Recht auf Nahrung
In diesen Tagen erscheint das Buch »Die grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg.« Die Tageszeitung junge Welt veröffentlichte eine unter Weglassung von Fußnoten und Literaturhinweisen gekürzte Fassung des Abschnitts »Agrarökologie – Definitionen, Kontext und Potentiale«.
Von Peter Clausing
Die »Scharnierfunktion« der Agrarökologie zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaft existierte nicht von Anbeginn. Als der Begriff im Jahr 1928 von dem sowjetischen Agronomen B.M. Bensin geprägt wurde, war damit ausschließlich Biologisches gemeint – das Zusammenleben von Organismen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Auch in der Tradition des Kieler Professors Wolfgang Tischler, der 1965 als erster ein Handbuch mit dem Titel Agrarökologie veröffentlichte, wird das Gebiet vornehmlich als biologisches Fach verstanden. Im Gegensatz dazu definierten Charles Francis und andere 2003 diese Wissenschaftsdisziplin als »integrative Erforschung der Ökologie des gesamten Nahrungsmittelsystems, einschließlich seiner ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen«. Auch Thomas Dalgaard und seine Kollegen kommen 2003 zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei Agrarökologie um die Integration agronomischer, ökologischer, soziologischer und ökonomischer Forschung handelt.
Bäuerliche Interessen
Der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, beschreibt Agrarökologie (…) als die Anwendung der ökologischen Wissenschaft auf die Erforschung, die Gestaltung und das Management nachhaltiger landwirtschaftlicher Systeme. Agrarökologie trachte danach, diese Systeme durch die Nachahmung und Verstärkung natürlicher Prozesse zu verbessern und auf diese Weise vorteilhafte biologische Wechselwirkungen und Synergien zwischen verschiedenen Komponenten der Agrobiodiversität auszunutzen. Gängige Prinzipien der Agrarökologie seien das Recycling von Nährstoffen und Energie innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes (statt der Nutzung externer Inputs), die Integration von Ackerbau und Viehwirtschaft, die Diversifizierung genetischer Ressourcen über Raum und Zeit und die Betrachtung der Produktivität des gesamten landwirtschaftlichen Systems anstelle der Fokussierung auf die Hektarerträge von einzelnen Sorten. Agrarökologie ist stark wissensbasiert und beruht auf Techniken, die nicht »von oben« verordnet werden, sondern aus einer Kombination des Wissens der Landwirte und experimenteller Ergebnisse bestehen. (…)
In seinem Bericht an die 16. Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen hob de Schutter hervor, dass dieses Recht (auf Nahrung – jW) entweder erfordert, sich durch eigene Produktion ernähren zu können, was den Zugang zu Land und Ressourcen wie Saatgut einschließt, oder die Möglichkeit, Essen zu kaufen, was bedeutet, dass die Nahrung verfügbar und erschwinglich sein und den (kulturellen und biologischen) Bedürfnissen entsprechen muss. Dafür formulierte er drei Ziele, deren Umsetzung unsere künftigen Ernährungssysteme gewährleisten müssen:
1. Eine Steigerung der für die Menschheit verfügbaren Nahrungsmenge um etwa 70 Prozent bis zum Jahr 2050 (was nicht ausschließlich durch eine Steigerung der Produktion erreicht werden muss), um sowohl der demographischen Entwicklung als auch der Veränderung der Ernährungsgewohnheiten Rechnung zu tragen.
2. Eine Steigerung des Einkommens kleinbäuerlicher Familien. De Schutter verweist darauf, dass der derzeitige Hunger in der Welt nicht auf eine ungenügende globale Nahrungsmenge zurückzuführen ist, sondern vor allem auf die Armut von Teilen der ländlichen Bevölkerung in den Ländern des Südens. Insofern sei die Steigerung der Einkommen der Ärmsten die beste Methode zur Bekämpfung des Hungers.
3. Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft, was den Erhalt bzw. die Restaurierung von Böden, die Reduzierung des landwirtschaftlichen Wasserverbrauchs, die Reduzierung bzw. Vermeidung künftiger Biodiversitätsverluste sowie klimaschonende Produktionsmethoden und eine Nahrungsmittelproduktion bedeutet, die Elastizität gegenüber Klimaveränderungen besitzt.
In diesem Zusammenhang beklagt de Schutter, dass sich in der Vergangenheit die Forschung in der Pflanzenproduktion auf die Verbesserung von Saatgut für industrielle Produktionsmethoden konzentrierte und dass die Bewertung des Erfolgs landwirtschaftlicher Entwicklung auf einer linearen Beziehung zwischen Input und Output basiere.
Das Potential, durch agrarökologische Methoden sowohl die Ernährung zu sichern als auch die Einkommen armer bäuerlicher Familien zu steigern, wurde inzwischen vielfach nachgewiesen. Die Ausdehnung einer industriellen Landwirtschaft auf Basis von Hybridsaatgut, chemischen Inputs und ggf. Gentechnik (…) steht dieser Entwicklung frontal entgegen.
Zwei »Metaanalysen« (zusammenfassende Auswertungen einer Vielzahl einzelner Studien) sollen hier näher betrachtet werden, um eine Vorstellung zu vermitteln, was sich mit agrarökologischem Anbau in den Ländern des Südens erreichen lässt. Die Lobby der Agrarindustrie scheint solche Publikationen zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ähnlich wie bei Gentechnik-kritischen Veröffentlichungen üblich, wurden einige andere Metaanalysen sofort mit »Briefen an den Herausgeber« bedacht. Wie an anderer Stelle bereits beschrieben, werden dann später diese Diskreditierungsversuche zitiert, ohne die fundierten Erwiderungen der Autoren zu berücksichtigen, so dass die ursprünglichen Veröffentlichungen als scheinbar diskreditiert im Raum stehen bleiben.
Höhere Produktivität
Jules Pretty, Professor für Umwelt und Gesellschaft an der Universität Essex, verglich gemeinsam mit anderen Forschern 2006 die Erträge von agrarökologischem gegenüber konventionellem Anbau von 360 Experimenten, die sowohl Parallelvergleiche als auch Vorher-Nachher-Vergleiche (d.h. vor und nach Umstellung auf agrarökologische Verfahren) umfassten. Sie konzentrierten sich dabei bewusst auf erfolgreiche Projekte (was ihnen später zum Vorwurf gemacht wurde), weil sie das Steigerungspotential agrarökologischen Anbaus veranschaulichen wollten. Allein die Zahl von Hunderten erfolgreicher Projekte ist beeindruckend und ein lebendiger Beweis für das Potential agrarökologischer Methoden. Über alle drei Kontinente des globalen Südens und acht verschiedene Anbausysteme hinweg ermittelten Pretty und seine Kollegen einen durchschnittlichen Mehrertrag von 79 Prozent bei Anwendung agrarökologischer Verfahren (bzw. 64 Prozent, wenn das mathematisch angemessenere geometrische Mittel zugrunde gelegt wurde). Insgesamt waren etwa 12,6 Millionen Bäuerinnen und Bauern an den Versuchen beteiligt, die eine Fläche von 37 Millionen Hektar umfassten. Ein wichtiger Befund war auch die Zunahme agrarökologisch bewirtschafteter Flächen im Zeitverlauf – ein Ausdruck der Akzeptanz. Die Zunahme wurde anhand von 68 zufällig ausgewählten Projekten bewertet, die vier Jahre nach der ersten Datenerhebung erneut besucht wurden. Die Zahl der agrarökologisch wirtschaftenden Bäuerinnen und Bauern hatte sich innerhalb dieser Zeit von 5,3 Millionen auf 8,3 Millionen erhöht und die so bewirtschaftete Fläche von 12,6 auf 18,3 Millionen Hektar. Dieser Befund widerlegt im wahrsten Sinne des Wortes millionenfach das Argument von Unterstützern bzw. Vertretern der Agrarindustrie (…), dass Agrarökologie das romantische Hirngespinst einer städtischen Mittelschicht sei, die in Spezialverkaufsstellen Luxusgüter erwerbe.
Catherine Badgley und andere analysierten 293 Studien, in denen das Ertragspotential agrar-ökologischen und konventionellen Anbaus miteinander verglichen wurde, teils in Experimenten auf Versuchsstationen, teils in Feldstudien. Die Autoren dieser Metaanalyse aus dem Jahr 2007 waren vor allem an der Frage interessiert, ob die Welt – theoretisch – mit dem jetzigen Stand des Wissens und der Verfahrensentwicklung agrarökologisch ernährt werden könnte. Ein wesentliches Motiv ihrer Untersuchung war die häufig wiederholte Behauptung der Agrarindustrielobby, dass sich die Zahl der Hungernden bei Umstellung auf agrarökologischen Anbau vergrößern würde. Sie berechneten die Ertragsquotienten der 293 Studien, getrennt für tierische und pflanzliche Produkte und für die Länder des globalen Nordens und Südens. Ein Quotient von kleiner als eins war ein Beleg für höhere Erträge bei konventionellem Anbau. Umgekehrt brachte ein Quotient zum Beispiel von 1,2 eine 20prozentige Ertragsüberlegenheit des agrarökologischen Verfahrens zum Ausdruck. Das durchschnittliche Ergebnis war für pflanzliche und tierische Produkte sehr ähnlich, zwischen Norden und Süden allerdings sehr unterschiedlich. Für die »entwickelten« Länder lag der Ertragsquotient bei 0,914 für pflanzliche und bei 0,922 für tierische Produkte, d.h. durchschnittlich eine neun- bzw. achtprozentige Ertragsüberlegenheit des konventionellen Anbaus. Für die »Dritte Welt« wurden durchschnittliche Ertragsquotienten von 1,736 für pflanzliche und 1,802 für tierische Produkte ermittelt, also eine 70 bis 80prozentige Ertragsüberlegenheit bei agrarökologischem Anbau (siehe Tabelle). (…)
Aus den gewonnenen Erkenntnissen schlussfolgerten 2007 Badgley und andere, dass das Ertragspotential bei agrarökologischem Anbau mit den heute verfügbaren Verfahren im Prinzip ausreichen würde, um den Hunger insbesondere dort zu beseitigen, wo die größte Zahl hungernder Menschen lebt. Man könnte darüber spekulieren, wie die weitere Entwicklung und Verbreitung agrarökologischer Verfahren aussehen könnte. Wenn dafür ausreichend Mittel zur Verfügung stünden, wäre der Ausblick auf 2050 durchaus vielversprechend. In diese »Spekulation« müssten weitere Aspekte einfließen, denn es geht nicht nur um den Vergleich von Hektarerträgen, sondern auch um die einsetzende Bodenmüdigkeit nach jahrzehntelangem Einsatz von chemischem Dünger, um die Wasser- und Energieeffizienz der unterschiedlichen Produktionsverfahren und um die inverse Beziehung zwischen Produktivität und Betriebsgröße.
Die Folgen des massiven Einsatzes von synthetischem Dünger machen sich seit einigen Jahren in Indien und China (…) nicht nur durch die Zerstörung der Umwelt, sondern auch durch Ertragsstagnation bzw. -rückgänge bemerkbar. Auch der Wassermangel nimmt zu. Heute werden etwa 70 Prozent des aus Flüssen entnommenen Wassers in der Landwirtschaft verbraucht, und es leiden 1,2 Milliarden Menschen unter Mangel an physisch verfügbarem Wasser (fehlenden ökonomischen Zugang noch gar nicht mitgerechnet), eine Zahl, die sich Schätzungen zufolge bis 2050 auf 2,6 Milliarden erhöhen wird. Das unterstreicht die Bedeutung einer effizienten Ausnutzung des Wassers, insbesondere des Regenwassers durch die Pflanzen, unter anderem, um bessere Erträge auch ohne künstliche Bewässerung zu erreichen. Für eine Reihe wichtiger Komponenten agrar¬ökologischen Wirtschaftens liegt auf der Hand, dass sich durch sie auch die Wasserausnutzung verbessert. Dazu zählen schattenspendende Bäume im Rahmen der Agrarforstwirtschaft, die Erhöhung des Humusgehalts und das Mulchen.
Ressourcenschonend
Rajeswari Sarala Raina verweist 2010 in einem Beitrag für die Böll-Stiftung auf dramatische Zahlen, was die Energieeffizienz agrarökologischer Anbauverfahren im Vergleich zur konventionellen Produktion anbetrifft. Nach ihren Angaben können mit jeder Kilokalorie, die bei agrarökologischen Produktionsverfahren verbraucht wird, vier bis 15 Kilokalorien Nahrung produziert werden. Im Gegensatz dazu werden durch die industrielle Landwirtschaft zwischen zehn und 20 Kilokalorien verbraucht, um eine Kilokalorie Nahrung zu erzeugen. Ob derart große Unterschiede in den Ländern des Südens die Regel sind oder Extremfälle darstellen, sei dahingestellt. Fakt ist, dass es selbst in gemäßigten Breiten einen deutlichen Unterschied in der Energieeffizienz zugunsten der Agrarökologie gibt, wie zum Beispiel dänische Untersuchungen von Dalgaard aus dem Jahre 2001 belegen. Auch die Metaanalyse von Tiziano Gomiero und Maurizio G. Paoletti aus dem Jahr 2008, die 16 verschiedene Studien berücksichtigt, zeigt – auf den Ertrag bezogen – eine um 15 bis 45 Prozent energieeffizientere Produktion bei agrarökologischem Anbau. Diese Analyse bezieht sich wiederum ausschließlich auf Produktionssysteme in den Ländern des Nordens.
Die inverse Beziehung zwischen Betriebsgröße und Produktivität, das heißt, dass kleine Betriebe bei halbwegs vergleichbarem Ressourcenzugang produktiver sind als große, ist der Agrarindustrie schon lange ein Dorn im Auge. Dementsprechend wiederholen sich die Versuche, diesen gut dokumentierten Befund entweder rundweg in Abrede zu stellen (»Ich stelle die Korrektheit der Feststellung, dass kleine Betriebe eine höhere Produktion pro Flächeneinheit haben als große, infrage«, schrieb bspw. Jim Hendrix 2007) oder auf subtilere Art anzuzweifeln. Vor nicht allzu langer Zeit behaupteten Paul Collier und Stefan Dercon, dass es für Afrika nur eine Handvoll sorgfältiger Studien zu dieser inversen Beziehung gäbe und dass einige Untersuchungen das Gegenteil zeigten. Das Phänomen ist seit 1926 bekannt, als es von Alexander Tschajanow im Zusammenhang mit Lenins »Neuer Ökonomischer Politik« in der Sowjetunion bemerkt wurde. Im Jahr 1962 beschrieb der Nobelpreisträger Armatya Sen erneut dieses Phänomen, das im Laufe der Jahre immer wieder in Afrika, Asien und Latein¬amerika beobachtet wurde. Gelegentlich wurde versucht, diese Beobachtung als Messfehler zu disqualifizieren – die fehlende Berücksichtigung von Unterschieden in der Bodenqualität bzw. zu klein geschätzte Betriebsflächen. Beide Erklärungsversuche erwiesen sich als falsch. (…)
In diesem Jahr erschien eine sehr umfangreiche Studie zu den vermuteten Schätzfehlern bei der Ermittlung der Betriebsgrößen. Typischerweise werden für Produktivitätsuntersuchungen die Flächenangaben der Eigentümer verwendet. Diese können insbesondere in den Ländern des Südens, wenn Katasterangaben fehlen oder falsch sind, mit Ungenauigkeiten behaftet sein. Wenn also die Kleinbauern ihre Fläche kleiner angeben, als sie tatsächlich ist, entsteht eine Verzerrung zugunsten höherer Produktivitätswerte. Calogero Carletto und seine Kollegen standen die Angaben zu Produktion und Betriebsgröße (Eigenangabe) von 2860 Bauern in Uganda zur Verfügung. Zusätzlich hatten sie zu allen Flächen die GPS-Daten und konnten so die Korrektheit der Eigenangaben überprüfen. Wie sich herausstellte, lag tatsächlich ein systematischer Fehler bei den Eigenangaben vor, allerdings nicht so, dass sich dadurch die inverse Beziehung zwischen Produktivität und Betriebsgröße verringert oder aufgehoben hätte. Im Gegenteil, sie wurde verstärkt, denn Bauern mit den kleinsten Flächen tendierten dazu, ihre Fläche zu überschätzen, während Bauern mit mehr Betriebsgröße ihre Fläche unterschätzten. Im Ergebnis kamen bei den kleinsten Betrieben mit durchschnittlich 0,3 Hektar Fläche nach Korrektur nochmals 28 Prozent an Produktivität hinzu, während bei größeren Betrieben (durchschnittlich 4,2 Hektar) 30 Prozent abgezogen werden mussten. Die Bauern der in der Mitte liegenden Größenklasse (durchschnittlich ein Hektar) hatten nur sieben Prozent Abweichung.
Ernährungssicherheit
Aus marktwirtschaftlicher Perspektive wird die höhere Produktivität kleinerer Flächen als »Marktverzerrung« bezeichnet, wenn die höhere Produktivität darauf zurückzuführen ist, dass mehr Arbeit in die Fläche gesteckt wird. Hier geht es jedoch darum, welches landwirtschaftliche Modell besser geeignet ist, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Aus dieser Perspektive sollte dies eher als Korrektiv denn als Verzerrung bezeichnet werden.
De Schutter beschrieb 2010 unter anderem folgende drei Merkmale agrarökologischen Wirtschaftens:
1. Agrarökologische Anbaumethoden sind wissensintensiv. Sie verbreiten sich nicht von selbst, sondern erfordern die Vermittlung von Wissen in einer Intensität und (geographischen) Dichte, die ausreichend sein muss, um mit alten Gewohnheiten zu brechen. Darüber hinaus werden in der Anfangsphase zusätzliche Ressourcen benötigt, die sich jedoch später selbst reproduzieren, so dass in künftigen Jahren die Abhängigkeit von (staatlich zur Verfügung gestellten) externen Inputs minimiert werden kann. Von einem agrar¬ökologischen Pilotprojekt bis zur breiten Anwendung der Methoden vergehen oft anderthalb Jahrzehnte.
2. Agrarökologische Anbaumethoden sind arbeitsintensiv, was jedoch eingedenk der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten in vielen ländlichen Regionen des globalen Südens eher als Vorteil anzusehen ist, sofern sich die Arbeitsspitzen der agrarökologischen Techniken nicht mit den Arbeitsspitzen der anderen landwirtschaftlichen Aktivitäten überschneiden.
3. Agrarökologische Anbaumethoden sind mit einer Diversifizierung der Produktion (Pflanzen und Tiere) verbunden, was mit einer größeren Vielfalt der Ernährung ebenso einhergeht wie mit einer größeren Stabilität der Produktion gegenüber äußeren Einflüssen.
Eine Verbesserung der Einkommen durch agrar¬ökologischen Anbau lässt sich einerseits durch die Kostensenkung infolge der Reduzierung bzw. Vermeidung des Zukaufs externer Inputs (Dünger, Pestizide) erreichen und andererseits – wie oben geschildert – durch eine Steigerung des Gesamtprodukts im kleinbäuerlichen Familienbetrieb. Für arme Kleinbauern besteht das erste Ziel in einer subsistenzwirtschaftlichen Deckung des Grundbedarfs, so dass die Vorräte bis zur nächsten Ernte reichen, ohne dass Lebensmittel zugekauft werden müssen. Ein solcher Zukauf ist für viele subsaharischen Subsistenzbäuerinnen und -bauernin den letzten Wochen bis Monaten vor der nächsten Ernte notwendig. Der nächste Schritt wäre dann die Erzielung zusätzlichen Einkommens durch eine Überschussproduktion, die zum Beispiel regional vermarktet werden würde. (…)
Für den Schritt zur (regionalen) Vermarktung von Produktionsüberschüssen werden zusätzliche Ressourcen benötigt. Das betrifft vor allem Transportwege und -mittel zur Erreichung lokaler Märkte, Lagermöglichkeiten für die Ernteprodukte und gegebenenfalls Verarbeitungsstätten (Fleisch, Milch).
Nationale Regierungen und Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit sollten sich genau hier in der Pflicht sehen, nämlich
– bei der Stärkung basisdemokratisch organisierter, zivilgesellschaftlicher Strukturen, nicht als neoliberaler Ersatz, sondern als Korrektur- und Kontrollmechanismus staatlichen Handelns sowie
– bei der Schaffung der notwendigen Infrastruktur zur Etablierung und Stärkung lokaler und regionaler Märkte, nicht zum Abtransport des Produzierten in Richtung Übersee
– bei der Unterstützung eines gleichberechtigten Wissensaustauschs zwischen kleinbäuerlichen Gemeinschaften, NGOs und akademischen Einrichtungen.
Derartige Maßnahmen werden in Policy-Dokumenten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wie zum Beispiel dem Interagency Report von 2012 bestenfalls in verschwommener Form erwähnt, aber in der Praxis nicht durchgesetzt.
Peter Clausing: Die grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg. Unrast-Verlag, Münster/Hamburg 2013, 160 Seiten, ca. 13 Euro – auch in der jW-Ladengalerie erhältlich
Erschienen in junge Welt, 19.9.2013