»Lei­der noch weit von einem Mas­sen­the­ma ent­fernt«

Am Wochen­en­de tra­fen sich in Brüs­sel Geg­ner der Ver­schär­fung des euro­päi­schen Saat­gut­rechts.

Ein Gespräch mit Hei­ke Schie­beck

Hei­ke Schie­beck vom Öster­rei­chi­schen Berg- und Klein­bäue­rIn­nen-Ver­band hat am Wochen­en­de an den Euro­päi­schen Saat­gut­ak­ti­ons­ta­gen in Brüs­sel teil­ge­nom­men. Sie lebt auf einem Hof des euro­päi­schen bäu­er­li­chen Netz­werks Lon­go maï und arbei­tet auch im Koor­di­nie­rungs­rat von La Via Cam­pe­si­na

In Brüs­sel fan­den jetzt die »Saat­gut­ak­ti­ons­ta­ge« statt – wor­um ging es denn da?

Die­ses Tref­fen ist nur eines von vie­len, die welt­weit zum 17. April statt­fan­den, dem Inter­na­tio­na­len Akti­ons­tag für Bäu­er­li­che Rech­te. Die für ges­tern vor­ge­se­he­ne Über­ga­be von mehr als 50000 Unter­schrif­ten gegen eine Ver­schär­fung des euro­päi­schen Saat­gut­rechts an das Euro­pa­par­la­ment ist das Ergeb­nis einer zwei­jäh­ri­gen Kam­pa­gne – wobei ich die Kam­pa­gne selbst für min­des­tens genau­so wich­tig hal­te wie die Über­ga­be der Unter­schrif­ten. In Euro­pa, wo die Zahl der bäu­er­li­chen Wirt­schaf­ten kon­ti­nu­ier­lich zurück­geht, ver­wen­det nur noch ein Bruch­teil der Bäue­rin­nen und Bau­ern selbst gewon­ne­nes Saat­gut. Mit der geplan­ten Ver­schär­fung der Saat­gut­ge­setz­ge­bung wird die Erhal­tung solch tra­di­tio­nel­ler Sor­ten jedoch noch schwie­ri­ger wer­den, als sie es ohne­hin schon ist.

Und wie müs­sen wir uns Ihre Kam­pa­gne vor­stel­len?

Unter ande­rem hat­ten wir im vori­gen Jahr in Graz ein euro­päi­sches Saat­gut­tref­fen orga­ni­siert, um die Pro­ble­me erst ein­mal sicht­bar zu machen. Dabei ist übri­gens der Film »Zukunft säen – Viel­falt ern­ten« ent­stan­den, den es inzwi­schen in meh­re­ren Spra­chen gibt. Das Pro­blem ist lei­der noch weit von einem Mas­sen­the­ma ent­fernt. Aber es ist klar, daß nur dann eine Chan­ce besteht, die geplan­te Gesetz­ge­bung zu beein­flus­sen, wenn das The­ma stär­ker in der Öffent­lich­keit prä­sent ist.

War­um ist tra­di­tio­nel­les, nicht­kom­mer­zi­el­les Saat­gut bes­ser als das von der Agrar­in­dus­trie gelie­fer­te?

Den meis­ten Men­schen ist nicht klar, daß sie sogar dann betrof­fen sind, wenn sie selbst gar kein Saat­gut ver­wen­den. Letzt­lich geht es um die Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät, die unmit­tel­bar mit der Erhal­tung der gene­ti­schen Viel­falt des Saat­guts ver­knüpft ist. Wir erle­ben zur Zeit meh­re­re Kri­sen gleich­zei­tig – Stich­wor­te: Ener­gie, Kli­ma, Bio­di­ver­si­tät. Wir bekom­men jetzt die Rech­nung für unse­re jahr­hun­dert­lan­ge Igno­ranz.

Um eine Sen­kung des Ener­gie­ver­brauchs der Land­wirt­schaft kom­men wir nicht her­um. Wenn man die Not­wen­dig­keit einer Ener­gie­wen­de ernst nimmt, haben die jet­zi­gen, von Kunst­dün­ger und Pes­ti­zi­den abhän­gi­gen Hoch­leis­tungs­sor­ten kei­ne Zukunft. Sie wer­den unbrauch­bar. Es sind die lokal ange­paß­ten Sor­ten, mit denen in der Zukunft die Mensch­heit ernährt wer­den kann. Vor allem der glo­ba­le Süden ist abhän­gig von ent­spre­chen­dem Saat­gut und der brei­ten Anwen­dung agro­öko­lo­gi­scher Metho­den. Dies wird durch die Pro­pa­gie­rung von Hoch­leis­tungs­sor­ten durch die EU bedroht.

Ist das nur EU-Pro­pa­gan­da?

Nein, man ver­sucht, dies auch mit ent­spre­chen­den Abkom­men durch­zu­set­zen. Das unter der Abkür­zung UPOV91 bekann­te inter­na­tio­na­le Abkom­men zum Schutz kom­mer­zi­el­len Saat­guts beab­sich­tig­tigt, den Aus­tausch und die Ver­brei­tung tra­di­tio­nel­ler Sor­ten zu unter­bin­den. Ver­kürzt gesagt, ist UPOV91 über­nom­me­ne EU-Gesetz­ge­bung. Doch damit hört es nicht auf. Wir hat­ten im Forum Ver­tre­te­rin­nen aus Indi­en, die berich­te­ten, wie ver­sucht wird, im Rah­men des seit 2004 mit der EU ver­han­del­ten Frei­han­dels­ab­kom­mens die indi­sche Saat­gut­ge­setz­ge­bung zu ver­schär­fen. Alles, was Saat­gut betrifft, hat auch Aus­wir­kun­gen auf die Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät, und die euro­päi­sche Saat­gut­ge­setz­ge­bung hat zum Teil unmit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf die Län­der des glo­ba­len Südens.

Das Gespräch führ­te Peter Claus­ing

Erschie­nen in jun­ge Welt vom 19.04.2011

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