Viel Macht für wenige
Unter dem Titel »Wer hat die Macht?« wurde anlässlich des G-7-Gipfels eine Studie des Fair Trade Advocacy Office Brüssel zu Machtkonzentration und unlauteren Handelspraktiken in diesen Wertschöpfungsketten vorgelegt.
Von Peter Clausing
Wenn sich am 7. und 8. Juni die Staats- und Regierungschefs der G-7-Länder auf Schloss Elmau in Oberbayern treffen, wird auch die Gestaltung von Handels- und Lieferketten ein Gesprächsthema sein. Diese Strukturen werden gern als Wertschöpfungsketten bezeichnet, was suggeriert, dass alle Beteiligten etwas abbekommen. Besonders jene Prozesse, die unsere Ernährung berühren, spielen eine wichtige Rolle. Doch die »Wertschöpfung« ist ungleich verteilt. Am einen Ende der Kette befinden sich 2,5 Milliarden Menschen, deren Einkommen von der Landwirtschaft abhängt. Ein Großteil von ihnen trägt dazu bei, dass die globalen Warenströme fließen, oder wird von diesen beeinflusst. Am anderen Ende: 3,5 Milliarden Menschen, die in Städten leben und folglich ihre Lebensmittel kaufen müssen. Dazwischen agieren diejenigen, die den überwiegenden Teil des (Mehr-)Wertes abschöpfen: die Händler, die Aktionäre der Agrar- und Lebensmittelindustrie und die Besitzer der Supermarktketten.
Unter dem Titel »Wer hat die Macht?« wurde anlässlich des G-7-Gipfels eine Studie des Fair Trade Advocacy Office Brüssel zu Machtkonzentration und unlauteren Handelspraktiken in diesen Wertschöpfungsketten vorgelegt. Aktuelle Zahlen verdeutlichen den Prozess der Machtkonzentration. Bei Agrochemikalien hatte bereits Ende der 1980er Jahre eine deutliche Konzentration stattgefunden – 90 Prozent des globalen Umsatzes wurden damals von 20 Unternehmen beherrscht. 15 Jahre später waren es nur noch sieben. Beim Getreide beherrschen vier Firmen 90 Prozent des Welthandels. Auch in der Lebensmittelindustrie schreitet die Konzentration voran und ist bei einigen Produkten extrem. So kontrollieren drei Konzerne die Hälfte der globalen Kakaoverarbeitung und fünf weitere den Schokoladenmarkt. Alle stammen aus den G-7-Ländern oder der Schweiz. In Deutschland werden über 50 Prozent der Lebensmittel in fünf Supermarktketten verkauft. In Schweden, Dänemark, Großbritannien beherrschen die fünf größten Ketten sogar 60 bis 70 Prozent. Die aus der marktbeherrschenden Stellung erwachsende »Nachfragemacht« wird von den Unternehmen oftmals missbraucht: Sie geben unverkaufte Produkte an die Lieferanten zurück, zahlen bereits gelieferte Waren verspätet, verlangen finanzielle Zuschüsse zu Rabattaktionen und drastische Strafgebühren bei Lieferung beschädigter Produkte.
Besonders betroffen sind aber die die Erzeuger sowohl in der EU als auch im globalen Süden. Am Beispiel von Kakao, Bananen, Zucker und Kaffee werden die Mechanismen verdeutlicht, die unfairem Handel zugrunde liegen. Während die Protagonisten des Neoliberalismus eine Integration der Kleinbauern des Südens in die globalen Vermarktungssysteme als Mittel zur Armutsbekämpfung preisen, sieht die Realität oft anders aus. Dies wird am Beispiel des Bananenexports illustriert. Kleinbauern sind nur Anhängsel der Märkte, nicht deren integraler Bestandteil. Sie werden als Lieferanten von Pufferbeständen an die Exporteure gebunden. Diese, zugleich Besitzer großer Plantagen, verkaufen zuerst ihre eigene Produktion und greifen nur bei Bedarf auf die kleinbäuerlichen Produzenten zurück.
Diese Praktiken sind Teil des beschriebenen Konzentrationsprozesses und zielen darauf ab, das Geschäft trotz des Preiskriegs der Monopole untereinander profitabel zu halten. Unfaire Handelspraktiken führen zu Niedrigpreisen für landwirtschaftliche Produkte und zu Billiglöhnen für die Angestellten der Handelsketten. Kinderarbeit und die Unterdrückung von Zusammenschlüssen von Landarbeitern bzw. Kleinproduzenten sind an der Tagesordnung. Liest man den Bericht in seiner Gesamtheit, wird deutlich, dass unfairer Handel letztendlich nur der Ausdruck eines Systems ist, das insgesamt nicht funktioniert. Subventionen verzerren die Preise ebenso wie die Externalisierung der sozialen und Umweltkosten. Die Folgen der gestärkten Macht der Großunternehmen sind in einer eindrucksvollen Grafik zusammengefasst. Die Intensivierung der Landwirtschaft ist sowohl Ursache als auch Folge der Verdrängung nachhaltiger, kleinbäuerlicher Produktion. Damit verbunden sind die Vernichtung von Jobs, Bodenerosion und die Belastung der Umwelt mit Chemikalien.
Nahezu jede der aufgeführten Erscheinungen hat organisierte Kritik in Form »zivilgesellschaftlicher« Kampagnen hervorgerufen, und doch hängen sie alle zusammen. Diese thematische Fragmentierung dürfte dazu beitragen, dass trotz aller gesellschaftlicher Gegenwehr – wie beispielsweise der alljährlich im Januar stattfindenden »Wir haben es satt«-Demonstrationen – der Prozess der Machtkonzentration weitergeht. Der Bericht ist dennoch eine ausgezeichnete Darstellung der komplexen Zusammenhänge. An dessen Ende werden fünf Vorschläge unterbreitet, um die »Nachfragemacht« zu regulieren. Dazu zählen die Förderung eines ausgeglicheneren Kräfteverhältnisses in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten, mehr Transparenz und die Einführung und Umsetzung fairer Handelspraktiken. Wieviel Gehör werden die Herausgeber der Studie bei den Staats- und Regierungschefs der G-7-Länder finden? Welchen Eindruck wird der abwiegelnde Vorschlag eines »ausgeglicheneren« Machtverhältnisses auf die von einer mächtigen Wirtschaftslobby umringten Politiker machen? Auf staatliche und überstaatliche Herrschaftsstrukturen zu hoffen dürfte vergeblich sein.
Den kompletten Text der Studie gibt es hier
Zuerst erschienen in junge Welt vom 23./25.5 2015