Zum Treffen der Gentechnik-Lobbyorganisation Innoplanta am 4.9.2012
Frust in Gatersleben
Gentechnik-Lobby beklagt Überregulierung in der EU und ergeht sich in Sabotagespekulationen. Golden Rice als Rammbock. Nachweis von Einkommensvorteilen bei Bt-Baumwolle ignoriert globale Realität
von Peter Clausing
Es war eher Festungsstimmung als Feststimmung, die die Gentechnikbefürworter auf der diesjährigen InnoPlanta-Tagung im Gaterslebener Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung erfaßt hatte. Nicht nur die Abschottung des Tagungsgeländes durch rund 150 Polizisten und das Trillerpfeifenkonzert der Gentechikgegner vermittelten ein Gefühl des Belagerungszustandes. Auch die Empfindung, von Politikern und der Öffentlichkeit alleingelassen zu sein, trug zu der leicht gedrückten Grundstimmung auf der Veranstaltung am vergangenen Dienstag bei. Während Henning von der Ohe, Manager bei der KWS Saat AG, langfristige Änderungen bezüglich der gesellschaftlichen Akzeptanz von Gentechnik erwartet, gab sich Ingo Potrykus, »Vater« des »Golden Rice«-Projekts, resigniert. Die Klage über die angebliche Miß- und Überregulierung der Zulassung gentechnisch veränderter Sorten und darüber, daß in der EU nur zwei, in den USA aber inzwischen 90 gentechnisch veränderte Sorten auf dem Markt sind, zog sich wie ein roter Faden durch das Programm. Auch die wegen anhaltender Proteste für 2013 geplante Schließung der Gaterslebener BASF-Tochter SunGene und die als ungenügend empfundene Forschungsförderung waren Ursachen des Frusts. Lediglich der Exvorsitzende von InnoPlanta e.V., Uwe Schrader, der die Tagung moderierte und seit vorigem Jahr das Farmers-Scientist-Network aufbaut, verströmte Aufbruchstimmung. Dieses Netzwerk hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die Sprachbarrieren zwischen jenen Landwirten der verschiedenen EU-Länder zu überwinden, die bereit wären, Gentechnik einzusetzen, und ihnen beizubringen, wie man bei Hearings in Brüssel den wortgewandten NGO-Vertretern Paroli bieten kann.
Verbessertes Einkommen
Der Göttinger Agrarökonom Qaim stellte die Ergebnisse einer mehrjährigen Studie (2002–2008) zu den Auswirkungen von Bt-Baumwolle (siehe Spalte) auf das Familieneinkommen indischer Kleinbauern vor. Dieses Einkommen verbesserte sich im Vergleich zu dem durch konventionelle Anbaumethoden erzielten um 18 Prozent aufgrund geringerer Ertragsverluste und weniger Ausgaben für Pestizide. Daß die Ertragsschädlinge später Resistenz gegen das Bt-Protein entwickeln könnten – und dies in China schon haben –, und so den Einkommensvorteil zunichte machen würden, wollte der Referent nicht ausschließen. Qaim wies dies aber als »Totschlagargument« zurück. Nicht weiter vertieft wurde, daß in Indien Patente auf Saatgut bislang nicht möglich sind. Qaim räumte ein, daß der Samen von Bt-Bauwolle vor diesem Hintergrund in Indien vergleichsweise billig verkauft wird – ähnlich wie Generika im Vergleich zu patentgeschützten Arzneimitteln. Doch daß sich die Europäische Union seit Jahren bemüht, Indien im Rahmen der Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen ein neues Saatgutgesetz aufzuzwingen, das entsprechende Patente ermöglichen würde, blieb unerwähnt.
Die Rückschau des emeritierten Professors Ingo Potrykus auf sein »humanitäres« Golden-Rice-Projekt diente vor allem einem Zweck: zu behaupten, daß eine Regulation gentechnisch veränderter Sorten (im Sinne der gentechnischen Sicherheit) »völliger Unsinn« sei und daß es dazu »nicht den geringsten Grund« gäbe. Qaim, der mit seiner Kritik an einer angeblichen Überregulation in die gleiche Kerbe schlug, machte immerhin die Einschränkung, daß keine »unmittelbaren« Schäden beim Menschen bekannt seien. Die Diskussion hatte mit Blick auf den Contergan-Skandal, der unlängst noch einmal die Schlagzeilen beherrschte, etwas Gespenstisches. Auch bei Contergan war es zu keinen »unmittelbaren Schäden« beim Menschen gekommen. Als Beleg für die vermeintliche Unsinnigkeit diente Potrykus die Verzögerung der Zulassung seines »goldenen Reises« aufgrund der geforderten Sicherheitsprüfungen. Merkwürdig nur, daß sowohl der National Research Council (Nationaler Forschungsrat) der USA im Jahr 2000 als auch eine mit 17 Toxikologen besetzte Arbeitsgruppe der EFSA (European Food Safety Authority) im Jahr 2008 zu der Schlußfolgerung kamen, daß eine Sicherheitsprüfung gentechnisch modifizierter Pflanzen unerläßlich sei. Die generelle Forderung nach Abschaffung dieser Sicherheitsbewertung wurde von Potrykus erneut mit der Behauptung verknüpft, daß Gentechnikopponenten ein »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« begingen. Dies wurde mit einer solchen Penetranz vorgetragen, daß ein gehöriges Maß an »Betriebsblindheit« erforderlich war, um die wahren Absichten des Golden Rice-Projekts zu ignorieren. Schon 2005 wurde von Gentechnikkritikern erkannt, daß es darauf abzielt, mit einem publikumswirksamen Einzelprojekt die Regularien zur biologischen Sicherheit für alle gentechnischen Entwicklungen abzuschaffen. Für den Agrarkonzern Syngenta gab es also gute Gründe, dem Projekt »freie Lizenzen« für seine auf den Golden Rice angemeldeten Patente zuzugestehen. Unter diesen Bedingungen zu behaupten, daß im Gegensatz zu den geforderten Sicherheitsprüfungen, Patente die Entwicklung des Golden Rice »um keinen einzigen Tag verzögert« hätten, ist hanebüchen.
Spekulation über Sabotage
In der folgenden Diskussion trieb die Phantasie Blüten: Ein Tagungsteilnehmer spekulierte, daß nach der für 2014 erwarteten Markteinführung »ein Saboteur eine Handvoll goldenen Reis« heimlich unter normalen Reis mischen würde, um so Reisexporte wegen nachgewiesener Verunreinigung unmöglich zu machen und auf indirekte Weise den Anbau von Golden Rice zu unterbinden. Und Potrykus wollte nicht ausschließen, daß Greenpeace so etwas vielleicht machen würde.
Das Ganze könnte man als Posse abtun, wenn Potrykus nicht die Speerspitze einer ganz besonderen Stoßrichtung der Gentechniklobby wäre. In der Erkenntnis, daß die Öffentlichkeit von den Pro-Gentechnik-Argumenten bislang unbeeindruckt blieb und daß Politiker (außer in Sachsen Anhalt) sich nur hinter vorgehaltener Hand zur Gentechnik bekennen würden, bekräftigte man in Gatersleben die Strategie, renommierte Institutionen für die Gentechnik einzunehmen, um so die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Erste Erfolge habe man im Jahr 2009 erzielt, als die in Halle ansässige Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina »eine neue Politik in der Grünen Gentechnik« forderte und es darüber hinaus gelungen war, mit der Päpstlichen Akademie eine Studienwoche zum Thema »Transgene Pflanzen für die Ernährungssicherheit« zu veranstalten. Die danach lancierte Pressemitteilung, die grüne Gentechnik hätte nun den päpstlichen Segen, wurde vom Vatikan allerdings postwendend dementiert.
Die abschließende Podiumsdiskussion in Gatersleben wiederum diente vor allem als Resonanzboden für die zuvor vorgetragenen Sichtweisen, wobei der von Gentechnikbefürwortern umringte und leider recht glücklos argumentierende Stephan Bischoff von Bündnis90/Die Grünen dem moderierenden InnoPlanta-Beiratsvorsitzenden Horst Rehberger die Gelegenheit bot, einen Teil des angestauten Frusts abzureagieren.
Naturschutz predigen und Gentechnik fördern
InnoPlanta e.V. hatte von 2001 bis 2006 die Möglichkeit, 20 Millionen Euro Gentechnik- Fördergelder an regionale Akteure weiterzureichen. Eine gute Basis, um sich als »kleiner Bruder« der großen internationalen Lobbyorganisation ISAAA zu profilieren, auf die sich InnoPlanta gern bezieht. ISAAA (International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications) publiziert regelmäßig Statistiken zu den globalen Gentechnikanbauflächen. Der Zuwachs, Ergebnis eines aggressiven Marketings, dient dann als Beweis für die Überlegenheit der Gentechnik. InnoPlanta ist fest in der Hand der FDP: ihr früherer Landesvorsitzender Schrader war bis 2011 Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, sein Nachfolger Kaufmann ist FDP-Fraktionsvorsitzender im Harzer Kreistag und der Beiratsvorsitzende Rehberger ist ein skandalumwitterter Ex-FDP-Minister aus dem Saarland. Die für das Podiumsgespräch in Gatersleben ursprünglich angekündigte Gentechnik-Befürworterin Happach-Kasan ist FDP-Bundestagsabgeordnete, wurde aber von ihrem Parteikollegen Martin Neumann vertreten. Auffällig das simultane Engagement der Protagonisten in Naturschutzorganisationen: Das betrifft sowohl Happach-Kasan wie Schrader und den Podiumsredner und Gentechniklobbyisten Klaus Amman. Es werden Reminiszenzen an den WWF wach: Naturschutz predigen und Gentechnik fördern.
Für den Verzehr nicht geeignet oder notwendig
Bacillus thuringiensis ist ein Bakterium, das 1938 erstmals zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt wurde. Die von ihm produzierten kristallinen Proteine (Bt-Toxine) sind für verschiedenste Insektenarten giftig, nicht aber für Menschen und Säugetiere. Nach Übertragung der Bt-Gene auf Mais und Baumwolle produzieren diese Pflanzen Bt-Toxine – mit tödlicher Wirkung für saugende Insekten. Im Jahr 1997 wurde in den USA die Zulassung der Bt-Maissorte Starlink für den Verzehr durch Mensch und Tier beantragt. Die US-Umweltbehörde EPA erteilte 1998 eine Genehmigung als Tierfutter, nicht aber für den menschlichen Verzehr. Spätere Untersuchungen wiesen auf das Allergiepotential des in Starlink enthaltenen Bt-Toxins Cry9c hin. Der Skandal war perfekt als im Herbst 2000 Starlink in menschlichen Nahrungsmitteln gefunden wurde. Die US-Behörden riefen zahlreiche Lebensmittel aus den Regalen zurück, und die Firma Aventis suspendierte ihre Starlink-Registrierung.
Das Golden Rice-Projekt nimmt für sich in Anspruch, mit dem gentechnischen Einbau von ß-Karotin, einer Vorstufe von Vitamin A, die Folgen des Vitamin-A-Mangels zu bekämpfen. Dieser betrifft laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) insbesondere Kinder in 40 Ländern des Südens. In schweren Fällen kann der Mangel zu Erblindung oder sogar zum Tod führen. Im Jahr 1998 hatte die WHO zusammen mit anderen Partnern ein globales Programm zur Bekämpfung des Vitamin-A-Mangels gestartet. Ohne Gentechnik gelang es, bislang den Tod von etwa 1,25 Millionen Kindern zu verhindern.
In dem im Januar veröffentlichen Bericht »Golden Lies, fragwürdige ›Golden-Rice‹-Projekte der Saatgutindustrie« analysierte Christoph Then die wahren Hintergründe des Projekts: seine Torpedo-Funktion gegen die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen für gentechnisch veränderte Pflanzen. Der Nachweis einer ausreichenden Bioverfügbarkeit, d.h. ob überhaupt genügend Vitamin A im menschlichen Körper ankommt, war bis dahin nicht erbracht worden. Eine im August veröffentlichte Studie an chinesischen Schulkindern legt dies zwar nahe, aber die Beständigkeit des ß-Karotins in unter (sub)tropischen Bedingungen gelagertem Reis scheint nach wie vor zu fehlen. Ein wichtiger Punkt ist aber auch, daß mit »freien Lizenzen« (für gentechnische Patente) aus durchsichtigen Gründen ein »humanitäres Exempel« statuiert wurde, das mit den Regeln einer »freien Marktwirtschaft«, die zu den Grundfesten des Gentechnikgeschäfts gehört, nicht kompatibel ist.
Erschienen in: junge Welt vom 7.9.2012