Ener­gie­schleu­der Agrar­in­dus­trie

von Peter Claus­ing

In den letz­ten Jahr­zehn­ten sind die Hekt­ar­er­trä­ge der indus­tri­el­len Land­wirt­schaft erheb­lich gestie­gen. Erkauft wur­de die­ser Zuwachs mit einem extrem hohen Ein­satz fos­si­ler Ener­gie­trä­ger. Doch inzwi­schen ist die Eupho­rie über die Wun­der der „grü­nen Revo­lu­ti­on“ ver­flo­gen und es macht sich Ernüch­te­rung breit. Trotz des fort­ge­setz­ten Ein­sat­zes erd­öl­ba­sier­ter Res­sour­cen sta­gnie­ren die Erträ­ge oder sin­ken sogar. Eine wesent­li­che Ursa­che ist die nach­las­sen­de Boden­frucht­bar­keit auf­grund der ver­nach­läs­sig­ten orga­ni­schen Dün­gung und der Ver­sal­zung bewäs­ser­ter Böden in semia­ri­den Regio­nen.

Mehr Auf­wand als Ertrag
Seit der Erd­öl­kri­se Mit­te der 1970er-Jah­re inter­es­sie­ren sich Wis­sen­schaft­ler ver­stärkt für die Ener­gie­bi­lan­zen land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on. Fasst man die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se zusam­men, wird schnell klar: Bei indus­trie­mä­ßi­ger Groß­flä­chen­wirt­schaft wird mehr (fos­si­le) Ener­gie ver­braucht, als am Ende in der ver­zehr­ten Nah­rung steckt (Pimen­tel, 1980). Außer jener Ener­gie, die in der eigent­li­chen Pro­duk­ti­on steckt, wer­den auch die für den Trans­port zu den Märk­ten und zur Her­stel­lung von Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al auf­ge­wen­de­te Ener­gie und wei­te­re Fak­to­ren berück­sich­tigt. Dar­aus ergibt sich in der inten­si­ven Land­wirt­schaft ein Auf­wand von zehn Kilo­ka­lo­rien und mehr, um eine Kilo­ka­lo­rie Nah­rung zu erzeu­gen. Im Gegen­satz dazu ver­zich­ten in der klein­bäu­er­li­chen Land­wirt­schaft die Bau­ern auf den Ein­satz von Agro­che­mi­ka­li­en und schwe­rer Tech­nik und erzie­len durch agrar­öko­lo­gi­sche Metho­den gute Erträ­ge. So kön­nen aus einer Kilo­ka­lo­rie extern zuge­führ­ter Ener­gie bis zu zehn Kilo­ka­lo­rien Nah­rung ent­ste­hen (Van­der­meer et al., 2009). Zwar ist die­ser deut­li­che Effi­zi­enz­un­ter­schied zwi­schen den bei­den Anbau­for­men ein Extrem­fall. Aber die Schluss­fol­ge­rung, dass klein­bäu­er­lich-öko­lo­gi­scher Anbau ener­gie­ef­fi­zi­en­ter ist als indus­trie­mä­ßi­ge Pro­duk­ti­on, ist all­ge­mein­gül­tig.

In der moder­nen Land­wirt­schaft kom­men fos­si­le Ener­gie­trä­ger hier­bei zum Ein­satz:

1. bei der Her­stel­lung, dem Trans­port und der Aus­brin­gung von Saat­gut und Agro­che­mi­ka­li­en,
2. bei der Boden­be­ar­bei­tung (Pflü­gen, Eggen usw.),
3. beim teils glo­ba­len Trans­port der Ern­te, des Schlacht­viehs und der land­wirt­schaft­li­chen Abfall­pro­duk­te,
4. bei der tech­ni­schen Trock­nung oder gekühl­ten Lage­rung der Ern­te­pro­duk­te,
5. beim Betrieb von Pum­pen (Bewäs­se­rung, Gül­le), bei der Behei­zung von Gewächs­häu­sern und der Belüf­tung von
Stall­an­la­gen sowie
6. bei der Ver­ar­bei­tung und Ver­pa­ckung der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­te.

In jün­ge­rer Zeit ist man zu soge­nann­ten Life-Cycle-Ana­ly­sen über­ge­gan­gen. Hier­bei flie­ßen sämt­li­che Wir­kun­gen (in die­sem Fall der Ener­gie­ver­brauch) wäh­rend der Pro­duk­ti­on, Nut­zung und Ent­sor­gung eines Pro­duk­tes ein, mit­samt der vor- und nach­ge­schal­te­ten Pro­zes­se. Da der Ener­gie­auf­wand auf die Ener­gie­men­ge der ver­zehr­ten Nah­rung bezo­gen wird, spie­len nicht nur die Erträ­ge eine Rol­le, son­dern auch die trans­port- und lage­rungs­be­ding­ten Ver­lus­te. Hin­zu kommt die Ver­geu­dung oder Ver­nich­tung von Lebens­mit­teln, die in den Indus­trie­län­dern ein erschre­cken­des Aus­maß ange­nom­men hat (Kreutz­ber­ger und Thurn, 2012).

Strom­fres­ser Dün­ge­mit­tel

Wie sehr sich die kon­kre­ten Rah­men­be­din­gun­gen auf die Ener­gie­bi­lan­zen ein­zel­ner Nah­rungs­mit­tel aus­wir­ken, ver­deut­li­chen zwei Bei­spie­le. Das ers­te führt uns in den Süd­west­iran. Dort zeig­ten die Agrar­wis­sen­schaft­ler Khos­ro Azi­zi und Sae­ed Heida­ri (2013) in ihrer Stu­die, dass die Erzeu­gung von Rog­gen ohne künst­li­che Bewäs­se­rung trotz 40 Pro­zent nied­ri­ge­rer Erträ­ge um ein Drit­tel ener­gie­ef­fi­zi­en­ter ist als an bewäs­ser­ten Stand­or­ten. Maß­geb­lich für den Unter­schied in der Bilanz war der Ener­gie­auf­wand zur Her­stel­lung und Instal­la­ti­on der Bewäs­se­rungs­an­la­ge sowie zum Betrei­ben der Pum­pen. Beim zwei­ten Bei­spiel geht es um Bio­brot (Meis­ter­ling et al., 2009). Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Pitts­burgh ermit­tel­ten eine um 30 Gramm Koh­len­di­oxid redu­zier­te Kli­ma­be­las­tung pro Kilo­gramm Wei­zen­brot, wenn die­ses statt aus kon­ven­tio­nell pro­du­zier­tem aus Bio­wei­zen her­ge­stellt wur­de. Ver­ant­wort­lich dafür war der gerin­ge­re Ener­gie­ver­brauch. Die­ser Vor­teil geht aber in ihren Modell­rech­nun­gen kom­plett ver­lo­ren, wenn der Wei­zen oder das Brot vom Acker über das Lager, die Müh­le, die Bäcke­rei und die Ver­kaufs­stel­le bis zur Woh­nung der Kon­su­men­ten mehr als 480 Kilo­me­ter zurück­le­gen – für die USA eine nicht ganz unrea­lis­ti­sche Distanz. Eine ähn­li­che Dis­kre­panz wür­de sich in Deutsch­land ver­mut­lich aus der Gegen­über­stel­lung von regio­nal pro­du­zier­ten Toma­ten aus kon­ven­tio­nel­lem Anbau gegen­über Bio­to­ma­ten aus Spa­ni­en oder den Nie­der­lan­den erge­ben. Eine Syn­op­sis der zahl­rei­chen Ein­zel­un­ter­su­chun­gen ermög­licht es, jene Kom­po­nen­ten der Ener­gie­bi­lan­zen zu iden­ti­fi­zie­ren, die beson­ders ins Gewicht fal­len. Dabei hat sich die Her­stel­lung von Kunst­dün­ger, ins­be­son­de­re von Stick­stoff­dün­ger, als der ener­gie­in­ten­sivs­te Ein­zel­pro­zess in der gesam­ten land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­ket­te her­aus­kris­tal­li­siert. So ent­fällt bei vie­len Feld­früch­ten sowie Obst- und Gemü­se­ar­ten mehr als ein Drit­tel der in der Land­wirt­schaft ver­brauch­ten Ener­gie auf die Pro­duk­ti­on von Agro­che­mi­ka­li­en. Die dabei anfal­len­den Ener­gie­kos­ten fan­gen pri­va­te Haus­hal­te ab, indem sie die zusätz­li­chen Strom­kos­ten ener­gie­in­ten­si­ver, von der EEG-Umla­ge befrei­ter Indus­trie­zwei­ge bezah­len. Die Preis­schil­der der Super­märk­te sug­ge­rie­ren, dass Nicht­bio­pro­duk­te bil­li­ger sei­en. In Wirk­lich­keit bezahlt aber der Ver­brau­cher einen Teil davon, indem er die Strom­kos­ten der Dün­ge­mit­tel­in­dus­trie sub­ven­tio­niert.

Aneig­nung frem­der Res­sour­cen

Natio­na­le Gesamt­bi­lan­zen hel­fen dabei fest­zu­stel­len, ob die Ernäh­rungs­wei­se eines Lan­des ener­ge­tisch betrach­tet ins­ge­samt nach­hal­tig ist oder nicht. Bei einer Kom­plett­ana­ly­se der däni­schen Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on von 2004 bis 2007 stell­te sich her­aus, dass die­se nur ein Vier­tel so viel Ener­gie ent­hielt, wie zu ihrer Pro­duk­ti­on ver­braucht wur­de (Mar­kus­sen und Øster­gaard, 2013). Mit einem ener­ge­ti­schen Effi­zi­enz­grad von 27 Pro­zent kam eine Life-Cycle-Ana­ly­se für die USA mit Daten von 1995 zu einem ähn­li­chen Resul­tat (Hel­ler, 2003). Das Inter­es­san­te dar­an: In den bei­den Län­dern setzt sich der Ener­gie­ver­brauch aus ganz unter­schied­li­chen Kom­po­nen­ten zusam­men. In der ame­ri­ka­ni­schen Stu­die wur­den nur 20 Pro­zent der Ener­gie für die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on genutzt. Die ver­blei­ben­den 80 Pro­zent ver­teil­ten sich auf Trans­port, Lage­rung, Ver­ar­bei­tung und Ver­pa­ckung. Im Gegen­satz dazu floss in Däne­mark bei ähn­li­cher Gesamt­bi­lanz rund die Hälf­te der Ener­gie direkt in die Pro­duk­ti­on. Impor­tier­te Fut­ter­mit­tel – eine Kom­po­nen­te, die auch in Deutsch­land von gro­ßer Bedeu­tung sein dürf­te – schlu­gen dabei maß­geb­lich zu Buche. Im Gegen­satz dazu ver­sorg­ten sich die Pro­du­zen­ten der ame­ri­ka­ni­schen Stu­die größ­ten­teils selbst mit Fut­ter­mit­teln. Aus dem bis­her Gesag­ten las­sen sich zwei gene­rel­le Schluss­fol­ge­run­gen ablei­ten. Ers­tens ist die in hie­si­gen Brei­ten übli­che Ver­sor­gung mit Nah­rungs­mit­teln allein schon aus ener­ge­ti­scher Sicht nicht nach­hal­tig. Die Ernäh­rung basiert auf der Aneig­nung von Res­sour­cen aus ande­ren Tei­len der Welt. Dazu zählt neben der Aus­beu­tung frem­der fos­si­ler Ener­gie­quel­len der mas­si­ve Import von land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten wie Fut­ter­mit­teln und Agro­treib­stof­fen, die in ande­ren Län­dern­ener­gie- und flä­chen­in­ten­siv erzeugt wer­den. Zwei­tens ist die von inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen wie der Welt­bank in Zusam­men­ar­beit mit den west­li­chen Regie­run­gen for­cier­te Umstel­lung der klein­bäu­er­li­chen Pro­duk­ti­on in den Län­dern des Südens auf eine inpu­tin­ten­si­ve Land­wirt­schaft in hohem Maße unver­ant­wort­lich. Die­se Trans­for­ma­ti­on dient also nicht der lang­fris­ti­gen Ernäh­rungs­si­che­rung, son­dern dem Pro­fit des Agro­busi­ness, indem in Afri­ka neue Absatz­märk­te für kom­mer­zi­el­les Saat­gut, syn­the­ti­schen Dün­ger und Pes­ti­zi­de geschaf­fen wer­den. Dadurch und durch die Bin­dung an die kon­junk­tu­rel­len Schwan­kun­gen der glo­ba­len Märk­te ent­ste­hen neue Abhän­gig­kei­ten, zusätz­lich zemen­tiert durch neue Schul­den­ver­hält­nis­se. Agro­che­mi­sche Inputs kön­nen unter beson­de­ren Umstän­den als kurz­fris­ti­ge Maß­nah­me dien­lich sein. Aber ohne „Exit-Stra­te­gie“ in Rich­tung agrar­öko­lo­gi­scher Anbau­sys­te­me wür­de dies die afri­ka­ni­sche Land­wirt­schaft schutz­los der Ölpreis­ent­wick­lung aus­lie­fern.

Die Fol­gen des Peak Oil

Es herrscht weit­ge­hend Kon­sens dar­über, dass der Ölpreis deut­lich anstei­gen dürf­te, wenn der Höhe­punkt der Erd­öl­för­de­rung (Peak Oil) über­schrit­ten ist. Die Inter­na­tio­na­le Ener­gie­agen­tur pro­gnos­ti­ziert, dass es bis dahin noch ein wei­ter Weg sei. Doch sol­che Pro­gno­sen wer­den von Fach­leu­ten zuneh­mend ange­zwei­felt und als poli­tisch moti­viert betrach­tet. Nach Ein­schät­zung des Ener­gie­ex­per­ten Ste­ven Sor­rell und sei­ner Kol­le­gen (2010) von der bri­ti­schen Uni­ver­si­tät Sus­sex ist zu befürch­ten, dass der Peak Oil spä­tes­tens im Jahr 2020 erreicht sein wird. Trotz­dem sind „Geber­län­der“ und soge­nann­te Phil­an­thro­pen wie Bill und Melin­da Gates mit ihrer Stif­tung damit befasst, die afri­ka­ni­schen Klein­bau­ern von fos­si­len Treib­stof­fen abhän­gig zu machen, statt sie bei der Imple­men­tie­rung von agrar­öko­lo­gi­schen Pro­duk­ti­ons­sys­te­men zu unter­stüt­zen. Die­se „Ent­wick­lungs­hil­fe“ erfolgt fünf, oder vor­sich­tig geschätzt, fünf­zehn Jah­re vor dem Errei­chen von Peak Oil. Das Motiv ist offen­sicht­lich die kurz­zei­ti­ge Erschlie­ßung von Absatz­märk­ten für Agro­che­mi­ka­li­en und Saat­gut auf Kos­ten des Kli­mas und der Ernäh­rungs­sou­ve­rä­ni­tät. Was bedeu­tet das glo­ba­le Ölför­der­ma­xi­mum für Deutsch­land? Wahr­schein­lich wird es nicht die glei­che Dyna­mik haben wie das abrup­te Aus­blei­ben der Erd­öl- und Betriebs­mit­tel – ein­fuh­ren für Kuba nach dem Zusam­men­bruch des sozia­lis­ti­schen Lagers. Die­ser dra­ma­ti­sche Ein­schnitt wur­de in Kuba gesamt­ge­sell­schaft­lich getra­gen und inner­halb weni­ger Jah­re ent­stand eine neue Land­wirt­schaft mit agrar­öko­lo­gi­schen Fun­da­men­ten.

Auch hier­zu­lan­de stellt sich laut Bil­dungs­ge­mein­schaft Sozia­les, Arbeit, Leben & Zukunft (SALZ) e.V. (2012) die Fra­ge der sozia­len Gerech­tig­keit drin­gen­der denn je: „In Zukunft geht es nicht mehr ein­fach um eine mög­lichst gerech­te Auf­tei­lung des ‚Wohl­stands­ku­chens‘, son­dern um knap­per wer­den­de Res­sour­cen und um ein qua­li­ta­tiv anders gestal­te­tes Leben. Es darf auf kei­nen Fall die Situa­ti­on ein­tre­ten, dass sich die Rei­chen wei­ter­hin einen hohen Umwelt­ver­brauch leis­ten kön­nen, wäh­rend es den Armen am Nötigs­ten fehlt.“ Die Dis­kus­si­on um die Ener­gie­wen­de in Deutsch­land dreht sich fast aus­schließ­lich um einen Wan­del in der Strom­erzeu­gung. Wel­che Kon­se­quen­zen eine Treib­stoff­ver­knap­pung für die größ­ten­teils hoch­me­cha­ni­sier­te Land­wirt­schaft haben wür­de, bleibt bis­lang noch völ­lig aus­ge­blen­det. Exper­ten sind sich einig, dass eine zukunfts­ori­en­tier­te Land­wirt­schaft eine „sola­re Wen­de“ braucht, aber trotz­dem arbeits­in­ten­si­ver sein wird als die heu­ti­ge hoch­me­cha­ni­sier­te und -che­mi­sier­te Pro­duk­ti­on (Haer­lin, 2014). Häu­fig wird argu­men­tiert, dass heu­te eigent­lich nie­mand mehr in der Land­wirt­schaft arbei­ten will. Als Beweis wird eine „Land­flucht“ ins Feld geführt, die mit der sin­ken­den Zahl von Beschäf­tig­ten in der Land­wirt­schaft belegt wird. Was dabei unter­geht: Vie­le bäu­er­li­che Betrie­be und in letz­ter Zeit auch Bio­hö­fe müs­sen das Hand­tuch wer­fen. Bei dem gän­gi­gen Preis­dum­ping kön­nen sie nicht mit­hal­ten Rum­ets­ho­fer, 2013). Zugleich kla­gen jun­ge Men­schen mit dem ernst­haf­ten Wunsch, ihre Zukunft als Öko­bau­ern zu ge stal­ten, dass ihnen dies auf­grund der exor­bi­tan­ten Pacht- und Boden­prei­se ver­wehrt bleibt.

Die zitier­ten Quel­len fin­den sich hier

Der Bei­trag erschien in Heft 172 der Zeit­schrift Öko­lo­gie & Land­bau (4/2014). Hier als PDF.

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