Greenwashing: Der WWF als Krake
Über das Umweltschutzspektakel »Earth Hour«, den WWF und dessen Liaison mit den Konzernen des Agrobusiness
von Peter Clausing
Am 31. März wird zum sechsten Mal die »Earth Hour« begangen, ein vom »World Wide Fund for Nature« (WWF) organisiertes Event, dessen Teilnehmer für eine Stunde das Licht ausschalten. Ein symbolischer Akt, mit dem die Unterstützung des Umweltschutzgedankens zum Ausdruck gebracht werden soll. Eine echte Wohlfühlnummer für die Beteiligten, und zugleich ein Meßinstrument dafür, wie viele Menschen bereit sind, sich der Vernebelung durch den WWF hinzugeben: Im Jahr 2011 waren es in Deutschland über 30000 in 66 Städten. Die Aktion ist einfach wunderbar: Man bleibt anonym und unauffällig, stellt keine Forderungen, ist nicht den üblichen Unbilden einer Demonstration wie Wetter oder Polizei ausgesetzt und hat trotzdem das Erlebnis, dabei gewesen zu sein. Wobei? Beim WWF! Also bei jener Organisation, auf deren enge Verbindungen mit internationalen Großkonzernen Wilfried Huismann in seiner am 22. Juni 2011 auf ARD gesendeten Dokumentation aufmerksam machte, unbeschadet bereits früher veröffentlichter Hinweise.1 Anläßlich der »Earth Hour 2012« soll ein Blick auf die sogenannten Greenwashing-Praktiken des WWF geworfen werden.
Greenwashing – die Schaffung eines »grünen« Images für Unternehmen – ist in dem Maße, in dem der Neoliberalismus bis in die letzten Winkel unseres Planeten vordringt, immer stärker zum Handlungsfeld der großen Naturschutzorganisationen geworden. Immer umfangreicher werden die Firmenspenden bei Conservation International, The Nature Conservancy und dem WWF. Zugleich sind diese Organisationen darauf angewiesen, ihren Ruf als Umweltschützer zu wahren, weil nach wie vor ein Teil ihres Budgets aus den Spendengeldern bzw. Mitgliedsbeiträgen gutgläubiger Bürger bestritten wird und weil ihre vermeintliche Glaubwürdigkeit letztlich die Grundlage für ihre Attraktivität als »grüne Waschmaschinen« bildet. Ihre Kohabitation mit McDonalds, Nestlé, diversen Ölkonzernen und dem agroindustriellen Komplex wird gebetsmühlenartig damit begründet, daß man miteinander im Gespräch bleiben müsse, um etwas zu verändern.
»Nachhaltiges Palmöl«
Der »World Wide Fund for Nature« spricht besonders gern mit Unternehmen des Agrobusiness. Doch:»Werden dem WWF durch die Dokumentation [von Huismann] also auf breiter Front diese Spender abhanden kommen?« fragt Christoph Seidler im Spiegel und antwortet: »Vermutlich nicht, denn Geldgeber für die vermeintlich gute Sache sind tendenziell treu.« Er bezieht sich dabei auf eine Einschätzung von Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI).2 Dieser meinte, es müsse insgesamt sehr viel zusammenkommen, damit eine Organisation in eine Glaubwürdigkeitskrise gerät. Beim WWF ist da durchaus einiges zusammengekommen. Bereits im Jahr 2002 wurde unter dem Titel »Panda-Pornographie, die Hochzeit von WWF und Weyerhaeuser« die Liaison der Naturschutzorganisation mit der Industrie kritisiert. Anlaß für den Beitrag war das Überwechseln von Linda Coady, damals Vizepräsidentin des für seine Umweltzerstörung an der nordamerikanischen Pazifikküste notorischen Holzkonzerns Weyerhaeuser, in die Position der Vizepräsidentin von WWF-Kanada.3 Auch die Verwaltung des J. Paul Getty »Umweltpreises« durch den WWF fällt in die Kategorie der ungenierten Nähe zu Konzernen mit rücksichtsloser Umweltbilanz. (Getty, Gründer und Eigentümer der Getty Oil Company, war einer der reichsten Ölmagnaten der 1960er Jahre.) Im sozialen Bereich tut sich der WWF bei der Errichtung von Nationalparks durch die entschädigungslose Vertreibung lokaler Bevölkerungsgruppen hervor.4
Im Jahr 2004 wurde vom WWF der »Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl« (RSPO, Roundtable on Sustainable Palm Oil) initiiert – ein Klub von derzeit 539 kommerziellen Mitgliedern und 27 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter der WWF selbst gleich viermal, in Gestalt seiner Regionalgliederungen aus Indonesien, Malaysia und der Schweiz sowie als WWF International. Der RSPO zertifiziert »nachhaltiges Palmöl« und bietet damit den beteiligten Firmen ein »grünes« Image. Sowohl aus prinzipiellen Gründen als auch aufgrund der Details des Verfahrens darf die bescheinigte »Nachhaltigkeit« bezweifelt werden. Anläßlich des Welternährungstages am 16. Oktober 2008 lehnten 257 Organisationen aus 50 Ländern den RSPO öffentlich ab. In Deutschland wurde eine entsprechende Erklärung von 22 Organisationen unterzeichnet, unter anderem von FIAN, Pax Christi, Robin Wood, Terre des hommes und WEED. Ein wichtiges Argument darin war, daß großflächige Monokulturen per se nicht nachhaltig sein können.
Die Frage, warum es überhaupt zu der rasanten Ausdehnung von Palmölplantagen kommt, ist für die Vermarkter »nachhaltigen« Palmöls kein Gesprächsthema, denn schließlich ist das Siegel ein Marketinginstrument und dient der Umsatzsteigerung. Der globale Verbrauch an pflanzlichen Ölen hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht, der von Palmöl verzehnfacht. Bei der Diskussion um die gestiegene Nutzung steht oftmals die Beimischung zu Dieseltreibstoffen im Vordergrund. In der EU ist seit 2010 ein Anteil von mindestens 5,75 Prozent vorgeschrieben. Ab 2020 sollen es zehn Prozent sein. Bereits 2009 wurden über 13 Prozent der global produzierten 133 Millionen Tonnen pflanzlichen Öls als Treibstoff verwendet. Palmöl wird bislang nur relativ wenig zur Kraftstoffbeimischung verwendet, aber aus der »Umwidmung« anderer Öle (Raps, Soja) zu Treibstoffen ergibt sich eine Lücke im Nahrungsmittelbereich, die mit Palmöl geschlossen wird. In der Zukunft dürfte der Einsatz für Energiezwecke drastisch steigen: Innerhalb der nächsten zehn Jahre plant Indonesien, das knapp die Hälfte allen Palmöls produziert, die Verdopplung seiner Produktion auf 40 Millionen Tonnen, wovon die Hälfte für Energiezwecke verwendet werden soll.5 Die grundsätzliche Frage ist jedoch, ob der exzessive Einsatz von Agrotreibstoffen überhaupt akzeptabel ist – egal ob aus Ölpalmen oder Raps. Eine Frage, die der WWF mit ja beantwortet, denn: »Das zunehmende Interesse von (Bio-)Energieversorgern, Mineralöl- und Automobilindustrie, Kommunen und privaten Haushalten an (…) der Nutzung von Biomasse ist aus Sicht des WWF sehr positiv zu bewerten«.6 Via RSPO wird versucht, diesen Wahnsinn in Nachhaltigkeit umzudeuten.
Dabei hat das Verfahren selbst gravierende Mängel. Die Probleme beginnen damit, daß nicht die gesamte Produktionsweise von Unternehmen zertifiziert wird, sondern ihre Produktion auf bestimmten Flächen. Die Firmen bezeichnen sich als zertifiziert, obwohl nicht selten ein großer Teil ihrer Produktion von Flächen stammt, die überhaupt nicht begutachtet wurden. Eine Täuschung, die der RSPO durch prominente Positionierung der Liste zertifizierter Produzenten auf seiner Website verstärkt. Erst an versteckter Stelle auf der Homepage und auch dann nur bei genauem Hinsehen wird deutlich, daß es einzelne Plantagen sind, die zertifiziert werden.
Zu einer »nachhaltigen« Produktion, sollte man meinen, gehört auch der Verzicht auf Agrochemikalien oder zumindest eine drastische Reduktion ihres Einsatzes. Dies ist bei industrieller Bewirtschaftung großflächiger Monokulturen so gut wie unmöglich. Folgerichtig gehört dies nicht zu den Kriterien des RSPO. Es wird lediglich eine »Begründung« für die Verwendung von Agrochemikalien verlangt. Die Eliminierung hochtoxischer Verbindungen wie Paraquat hatte der Runde Tisch bereits im März 2006 angekündigt und sich dazu verpflichtet, bis November 2007 Alternativen zu solchen Pestiziden zu finden. Später wurde November 2008 als »letzter Termin« dafür angesetzt. Auf Anfrage teilte ein RSPO-Vertreter Anfang 2012 mit, daß ein abschließender Bericht zu diesem Vorhaben noch immer nicht vorliegt.
Problematisch ist außerdem, daß sich die Unternehmen faktisch selbst zertifizieren: Die Vergabe des Labels basiert zwar auf den Inspektionen und Berichten von Dritten (der TÜV Rheinland, der unlängst wegen der gesundheitsgefährdenden Brustimplantate des französischen Herstellers PIP in die Schlagzeilen geriet, ist auch hier dabei), aber sowohl die Entscheidung, welche Organisation mit der Inspektion beauftragt wird, als auch die Zuerkennung des Zertifikats liegt in den Händen des RSPO Executive Board, einem 16köpfigen Gremium mit zwölf Industrievertretern.
Monokulturen statt Vielfalt
Der »Round Table on Responsible Soy« (RTRS, »Runder Tisch für verantwortungsbewußt produziertes Soja«) ist ein ähnliches Konstrukt wie der RSPO. Auch bei diesem Projekt ist der WWF die treibende Kraft. Nach dem gleichen Muster wie beim RSPO versucht der von der Industrie dominierte RTRS Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung zu suggerieren. Dagegen protestierten im Jahr 2010 wiederum Hunderte NGOs und Initiativen in einem offenen Brief. Die Unterzeichner lehnen das RTRS-Label ab, weil die Kriterien als vollkommen ungenügend angesehen werden und weil sich der Runde Tisch als »internationale Stakeholder-Initiative« verkauft, obwohl er in Europa und Südamerika weder bei der Zivilgesellschaft noch bei nachhaltig wirtschaftenden Familienbetrieben Rückhalt findet. Die fehlende Verankerung des RTRS vor Ort läßt sich auch aus den Berichten über die im Zertifizierungsverfahren vorgeschriebenen Treffen mit den örtlichen Interessenvertretern (Stakeholders) ablesen. Entweder finden sie gar nicht statt oder sie sind – den Berichten nach zu urteilen – von einer Oberflächlichkeit, die geradezu peinlich ist.
Ähnlich wie die Palmölkonjunktur steht der Sojaboom im Zusammenhang mit der Beimischungsrichtlinie für Dieselkraftstoffe. Argentinien und Brasilien zusammen produzieren derzeit ein reichliches Drittel des weltweiten Aufkommens an Sojabohnen, verbunden mit einem überdurchschnittlichen jährlichen Wachstum. Bis 2020 wird der Anteil der beiden Länder an der Weltproduktion voraussichtlich auf über 50 Prozent steigen, vor allem durch eine Erweiterung der Anbauflächen – laut Prognosen um 11,6 Millionen Hektar. Riesige Monokulturen verdrängen Kleinbauern und biologische Vielfalt zugunsten der Versorgung der globalen Märkte mit industriellem Tierfutter und Agrodiesel. Obwohl die Kritik am Einsatz von Agrotreibstoffen wegen der nachweislichen ökologischen und sozialen Konsequenzen unvermindert anhält, ist keine Bereitschaft der Europäischen Union zu einem Abrücken von ihren Beimischungszielen zu erkennen.
Laut einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie wird im Jahr 2020 der Sojaanteil am »Biodiesel«-Mix der EU etwa 20 Prozent betragen.7 Besonders pervers ist die Zertifizierung von gentechnisch modifizierten (GM-)Sojabohnen und von solchen, die auf Flächen wachsen, wo bis Mai 2009 noch Regenwald gestanden hat. Die »Einhaltung der geltenden Gesetze« und die »Zahlung üblicher Löhne« werden nicht als Grundvoraussetzungen betrachtet, um eine Zertifizierung überhaupt beantragen zu können, sondern vom WWF lediglich als zertifizierungswürdige Kriterien begrüßt.
Mit Gentechnik
GM-Soja unterstützt nach Ansicht des WWF den Einsatz mindergiftiger Pestizide. Die Förderung einer Entwicklung mit der durch agroökologische Anbaumethoden auf den Einsatz von Pestiziden ganz verzichtet werden kann, kommt der Organisation offenbar nicht in den Sinn. Der Favorit ist Roundup mit seinem Wirkstoff Glyphosat. Als Monsanto 1974 die Marktzulassung beantragte, bescheinigten die dabei eingereichten Studien dem Wirkstoff eine geringe Toxizität. Doch die akute Giftwirkung kann nicht als einziger Maßstab gelten. Wenn es danach ginge, wäre auch der Contergan-Wirkstoff Thalidomid, dessen akute letale Wirkung oberhalb von fünf Gramm pro Kilogramm Körpergewicht liegt, ungiftig. Inzwischen wird die Harmlosigkeit von Glyphosat mehr und mehr in Frage gestellt.8 Zu den beobachteten Effekten zählen Störungen des Hormonhaushalts, Schäden an Embryonen bzw. Föten (tierexperimentell belegt und vermehrtes Auftreten in jenen Bevölkerungsgruppen beobachtet, die in Gebieten intensiver Roundup-Anwendung leben) und die tödliche Wirkung auf Kaulquappen in umweltrelevanten Konzentrationen.
Das in Roundup-Präparaten verwendete Netzmittel POEA (polyethoxyliertes Tallowamin), verstärkt die toxischen Effekte des Wirkstoffs, und das Glyphosat-Abbauprodukt AMPA (Aminomethyl-Phosphonsäure), das sich anscheinend in der Umwelt anreichert, ist ein weiterer Problempunkt. Die nachweisliche Bedenklichkeit führte in verschiedenen Regionen Argentiniens, Kolumbiens und Israels zu gerichtlichen Verboten der Ausbringung von Roundup mit dem Flugzeug. Wegen möglicher Verdriftung ist eine Flugzeugausbringung mit besonders hohen Risiken einer unbeabsichtigten Exposition von Mensch und Tier verbunden.
Die Dosis macht das Gift. Diese von Paracelsus im 16. Jahrhundert formulierte Erkenntnis, ist bis heute unangefochten. In dem Maße, in dem wegen der inzwischen existierenden »Superunkräuter« immer höhere Glyphosatmengen ausgebracht werden müssen, schrumpft dessen ohnehin zweifelhafte Harmlosigkeit. Superunkräuter sind inzwischen ein Riesenproblem. Weltweit existieren mittlerweile über 20 Roundup-resistente Unkrautarten. Das Tempo ihrer Entstehung wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß vor nur acht Jahren – 2004 – erstmals Glyphosat-resistente Unkräuter identifiziert wurden.
Doch der WWF führt einen weiteren Pluspunkt für GM-Soja an: Nach Ansicht des WWF-Vizepräsidenten Jason Clay hilft es beim Kampf gegen den Klimawandel. Auf der vierten RTRS-Konferenz im Mai 2009 schlug er vor, die Produzenten von zertifiziertem GM-Soja über den sogenannten REDD-Mechanismus zu belohnen. REDD ist seit der Klimakonferenz 2010 im mexikanischen Cancún ein nun auch offiziell von der UNO anerkanntes Instrument des CO2-Handels. Es bietet Unternehmen die Möglichkeit, statt der Umsetzung eigener Klimaschutzmaßnahmen Emissionszertifikate zu kaufen. Für die Produzenten von zertifizierten GM-Sojabohnen soll es nach den Vorstellungen des WWF die Möglichkeit geben, wegen ihrer »klimafreundlichen« landwirtschaftlichen Praxis von den »Kohlenstoffmärkten« zu profitieren. Beim Einsatz von Roundup-Ready-Sorten wird auf das Pflügen des Bodens (zur mechanischen Unkrautbekämpfung) verzichtet. Das Herbizid tötet alles, was nicht gentechnisch modifiziert oder – siehe oben – resistent geworden ist. Dieser Verzicht auf das Pflügen (»No-Till«-Technologie) könnte dann in eingesparte CO2-Emission umgerechnet und anschließend in Form von Zertifikaten in den globalen Emissionshandel eingebracht werden. Das eigentliche Motiv des WWF ist die Deckung eines Teils der Kosten für die Vergabe des RTRS-Labels, da es nur zögerlichen Zulauf findet. Monsanto jubelt über den neuen Verbündeten, denn seit Jahren bemühen sich seine Lobbyisten, CO2-Zertifikate für die Verwendung herbizid-resistenter Sorten geltend machen zu können.
Während »No-Till« als Verfahren zur Verringerung von Bodenerosion und zur Verbesserung des Wasserhaushalts seit Jahrzehnten anerkannt ist, steht die vermeintlich höhere Kohlenstoffbindung im Boden als äußerst umstrittene Vermutung im Raum. Nach Auswertung der verfügbaren Literatur kommen die Wissenschaftler des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick (Schweiz) zu dem Schluß, daß es bislang kein Verfahren für eine brauchbare Abschätzung der CO2-Bilanzen im Boden gibt, die eine Bewertung des »No-Till«-Effekts für den Emissionshandel zuließen.9 Das hindert weder Monsanto daran, »Paketlösungen« von »No-Till«, GM-Sorten und Herbizidanwendung anzubieten, noch den WWF, das Label vom »verantwortungsbewußt produzierten Soja« mit rechnerisch erfundenen CO2-Zertifikaten zu versüßen.
Zugeständnisse an Firmen
Sowohl bei der eingangs erwähnten »Earth Hour« als auch bei den »Round Tables« wird der Öffentlichkeit »demokratisches Mitspracherecht« suggeriert. Nationale Regierungen überlassen aus Angst vor Sanktionen durch die Welthandelsorganisation (WTO) nichtstaatlichen Initiativen das Feld. Dazu gehören der »Forest Stewardship Council« (FSC), die hier diskutierten RSPO und RTRS sowie weitere vom WWF initiierte Projekte zu »besserer Baumwolle« (»Better Cotton Initative«, BCI), »besserem Zuckerrohr« (»Better Sugarcane Initiative«, BSI) und »nachhaltigem Biotreibstoff« (»Round Table on Sustainable Biofuel«). Die in den letzten 20 Jahren entstandenen Runden Tische sind der Versuch eines systemkonformen Auswegs aus dem neoliberalen Dilemma. Regierungen begründen den Verzicht auf gesetzliche Regelungen explizit mit deren Existenz. So argumentierte der niederländische Landwirtschaftsminister im Jahr 2008, daß der RSPO eine vielversprechende internationale Initiative auf freiwilliger Basis sei, womit sich ein gesetzlicher Rahmen zur Einschränkung des Imports von nicht nachhaltigem Palmöl erübrige.10 Die Niederlande mit dem Hafen von Rotterdam und dem Lebensmittelriesen Unilever nehmen beim Palmölgeschäft in Europa eine Schlüsselstellung ein.
Einer der grundlegenden Widersprüche dieser marktbasierten Initiativen ist der Spagat zwischen dem bindenden Charakter, den die angestrebten Nachhaltigkeitskriterien eigentlich haben müßten, und der mangelnden Bereitschaft der Unternehmen, sich auf solche einzulassen. Letzteres ist nicht primär eine moralische Fehlleistung, sondern Resultat des Wirkens der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus: Profitmaximierung ist ein objektiver Zwang. Die obligatorische Durchsetzung »harter« Nachhaltigkeitskriterien hätte zur Folge, daß sich kaum ein Unternehmen darauf einlassen würde. Deshalb werden an den Runden Tischen entweder Zugeständnisse bei der Härte der Kriterien oder bei deren konsequenter Anwendung gemacht, zumeist aber in beiden Bereichen gleichzeitig. Im Fall des RSPO ist es vor allem die fehlende Durchsetzung der festgelegten Spielregeln. In ihrer Analyse verweisen Greetje Schouten und Pieter Glasbergen darauf, daß ein Ausschluß aus dem RSPO, der bei einer wiederholten Verletzung der Regeln eigentlich angezeigt wäre, nicht erfolgt. Noch schwerer wiegt die Tatsache, daß der »Code of Conduct« des RSPO Vorgaben zur Messung, Überprüfung und Durchsetzung von eingeforderten Verbesserungen von vornherein vermeidet. So bleibt die Anprangerung der Verletzung von Menschenrechten und ökologischen Normen (Vertreibungen, Abholzung von Primärwald) auf der Strecke. Dies übernehmen letztlich Organisationen, die nicht am RSPO teilnehmen. Die Regelverstöße des indonesischen Plantagenbetreibers PT Smart wurden nicht vom RSPO geahndet, sondern aufgrund des außerhalb erzeugten öffentlichen Drucks.11 Aufgrund der Proteste entschied der Lebensmittelkonzern Unilever, kein Palmöl mehr von PT Smart zu kaufen. Weder an der Benennung des Problems noch an der Sanktionierung der Vergehen war der RSPO beteiligt, obwohl beide – der Plantagenbetreiber und der Lebensmittelkonzern – Teilnehmer des Runden Tisches sind. Das wirft ein Licht auf den Charakter des »Im-Gespräch-Bleibens«, den der WWF und andere NGOs propagieren.
Naturschutz ohne Menschen
Der Vorwurf des Greenwashings, so berechtigt er ist, greift zu kurz. Die Liaison zwischen den transnationalen Naturschutzorganisationen und dem Agrobusiness geht weit über die Runden Tische hinaus. Das Mosaik an Initiativen, Meinungsäußerungen und Prognosen des WWF (und von Organisationen wie Conservation International und The Nature Conservancy) läßt eine Vision erkennen, in der die Welt in drei Teile zerfällt: urbane Bereiche, hochgerüstete Flächen industrialisierter Landwirtschaft und menschenleere Naturschutzgebiete. Diese Vision ist nicht neu. Doch gelangte sie durch die unverblümten Pro-Gentechnik-Äußerungen von WWF-Vize Clay in letzter Zeit stärker ins öffentliche Bewußtsein. Sie ist die logische Fortsetzung eines »Naturschutz ohne Menschen«, dessen kolonial-historische Wurzeln sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen.12
Anmerkungen
1 vgl. www.wilfried-huismann.de; Pedersen, K: Naturschutz und Profit, Unrast-Verlag Münster 2008
2 Seidler, C. (2011): Sturm im Pandaland, Spiegel Online vom 23.6.2011
3 Clair, J.S. (2002): Panda porn, the marriage of WWF and Weyerhaeuser. Counterpunch vom 5.12.2002 www.counterpunch.org
4 Pedersen, a.a.O.
5 Teoh, C.H. (2010): Key Sustainability Issues in the Palm Oil Sector. World Bank, IFC
6 www.wwf.de/themen/landwirtschaft/bioenergie/ (der Text auf dieser Website wurde vom WWF mittlerweile geändert)
7 Al-Riffai, P. u.a. (2010): Global Trade and Environmental Impact Study of the EU Biofuels Mandate
8 Antoniou, M. u.a. (2010): GV-SOJA – Nachhaltig? Verantwortungsbewusst? und Mertens, M. (2011): Glyphosat und Agrogentechnik
9 Gattinger, A. u.a.: No-till agriculture – a climate smart solution? MISEREOR, Aachen 2011
10 Schouten, G., Glasbergen, P. (2011): Creating legitimacy in global private governance: The case of the Roundtable on Sustainable Palm Oil. Ecological Economics 70: 1891-1899
11 Schouten, G., Glasbergen, P., a.a.O.
12 Pedersen, a.a.O.
erschienen in junge Welt vom 31.3.2012