Für den Erhalt des frei­en Saat­guts

Akti­vis­ten über­rei­chen 50 000 Unter­schrif­ten gegen Reform in Brüs­sel. Am 17. und 18. April fan­den in Brüs­sel die ers­ten euro­päi­schen Saat­gut­ta­ge statt. (Hin­weis: am Ende waren es 58.000 Unter­schrif­ten)

Von Peter Claus­ing

Es wim­mel­te am Sonn­tag in der Mai­son de la Paix im Brüs­se­ler Stadt­teil Molen­beek. Das Kul­tur­zen­trum hat­te sich für einen Tag in die ers­te euro­päi­sche Saat­gut­tausch­bör­se ver­wan­delt und beher­berg­te fer­ner einen halb­tä­gi­gen inter­na­tio­na­len Mei­nungs­aus­tausch zum The­ma Saat­gut­ge­setz­ge­bung. 30 Erhal­tungs­in­itia­ti­ven für bedroh­te, nicht­kom­mer­zi­el­le Gemü­se- und Getrei­de­sor­ten aus zwölf euro­päi­schen Län­dern, der Tür­kei und Indi­en hat­ten ihre Stän­de auf­ge­baut, rund 500 Besu­cher und Teil­neh­mer folg­ten der Ein­la­dung.

Der Grund für die Mobi­li­sie­rung ist die dro­hen­de Ver­schär­fung des euro­päi­schen Saat­gut­rechts, die zu einer Ille­ga­li­sie­rung der Ver­brei­tung frei­er Sor­ten füh­ren könn­te. Der zum Teil erheb­li­che Ein­fluss, den die euro­päi­sche Saat­gut­ge­setz­ge­bung bereits in der Ver­gan­gen­heit auf inter­na­tio­na­le Abkom­men und natio­na­le Geset­ze außer­eu­ro­päi­scher Län­der hat­te, erklärt das Inter­es­se von Bäue­rIn­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen aus der Tür­kei und Indi­en. Das neue tür­ki­sche Saat­gut­ge­setz, dem sich unter ande­rem die Mit­glie­der des Klein­bau­ern­ver­ban­des Cif­ci-sen wider­set­zen, erlaubt den Bau­ern zwar die Wie­der­ver­wen­dung selbst erzeug­ten Saat­gu­tes, ver­bie­tet aber des­sen Wei­ter­ver­kauf. Ähn­lich ist es in Indi­en, wo die Euro­päi­sche Uni­on seit 2004 ver­sucht, in einem bila­te­ra­len Frei­han­dels­ab­kom­men Klau­seln unter­zu­brin­gen, die eine Ver­schär­fung des indi­schen Saat­gut­ge­set­zes nach sich zie­hen wür­den.

Der 2009 ver­ab­schie­de­te Akti­ons­plan der EU zur Bewer­tung der natio­na­len gesetz­li­chen Rege­lun­gen für die Ver­mark­tung von Saat­gut zielt in die glei­che Rich­tung. Am Ende soll ein ein­heit­li­ches euro­päi­sches Saat­gut­ge­setz ste­hen, in dem sich der Hand­lungs­spiel­raum für die Saat­gut­kon­zer­ne wei­ter ver­grö­ßert haben wird. So wird mit dem Ver­kaufs- und Tausch­ver­bot für offi­zi­ell nicht regis­trier­te Sor­ten, das einer angeb­li­chen Qua­li­täts­si­che­rung die­nen soll, der Saat­gut­markt exklu­siv für kom­mer­zi­el­le Sor­ten reser­viert. Das schafft Abhän­gig­kei­ten von zuneh­mend mono­po­lis­tisch beherrsch­ten »Wert­schöp­fungs­ket­ten«. Die­se Abhän­gig­keit ist zwar schon jetzt vor­han­den, aber in den ein­zel­nen EU-Län­dern sehr unter­schied­lich aus­ge­prägt. Ins­be­son­de­re in Polen, wo noch andert­halb Mil­lio­nen klein­bäu­er­li­che Wirt­schaf­ten exis­tie­ren, wer­den von einem neu­en euro­päi­schen Saat­gut­ge­setz dras­ti­sche Aus­wir­kun­gen befürch­tet. Zuguns­ten einer zeit­wei­li­gen Ver­bes­se­rung der Pro­fit­mar­ge im Saat­gut­ge­schäft wird die Sor­ten­viel­falt ernst­haft bedroht und somit die Brei­te der gene­ti­schen Basis für züch­te­ri­sche Ver­bes­se­run­gen künf­ti­ger Gene­ra­tio­nen wei­ter ein­ge­schränkt.

Doch Sor­ten­viel­falt ist wich­ti­ger denn je, da sind sich Agrar­ex­per­ten und Akti­vis­ten einig, denn die Land­wirt­schaft der Zukunft müs­se weg­kom­men von schein­ba­ren Hoch­leis­tungs­sor­ten, die ihre Erträ­ge nur mit Hil­fe erheb­li­cher erd­öl­ba­sier­ter Inputs (Pes­ti­zi­den, Kunst­dün­ger) erbrin­gen. Die Zukunft gehö­re einer Viel­falt lokal ange­pass­ter Sor­ten, die mit agro­öko­lo­gi­schen Metho­den hohe Erträ­ge pro­du­zie­ren kön­nen.

Die Saat­gut­ak­ti­ons­ta­ge in Brüs­sel dien­ten dazu, dem The­ma mehr öffent­li­che Auf­merk­sam­keit zu ver­schaf­fen. Schluss­punkt war die Über­ga­be von 50 000 Unter­schrif­ten an Ver­tre­ter des Euro­pa­par­la­ments, ver­bun­den mit der For­de­rung, eine Stu­die in Auf­trag zu geben, in der die Aus­wir­kun­gen der Saat­gut­ge­setz­ge­bung auf das von den Ver­ein­ten Natio­nen ver­brief­te Men­schen­recht auf Nah­rung unter­sucht wird, eine For­de­rung, die auch von Oli­vi­er de Schutter, dem UN-Son­der­be­richt­erstat­ter für das Recht auf Nah­rung, unter­stützt wird.

Erschie­nen in Neu­es Deutsch­land vom 19. 04. 2011

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