Over­kill auf dem Acker

Che­mie­kon­zer­ne ver­ti­cken in EU ver­bo­te­ne Pes­ti­zi­de noch immer mas­sen­haft in Län­dern des Südens. In Mexi­ko wer­den pro Hekt­ar 16mal so vie­le Insek­ti­zi­de ver­sprüht wie in Deutsch­land

Von Peter Claus­ing

Die »Grü­ne Revo­lu­ti­on« wur­de der­einst von der Rocke­fel­ler-Stif­tung lan­ciert, um die »roten Revo­lu­tio­nen« zu bekämp­fen, die in den Jahr­zehn­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg im glo­ba­len Süden auf­fla­cker­ten. Ihre Väter schu­fen den Mythos, dass die Grü­ne Revo­lu­ti­on vie­le Men­schen vor dem Hun­ger­tod bewahrt hat. Tat­sa­che ist, dass heu­te zwar genü­gend Nah­rung für alle vor­han­den ist. Trotz­dem haben nach Anga­ben des Welt­ernäh­rungs­pro­gramms der Ver­ein­ten Natio­nen (WFP) noch immer 842 Mil­lio­nen Men­schen nicht genug zu essen. All­jähr­lich ster­ben 8,8 Mil­lio­nen von ihnen an Hun­ger oder sei­nen unmit­tel­ba­ren Fol­gen, nach Anga­ben des ehe­ma­li­gen UN-Son­der­be­richt­erstat­ters für das Recht auf Nah­rung, Jean Zieg­ler, sogar mehr als dop­pelt so vie­le. Der Hun­ger­tod muß also ande­re Ursa­chen haben als unge­nü­gen­de Hekt­ar­er­trä­ge.

Ein unver­zicht­ba­rer Bestand­teil der Grü­nen Revo­lu­ti­on sind Pes­ti­zi­de. Wäh­rend die Befür­wor­ter einer agrar­in­dus­tri­el­len Inten­siv­pro­duk­ti­on den Mythos der Ret­tung vor dem Hun­ger­tod durch die Grü­ne Revo­lu­ti­on bis heu­te pfle­gen, wird der mit dem Pes­ti­zid­ein­satz ver­bun­de­ne Tod gern aus­ge­blen­det. Er hat vie­le Gesich­ter. Es ist ein schnel­ler Tod, wenn ver­schul­de­te Klein­bau­ern sich mit jenen Mit­teln ver­gif­ten, die sie zuvor mit Kre­di­ten gekauft haben. Einem ARD-Bericht vom Sep­tem­ber 2013 zufol­ge begin­gen in Indi­en inner­halb der letz­ten zehn Jah­re 200.000 ver­schul­de­te Klein­bau­ern Sui­zid. Ein schnel­ler Tod ist es auch für Bie­nen und ande­re Klein­le­be­we­sen, wenn für die­se gefähr­li­che Insek­ti­zi­de aus­ge­bracht wer­den und sie damit in Berüh­rung kom­men.

Zu einem lang­sa­men Tod kommt es durch die schlei­chen­de Gift­wir­kung bestimm­ter Pes­ti­zi­de. So lei­den Men­schen in den Län­dern des Südens unter Ver­gif­tungs­er­schei­nun­gen, wenn sie Pes­ti­zi­de ohne jeg­li­che Schutz­klei­dung ver­sprü­hen oder die­sen aus­ge­setzt sind, weil sie unmit­tel­bar am Rand der Fel­der woh­nen. Die Into­xi­ka­tio­nen füh­ren zwar nicht unmit­tel­bar zum Tod, sind aber ein untrüg­li­ches Anzei­chen dafür, daß der siche­re Grenz­wert, bis zu dem Pes­ti­zi­de angeb­lich gefahr­los ange­wen­det wer­den kön­nen, über­schrit­ten wur­de. Die wie­der­hol­te Über­schrei­tung sol­cher Grenz­wer­te erhöht die Wahr­schein­lich­keit für lang­fris­ti­ge Schä­den durch Pes­ti­zi­de, zu denen Krebs, Erb­gut­schä­di­gun­gen und sich häu­fen­de Fehl­ge­bur­ten sowie Miß­bil­dun­gen und chro­ni­sche Erkran­kun­gen bei Neu­ge­bo­re­nen zäh­len.

Das Pes­ti­zid-Akti­ons­netz­werk (PAN), eine inter­na­tio­na­le Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on, die auf umwelt­scho­nen­de, sozi­al gerech­te Alter­na­ti­ven zum Ein­satz von Pflan­zen-, Schäd­lings- und Pilz­gif­ten hin­ar­bei­tet, ver­öf­fent­licht in regel­mä­ßi­gen Abstän­den eine glo­ba­le Lis­te hoch­ge­fähr­li­cher Pes­ti­zi­de und for­dert, die­se aus dem Ver­kehr zu zie­hen. Die Ein­stu­fung als »hoch­ge­fähr­lich« basiert auf den offi­zi­el­len Ein­schät­zun­gen der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO), der Euro­päi­schen Uni­on und ande­rer Insti­tu­tio­nen. Der Begriff hat inzwi­schen auch Ein­gang in den Sprach­ge­brauch der Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (FAO) gefun­den – sehr zum Ärger der Che­mie­kon­zer­ne. Die aktu­el­le, im Juni 2014 ver­öf­fent­lich­te Lis­te ent­hält 296 Wirk­stof­fe.

Genau die­se Pes­ti­zi­de sind es, die der Umwelt und der Gesund­heit des Men­schen in beson­ders hohem Maße Scha­den zufü­gen. In einem 2010 publi­zier­ten Bericht zu ihrem Ein­satz kri­ti­siert PAN, daß vie­le in der EU ver­bo­te­ne Mit­tel häu­fig in Asi­en, Afri­ka und Latein­ame­ri­ka ein­ge­setzt wer­den und daß Arbei­tern bei der Aus­brin­gung mas­sen­haft kei­ner­lei Schutz­aus­rüs­tung zur Ver­fü­gung steht. Abge­se­hen davon stellt das Tra­gen von Schutz­an­zü­gen und Atem­schutz­mas­ken unter tro­pi­schen Bedin­gun­gen eine extre­me phy­si­sche Belas­tung dar.

Die deut­schen Unter­neh­men Bay­er Crop­sci­ence und BASF beherr­schen rund 30 Pro­zent des glo­ba­len Pes­ti­zid­mark­tes. Aus einer PAN-Stu­die von Juni 2013 geht her­vor, daß Bay­er welt­weit 64 und die BASF 55 hoch­ge­fähr­li­che Wirk­stof­fe ver­mark­tet. Mexi­ko zählt nach Anga­ben der FAO zu den Top Ten bei der pro Hekt­ar aus­ge­brach­ten Pes­ti­zid­men­ge. Die Acker­flä­che Mexi­kos ist mit 25 Mil­lio­nen Hekt­ar zwar dop­pelt so groß wie die von Deutsch­land, aber auf ihr wer­den laut FAO-Sta­tis­tik Jahr für Jahr 32mal mehr Insek­ti­zi­de ver­sprüht als in Deutsch­land, also pro Hekt­ar das 16fache. Sowohl Bay­er Crop­Sci­ence als auch BASF haben Nie­der­las­sun­gen in Mexi­ko und ver­trei­ben dort 80 Pflan­zen­schutz­mit­tel, die in die Kate­go­rie »hoch­ge­fähr­lich« fal­len – Bay­er 45 und BASF 35. Fünf von ihnen – Chlor­fen­a­pyr, Flufen­ox­u­ron, Imaz­et­ha­pyr, Thio­di­carb, Tri­de­morph – sind in der EU ver­bo­ten, ein wei­te­res, Fipro­nil, ist star­ken Anwen­dungs­be­schrän­kun­gen unter­wor­fen.

Es stellt sich die Fra­ge, war­um sol­che Mit­tel in Län­dern wie Mexi­ko zur Anwen­dung kom­men, obwohl die dor­ti­gen Bedin­gun­gen für den Schutz von Mensch und der Umwelt schlech­ter sind als in Euro­pa. Die ein­zig schlüs­si­ge Ant­wort lau­tet, daß die Kon­zer­ne den Umstand aus­nut­zen, daß die staat­li­chen Insti­tu­tio­nen zu schwach bzw. zu kor­rupt sind, um ange­mes­se­ne Stan­dards durch­zu­set­zen. Die­se Vor­ge­hens­wei­se illus­triert ein­drück­lich, wel­chen Wert »frei­wil­li­ge Ver­pflich­tun­gen« trans­na­tio­na­ler Unter­neh­men zur Ein­hal­tung von Men­schen­rechts- und Umwelt­stan­dards haben.

Die aktu­el­le Lis­te des Pes­ti­zid-Akti­ons­netz­werks (PAN) zu hoch­ge­fähr­li­chen Pes­ti­zi­den ist auf des­sen deut­scher Web­site www.pan-germany.org zu fin­den. ARD-»Weltspiegel«-Bericht zu Selbst­mor­den indi­scher Klein­bau­ern: kurzlink.de/suizide. Zum Anteil der Glo­bal Play­er an den Märk­ten für Saat­gut, Pes­ti­zi­de, Dün­ger und Fut­ter­mit­tel hat das Ber­li­ner Forum Umwelt und Ent­wick­lung 2012 die Bro­schü­re »Agro­po­ly« mit zahl­rei­chen Schau­ta­feln ver­öf­fent­licht. Dar­in wird der welt­wei­te Umsatz von Agrar­che­mi­ka­li­en auf 44 Mil­li­ar­den US-Dol­lar geschätzt, der Markt­an­teil der Top Ten unter den Her­stel­lern beträgt dem­nach 90 Pro­zent. Unter ihnen sind neben BASF und Bay­er auch der Schwei­zer Syn­gen­ta-Kon­zern und der US-Saat­gut­mul­ti Mons­an­to. Die Bro­schü­re steht auf der Web­site www.forumue.de unter Publi­ka­tio­nen zum Down­load zur Ver­fü­gung.

Erschie­nen in Land & Wirt­schaft, Bei­la­ge der jun­gen Welt vom 06.08.2014

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