Die Gly­pho­sat-Kon­tro­ver­se


Zum Streit um die Wie­der­zu­las­sung des Pflan­zen­gif­tes in der EU nach der WHO-War­nung vor Krebs­ge­fahr

Von Peter Claus­ing

Anfang August teil­te die Euro­päi­sche Behör­de für Lebens­mit­tel­si­cher­heit (Euro­pean Food Secu­ri­ty Aut­ho­ri­ty, EFSA) mit, man wer­de sich mehr Zeit als geplant für eine Emp­feh­lung zur Neu­zu­las­sung des Unkraut­ver­nich­ters Gly­pho­sat las­sen. Die Ein­schät­zung der Exper­ten wer­de nicht, wie ursprüng­lich vor­ge­se­hen, am 13. August abge­ge­ben, son­dern erst Ende Okto­ber oder Anfang Novem­ber, sag­te ein Efsa-Spre­cher am 5. August am Sitz der Behör­de im ita­lie­ni­schen Par­ma.

Pes­ti­zid­wirk­stof­fe unter­lie­gen in der Euro­päi­schen Uni­on alle zehn Jah­re einem Wie­der­zu­las­sungs­ver­fah­ren, bei dem alle neu hin­zu­ge­kom­me­nen Erkennt­nis­se über mög­li­che Risi­ken für Gesund­heit und Umwelt zu berück­sich­ti­gen sind. Die­se Rege­lung ist ein Erfolg des jahr­zehn­te­lan­gen Kamp­fes von Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen. Sie hat aber nur bedingt zu einer Redu­zie­rung des Ein­sat­zes von Gif­ten in der Land­wirt­schaft bei­getra­gen, die gegen Pflan­zen (Her­bi­zi­de), Schäd­lin­ge (Insek­ti­zi­de) oder Pil­ze (Fun­gi­zi­de) wir­ken.

Die Ter­min­ver­schie­bung bei der EFSA ist ein Indiz dafür, dass hin­ter den Kulis­sen hef­ti­ge Debat­ten statt­fin­den. Zudem wur­de am 29. Juli 2015 der aus­führ­li­che Bericht der Krebs­for­schungs­agen­tur IARC der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO zur Bewer­tung der Risi­ken des Gly­pho­sat­ein­sat­zes vor­ge­legt. Ende März hat­te sie zunächst eine kur­ze Stel­lung­nah­me ver­öf­fent­licht. Deren Kern­aus­sa­ge: Die Exper­ten hal­ten die Che­mi­ka­lie für »wahr­schein­lich krebs­er­re­gend beim Men­schen«. Die WHO-Ver­öf­fent­li­chung sol­le in die Bewer­tung mit ein­be­zo­gen wer­den, sag­te der Efsa-Spre­cher.

Gly­pho­sat ist einer der in Pflan­zen­schutz­mit­teln welt­weit am häu­figs­ten ein­ge­setz­ten Wirk­stof­fe. Das EU-Ver­fah­ren zu sei­ner Wie­der­zu­las­sung wur­de von zahl­rei­chen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs) auf­merk­sam ver­folgt und mit zuneh­men­der Hef­tig­keit kri­ti­siert. Denn Gly­pho­sat ist ein exem­pla­ri­scher Fall. Nicht nur, weil es trotz aus­ge­lau­fe­nen Patent­schut­zes wei­ter­hin eine der wich­tigs­ten Pro­fit­quel­len für den US-Mul­ti Mons­an­to ist, son­dern vor allem wegen der schie­ren Men­ge, die all­jähr­lich davon ver­sprüht wird. In der Bun­des­re­pu­blik erhöh­te sie sich seit den 1990er Jah­ren von rund 1.000 auf etwa 6.000 Ton­nen jähr­lich. Welt­weit haben Mit­tel mit die­sem Wirk­stoff bei den Her­bi­zi­den einen Markt­an­teil von mehr als 30 Pro­zent. Dies gibt Anlass zur Sor­ge, denn Berich­te über zuneh­men­de Krebs­er­kran­kun­gen und Schä­den unge­bo­re­nen mensch­li­chen Lebens in der länd­li­chen Bevöl­ke­rung von Län­dern wie Argen­ti­ni­en oder Para­gu­ay häu­fen sich. Dort ist der Anteil gene­tisch mani­pu­lier­ter Kul­tu­ren, die resis­tent gegen Gly­pho­sat sind, beson­ders hoch. Da auch Unkräu­ter schnell Resis­ten­zen gegen das Her­bi­zid bil­den, hat sich die ein­ge­setz­te Gly­phos­at­men­ge in die­sen Län­dern seit den 90er Jah­ren teil­wei­se ver­zehn­facht.

Kri­tik an deut­scher Behör­de

Gly­pho­sat ist Haupt­wirk­stoff von Prä­pa­ra­ten wie Roun­dup von Welt­markt­füh­rer Mons­an­to sowie Touch­down von Syn­gen­ta oder Duran­go von Dow Agro­Sci­en­ces. Die EU-Zulas­sung für den Wirk­stoff läuft Ende 2015 aus, über eine Erneue­rung muss die EU-Kom­mis­si­on ent­schei­den. Die EFSA-Emp­feh­lung ist dafür von zen­tra­ler Bedeu­tung. Das deut­sche Bun­des­in­sti­tut für Risi­ko­be­wer­tung (BfR) hat die Che­mi­ka­lie in sei­ner jüngs­ten Bewer­tung unter­des­sen erneut als unbe­denk­lich ein­ge­stuft – »bei sach­ge­mä­ßer Anwen­dung«. Das BfR war von der Efsa mit der wis­sen­schaft­li­chen Neu­be­wer­tung der Risi­ken von Gly­pho­sat beauf­tragt wor­den.

Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Bund für Umwelt und Natur­schutz Deutsch­land (BUND) und das Pes­ti­zid-Akti­ons­netz­werk (PAN) haben kein Ver­ständ­nis für die viel­fach indus­trie­freund­li­che Hand­ha­bung der Risi­ko­be­wer­tung im Rah­men von Zulas­sungs­ver­fah­ren. Seit lan­gem kri­ti­sie­ren NGOs, dass die Stu­di­en zur Beur­tei­lung der von Pes­ti­zi­den aus­ge­hen­den Risi­ken meist von den Her­stel­lern der Prä­pa­ra­te selbst durch­ge­führt wer­den. BfR-Prä­si­dent Andre­as Hen­sel behaup­te­te in einem Inter­view mit der tages­zei­tung (28.3.2015), wäre dies nicht so, müs­se der Steu­er­zah­ler dafür bezah­len. Dies grenzt an Irre­füh­rung der Öffent­lich­keit. Natür­lich soll, dem Ver­ur­sa­cher­prin­zip ent­spre­chend, die Indus­trie für die Stu­di­en zur Risi­ko­be­wer­tung finan­zi­ell auf­kom­men. Aber dies könn­te über Ein­zah­lun­gen in einen Treu­hän­der­fonds gesche­hen. Mit den Stu­di­en könn­te man dann unab­hän­gi­ge Insti­tu­te beauf­tra­gen.

Ein wei­te­res Pro­blem im Zusam­men­hang mit EU-Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren: Ein Unter­neh­men, das eine (Wieder-)Zulassung bean­tragt, ist laut EU-Direk­ti­ve ver­pflich­tet, ein Dos­sier zusam­men­zu­stel­len, das die von der Indus­trie durch­ge­führ­ten Stu­di­en und alle »rele­van­ten« wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen ent­hal­ten muss. Wel­che Publi­ka­tio­nen als rele­vant betrach­tet wer­den, liegt – unter Berück­sich­ti­gung einer EU-Leit­li­nie mit Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum – im Ermes­sen der Indus­trie. Das Dos­sier ist dann den Behör­den eines EU-Mit­glieds­lan­des zu über­ge­ben, die dazu einen Bewer­tungs­be­richt erstel­len. Der Clou: Laut Arti­kel 7 der ent­spre­chen­den Ver­ord­nung kann die Indus­trie das Land, das die Bewer­tung vor­neh­men soll, frei aus­wäh­len, also prak­ti­scher­wei­se eines, von dem man die Befür­wor­tung der Zulas­sung am ehes­ten erwar­tet.

Nach­dem nun die Mono­gra­phie der IARC zu Gly­pho­sat voll­stän­dig ver­öf­fent­licht ist, wird mög­li­cher­wei­se auch das BfR sei­ne Bewer­tung noch ein­mal über­den­ken müs­sen. Bei nähe­rer Betrach­tung zei­gen sich zunächst zwei Punk­te, die das Insti­tut anschei­nend »ver­schla­fen« hat: Die IARC misst Wir­kungs­me­cha­nis­men für die mög­li­che Ver­ur­sa­chung von Krebs durch Gly­pho­sat erheb­li­che Bedeu­tung bei – ein Gesichts­punkt, der in der Bewer­tung durch das BfR offen­bar unter den Tisch gefal­len ist. Zum ande­ren hat die IARC die heu­te gül­ti­gen Stan­dards zur mathe­ma­tisch-sta­tis­ti­schen Aus­wer­tung von Krebs­stu­di­en an Mäu­sen ange­legt. Dadurch erga­ben sich bei zwei Stu­di­en signi­fi­kan­te Hin­wei­se auf krebs­er­zeu­gen­de Wir­kung, die mit ande­ren Metho­den nicht erkenn­bar waren.

Obwohl das BfR ver­si­chert, »voll­um­fäng­lich eine eigen­stän­di­ge Bewer­tung« durch­ge­führt zu haben, muss es sich den Vor­wurf gefal­len las­sen, die Aus­wer­tungs­me­tho­de der Indus­trie, die zum Teil nicht mehr dem aktu­el­len Stan­dard ent­spricht, ein­fach über­nom­men zu haben. Auch an ande­ren Stel­len sei­nes Bewer­tungs­be­richts hat das BfR anschei­nend die Argu­men­te der Kon­zer­ne über­nom­men – zum Bei­spiel, wenn es unkom­men­tiert die dis­kre­di­tie­ren­de Ein­schät­zung von Stu­di­en aus dem uni­ver­si­tä­ren Bereich wie­der­gibt. Ob der­lei Män­gel auf zu gro­ße Indus­trie­nä­he oder auf Per­so­nal­man­gel zurück­zu­füh­ren sind, lässt sich nicht beant­wor­ten. Auf Anfra­ge des BUND, wie­viel per­so­nel­le Res­sour­cen in die Bewer­tung des Gly­pho­sat-Dos­siers gesteckt wur­den, erklär­te sich das BfR für nicht aus­kunfts­fä­hig.

Ver­bot hät­te Signal­wir­kung

Schließt sich die Efsa bei ihrer Ein­schät­zung dem Urteil der IARC an, müss­te der Ein­satz von Gly­pho­sat ent­spre­chend der EU-Ver­ord­nung 1107/2009 in der Euro­päi­schen Uni­on unter­sagt wer­den. Das hät­te glo­ba­le Signal­wir­kung und wäre mit erheb­li­chen Gewinn­ein­bu­ßen für die Indus­trie ver­bun­den. Immer­hin bestrei­tet Mons­an­to laut FAZ in Deutsch­land 40% sei­ner Ein­nah­men aus dem Ver­kauf von Gly­pho­sat. Die Indus­trie wird also alle Hebel in Bewe­gung set­zen, um die Ein­stu­fung als krebs­er­re­gend zu ver­hin­dern.

Natür­lich hät­te ein Ver­bot auch deut­li­che Aus­wir­kun­gen auf die kon­ven­tio­nel­le Land­wirt­schaft. Es wäre aber auch eine Chan­ce für die brei­te Eta­blie­rung von Alter­na­ti­ven zum Ein­satz von Agro­che­mi­ka­li­en. Es gibt eine gan­ze Rei­he kul­tur­tech­ni­scher Ansät­ze, die eine Unab­hän­gig­keit von Her­bi­zi­den im all­ge­mei­nen und von Gly­pho­sat im beson­de­ren ermög­li­chen wür­den. Sie wer­den aller­dings von Bera­tungs­diens­ten kaum popu­la­ri­siert, da sich damit kein Geld ver­die­nen lässt. Dass eine pes­ti­zid­freie Land­wirt­schaft mög­lich ist, wird unter ande­rem auf den sechs Pro­zent der deut­schen Acker­flä­chen bewie­sen, auf denen öko­lo­gisch gewirt­schaf­tet wird. Ein Flä­chen­an­teil, den selbst die Bun­des­re­gie­rung laut Natio­na­lem Akti­ons­plan für eine nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft auf 20 Pro­zent erhö­hen möch­te.

Leicht modi­fi­ziert nach einem am 12.8. in der jw-Bei­la­ge „Land & Wirt­schaft erschie­nen Bei­trag

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