­kun­de an der Uni­ver­si­tät Wien, ergänzt: »Was sich der­zeit in den Böden Euro­pas abspielt, gilt im wesent­li­chen auch und zum Teil in noch stär­ke­rem Maße für wei­te­re Län­der der Nord­halb­ku­gel, vor allem aber für Afri­ka, Süd­ame­ri­ka und Süd­ost­asi­en, wo Ero­si­on, Ver­dich­tung, Ver­lust an orga­ni­scher Sub­stanz sowie Bio­di­ver­si­tät, Kon­ta­mi­na­ti­on, Ver­sal­zung und ins­be­son­de­re Erd­rut­sche ein alar­mie­ren­des Aus­maß erreicht haben.«2 Nach sei­ner Ein­schät­zung wird die Inten­si­vie­rung des voll­me­cha­ni­sier­ten Acker­baus die Boden­pro­ble­me noch wei­ter ver­schär­fen.

Boden und Kli­ma
Von den rund 150 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­tern Land­flä­che der Erde sind unge­fähr 31 Pro­zent mit Wald bedeckt, 24 Pro­zent wer­den als Wei­de­land und 12 Pro­zent als Acker­land genutzt. Die­se Antei­le ver­rin­gern sich durch Flä­chen­ver­sie­ge­lung im Zuge der fort­schrei­ten­den Urba­ni­sie­rung und neu­er­dings auch durch die mas­sen­haf­te »Umwid­mung« von Flä­chen zur Erzeu­gung von »Ener­gie­pflan­zen«, aus denen Agro­treib­stof­fe statt Lebens­mit­tel gewon­nen wer­den. Laut Blum müß­ten zur Errei­chung des von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on für 2020 gesetz­ten Zie­les 15 Pro­zent der euro­päi­schen Agrar­flä­che zur Agro­treib­stoff­pro­duk­ti­on ein­ge­setzt wer­den, was nicht rea­lis­tisch ist, so daß ein wach­sen­der Teil durch außer­eu­ro­päi­sche Impor­te abge­deckt wer­den muß.

Ande­rer­seits wird durch diver­se »Agrar­fron­ten« land­wirt­schaft­li­che Nutz­flä­che hin­zu­ge­won­nen. In den ver­gan­ge­nen vier Jahr­zehn­ten wur­de– und Pro­gno­sen zufol­ge wird das auch noch in den nächs­ten 15 Jah­ren der Fall sein– der degra­da­ti­ons­be­ding­te Boden­ver­lust durch die Erschlie­ßung neu­er Flä­chen mehr als kom­pen­siert. So wird für die Län­der des Südens ein Net­to­zu­wachs an genutz­ter Gesamt­flä­che (d.h. bereits unter Abzug der Flä­chen­ver­lus­te) von 82 Mil­lio­nen Hekt­ar zwi­schen 1990 und 2025 prognostiziert.3

Auch wenn – trotz über einer Mil­li­ar­de hun­gern­der Men­schen – momen­tan rein rech­ne­risch genü­gend Nah­rung für die Welt­be­völ­ke­rung pro­du­ziert wird, muß der Tat­sa­che ins Auge gese­hen wer­den, daß für den genann­ten Zeit­raum der Zuwachs an land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che (zehn Pro­zent), deut­lich gerin­ger aus­fällt als der pro­gnos­ti­zier­te Bevöl­ke­rungs­zu­wachs (60 Pro­zent). Zudem geht der Gewinn an land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che häu­fig mit der Zer­stö­rung von Wäl­dern ein­her, ein Pro­zeß, den man seit den 1970er Jah­ren erfolg­los mit den unter­schied­lichs­ten Wald­schutz­pro­gram­men zu stop­pen ver­sucht. Es han­delt sich also um zwei simul­tan lau­fen­de Pro­zes­se glo­ba­ler Umwelt­zer­stö­rung.

Par­al­lel zu die­sen bei­den Pro­zes­sen – Flä­chen­ver­sie­ge­lung und Umwelt­zer­stö­rung durch die Agrar­fron­ten – spielt sich eine stil­le Kata­stro­phe sozu­sa­gen direkt unter unse­ren Füßen ab: Frucht­ba­rer Boden wird durch Wind oder Was­ser abge­tra­gen, und die Boden­frucht­bar­keit wird zer­stört. Bis­lang fin­det die Boden­pro­ble­ma­tik unter ande­rem des­halb wenig Beach­tung, weil es sich um einen lang­fris­ti­gen Pro­zeß han­delt, der noch weni­ger augen­fäl­lig ist als der Kli­ma­wan­del. Für letz­te­ren wird in den Medi­en durch gele­gent­li­che Bil­der von schmel­zen­den Glet­schern und Ver­wüs­tun­gen durch Tai­fu­ne und Hur­ri­kans zumin­dest die Exis­tenz des Pro­blems bewußt gemacht, auch wenn kei­ne gesell­schaft­li­chen Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den. Dabei gibt es eine bedeut­sa­me gegen­sei­ti­ge Beein­flus­sung von Boden­de­gra­da­ti­on und Kli­ma­wan­del. Bereits 1994 wies der Wis­sen­schaft­li­che Bei­rat der Bun­des­re­gie­rung Glo­ba­le Umwelt­ver­än­de­run­gen (WGBU) dar­auf hin, daß »durch Ver­än­de­rung des Ener­gie­um­sat­zes und der bio­geo­che­mi­schen Kreis­läu­fe von Koh­len­stoff und Stick­stoff die Degra­da­ti­on auch auf das Kli­ma (wirkt), d.h. die Rege­lungs­funk­ti­on der Böden wird gestört.«4

José Lou­is Rubio, Prä­si­dent der Euro­päi­schen Gesell­schaft für Boden­schutz, mach­te unlängst dar­auf auf­merk­sam, daß die Koh­len­stoff-Spei­cher­ka­pa­zi­tät des Bodens mit 2300 Giga­ton­nen jene der glo­ba­len Vege­ta­ti­ons­de­cke um das Drei- bis Vier­fa­che übertrifft5. In einer ande­ren Stu­die wird her­vor­ge­ho­ben, daß über den Zeit­raum von 1989 bis 1998 rund ein Drit­tel des durch den Men­schen ver­ur­sach­ten atmo­sphä­ri­schen Koh­len­di­oxi­dan­stiegs auf Ver­än­de­run­gen in der Land­nut­zung zurück­zu­füh­ren ist.6 Der Boden ist also nicht nur ein wich­ti­ge Grund­la­ge für unse­re Ernäh­rung, son­dern auch ein maß­geb­li­cher Kli­ma­fak­tor.

Nicht erneu­er­bar
Der Boden, die hauch­dün­ne Schicht auf der Ober­flä­che der Erde, ist eine der wesent­li­chen Grund­la­gen unse­rer Ernäh­rung und somit unse­rer Exis­tenz. Eine Degra­da­ti­on des Bodens fand auch statt, als es noch kei­ne Men­schen auf der Erde gab. Zugleich steht dem natür­li­chen Phä­no­men des Abbaus von Boden sei­ne Neu­bil­dung gegen­über. Doch all dies erfolgt in geo­lo­gi­schem Tem­po: Auf knapp 4000 Jah­re wird die Zeit­span­ne bezif­fert, die für die Bil­dung von 20 Zen­ti­me­tern land­wirt­schaft­lich nutz­ba­rem Boden not­wen­dig ist. Bezo­gen auf die mensch­li­chen Zeit­ho­ri­zon­te macht das den Boden zu einer nicht erneu­er­ba­ren Res­sour­ce. Mit­hin ist die anthro­po­gen beding­te Beschleu­ni­gung der Boden­schä­di­gung, die seit der Mecha­ni­sie­rung der Land­wirt­schaft, dem Anbau von Mono­kul­tu­ren und dem Ein­satz von che­mi­schen Dün­ge­mit­teln zu beob­ach­ten ist, ein gra­vie­ren­des Pro­blem. Die Zah­len spre­chen für sich. Wäh­rend im WGBU-Gut­ach­ten aus dem Jahr 1994 »nur« von 15 Pro­zent der glo­ba­len Land­flä­che die Rede war, die von Boden­de­gra­da­ti­on betrof­fen waren, 7 hat­ten im Jahr 2008 die­se kumu­la­ti­ven Schä­den bereits knapp ein Vier­tel der Erde erfaßt8, wobei in bei­den Stu­di­en die Pro­zent­an­ga­ben für alle Schä­di­gun­gen – von leicht bis irrever­si­bel – sub­su­miert wur­den.

Die Ero­si­on hat laut WGBU-Gut­ach­ten den Löwen­an­teil am degra­da­ti­ons­be­ding­ten Flä­chen­ver­lust (16,4 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­ter – 85 Pro­zent aller degra­dier­ten Flä­chen). Was­ser und Wind tra­gen jähr­lich 75 Mil­li­ar­den Ton­nen Boden ab. Vor Jahr­tau­sen­den boten die durch Was­ser abge­tra­ge­nen und an ande­rer Stel­le wie­der ange­schwemm­ten frucht­ba­ren Erd­men­gen die Vor­aus­set­zung für die Ent­ste­hung von Zivi­li­sa­tio­nen – erin­nert sei an das Nil­del­ta und die Fluß­läu­fe von Euphrat und Tigris. Auch ande­re Epi­so­den natür­li­cher Ero­si­on waren spä­ter für die Men­schen von Vor­teil. Bei­spiels­wei­se wur­de der Löß­bo­den in der Mag­de­bur­ger Bör­de und wei­te­ren Regio­nen Mit­tel­eu­ro­pas von jenen Win­den her­bei­ge­tra­gen, die in der vege­ta­ti­ons­ar­men Peri­ode der Eis­zeit über das eura­si­sche Fest­land hin­weg­feg­ten. Das pas­sier­te im Ver­lauf der letz­ten 2,6 Mil­lio­nen Jah­re der Erd­ge­schich­te. Das Pro­blem ist also nicht die Ero­si­on an sich, son­dern das Tem­po, mit der sie heu­te welt­weit von­stat­ten geht.

Wenn einer jähr­li­chen Boden­bil­dungs­ra­te von etwa einer Ton­ne pro Hekt­ar eine Ero­si­ons­ra­te von über fünf Ton­nen pro Hekt­ar Jahr gegen­über­steht, wie es zum Bei­spiel in Tei­len von Süd­spa­ni­en, Süd­frank­reich, Ita­li­en und Grie­chen­land der Fall ist, dann erge­ben sich dar­aus mit­tel­fris­tig Pro­ble­me für die Pro­duk­ti­vi­tät. Zum Teil ist das in die­sen Regio­nen jetzt schon spür­bar. Wenn jedoch die Ero­si­ons­ra­ten durch­schnitt­lich 30 bis 40 Ton­nen pro Hekt­ar und Jahr betra­gen, was in vie­len Län­dern Asi­ens, Afri­kas und Latein­ame­ri­kas dem Durch­schnitt ent­spricht, dann ist die Situa­ti­on dra­ma­tisch. Die häu­fi­ger auf­tre­ten­den extre­men Wet­ter­ereig­nis­se ver­stär­ken die­sen Pro­zeß zusätz­lich. Die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Stark­re­gen, Über­schwem­mun­gen und Dür­re­pe­ri­oden beschrän­ken sich nicht auf die unmit­tel­ba­ren, in den Medi­en ver­brei­te­ten Bil­der. Am Ende der Ska­la ste­hen Deser­ti­fi­ka­ti­on (Wüs­ten­bil­dung) und Erd­rut­sche. Bei­spiels­wei­se ist einer Über­sicht der euro­päi­schen Umwelt­agen­tur zu ent­neh­men, daß sich die Zahl der Erd­rut­sche (unter­schied­lichs­ten Aus­ma­ßes) in Ita­li­en expo­nen­ti­ell erhöht hat. Lagen die­se in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts noch unter 500 pro Deka­de, waren es zwi­schen 1950 und 1979 über 1000. In den 1980er und 1990er Jah­ren wur­de dann jeweils die 2000er Mar­ke über­schrit­ten.

Die zweit­größ­te Bedeu­tung nach der Ero­si­on hat die che­mi­sche Degra­da­ti­on (Nähr­stoff­ver­lust, Ver­sal­zung, Kon­ta­mi­na­ti­on, Ver­saue­rung), wobei der Nähr­stoff­ver­lust mit über der Hälf­te der betrof­fe­nen Flä­chen beson­ders zu Buche schlägt. In Zah­len aus­ge­drückt, lei­den 1,35 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­ter bzw. sie­ben Pro­zent aller degra­dier­ten Flä­chen an Nähr­stoff­ver­lust bzw. -man­gel. Paro­do­xer­wei­se ist ein Ver­lust der Boden­frucht­bar­keit nicht sel­ten eine Lang­zeit­fol­ge von Nähr­stoff­zu­füh­rung, näm­lich anor­ga­ni­scher Dün­gung, und zwar beson­ders dann, wenn im Rah­men indus­tri­el­ler Anbau­me­tho­den auf die arbeits­in­ten­si­ve­re orga­ni­sche Dün­gung gänz­lich ver­zich­tet wur­de, was ins­be­son­de­re bei emp­find­li­che­ren Böden zur Ver­ar­mung an Humus führt.

Gesamt­öko­lo­gi­sche Kri­se
Die ent­schei­den­de Fra­ge ist, wel­che kon­kre­ten Fol­gen der Ver­lust an Boden­qua­li­tät auf die land­wirt­schaft­li­chen Erträ­ge und somit auf die glo­ba­le Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung hat bzw. haben wird. Dies erfor­dert eine dif­fe­ren­zier­te Betrach­tungs­wei­se, denn schon die Daten über den Schwe­re­grad der Degra­da­ti­on sind im glo­ba­len Maß­stab nicht son­der­lich prä­zi­se. So ver­wun­dert es nicht, daß unter den Exper­ten zwar Einig­keit herrscht, daß die Schä­di­gung der Böden erns­te Aus­wir­kun­gen auf die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­vi­tät haben wird. Es diver­gie­ren jedoch die Ansich­ten über Zeit­ho­ri­zon­te und das Aus­maß. Auch in dem 2009 ver­öf­fent­lich­ten Welt­agrar­be­richt wird beklagt, daß auf­grund feh­len­der Daten die Schät­zun­gen über Aus­wir­kun­gen auf die Pro­duk­ti­vi­tät stark divergieren.9

Win­fried E.H. Blum mahnt in sei­nem oben erwähn­ten Bei­trag mit drin­gen­den Wor­ten: »Tref­fen Welt­ge­mein­schaft, EU oder zumin­dest ein­zel­ne Län­der kei­ne Maß­nah­men, um die (agra­risch genutz­ten) Böden zu schüt­zen, wird in spä­tes­tens zehn bis 20 Jah­ren nicht nur die Pro­duk­ti­on von Nah­rungs­mit­teln kri­tisch. Auch die gesamt­öko­lo­gi­sche Situa­ti­on in den Agrar­ge­bie­ten wird sich rasant ver­schlech­tern.« Im Gegen­satz dazu ver­trat Sara J. Scherr vom Inter­na­tio­nal Food Poli­cy Rese­arch Insti­tu­te in Washing­ton die Ansicht, daß »bis zum Jahr 2020 Degra­da­ti­on die glo­ba­le Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung ins­ge­samt nicht zu bedro­hen (scheint), auch wenn even­tu­ell die glo­ba­len Lebens­mit­tel­prei­se und die Unter­ernäh­rung stei­gen werden.«10 Als sie die­se Pro­gno­se ver­öf­fent­lich­te, waren aller­dings Agro­treib­stoff­boom, »Land Grab­bing« und die Explo­si­on der Lebens­mit­tel­prei­se von 2008 mit den dar­auf­fol­gen­den Hun­ger­pro­tes­ten in über 40 Län­dern noch fast ein Jahr­zehnt ent­fernt. Außer­dem: Wenn­gleich die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels auch heu­te noch nicht über­schaut wer­den kön­nen, ist in die­sem Punkt das Gefah­ren­po­ten­ti­al inzwi­schen deut­li­cher erkenn­bar als noch vor zwölf Jah­ren.

Auch der Welt­agrar­be­richt beur­teilt auf­grund der rela­tiv vagen Daten den Schwe­re­grad der zu erwar­ten­den Kon­se­quen­zen eher zurück­hal­tend. Ein­deu­tig äußern sich die Ver­fas­ser hin­ge­gen in bezug auf ande­re inter­es­san­te Details. Etwa die Bilanz, daß 25 Pro­zent der bis­he­ri­gen Boden­zer­stö­rung durch die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on selbst ver­ur­sacht wur­den. Zugleich kommt der Über­wei­dung, die von ande­ren Autoren viel­fach als einer der wich­tigs­ten Degra­da­ti­ons­grün­de her­vor­ge­ho­ben wird, offen­bar ein deut­lich gerin­ge­rer Stel­len­wert zu. Der Effekt der Über­wei­dung ist oft­mals sekun­dä­rer Natur. Die Aus­deh­nung des Acker­baus auf Böden mit schlech­ter Qua­li­tät führt dazu, daß Hir­ten, die in dem Gebiet ursprüng­lich eine nach­hal­ti­ge Wei­de­wirt­schaft betrie­ben, in noch mar­gi­nale­re Berei­che ver­drängt wer­den, wo ihre Her­den dann über kurz oder lang den Boden zer­stö­ren. Zur Ver­drän­gung kommt es auch durch den Anbau bestimm­ter Ener­gie­pflan­zen, auch wenn die Agro­treib­stoff­lob­by, zum Bei­spiel die Agen­tur für Erneu­er­ba­re Ener­gien e.V., nicht müde wird zu behaup­ten, Agro­treib­stof­fe wür­den auch auf kar­gen Böden wach­sen, wes­halb es angeb­lich kei­ne Flä­chen­kon­kur­renz mit der Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on gäbe.

Poli­ti­sche Blo­cka­de­hal­tung
Der Welt­agrar­be­richt wen­det sich auch gegen die vom Umwelt­pro­gramm der Ver­ein­ten Natio­nen (UNEP) ver­tre­te­ne Ansicht, bis zum Jahr 2030 müß­ten in den Län­dern des Südens 1,2 Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­ter Wald in land­wirt­schaft­li­che Nutz­flä­che mit kom­mer­zi­el­ler Inten­siv­wirt­schaft umge­wan­delt wer­den, um die Welt­ernäh­rung zu sichern. Statt des­sen soll­ten, so die Ver­fas­ser des Welt­agrar­be­richts, degra­dier­te Agrar­flä­chen restau­riert wer­den. Metho­den zur Restau­rie­rung– Anrei­che­rung des Bodens mit orga­ni­scher Mas­se, even­tu­ell ver­bun­den mit einer zurück­hal­ten­den Anwen­dung anor­ga­ni­scher Dün­ger – stün­den zur Ver­fü­gung, fän­den aber unge­nü­gen­de poli­ti­sche Unter­stüt­zung. Viel­fach könn­ten sol­che Maß­nah­men den Pro­zeß der Boden­de­gra­da­ti­on rück­gän­gig machen. Wei­te­re vom Agrar­be­richt emp­foh­le­ne Mit­tel sind eine Diver­si­fi­zie­rung der Frucht­fol­ge und eine als »Agro­forst­wirt­schaft« bezeich­ne­te Stra­te­gie, der beson­ders in Afri­ka gute Chan­cen ein­ge­räumt wer­den, um mit ein­fa­chen Mit­teln Pro­zes­se der Umwelt­zer­stö­rung umzu­keh­ren.

Men­schen­ge­mach­ten Pro­ble­men ist man nicht hilf­los aus­ge­lie­fert, wenn der poli­ti­sche Wil­le vor­han­den ist, sie zu besei­ti­gen. Der aller­dings fehlt oft­mals. Das trifft auf die Schä­den in den Böden in ähn­li­cher Wei­se zu wie auf den Kli­ma­wan­del. Poli­ti­sche Blo­cka­de­hal­tun­gen gehen häu­fig von der natio­na­len Ebe­ne aus und strah­len sowohl auf die regio­na­le als auch auf die supra­na­tio­na­le Ebe­ne aus. So berich­tet Uwe Hoe­ring von einem Bei­spiel im tan­sa­ni­schen Distrikt Kon­doa, wo die dor­ti­ge Ver­wal­tung den Ein­satz orga­ni­schen Dün­gers und somit die Ver­bes­se­rung degra­dier­ter Böden unter­stützt, wäh­rend die natio­na­le Regie­rung Land­wirt­schafts­be­ra­ter los­schickt, um den Ein­satz von Kunst­dün­ger zu pro­pa­gie­ren, obwohl sie es eigent­lich bes­ser wis­sen müß­te, denn in vier tan­sa­ni­schen Pro­vin­zen ist mitt­ler­wei­le die Boden­frucht­bar­keit zusam­men­ge­bro­chen, nach­dem jah­re­lang Ton­nen von Kunst­dün­ger auf die Mais- und Baum­woll­fel­der gekippt wurden.11

Ein ande­res bemer­kens­wer­tes Bei­spiel ist die Wei­ge­rung Deutsch­lands, Groß­bri­tan­ni­ens, der Nie­der­lan­de, Öster­reichs und Frank­reichs, der Euro­päi­schen Boden­rah­men­richt­li­nie (BRRL), die seit 2006 im Ent­wurf vor­liegt, Gel­tung zu ver­schaf­fen. Alle Ver­bän­de, wis­sen­schaft­li­chen Gesell­schaf­ten und diver­se Insti­tu­te wür­den die BRRL als gut begrün­det befür­wor­ten, betont Gabrie­le Broll, Prä­si­den­tin des Bun­des­ver­ban­des Boden und Pro­fes­so­rin für Geo­öko­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Osna­brück. »Wür­de sich Deutsch­land bei der BRRL kom­pro­miß­be­reit zei­gen, kann man sicher sein, daß sich wei­te­re Län­der anschlie­ßen wür­den, die jetzt noch oppo­nie­ren«, schreibt sie.12

In einer Hal­tung von natio­na­lem Ego­is­mus argu­men­tiert die deut­sche Regie­rung, daß für sie das Bun­des­bo­den­ge­setz von 1998 alle Erfor­der­nis­se abde­cken wür­de, und blo­ckiert wegen ver­meint­li­cher Wett­be­werbs­nach­tei­le eine euro­päi­sche Rege­lung. Auch wenn die Situa­ti­on der Böden in den Län­dern Asi­ens, Afri­kas und Süd­ame­ri­kas vor allem auf­grund ihrer geo­lo­gi­schen Beschaf­fen­heit beson­ders gra­vie­rend ist, sind die euro­päi­schen Böden des­halb nicht frei von Pro­ble­men. Auf 75 Pro­zent aller im Auf­trag der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on unter­such­ten Flä­chen, reprä­sen­ta­tiv für über eine Mil­li­on Qua­drat­ki­lo­me­ter, weist die Boden­kru­me einen nied­ri­gen bis sehr nied­ri­gen Gehalt an orga­ni­schem Koh­len­stoff auf. Betrof­fen sind vor allem Flä­chen in Süd­eu­ro­pa. Zu beden­ken ist auch der oben ange­deu­te­te, sich gegen­sei­tig auf­schau­keln­de Pro­zeß von Kli­ma­ver­än­de­rung und Ver­schlech­te­rung der Boden­qua­li­tät.

Nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft
In letz­ter Instanz ist das The­ma Boden­de­gra­da­ti­on in die Dis­kus­si­on inte­griert, wel­chem land­wirt­schaft­li­chen Modell die Zukunft gehört – einem nach­hal­ti­gen klein­bäu­er­lich-bio­lo­gi­schen Anbau oder einer indus­trie­mä­ßi­gen Groß­flä­chen­wirt­schaft mit mas­si­ven erd­öl­ba­sier­ten Inputs. Die Moti­ve, die hin­ter letz­te­rem Modell ste­cken, sind durch­sich­tig. Für jedes gro­ße Unter­neh­men, egal aus wel­cher Bran­che, stellt die Gewinn­ma­xi­mie­rung, die übli­cher­wei­se mit Umsatz­stei­ge­run­gen ein­her­geht, den betriebs­wirt­schaft­li­chen Impe­ra­tiv dar. Dar­an ändert weder die vor­ge­gau­kel­te »Sor­ge um die Gesund­heit der Men­schen« bei Phar­ma­kon­zer­nen etwas noch die heuch­le­ri­sche »Sor­ge um die Welt­ernäh­rung« bei den Unter­neh­men des agro­in­dus­tri­el­len Kom­ple­xes. Schein­ba­re Glaub­wür­dig­keit erhält die­ser Dis­kurs, indem er von den dahin­ter ste­hen­den wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen abge­kop­pelt wird. Von »unab­hän­gi­gen« Mei­nungs­bild­nern in Poli­tik, Medi­en und Wis­sen­schaft wird die Sor­ge um das Wohl­be­fin­den der Mensch­heit so oft in einem Atem­zug mit dem kon­zern­freund­li­chen Lösungs­vor­schlag wie­der­holt, bis sich die durch­sich­ti­gen Moti­ve ver­flüch­tigt haben und eine »Wahr­heit« ent­steht, an die am Ende die Mei­nungs­bild­ner viel­leicht sogar selbst glau­ben. Alter­na­ti­ve land­wirt­schaft­li­che Ver­fah­ren wer­den dem­entspre­chend stief­müt­ter­lich behan­delt. »Agro­öko­lo­gi­scher Anbau in der Pra­xis – spo­ra­di­sche Anwen­dung, beschränk­te Unter­stüt­zung« lau­tet die Kapi­tel­über­schrift eines vor nicht all­zu lan­ger Zeit erschie­nen Oxfam-Berichts13. Agro­öko­lo­gi­scher Anbau bedeu­tet eben nicht »ein­fach nur« klein­bäu­er­li­ches Wirt­schaf­ten, son­dern ein inte­gra­les Kon­zept, das auf Kennt­nis­sen basiert, deren flä­chen­de­cken­de Ver­mitt­lung eben nicht in den Betriebs­kos­ten von Agrar­kon­zer­nen ent­hal­ten ist, denn eine sol­che Ent­wick­lung wäre mit einem Bruch mit dem sich immer stär­ker aus­deh­nen­den Modell einer glo­ba­len kapi­ta­lis­ti­schen Land­wirt­schaft ver­bun­den. Außer­dem erfor­der­te eine sol­che wis­sens­ba­sier­te Trans­for­ma­ti­on ver­mut­lich den Bruch mit pater­na­lis­ti­schen, bis­wei­len qua­si-feu­da­len Ver­hält­nis­sen vor Ort, die der­zeit dem kapi­ta­lis­ti­schen Modell in die Hän­de spie­len.

Agro­öko­lo­gi­sche Metho­den haben zur Restau­rie­rung der Böden und zu einer beein­dru­cken­den Stei­ge­rung der Erträ­ge geführt. Jedoch ist deren »spo­ra­di­sche Anwen­dung« so unschein­bar, daß sie auf Satel­li­ten­bil­dern gar nicht sicht­bar wird. Ein­drucks­vol­le Bei­spie­le wer­den im oben zitier­ten Bericht von Uwe Hoe­ring prä­sen­tiert. Selbst Extrem­fäl­le von Ero­si­on konn­ten rück­gän­gig gemacht wer­den. »Gul­lies« sind typi­sche Erschei­nun­gen was­ser­be­ding­ter Ero­si­on im süd­li­chen Afri­ka – meter­tie­fe Ero­si­ons­rin­nen, die ent­ste­hen, wenn ober­fläch­lich abflie­ßen­des Was­ser die Erde mit­reißt. Hoe­ring berich­tet von Rapha­el und Jes­si­ca Chi­no­lo aus Tan­sa­nia, die von ihren Nach­barn belä­chelt wur­den, als sie vor zehn Jah­ren einen drei Meter tie­fen Gul­ly wie­der füll­ten, indem sie oben, wo er noch schmal war, Grä­ben zogen und Bar­rie­ren aus Stö­cken und Ele­fan­ten­gras anleg­ten, um die Erde zurück­zu­hal­ten, wäh­rend das Was­ser wei­ter flie­ßen konn­te. Mit der Zeit war die Men­ge zurück­ge­hal­te­ner Erde gro­ße genug, um sie zu bepflan­zen, unter ande­rem mit Bana­nen­stau­den, die als zusätz­li­che, früch­te­tra­gen­de Bar­rie­ren dien­ten. »Heu­te wächst dort, wo frü­her nur unfrucht­ba­rer Kies war, eine dich­te Misch­ve­ge­ta­ti­on aus Bana­nen, ein­hei­mi­schen Bäu­men, Oran­gen und Zitro­nen, Papa­yas, Mais, Hir­se, Süß­kar­tof­feln, Mani­ok und Erb­sen. In einem Teich tum­meln sich Fische, die im Dorf ver­kauft wer­den«, berich­tet Hoe­ring. Eine Ver­fünf­fa­chung der Erträ­ge, zum Bei­spiel bei Hir­se, wird zudem durch einen lokal ent­wi­ckel­ten orga­ni­schen Dün­ger ermög­licht. Nach­hal­ti­ge Erfol­ge sind nur von der ver­viel­fach­ten Anwen­dung sol­cher zukunfts­wei­sen­der, lokal ver­wur­zel­ter Stra­te­gien zu erwar­ten.

Anmer­kun­gen
1 Peak Soil. Die unter­schätz­te Kri­se der Böden. Poli­ti­sche Öko­lo­gie Nr. 119, April 2010, S. 18. »Peak Soil« von engl. peak (dt. Gip­fel­punkt) und soil (dt. Land/Boden). Der Begriff bezeich­net in Anleh­nung an »Peak Oil«, dem Zeit­punkt ab dem mehr Erd­öl ver­braucht wird als an För­der­quel­len neu erschlos­sen wer­den, die Gren­zen der glo­ba­len Ver­nut­zung von Boden – d. Red.

2 Peak Soil, a.a.O. S. 37.

3 Bouw­man, A.F. (1997): Long-Term Sce­na­ri­os of Live­stock-Crop-Land Use Inter­ac­tions in Deve­lo­ping Count­ries. Food & Agri­cul­tu­re Orga­niza­ti­on, S. 50

4 WGBU: (1994): Welt im Wan­del: Die Gefähr­dung der Böden, Eco­no­mica-Ver­lag, Bonn, S. 58

5 unddd.nccd.int/docs/Rubio.pdf

6 Bai, Z.G. u.a. (2008): Glo­bal Assess­ment of land degra­da­ti­on and impro­ve­ment. GLADA Report 5, ISRIC .- World Soil Infor­ma­ti­on, Wagen­in­gen, S. 28

7 WGBU, a.a.O., S. 59

8 Bai a.a.O., S. 28

9 IAASTD (2009): Glo­bal Report.

10 Scherr, S.J. (1999): Soil degra­da­ti­on. A thre­at to Deve­lo­ping-Coun­try Food Secu­ri­ty by 2020? Food, Agri­cul­tu­re, and the Envi­ron­ment Dis­cus­sion Paper 27, IFPRI, Washing­ton, S.3

11 Hoe­ring, U. (2008): Wer ernährt die Welt? Bäu­er­li­che Land­wirt­schaft hat Zukunft, Evan­ge­li­scher Ent­wick­lungs­dienst, Bonn, S. 16

12 Peak Soil, a.a.O., S. 23

13 www.oxfam.org/en/policy/people-centered-resilience

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