Vielfalt oder Monopol?
Europäische Saatgutaktionstage: Teilnehmer kritisieren Gesetzesvorhaben als Gelddrucklizenz für Konzerne und fordern Umdenken
Peter Clausing, Brüssel
Das Kulturzentrum in der Maison de la Paix im Brüsseler Stadtteil Molenbeek hatte sich am Sonntag in eine Saatguttauschbörse verwandelt. Dreißig Erhaltungsinitiativen für bedrohte, nichtkommerzielle Gemüse- und Getreidesorten aus zwölf europäischen Ländern sowie der Türkei und Indien waren bei den ersten Europäischen Saatgutaktionstagen präsent. Sie diskutierten die möglichen Folgen einer verschärften Gesetzgebung und Strategien, wie diese verhindert werden kann. Am Montag wurden Gespräche geführt, Kontakte zwischen den Teilnehmern geknüpft bzw. vertieft. Vor allem aber wurde demonstriert: Ein Protestmarsch führte die Teilnehmer zu den Brüsseler Vertretungen des Bayer-Konzerns, der Vereinigung der Europäischen Saatgutfirmen sowie zum Sitz des Europa-Parlaments. 51416 Unterschriften von Bürgern aus 20 Ländern wurden dort übergeben und sorgten dafür, diesem drängenden Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Anlaß für die Mobilisierung ist die drohende Verschärfung des europäischen Saatgutrechts. Diesem Anliegen war bereits eine zweijährige Kampagne mit Veranstaltungen und Unterschriftenaktionen vorausgegangen.
Andreas Riekeberg von der BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie hob in Brüssel sieben Gefahrenpunkte hervor, die der 2009 verabschiedete EU-Aktionsplan zur Bewertung der nationalen gesetzlichen Regelungen für die Vermarktung von Saatgut erkennen läßt. Dazu zählte er unter anderem den Transfer der Prüfung von der öffentlichen Hand zur Industrie und ihren Serviceagenturen, die beabsichtigte Integration der Saatgutverkehrszulassung in die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), eine Institution, die wegen ihrer Verfilzung mit der Saatgutindustrie berüchtigt ist, und die eventuelle Schaffung einer Inspektionsbehörde, die einer europäischen Saatgutpolizei gleichkäme.
All das werde, so die nicht unbegründete Befürchtung, zu einer Illegalisierung der Nutzung und Verbreitung freier Sorten führen – mit erheblichen negativen Auswirkungen auf bäuerliche und gärtnerische Saatgutarbeit, die dem Erhalt einer Sortenvielfalt dient. Da die europäische Gesetzgebung auf diesem Gebiet bereits in der Vergangenheit internationale Abkommen und nationale Gesetze in außereuropäischen Staaten beeinflußt hatte, gab es auch Interesse von bäuerlicher Organisationen aus nichteuropäischen Staaten an der politischen Manifestation in Brüssel. So erlaubt ein neues türkisches Gesetz zwar die Wiederverwendung selbsterzeugten Saatgutes, verbietet aber dessen Weiterverkauf – eine Regelung, dem sich unter anderem der 44000 Mitglieder umfassende Kleinbauernverband Cifci-sen widersetzt. In Indien wird es ähnlich aussehen, wenn die Endfassung des seit 2004 verhandelten bilateralen Freihandelsabkommens mit der EU die bislang vorgesehenen Klauseln enthalten sollte.
Am Ende des geplanten einheitlichen europäischen Saatgutgesetzes und seiner vertraglich vermittelten Expansion in Länder des Südens würde ein erheblich vergrößerter Handlungsspielraum für die Konzerne stehen. Ein wichtiger Punkt dieser Regelungen ist das immer wiederkehrende Verkaufs- und Tauschverbot für offiziell nicht registrierte Sorten. Unter dem Vorwand einer angeblichen Qualitätssicherung wird der Markt exklusiv für die Angebote der kommerziellen Vermarkter reserviert. Das schafft Abhängigkeiten von zunehmend monopolistisch strukturierten »Wertschöpfungsketten«. Die ist zwar schon jetzt gegeben, aber in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Insbesondere in Polen, wo noch anderthalb Millionen kleinbäuerliche Wirtschaften existieren, werden von einem neuen europäischen Gesetz drastische Auswirkungen befürchtet. Zwar sägen die Züchtungskonzerne mit den angestrebten gesetzlichen Änderungen am eigenen Ast. Aber das wird zugunsten einer zeitweiligen Verbesserung der Profitmarge sehenden Auges in Kauf genommen.
Die Sortenvielfalt, die seit eh und je die genetische Basis für züchterische Verbesserungen darstellt, wird ernsthaft bedroht und künftigen Generationen vorenthalten. Dabei ist Sortenvielfalt wichtiger denn je. Eine Landwirtschaft der Zukunft muß von den scheinbaren Hochleistungssorten wegkommen, die ihre Erträge nur mit Hilfe erheblicher erdölbasierter Inputs (Pestiziden, Kunstdünger) erbringen. Weltagrarbericht und eine wachsende Zahl an wissenschaftlichen Publikationen belegen, daß die Zukunft einer Vielfalt lokal angepaßter Sorten gehört, die den Herausforderungen des Klimawandels und schwindender Erölreserven gewachsen sind und mit agroökologischen Methoden hohe Erträge produzieren können.
Mit der Übergabe der Unterschriften an EU-Parlamentarier wird die Forderung verbunden, eine Studie in Auftrag zu geben, die die Auswirkungen der Saatgutgesetzgebung auf das von den Vereinten Nationen verbriefte Menschenrecht auf Nahrung untersucht. Dieses Anliegen wird auch vom zuständigen UN-Sonderberichterstatter Olivier de Schutter unterstützt.
Erschienen in junge Welt vom 19.04.2011