Boden­rausch (Rezen­si­on)

Das Buch „Boden­rausch“ von Wil­fried Bom­mert erfüllt die Erwar­tun­gen des (rezen­sie­ren­den) Lesers nicht
Peter Claus­ing

Vor rund vier Jah­ren began­nen im glo­ba­len Süden fie­ber­haf­te Land­käu­fe, die bis heu­te anhal­ten. Nach einer Rei­he von Stu­di­en durch Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs), Hilfs­wer­ke und selbst Regie­rungs­stel­len ist Wil­fried Bom­merts „Boden­rausch“ nun das ers­te deutsch­spra­chi­ge Buch zu dem The­ma, das in einem grö­ße­ren Ver­lags­haus erschien. Es ist fak­ten­reich und ver­mit­telt einen brei­ten, wenn­gleich nicht unpro­ble­ma­ti­schen Über­blick. In vier Tei­len befasst es sich mit dem Phä­no­men des Land Grab­bing, sei­nen Trieb­kräf­ten, Alter­na­ti­ven zur indus­tri­el­len Land­wirt­schaft, und unter­brei­tet Vor­schlä­ge, wie das Gan­ze gestoppt wer­den könn­te.

Geschei­ter­te Staa­ten
Teil I („Von Tätern und Opfern“) prä­sen­tiert eine umfang­rei­che Auf­lis­tung von Gewin­nern und Ver­lie­rern des 2008 aus­ge­bro­che­nen Kauf- und Pach­t­rauschs von Acker­land. Als Aus­lö­ser iden­ti­fi­ziert der Ver­fas­ser „vier Kri­sen“, aller­dings ohne auf den Ber­li­ner Öko­no­men Elmar Alt­va­ter, der den Begriff der Vier­fach­kri­se (Ener­gie-, Kli­ma-, Finanz- und Ernäh­rungs­kri­se) präg­te, Bezug zu neh­men. Eben­so­we­nig fin­det der im Okto­ber 2008 publi­zier­te Bericht „Sei­zed: The 2008 land­grab for food and finan­cial secu­ri­ty“ Erwäh­nung, mit dem die NGO GRAIN als ers­te auf das Phä­no­men auf­merk­sam mach­te. Statt des­sen fun­giert der von GRAIN scharf kri­ti­sier­te, im Sep­tem­ber 2010 hier­zu erschie­ne­ne Welt­bank­be­richt bei Bom­mert als Kron­zeu­ge, was in gewis­sem Wider­spruch zu der im Buch an ande­rer Stel­le geäu­ßer­ten Kri­tik an der Welt­bank steht. Nach Benen­nung der Täter (Ban­ken, Inves­to­ren, Län­der mit pre­kä­rer Eigen­ver­sor­gung) stellt der Autor in kur­zen Län­der­por­träts die Opfer vor – die meist nur über tra­di­tio­nel­le Land­rech­te ver­fü­gen­de Bevöl­ke­rung der betrof­fe­nen Län­der. Dies geschieht zum Teil lei­der nur ober­fläch­lich, obwohl es Mate­ri­al zur Genü­ge gibt. So zum Bei­spiel zum „neu­en Treck“ der wei­ßen Far­mer aus Süd­afri­ka und Sim­bab­we in die Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kon­go. Auch zu Äthio­pi­en, Moçam­bi­que und Tan­sa­nia gibt es gute Stu­di­en, die nicht berück­sich­tigt wur­den. Die weit­ge­hen­de Beschrän­kung auf Zita­te von Mas­sen­me­di­en kommt zwar dem Repor­ta­ge­stil Bom­merts ent­ge­gen, doch wird Authen­ti­zi­tät sug­ge­riert, die nicht gege­ben ist: Die „Repor­ta­ge“ stützt sich auf Sekun­där­quel­len. Hin­zu kom­men sach­li­che Feh­ler: Wenn schon der Begriff der „fai­led sta­tes“ (geschei­ter­ten Staa­ten) bemüht wird, soll­te dies zumin­dest kor­rekt erfol­gen. Tan­sa­nia, Moçam­bi­que und Sam­bia fal­len ent­ge­gen sei­ner Behaup­tung nicht in die­se Kate­go­rie.

Teil II („Peak Soil – die Gren­zen des Wachs­tums“) befasst sich mit den Ursa­chen der der­zei­ti­gen und künf­ti­gen Welt­ernäh­rungs­kri­se: Boden­de­gra­da­ti­on, Fleisch­kon­sum, Bevöl­ke­rungs­zu­wachs, Kli­ma­wan­del. Die Ursa­chen wer­den kor­rekt benannt, aber die Bedie­nung von Kli­schees und die sim­pli­fi­zier­te Dar­stel­lung bestimm­ter Phä­no­men ist ärger­lich. Der Sinn des Kapi­tels „Man­gel an Dün­ger“ erschließt sich dem Leser ange­sichts der nach­ge­wie­se­nen Leis­tungs­fä­hig­keit bio­lo­gi­scher Anbau­me­tho­den nicht. Die in vie­len afri­ka­ni­schen Län­dern herr­schen­den patri­ar­cha­len Ver­hält­nis­se sind zwei­fel­los ein Pro­blem, aber die pla­ka­ti­ve Behand­lung die­ses Punk­tes ist ver­fehlt. Ähn­lich ver­ein­fa­chend behan­delt der Autor das Phä­no­men der Land­flucht: „Das Erbrecht ist Schuld“ ist sei­ne simp­le Schluss­fol­ge­rung. Die Auf­zäh­lung lie­ße sich fort­set­zen.

In den Tei­len III und IV („Ver­lo­re­nen Boden wie­der­gut­ma­chen“ und „Dem Boden­rausch den Boden ent­zie­hen“) geht es um Aus­we­ge aus der Kri­se. Die Vor­schlä­ge rei­chen von Metho­den zur Boden­ver­bes­se­rung bis zur Bekämp­fung der „Schwind­sucht zwi­schen Acker und Tel­ler“ (Ern­te­ver­lus­te, Essens­ver­nich­tung). Auch hier sind nicht alle Bei­spie­le schlüs­sig. Das Buch schließt mit einem Auf­ruf an die Zivil­ge­sell­schaft, „die Poli­tik“ dazu zu brin­gen, „Gren­zen zu set­zen und Schran­ken auf­zu­bau­en“. Radi­ka­le Ver­än­de­run­gen, näm­lich die Poli­tik selbst in die Hand zu neh­men, sind für Bom­mert offen­bar kei­ne ange­mes­se­ne Ant­wort auf die Kri­se.

Zwar sieht die Zukunft tat­säch­lich düs­ter aus, aber die Kri­tik des Autors ist zu ver­wa­schen und zu schmal­spu­rig. Die reli­gi­ons­ge­schicht­li­che Betrach­tung zum Gemein­ei­gen­tum an Boden ist unter­halt­sam (Tho­mas Münt­zer bleibt uner­wähnt), doch die Berück­sich­ti­gung von Bei­spie­len für die Her­stel­lung von Land­ge­rech­tig­keit aus der jün­ge­ren Geschich­te wären trotz aller Rück­schlä­ge wich­ti­ger gewe­sen. Erin­nert sei an Gua­te­ma­la 1952, Kuba 1959, Por­tu­gal 1975, Nika­ra­gua 1979, Chia­pas 1994 und an die Erfol­ge der unter ihrem Kür­zel MST bekann­ten Land­lo­sen­be­we­gung Bra­si­li­ens.

Umver­tei­lung
Die wah­ren Gegen­pro­jek­te zum Land Grab­bing sind umver­tei­len­de Land­re­for­men. Sie sind aus der Mode gekom­men und waren häu­fig mit gewalt­sa­men Aus­ein­an­der­set­zun­gen ver­bun­den – nicht erstre­bens­wert, aber offen­bar schwer zu ver­mei­den. Bom­mert macht den Bock zum Gärt­ner, wenn er danach ruft, daß UN-Sicher­heits­rat und Blau­helm­mis­sio­nen „neue Sta­bi­li­tät“ schaf­fen sol­len. Gro­tesk wirkt der Vor­schlag, daß die 80 Mil­lio­nen Bun­des­bür­ger „mit ihren klei­nen, aber nach­hal­ti­gen Kauf­ent­schei­dun­gen den Boden­spe­ku­lan­ten den Wind aus den Segeln neh­men“ sol­len. Auf­ru­fe die­ser Art kön­nen in bestimm­ten Situa­tio­nen zur Mobi­li­sie­rung bei­tra­gen, hier wir­ken sie beleh­rend und hilf­los. Fazit: Die Anhäu­fung von Fak­ten ist kei­ne Garan­tie für ein gutes Sach­buch, auf ihre kun­di­ge Ver­ar­bei­tung kommt es an.

Wil­fried Bom­mert: Die glo­ba­le Jagd nach den Äckern der Welt. Eich­born, Köln 2012, 384 Sei­ten, 19,99 Euro

Eine leicht modi­fi­zier­te Version die­ser rezen­si­on erschien am 9. Juli 2012 in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“.

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