Inten­siv und inef­fi­zi­ent

Die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft ist an den Ver­brauch fos­si­ler Brenn­stof­fe gekop­pelt. Die Ener­gie­bi­lanz ihrer Pro­duk­te ist nega­tiv.

Von Peter Claus­ing

All­jähr­lich am 17. April hat die glo­ba­le Klein­bau­ern­or­ga­ni­sa­ti­on La Via-Camp­si­na ihren Akti­ons­tag. Die Orga­ni­sa­ti­on sagt, daß Klein­bau­ern ener­gie­ef­fi­zi­en­ter pro­du­zie­ren als Groß­be­trie­be.

Seit Jahr­tau­sen­den besteht der Sinn des Acker­baus in der Umwand­lung von Son­nen­en­er­gie in »ess­ba­re«. Das geschieht mit Hil­fe der Pho­to­syn­the­se, deren Effi­zi­enz zwar gering ist, denn jener Anteil der ein­ge­strahl­ten Son­nen­en­er­gie, der in Bio­mas­se umge­wan­delt wird, beträgt weni­ger als zwei Pro­zent. Trotz­dem wird über das Jahr und die Flä­che ver­teilt in Früch­ten und Knol­len genü­gend Ener­gie akku­mu­liert, um die Welt­be­völ­ke­rung zu ver­sor­gen. Die Son­nen­strah­lung steht gra­tis zur Ver­fü­gung. Der Anteil an Ener­gie, der dar­über hin­aus in die Erzeu­gung und Ver­ar­bei­tung von Nah­rung gesteckt wur­de, war für lan­ge Zeit von gerin­ger Bedeu­tung. Die­se Situa­ti­on hat sich in den ver­gan­ge­nen hun­dert Jah­ren dra­ma­tisch geän­dert. Zwar wur­den in den letz­ten Jahr­zehn­ten in vie­len Tei­len der Welt die Hekt­ar­er­trä­ge erheb­lich gestei­gert. Erkauft wur­de die­ser Zuwachs jedoch mit einem extrem hohen Ein­satz fos­si­ler Ener­gie­trä­ger, die vor allem zur Syn­the­se und Aus­brin­gung von Agro­che­mi­ka­li­en und zum Betrei­ben von Pum­pen für Flä­chen mit künst­li­cher Bewäs­se­rung benö­tigt wer­den. Doch inzwi­schen ist die Eupho­rie über die Wun­der der »grü­nen Revo­lu­ti­on« ver­flo­gen, und es macht sich Ernüch­te­rung breit. Trotz des fort­ge­setz­ten Ein­sat­zes erd­öl­ba­sier­ter Res­sour­cen sta­gnie­ren die Erträ­ge oder sin­ken sogar. Eine wesent­li­che Ursa­che ist die nach­las­sen­de Boden­frucht­bar­keit auf­grund der ver­nach­läs­sig­ten orga­ni­schen Dün­gung und der Ver­sal­zung bestimm­ter Böden nach jah­re­lan­ger Bewäs­se­rung. Zur Ver­sal­zung kommt es beson­ders in semia­ri­den Regio­nen, wo die Ver­duns­tung höher ist als der Nie­der­schlag. Glo­bal lei­den 50 Pro­zent der bewäs­ser­ten Flä­chen unter Ver­sal­zung.

Mehr Auf­wand als Ertrag

Seit der Erd­öl­kri­se Mit­te der 1970er Jah­re inter­es­sie­ren sich Wis­sen­schaft­ler ver­stärkt für die Ener¬giebilanzen land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on. Im Jahr 1980 erschien ein ers­tes Hand­buch vol­ler Tabel­len, in denen für ver­schie­dens­te Frucht­ar­ten und unter­schied­li­che Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen ent­spre­chen­de Auf­wand auf­ge­lis­tet wurde.1 Die jewei­li­gen Ver­bräu­che wer­den in dem Buch sum­miert und dem Ener­gie­ge­halt der geern­te­ten Pro­duk­te gegen­über­ge­stellt. Fasst man die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se zusam­men, wird schnell klar, daß bei indus­trie­mä­ßi­ger Groß­flä­chen­wirt­schaft mehr (fos­si­le) Ener­gie ver­braucht wird, als am Ende in der ver­zehr­ten Nah­rung steckt. Im Gegen­satz dazu ver­hält es sich beim klein­bäu­er­lich-öko­lo­gi­schem Anbau umge­kehrt. Im Extrem­fall ergibt sich ein Unter­schied um das bis zu Hun­dert­fa­che zwi­schen den bei­den Anbau­sys­te­men. Wer­den bei der Inten­siv­land­wirt­schaft außer jener Ener­gie, die in der eigent­li­chen Pro­duk­ti­on steckt, auch die für den Trans­port zu den Märk­ten, die zur Her­stel­lung von Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al auf­ge­wen­de­te Ener­gie und wei­te­re Fak­to­ren berück­sich­tigt, kommt es zu einem Auf­wand von zehn Kilo­ka­lo­rien und mehr, um eine Kilo­ka­lo­rie Nah­rung zu erzeu­gen. In der klein­bäu­er­li­chen Land­wirt­schaft, bei der auf den Ein­satz von Agro­che­mi­ka­li­en und schwe­rer Tech­nik ver­zich­tet wird und wo durch agrar­öko­lo­gi­sche Metho­den trotz­dem gute Erträ­ge gesi­chert wer­den, kön­nen aus einer Kilo­ka­lo­rie extern zuge­führ­ter Ener­gie bis zu zehn Kilo­ka­lo­rien Nah­rung entstehen.2 Zwar stellt die­ser deut­li­che Effi­zi­enz­un­ter­schied zwi­schen den bei­den Anbau­for­men den Extrem­fall dar, aber die Schluß­fol­ge­rung, daß klein­bäu­er­lich-öko­lo­gi­scher Anbau ener­gie­ef­fi­zi­en­ter ist als indus­trie­mä­ßi­ge Pro­duk­ti­on, hat All­ge­mein­gül­tig­keit. Das klingt zwar plau­si­bel, ist aber nicht selbst­ver­ständ­lich, denn bei den Effi­zi­enz­be­rech­nun­gen wird der Ener­gie­auf­wand zum Ertrag ins Ver­hält­nis gesetzt. Es könn­te also sein, dass der durch exter­ne Inputs erziel­te Ertrags­zu­wachs so groß ist, dass die zusätz­lich ein­ge­setz­te Ener­gie kom­pen­siert wird. Aber das ist, wie die Ergeb­nis­se zahl­rei­cher Unter­su­chun­gen zei­gen, nicht der Fall.

Wofür wird die Ener­gie eigent­lich ver­braucht, die in der­lei Berech­nun­gen ein­fließt? In der moder­nen Land­wirt­schaft kom­men fos­si­le Trä­ger bei fol­gen­den Akti­vi­tä­ten zum Ein­satz: bei der Her­stel­lung, dem Trans­port und der Aus­brin­gung von Saat­gut und Agro­che­mi­ka­li­en, bei der Boden­be­ar­bei­tung (Pflü­gen, Eggen usw.), beim (zum Teil glo­ba­len) Trans­port der Ern­te, des Schlacht­viehs und der land­wirt­schaft­li­chen Abprodukte3, bei der tech­ni­schen Trock­nung bzw. gekühl­ten Lage­rung der Ern­te­pro­duk­te, beim Betrieb von Pum­pen (Bewäs­se­rung, Gül­le), bei der Behei­zung von Gewächs­häu­sern und Belüf­tung von Stall­an­la­gen sowie bei der Ver­ar­bei­tung der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­te (sowohl indus­tri­ell als auch im pri­va­ten Haus­halt). In jün­ge­rer Zeit ist man zu soge­nann­ten Life-Cycle-Ana­ly­sen über­ge­gan­gen, bei denen sämt­li­che Wir­kun­gen (in die­sem Fall der Ener­gie­ver­brauch) wäh­rend der Pro­duk­ti­on, Nut­zung und Ent­sor­gung eines Pro­duk­tes berück­sich­tigt wer­den, ein­schließ­lich der vor- und nach­ge­schal­te­ten Pro­zes­se. Da der Ener­gie­auf­wand auf die Ener­gie­men­ge der ver­zehr­ten Nah­rung bezo­gen wird, spie­len nicht nur die Erträ­ge eine Rol­le, son­dern auch die Ver­lus­te bei Trans­port und Lage­rung sowie die Ver­geu­dung bzw. Ver­nich­tung von Lebens­mit­teln in Super­märk­ten, Restau­rants und pri­va­ten Haus­hal­ten. Spä­tes­tens seit dem 2012 erschie­ne­nen Buch »Die Essens­ver­nich­ter« von Ste­fan Kreutz­ber­ger und Valen­tin Thurn wis­sen wir, dass die Ver­geu­dung von Nah­rungs­mit­teln in den Indus­trie­län­dern ein erschre­cken­des Aus­maß ange­nom­men hat. Erhe­bun­gen in Groß­bri­tan­ni­en, wo das Phä­no­men am gründ­lichs­ten unter­sucht wur­de, haben gezeigt, daß 30 bis 50 Pro­zent der in den Han­del gelan­gen­den Nah­rungs­mit­tel im Müll lan­den. Wäh­rend dies in der Öffent­lich­keit vor allem unter dem Blick­win­kel des in der Welt herr­schen­den Hun­gers dis­ku­tiert wird, stellt es auch eine unnö­ti­ge Belas­tung des Kli­mas und eine immense Ener­gie­ver­schwen­dung dar.

Strom­fres­ser Dün­ge­mit­tel

Betrach­tet man die Ener­gie­bi­lan­zen für die Pro­duk­ti­on ein­zel­ner Nah­rungs­mit­tel, haben die kon­kre­ten Rah­men­be­din­gun­gen einen star­ken Ein­fluss auf das Ergeb­nis. Zwei Bei­spie­le sol­len das verdeutlichen.4 Das ers­te führt uns in den Süd­west­iran, wo die Agrar­wis­sen­schaft­ler K. Azi­zi und S. Heida­ri in ihrer Stu­die zeig­ten, dass die Erzeu­gung von Rog­gen ohne künst­li­che Bewäs­se­rung trotz 40 Pro­zent nied­ri­ge­rer Erträ­ge um ein Drit­tel ener­gie­ef­fi­zi­en­ter ist. Das aus­sa­ge­kräf­ti­ge Ergeb­nis basier­te auf dem Ver­gleich von 26 bewäs­ser­ten mit 68 unbe­wäs­ser­ten Pro­duk­ti­ons­stand­or­ten, die sich sonst aber stark ähnel­ten (d.h. bezüg­lich der Boden­qua­li­tät und sons­ti­gen Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen). Der Unter­schied in der Bilanz resul­tier­te aus dem Ener­gie­auf­wand zum Betrei­ben der Pum­pen, aber auch – umge­legt auf die Jah­re der poten­ti­el­len Nut­zung – aus dem Ener­gie­auf­wand zur Her­stel­lung und Instal­la­ti­on der Bewäs­se­rungs­an­la­ge. Die Bilanz­un­ter­schie­de zwi­schen bewäs­ser­ten und nicht bewäs­ser­ten Stand­or­ten hän­gen dabei nicht nur von der ange­bau­ten Feld­frucht und dem Ertrag ab, son­dern auch von der Höhe des Grund­was­ser­spie­gels und der Ver­duns­tung unter den kon­kre­ten kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen. Beim zwei­ten Bei­spiel geht es um Bio­brot. Kyle Meis­ter­ling und sei­ne zwei Mit­au­torin­nen von der Uni­ver­si­tät Pitts­burgh ermit­tel­ten eine um (die aus einem gerin­ge­ren Ener­gie­ver­brauch resul­tie­ren­de) 30 Gramm Koh­len­di­oxid redu­zier­te Kli­ma­be­las­tung pro Kilo­gramm Wei­zen­brot, wenn die­ses statt aus kon­ven­tio­nell pro­du­zier­tem aus Bio­wei­zen her­ge­stellt wur­de. Die­ser Vor­teil ging aber in ihren Modell­rech­nun­gen kom­plett ver­lo­ren, wenn der Wei­zen bzw. das Brot vom Acker über das Lager, die Müh­le, die Bäcke­rei und die Ver­kaufs­stel­le bis zur Woh­nung der Kon­su­men­ten mehr als 480 Kilo­me­ter zurück­leg­te – für die USA eine nicht ganz unrea­lis­ti­sche Distanz. Eine ähn­li­che Dis­kre­panz wür­de sich in Deutsch­land ver­mut­lich aus der Gegen­über­stel­lung von regio­nal pro­du­zier­ten Toma­ten aus kon­ven­tio­nel­lem Anbau gegen­über Bio­to­ma­ten aus Spa­ni­en oder den Nie­der­lan­den erge­ben. Die Lis­te sol­cher Bei­spie­le lie­ße sich belie­big fort­set­zen.

Der Wert der­ar­ti­ger Unter­su­chun­gen besteht in der Her­aus­ar­bei­tung ein­zel­ner Fak­to­ren, die bei der Gestal­tung künf­ti­ger land­wirt­schaft­li­cher Sys­te­me beson­ders zu berück­sich­ti­gen wären, um die Situa­ti­on zu ver­bes­sern. Eine Syn­op­sis der zahl­rei­chen Ein­zel­un­ter­su­chun­gen ermög­licht es, jene Kom­po­nen­ten der Ener­gie­bi­lan­zen zu iden­ti­fi­zie­ren, die beson­ders ins Gewicht fal­len. Dazu zählt die Her­stel­lung von Kunst­dün­ger, ins­be­son­de­re von Stick­stoff­dün­ger. Dies ist der ener­gie­in­ten­sivs­te Ein­zel­pro­zeß in der gesam­ten land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­ket­te. Die Syn­the­se von Ammo­ni­ak – der wich­tigs­ten Kom­po­nen­te des Kunst­dün­gers – erfor­dert Tem­pe­ra­tu­ren von ca. 500 Grad Cel­si­us und einen Druck von 300 Bar. Mit­hin ent­fällt bei vie­len Feld­früch­ten sowie Obst- und Gemü­se­ar­ten mehr als ein Drit­tel der in der Land­wirt­schaft ver­brauch­ten Ener­gie auf die Pro­duk­ti­on von Agro­che­mi­ka­li­en (sie­he Gra­fik). Durch­denkt man die der­zei­ti­ge Dis­kus­si­on zur Reform des Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Geset­zes, bei der die zusätz­li­chen Strom­kos­ten der energie¬intensiven Indus­trie­zwei­ge wei­ter­hin von den pri­va­ten Haus­hal­ten bezahlt wer­den, wird klar, daß die­se dadurch auch einen Teil der Kos­ten der indus­tri­el­len Land­wirt­schaft abfan­gen. Die Preis­schil­der der Super­märk­te sug­ge­rie­ren, daß Nicht­bio­pro­duk­te bil­li­ger sei­en. In Wirk­lich­keit bezahlt aber der Ver­brau­cher einen Teil davon, indem er die Strom­kos­ten der Dün­ge­mit­tel­in­dus­trie sub­ven­tio­niert.

Aneig­nung frem­der Res­sour­cen

Wie ener­gie­ef­fi­zi­ent oder inef­fi­zi­ent ein­zel­ne land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­te erzeugt wer­den, hängt also stark von den kon­kre­ten Umstän­den ab. Bei der Beur­tei­lung, ob – ener­ge­tisch betrach­tet – die Art und Wei­se der Ernäh­rung eines Lan­des ins­ge­samt nach­hal­tig ist oder nicht, hel­fen natio­na­le Gesamt­bi­lan­zen. Zwei Stu­di­en – eine aus Däne­mark und eine aus den USA – sol­len das illus­trie­ren. Für bei­de Län­der sind die Ergeb­nis­se ähn­lich beun­ru­hi­gend, und die Ver­mu­tung liegt nahe, dass die Situa­ti­on in Deutsch­land nicht viel anders sein dürf­te. Mads Mar­kus­sen und Han­ne Øster­gaard, Wis­sen­schaft­ler von der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät in Lyng­by, prä­sen­tier­ten eine Kom­plett­ana­ly­se der däni­schen Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on für die Jah­re 2004 bis 2007. Dabei stell­te sich her­aus, dass die in die­sem Zeit­raum in Däne­mark erzeug­te Nah­rung nur ein Vier­tel so viel Ener­gie ent­hielt, wie zu deren Pro­duk­ti­on ver­braucht wur­de. Zu einem ähn­li­chen Resul­tat kamen Mar­tin C. Hel­ler und Gre­go­ry A. Keolei­an von der Uni­ver­si­tät Michi­gan, die eine Life-Cycle-Ana­ly­se für die USA mit Daten von 1995 vor­leg­ten. Nach ihren Berech­nun­gen hat­te die US-ame­ri­ka­ni­sche Land­wirt­schaft in besag­tem Jahr einen ener­ge­ti­schen Effi­zi­enz­grad von 27 Pro­zent. Inter­es­sant ist, aus wel­chen Kom­po­nen­ten sich der Ener­gie­ver­brauch in den bei­den Län­dern zusam­men­setz­te. Hier zeig­ten sich deut­li­che Unter­schie­de. In der ame­ri­ka­ni­schen Stu­die wur­den nur 20 Pro­zent der Ener­gie für die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on genutzt. Die ver­blei­ben­den 80 Pro­zent ver­teil­ten sich auf Trans­port, Lage­rung, Ver­ar­bei­tung und Ver­pa­ckung. Im Gegen­satz dazu wur­de in Däne­mark bei ähn­li­cher Gesamt­bi­lanz rund die Hälf­te der Ener­gie direkt in die Pro­duk­ti­on gesteckt. Impor­tier­te Fut­ter­mit­tel – eine Kom­po­nen­te, die auch in Deutsch­land von gro­ßer Bedeu­tung sein dürf­te – schlu­gen dabei maß­geb­lich zu Buche. Im Gegen­satz dazu sind nach Ein­schät­zung von Mar­kus­sen und Øster­gaard die USA bei Fut­ter­mit­teln größ­ten­teils Selbst­ver­sor­ger.

Anni­ka Carls­son-Kan­ya­ma von der Stock­hol­mer Envi­ron­men­tal Stra­te­gies Rese­arch Group und ihre Mit­au­torin­nen betrach­te­ten die Pro­ble­ma­tik aus einer ande­ren Per­spek­ti­ve. Zunächst ermit­tel­ten sie mit Hil­fe von Life-Cycle-Ana­ly­sen die ver­brauch­te Ener­gie von 150 Lebens­mit­teln, die in Super­märk­ten erhält­lich waren. Danach stell­ten sie zwei reprä­sen­ta­ti­ve Tages­ra­tio­nen mit glei­chem Kalo­rien­ge­halt zusam­men. Rati­on eins war ohne Berück­sich­ti­gung von Nach­hal­tig­keits­aspek­ten zusam­men­ge­stellt wor­den. Rati­on zwei hat­te ernäh­rungs­phy­sio­lo­gisch einen ähn­li­chen Wert wie Rati­on eins, jedoch wur­de bewusst auf ener­gie­in­ten­si­ve Kom­po­nen­ten ver­zich­tet, aller­dings ohne dabei in Extre­me zu ver­fal­len. So ent­hielt Rati­on 1 Rind­fleisch (2250 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien, d.h. Ener­gie, die in die Pro­duk­ti­on usw. gesteckt wur­de) und Gewächs­haus­to­ma­ten (1100 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien). Rati­on 2 ent­hielt statt des­sen das ener­gie­ef­fi­zi­en­te­re Hüh­ner­fleisch (1040 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien) und Möh­ren (120 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien). Fer­ner wur­de in der üppi­gen Rati­on ein Glas Wein zuge­las­sen, wäh­rend sich die spar­sa­me Vari­an­te mit einem Glas Was­ser begnüg­te. Es ver­wun­dert nicht, daß Rati­on 1 mit rund 12200 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien deut­lich her­aus­ragt. Über­ra­schend war jedoch, daß für die »Spar­va­ri­an­te« noch immer knapp 50 Pro­zent mehr Ener­gie auf­ge­wen­det wer­den muss­ten, als letzt­end­lich kon­su­miert wur­de (2750 Life-Cycle-Kilo­ka­lo­rien gegen­über knapp 1900 ver­zehr­ten Kilo­ka­lo­rien).

Aus dem bis­her Gesag­ten las­sen sich zwei gene­rel­le Schluß­fol­ge­run­gen ablei­ten. Ers­tens ist die in hie­si­gen Brei­ten übli­che Ver­sor­gung mit Nah­rungs­mit­teln allein schon aus ener­ge­ti­scher Sicht nicht nach­hal­tig. Nicht nur der tech­ni­sche Luxus (Autos, Motor­rä­der, diver­se Dienst­leis­tun­gen, ener­gie­in­ten­si­ve Urlaubs­rei­sen), den wei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung für sich in Anspruch neh­men, auch die Ernäh­rung basiert auf der Aneig­nung von Res­sour­cen aus ande­ren Tei­len der Welt. Dazu zählt neben der Aus­beu­tung frem­der fos­si­ler Ener­gie­quel­len inzwi­schen der mas­si­ve Import von land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten wie Fut­ter­mit­teln und Agro­treib­stof­fen, die in ande­ren Län­dern ener­gie- und flä­chen­in­ten­siv erzeugt wer­den. Zwei­tens ist die von inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen wie der Welt­bank in Zusam­men­ar­beit mit den west­li­chen Regie­run­gen for­cier­te Umstel­lung der klein­bäu­er­li­chen Pro­duk­ti­on in den Län­dern des Südens auf eine inpu­tin­ten­si­ve Land­wirt­schaft in hohem Maße unver­ant­wort­lich. Das Adjek­tiv »kurz­sich­tig« wäre ein Euphe­mis­mus, denn es lie­gen inzwi­schen genü­gend aus­sa­ge­kräf­ti­ge Stu­di­en vor, die – wie oben geschil­dert – bele­gen, daß die Ver­wen­dung von Agro­che­mi­ka­li­en ein ener­ge­ti­sches Ver­lust­ge­schäft dar­stellt. Die Trans­for­ma­ti­on der klein­bäu­er­li­chen Land­wirt­schaft, bei­spiels­wei­se in Afri­ka, dient also nicht – wie gern behaup­tet – der lang­fris­ti­gen Ernäh­rungs­si­che­rung, son­dern dem Pro­fit des Agro­busi­ness, indem neue Mög­lich­kei­ten für die Ver­mark­tung von kom­mer­zi­el­lem Saat­gut, syn­the­ti­schem Dün­ger und Pes­ti­zi­den geschaf­fen wer­den. Die behaup­te­ten Ein­kom­mens­ver­bes­se­run­gen, die ohne­hin nur für den Bruch­teil der Klein­bäue­rin­nen und Klein­bau­ern zum Tra­gen kämen, denen die Umstän­de erlau­ben, pro­fi­ta­bel zu arbei­ten, kön­nen auf lan­ge Sicht nicht ein­mal als Neben­ef­fekt in Anspruch genom­men wer­den. Dadurch und durch die Bin­dung an die kon­junk­tu­rel­len Schwan­kun­gen der glo­ba­len Märk­te ent­ste­hen neue Abhän­gig­kei­ten, zusätz­lich zemen­tiert durch neue Schul­den­ver­hält­nis­se. Die Umstel­lung auf agro­che­mi­sche Inputs ohne »Exit­stra­te­gie« wür­de die afri­ka­ni­sche Land­wirt­schaft außer­dem schutz­los der Ölpreis­ent­wick­lung aus­lie­fern.

Die Fol­gen des »Peak Oil«

Dabei herrscht weit­ge­hend Kon­sens dar­über, daß es nach Errei­chen des »Peak Oil«, dem Zeit­punkt, an dem das glo­ba­le Ölför­der­ma­xi­mum erreicht ist, zu einem deut­li­chen Anstieg des Ölprei­ses kom­men dürf­te. Die Inter­na­tio­na­le Ener¬gieagentur pro­gnos­ti­ziert, daß es bis zum Errei­chen des Peak Oil noch ein wei­ter Weg sei. Doch die­se Pro­gno­sen wer­den von Fach­leu­ten zuneh­mend ange­zwei­felt und als poli­tisch moti­viert betrach­tet. So ver­tre­ten Ste­ve Sor­rell und sei­ne Kol­le­gen von der bri­ti­schen Uni­ver­si­tät Sus­sex die Ansicht, dass ein beacht­li­ches Risi­ko exis­tie­re, dass Peak Oil spä­tes­tens im Jahr 2020 erreicht wer­den wird. Dafür spricht auch, daß die glo­ba­le Ölför­der­men­ge seit dem Jahr 2005 nicht wei­ter gestie­gen ist. Hohe Ölprei­se sind bei dem der­zeit domi­nie­ren­den land­wirt­schaft­li­chen Modell gleich­be­deu­tend mit hohen Lebens­mit­tel­prei­sen. So hat­te der Roh­öl­preis, der im Jahr 2008 zeit­wei­lig die 100-Dol­lar-Mar­ke (pro Bar­rel) über­stieg, damals einen wich­ti­gen Anteil an der Preis­explo­si­on der Lebens­mit­tel, die in über 40 Län­dern zu soge­nann­ten Hun­ger­re­vol­ten führ­te. Die Zahl der Men­schen, die stän­dig Hun­ger lei­den, erhöh­te sich um geschätz­te 150 bis 250 Mil­lio­nen. Fünf Jah­re nach die­sem Deba­kel sind »Geber­län­der« und soge­nann­te Phil­an­thro­pi­en wie die Bill & Melin­da Gates Founda¬Stiftung damit befaßt, die afri­ka­ni­schen Klein­bau­ern von fos­si­len Treib­stof­fen abhän­gig zu machen, statt sie bei der Imple­men­tie­rung von agrar­öko­lo­gi­schen Pro­duk­ti­ons­sys­te­men zu unter­stüt­zen. Die­se »Ent­wick­lungs­hil­fe« erfolgt fünf, oder vor­sich­tig geschätzt, fünf­zehn Jah­re vor dem Errei­chen von Peak Oil. Das Motiv kann folg­lich nicht die Bekämp­fung des glo­ba­len Hun­gers sein, son­dern – wie oben erwähnt – die kurz­zei­ti­ge Erschlie­ßung von Absatz­märk­ten für Agro­che­mi­ka­li­en und kom­mer­zi­el­les Saat­gut auf Kos­ten von Kli­ma und Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät.

Was könn­ten die ver­mut­li­chen Fol­gen des Errei­chens des glo­ba­len Ölför­der­ma­xi­mums für Län­der wie Deutsch­land sein? (Dabei spie­len selbst­ver­ständ­lich nicht nur Peak Oil, son­dern auch ande­re Fak­to­ren wie der Kli­ma­wan­del, der wei­te­re Ver­lust an Bio­di­ver­si­tät und der demo­gra­phi­sche Wan­del ein wich­ti­ge Rol­le.) Es gibt zahl­rei­che Pro­gno­sen, die sich mit mehr oder weni­ger ver­läss­li­chem Zah­len­ma­te­ri­al zu bestimm­ten Kenn­zif­fern in Zeit­ho­ri­zon­ten bis zum Jahr 2050 äußern. Jedoch sind Über­le­gun­gen zu den gesell­schaft­li­chen Kon­se­quen­zen, die sich aus sol­chen Hoch­rech­nun­gen ablei­ten, so gut wie nicht auf­find­bar. Wahr­schein­lich wird das Über­schrei­ten des För­der­ma­xi­mums nicht die glei­che Dyna­mik haben wie das abrup­te Aus­blei­ben der Impor­te für Kuba nach dem Zusam­men­bruch des sozia­lis­ti­schen Lagers im Jahr 1990. Dort redu­zier­ten sich die Erd­öl­ein­fuh­ren von 1992 im Ver­gleich zu 1989 auf weni­ger als ein Vier­tel und die Impor­te von Dün­ge­mit­teln und Pes­ti­zi­den auf weni­ger als ein Vier­tel bzw. ein Drit­tel. Im glei­chen Zeit­raum ver­lor die kuba­ni­sche Bevöl­ke­rung im Durch­schnitt (!) neun Kilo­gramm an Kör­per­ge­wicht. Die­ser dra­ma­ti­sche Ein­schnitt wur­de in Kuba gesamt­ge­sell­schaft­lich getra­gen, und inner­halb weni­ger Jah­re ent­stand eine neue Land­wirt­schaft mit agrar­öko­lo­gi­schen Fun­da­men­ten. Jörg Fried­richs, Dozent für Poli­tik­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Oxford, zieht aus der ener­ge­ti­schen Zäsur in Kuba die all­ge­mei­ne Schluss­fol­ge­rung, dass »je kür­zer und je weni­ger ein Land oder eine Gesell­schaft den Phä­no­me­nen von Indi­vi­dua­lis­mus, Indus­tria­li­sie­rung und Kon­sum­den­ken aus­ge­setzt war, eine adap­ti­ve Rück­kehr zu gemein­schaft­li­chen Wer­ten und einem Lebens­stil der Sub­sis­tenz umso wahr­schein­li­cher [wird].«5

Zu dem, was ange­sichts der zu erwar­ten­den Ver­än­de­run­gen in Deutsch­land not­wen­dig wäre, äußert sich unter ande­rem die Bil­dungs­ge­mein­schaft SALZ e.V. in ihrer im März 2012 ver­ab­schie­de­ten »Erklä­rung für eine öko­so­zia­lis­ti­sche Wen­de von unten!«7: »Auch hier­zu­lan­de stellt sich die Fra­ge der sozia­len Gerech­tig­keit drin­gen­der denn je. In Zukunft geht es nicht mehr ein­fach um eine mög­lichst gerech­te Auf­tei­lung des ›Wohl­stands­ku­chens‹, son­dern um knap­per wer­den­de Res­sour­cen und um ein qua­li­ta­tiv anders gestal­te­tes Leben. Es darf auf kei­nen Fall die Situa­ti­on ein­tre­ten, dass sich die Rei­chen wei­ter­hin einen hohen Umwelt­ver­brauch leis­ten kön­nen, wäh­rend es den Armen am Nötigs­ten fehlt.«

Die Dis­kus­si­on um die Ener­gie­wen­de in Deutsch­land dreht sich fast aus­schließ­lich um einen Wan­del in der Strom­erzeu­gung. Wel­che Kon­se­quen­zen eine Treib­stoff­ver­knap­pung für die größ­ten­teils hoch­me­cha­ni­sier­te Land­wirt­schaft haben wür­de, bleibt bis­lang noch völ­lig aus­ge­blen­det. In der alten Bun­des­re­pu­blik gab es 1960 in in die­sem Bereich 4,5 Mil­lio­nen Beschäf­tig­te. Bis 1989 war die­se Zahl auf 685000 geschrumpft. Die Ent­wick­lung in der DDR ver­lief ähn­lich. Wird es eine Bewe­gung »zurück aufs Land« geben? Und wenn ja, auf wes­sen Land? Schon heu­te kla­gen jun­ge Men­schen, die den ernst­haf­ten Wunsch haben, ihre Zukunft als agrar­öko­lo­gisch wirt­schaf­ten­de Bäue­rin­nen und Bau­ern zu gestal­ten, dass ihnen dies auf­grund der exor­bi­tan­ten Pacht- und Boden­prei­se ver­wehrt bleibt. Sze­na­ri­en zu ent­wer­fen, wie die kon­kre­ten gesell­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen unse­rer Ernäh­rung in 20 oder 30 Jah­ren aus­se­hen wer­den, ist hoch­spe­ku­la­tiv. Eines scheint jedoch sicher: Es wird kon­flikt­ge­la­de­ner zuge­hen als heu­te.

Anmer­kun­gen

1 Pimen­tel, D. (Hrsg.): Hand­book of ener­gy uti­liza­ti­on in agri­cul­tu­re. CRC Press, Boca Raton, Flo­ri­da, 1980, 475 S.

2 Van­der­meer, J. u.a. (2009): Effects of indus­tri­al agri­cul­tu­re on cli­ma­te chan­ge and the miti­ga­ti­on effects of indus­tri­al agri­cul­tu­re on glo­bal warm­ing and the poten­ti­al of small-sca­le agroe­co­lo­gi­cal tech­ni­ques to rever­se tho­se effects. A report to Via Cam­pe­si­na by The New World Agri¬culture and Eco­lo­gy Group.

3 Es sind Fäl­le bekannt, wo der Kot von Mast­an­la­gen quer durch die Bun­des­re­pu­blik z.B. nach Bran­den­burg trans­por­tiert wird, weil am Stand­ort der Mast­an­la­gen nicht genü­gend Acker­flä­che zur Ver­fü­gung steht, um den Puten­mist zu ver­tei­len.

4 Die Quel­len­an­ga­ben für alle wei­te­ren zitier­ten Arbei­ten sind hier abruf­bar.

5 Fried­richs, J. (2010) Glo­bal ener­gy crunch: How dif­fe­rent parts of the world would react to a peak oil sce­na­rio. Ener­gy Poli­cy 38: 4562–69.

6 Erklä­rung der Bil­dungs­ge­mein­schaft SALZ e.V.

Erschie­nen in Jun­ge Welt vom 14.4.2014

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