Mexi­ko: Etap­pen­sieg gegen Kon­zer­ne

Mexi­ko: Zivil­ge­richt stopp­te Gen­mais­an­bau. Agrar­mul­tis lau­fen Sturm gegen das Urteil. Wis­sen­schaft­ler star­ten inter­na­tio­na­le Kam­pa­gne zur Ver­hin­de­rung von Agro­gen­tech­nik.

Von Peter Claus­ing

Seit Mit­te der 1990er Jah­re bemü­hen sich die Gen­tech­nik­kon­zer­ne, in Mexi­ko Fuß zu fas­sen. Bei Baum­wol­le und Soja ist es ihnen bereits gelun­gen. Beim gen­tech­nisch ver­än­der­ten Mais schien Ende 2011 die letz­te Hür­de gefal­len zu sein, aber inzwi­schen gibt es wie­der Hoff­nung.

Der Mais hat in Mexi­ko sein Ursprungs­ge­biet. Min­des­tens 59 Sor­ten mit Tau­sen­den Varia­tio­nen sind bekannt. Neben den uns ver­trau­ten gel­ben und wei­ßen Kol­ben gibt es hier rote, blaue und schwar­ze. Selbst mar­mo­rier­te, getüp­fel­te und mehr­far­bi­ge Kör­ner sind zu fin­den. Des­halb und wegen der kul­tu­rel­len Bedeu­tung von Mais, der in den Mythen der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung eine zen­tra­le Rol­le spielt, gibt es seit vie­len Jah­ren Wider­stand gegen Gen­mais. Bis vor fünf Jah­ren galt ein strik­tes Mora­to­ri­um, selbst für einen expe­ri­men­tel­len Anbau.

Dage­gen lie­fen die trans­na­tio­na­len Agrar­kon­zer­ne Sturm. Das Mora­to­ri­um höhl­ten sie schritt­wei­se aus. Ein wich­ti­ger Teil­erfolg war für sie das soge­nann­te Mons­an­to-Gesetz. Sein offi­zi­el­ler Name: Gesetz über Bio­si­cher­heit und gen­tech­nisch ver­än­der­te Orga­nis­men. Ver­ab­schie­det wur­de es im Jahr 2005. Dies war die legis­la­ti­ve Grund­la­ge, um 2009 den Anbau­stopp auf­zu­he­ben, so dass die expe­ri­men­tel­le Aus­saat begin­nen konn­te – mit dem mit­tel­fris­ti­gen Ziel einer kom­mer­zi­el­len Frei­set­zung.

Zur Been­di­gung des Mora­to­ri­ums kam es trotz der Emp­feh­lung renom­mier­ter Insti­tu­tio­nen, es bei­zu­be­hal­ten oder gar aus­zu­wei­ten, unter ihnen die Kom­mis­si­on für Umwelt­zu­sam­men­ar­beit des Nord­ame­ri­ka­ni­schen Frei­han­dels­ab­kom­mens (NAFTA), die im Jahr 2004 ein ent­spre­chen­des Gut­ach­ten ver­öf­fent­lich­te, und die Natio­na­le Kom­mis­si­on für die Erfor­schung und Nut­zung der Bio­di­ver­si­tät (CONABIO), die beim mexi­ka­ni­schen Umwelt­mi­nis­te­ri­um ange­sie­delt ist. Die Erfolg­lo­sig­keit die­ser wis­sen­schaft­lich begrün­de­ten Plä­doy­ers lässt ahnen, was auf die Bür­ger der EU nach dem Abschluß eines Frei­han­dels­ab­kom­mens mit den USA zukom­men wür­de.

Gegen die Auf­wei­chung bzw. Abschaf­fung des Schut­zes vor dem Gen­mais­an­bau in Mexi­ko gab es Groß­de­mons­tra­tio­nen, Online­pe­ti­tio­nen, einen Hun­ger­streik, an dem 30 Mit­glie­der einer bäu­er­li­chen Orga­ni­sa­ti­on teil­nah­men – und im April 2013 eine öffent­li­che Anhö­rung des Falls »Gewalt gegen Mais« vor dem Per­ma­nen­ten Völ­ker­tri­bu­nal, das in der Tra­di­ti­on der Rus­sell-Tri­bu­na­le steht, die wäh­rend der Zeit des Viet­nam­kriegs tag­ten. Als Zeu­gen tra­ten dort die indi­sche Phy­si­ke­rin, Umwelt­ak­ti­vis­tin und Trä­ge­rin des alter­na­ti­ven Nobel­prei­ses Van­da­na Shi­va und Igna­cio Cha­pe­la, Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia in Ber­ke­ley auf. Cha­pe­la hat­te 2001 zusam­men mit David Quist erst­mals eine trans­ge­ne Kon­ta­mi­na­ti­on von Mais in Mexi­ko nach­ge­wie­sen. Die Gentechnik­industrie dif­fa­mier­te ihn gezielt, spä­ter muss­te er jedoch reha­bi­li­tiert wer­den.

Das mexi­ka­ni­sche Agrar­mi­nis­te­ri­um igno­rier­te sowohl die Emp­feh­lun­gen der genann­ten Insti­tu­tio­nen als auch die Bür­ger­pro­tes­te und läu­te­te am 31. Dezem­ber 2011 die soge­nann­te Pilot­pha­se des Anbaus von Gen­mais ein. Im Mai 2012 ver­füg­ten Bay­er Crop­sci­ence, Syn­gen­ta, Mons­an­to, Dow Che­mi­cal und Dupont-Pio­neer bereits über 17 Geneh­mi­gun­gen für Pilot­vor­ha­ben als Vor­stu­fe zum kom­mer­zi­el­len Anbau auf etwa zwei Mil­lio­nen Hekt­ar bewäs­ser­ter Acker­flä­che im Nor­den Mexi­kos.

Im Herbst 2013 lagen der zustän­di­gen Behör­de 79 Aus­saa­t­an­trä­ge vor. Doch bis heu­te gibt es kei­ne Geneh­mi­gung. Denn eine Grup­pe von 53 Akti­vis­ten nutz­te das Instru­ment der Sam­mel­kla­ge, die seit 2010 auf­grund einer Ände­rung der mexi­ka­ni­schen Ver­fas­sung mög­lich ist, und reich­te am 5. Juli 2013 eine Beschwer­de gegen die Män­gel des Bio­si­cher­heits­ge­set­zes ein. Sie argu­men­tier­ten u.a. damit, dass inzwi­schen in fünf Bun­des­staa­ten gen­tech­ni­sche Ver­un­rei­ni­gun­gen ursprüng­li­cher Mais­sor­ten zwei­fels­frei nach­ge­wie­sen wor­den sind.

Urteil mit Signal­wir­kung

Zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung ent­schied die zustän­di­ge Kam­mer des Zwölf­ten Bun­des­be­zirks­ge­richts für zivi­le Ange­le­gen­hei­ten in Mexi­ko-Stadt im Okto­ber zuguns­ten der Klä­ger und beauf­lag­te Agrar- und Umwelt­mi­nis­te­ri­um, jeg­li­che Akti­vi­tä­ten sofort zu stop­pen, die zu wei­te­ren Aus­saat­ge­neh­mi­gun­gen füh­ren könn­ten. Außer­dem ord­ne­te sie an, daß die Minis­te­ri­en kei­ne wei­te­ren Ver­su­che und kom­mer­zi­el­le Pilot­pro­jek­te mit trans­ge­nem Mais geneh­mi­gen dür­fen.

Dies ermu­tig­te die Geg­ner. For­de­run­gen nach Abschaf­fung des Bio­si­cher­heits­ge­set­zes und Wie­der­ein­füh­rung des Mora­to­ri­ums wur­den laut. Es las­tet jedoch ein enor­mer Druck auf dem Gericht. Mitt­ler­wei­le wur­de Jai­me Edu­ar­do Ver­du­go, der Rich­ter, der das Urteil gespro­chen hat­te, von dem Fall abge­zo­gen. Die Zahl der Ein­sprü­che, die die trans­na­tio­na­len Unter­neh­men gegen sei­nen Ent­scheid ein­ge­reicht haben, dürf­te die Mar­ke von 50 inzwi­schen über­schrit­ten haben. Alle Betei­lig­ten sind sich dar­über im kla­ren, daß der Kampf allein auf juris­ti­schem Wege nicht gewon­nen wer­den kann.

Die sich häu­fen­den Bele­ge, daß die unkon­trol­lier­te Ver­brei­tung von trans­ge­nen Pflan­zen nicht ver­hin­dert wer­den kann, hel­fen den Akti­vis­ten. So ver­wies Sil­via Ribei­ro, For­sche­rin bei der in Kana­da ansäs­si­gen ETC-Group, die sich mit Tech­no­lo­gie­fol­ge­ab­schät­zun­gen befasst, kürz­lich dar­auf, dass inzwi­schen 396 Fäl­le trans­ge­ner Ver­un­rei­ni­gun­gen aus mehr als 60 Län­dern bekannt sind, und das, obwohl welt­weit nur in 27 Län­dern sol­che Pflan­zen ange­baut wer­den. »Für die Unter­neh­men ist die Ver­un­rei­ni­gung ein Geschäft, denn sie kön­nen deren Opfer vor Gericht brin­gen und sie anschul­di­gen, ihre paten­tier­ten Gene genutzt zu haben. Die Unter­neh­men sahen die Kon­ta­mi­na­ti­on vor­aus und berei­te­ten sich vor, dar­aus ein Geschäft zu machen«, schluß­fol­ger­te Ribei­ro.

Zu den Machen­schaf­ten der Kon­zer­ne kommt die rea­le Gefahr von Ein­kom­mens­ver­lus­ten durch Kon­ta­mi­na­ti­on von Pro­duk­ten, wenn es um den Export in bestimm­te Regio­nen oder die Ver­mark­tung von Bio­pro­duk­ten geht. In Mexi­ko wer­den zum Bei­spiel pro Jahr etwa 57.000 Ton­nen Honig pro­du­ziert. Knapp die Hälf­te davon wird nach Euro­pa, vor allem nach Deutsch­land expor­tiert. Rund 40.000 Fami­li­en, die mehr­heit­lich auf der Halb­in­sel Yuca­tán leben, wid­men sich der Bie­nen­zucht. 2011 wur­de auf Yuca­tán auf 14000 Hekt­ar Gen­so­ja ange­baut. In die­sem Jahr wur­de berich­tet, dass bei der Ana­ly­se von Honig aus die­ser Regi­on trans­ge­ne Ver­un­rei­ni­gun­gen gefun­den wur­den.

Auch Pro­fes­sor Ele­na Alva­rez Buyl­la, Mole­ku­lar­bio­lo­gin an der Natio­na­len Auto­no­men Uni­ver­si­tät in Mexi­ko-Stadt, schil­der­te im Mai wäh­rend eines Auf­ent­halts in Ber­lin das Pro­blem der unkon­trol­lier­ten Aus­brei­tung. Auf einer anschlie­ßen­den Rund­rei­se warb sie im Namen der Ver­ei­ni­gung gesell­schaft­lich enga­gier­ter Wis­sen­schaft­ler (UCCS) bei ihren euro­päi­schen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen um Unter­stüt­zung für den Wider­stand gegen die Aus­saat von Gen­mais in ihrem Land. Mit ihren For­schun­gen konn­te sie bele­gen, dass trans­ge­ne Mais- und Baum­woll­sor­ten in Mexi­ko über rie­si­ge Distan­zen »gewan­dert« sind. Zusam­men mit der Münch­ner Organisa­tion Test­bio­tech, der oben erwähn­ten ETC Group und dem euro­päi­schen Netz­werk von Wis­sen­schaft­lern für sozia­le und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung (ENSSER) wand­te sich die UCCS an die Unter­zeich­ner­staa­ten des UN-Bio­di­ver­si­täts­ab­kom­mens und des Car­ta­ge­na-Pro­to­kolls über bio­lo­gi­sche Sicher­heit, um auf das Pro­blem der unkon­trol­lier­ten Aus­brei­tung von Gen­pflan­zen auf­merk­sam zu machen. Zugleich star­te­ten sie eine inter­na­tio­na­le Kam­pa­gne, um die­sen Trend zu stop­pen.

Soll­te das Ver­bot in Mexi­ko Bestand haben, hät­te das Signal­wir­kung, denn schließ­lich fußt der Gerichts­be­schluß genau auf die­sem Punkt – auf der Unkon­trol­lier­bar­keit gen­tech­nisch ver­än­der­ter Pflan­zen.

Erschie­nen in Land & Wirt­schaft, Bei­la­ge der jun­gen Welt vom 06.08.2014

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