Rezen­si­on: „Die Grü­ne Matrix“

Ein kur­zer Wer­be­block in eige­ner Sache (sie­he Buch­hin­weis).

Nach­dem das Buch inzwi­schen mehr­fach bespro­chen wur­de (u.a. in „ana­ly­se + kri­tik“, in der taz, in der jW, in der „Unab­hän­gi­gen Bau­ern­stim­me“, in den „Local Land & soil News“ und in der ILA) hier die Rezen­si­on von Isa­bel Arm­brust aus dem WIDERSPRUCH (Nr. 64, März 2014) .

Die Explo­si­on der Agrar­prei­se 2008 lös­te einen bei­spiel­lo­sen Run auf die ver­füg­ba­ren Anbau­flä­chen die­ser Welt aus. Mit Gross­käu­fen oder lang­lau­fen­den Pacht­ver­trä­gen sichern sich seit­dem Unter­neh­men und Staa­ten die Grund­la­ge für lukra­ti­ve Geschäf­te oder die künf­ti­ge Ernäh­rung ihrer eige­nen Bevöl­ke­rung. Auf der Stre­cke blei­ben Klein­bau­ern und ande­re loka­le Pro­du­zen­ten, die oft nicht ein­mal über Besitz­ti­tel für seit Gene­ra­tio­nen genutz­tes Land ver­fü­gen.

Kaum ein ande­res The­ma ist in den ver­gan­ge­nen 5 Jah­ren in der ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Sze­ne so inten­siv dis­ku­tiert wor­den wie die­ses Land­g­rab­bing. Und doch greift aus Sicht des Autors von „Die grü­ne Matrix“ die Debat­te zu kurz: Sie spart das The­ma der Ver­trei­bung von Men­schen zur Eta­blie­rung men­schen­frei­er Natur­schutz­ge­bie­te aus. Von den Dimen­sio­nen her über­ragt die­ses zwei­te Land­g­rab­bing, das der Bio­di­ver­si­tät und dem Kli­ma­schutz die­nen soll, den Land­raub für die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft.

Rund 2,27 Mio km2 Agrar­g­rab­bings, die bis 2012 erfasst wur­den, steht das Vier­fa­che an Natur­schutz­flä­che gegen­über. Allein aus den Schutz­ge­bie­ten Afri­kas wur­de min­des­tens eine Mio Men­schen ver­trie­ben. In Latein­ame­ri­ka sind immer­hin 70 Pro­zent der Schutz­ge­bie­te bewohnt und Ver­trei­bun­gen weni­ger typisch. Peter Claus­ing, pro­mo­vier­ter Agrar­wis­sen­schaft­ler, Mexi­ko-Akti­vist und Mit­be­trei­ber des Por­tals www.agrardebatte.de dis­ku­tiert in sei­nem ers­ten Buch­ka­pi­tel vor allem sozio­lo­gi­sche und anthro­po­lo­gi­sche Stu­di­en, die sozia­le Fol­gen des Natur­schutz­g­rab­bings doku­men­tie­ren. Sie bele­gen auch eine Mit­ver­ant­wor­tung gros­ser Natur­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen an Ver­trei­bun­gen. Meist sind die­se nicht direkt invol­viert, aber als „geis­ti­ge Urhe­ber“ und Geld­ge­ber betei­ligt. Die Ent­fer­nung der Bewoh­ne­rIn­nen aus den Natio­nal­parks über­neh­men die Regie­run­gen. In die­ser Wei­se trat z.B. der World Wide Fund for Natu­re (WWF) in sie­ben unter­such­ten Fäl­len in Erschei­nung. (S.31)

Das theo­re­ti­sche Kon­zept, das die­sem “Fes­tungs­na­tur­schutz” zugrun­de liegt, heisst Land Spa­ring. Claus­ing stellt es im zwei­ten Kapi­tel vor. Es wur­de vor knapp 20 Jah­ren im angel­säch­si­schen Raum ent­wi­ckelt und zielt auf nicht weni­ger als auf eine neue glo­ba­le Raum­ord­nung: Kon­zen­tra­ti­on der Men­schen in Städ­ten und eine Auf­tei­lung des Lan­des in Nutz­flä­chen, auf denen mit inten­si­ven Anbau­ver­fah­ren, Agro­che­mi­ka­li­en und Gen­tech­nik die Nah­rung für eine wach­sen­de Welt­be­völ­ke­rung pro­du­ziert wird und in men­schen­freie Natur­schutz­ge­bie­te, die dem Erhalt der Bio­di­ver­si­tät die­nen.
Zur Zer­streu­ung men­schen­recht­li­cher Beden­ken gegen eine Umsied­lung der Land­be­völ­ke­rung haben die Anhän­ger des Land Spa­ring eine his­to­ri­sche Vor­la­ge kon­stru­iert: Sie deu­ten die gesell­schaft­li­chen Pro­zes­se in Euro­pa wäh­rend der Indus­tria­li­sie­rung zu einer fried­li­chen Urba­ni­sie­rung um. Fak­tisch aber, so der Autor, sei die Land-Stadt-Migra­ti­on, z.B. in Gross­bri­tan­ni­en im 19. Jahr­hun­dert, schlicht eine Ver­trei­bung in Fol­ge einer dra­ma­ti­schen Land­um­ver­tei­lung gewe­sen (S.60).

Das Gegen­kon­zept zu Land Spa­ring ist Land Sha­ring: Eine Ver­ei­ni­gung von Land­wirt­schaft und Natur­schutz in der Agrar­öko­lo­gie. Zum einen ent­fal­tet sich auf agrar­öko­lo­gisch bewirt­schaf­te­ten Flä­chen eine hohe Bio­di­ver­si­tät und zum ande­ren die­nen sie, anders als che­mie­ver­seuch­te Agrar­wüs­ten, für Pflan­zen und Tie­re als Durch­gangs­kor­ri­do­re („Grü­ne Matrix“!) zu ihren Habi­ta­ten. (S.94). Klein­bäue­rIn­nen mit einem Eigen­in­ter­es­se an einer nach­hal­ti­gen Bewirt­schaf­tung ihres Lan­des und an einer sou­ve­rä­nen Ver­fü­gung über das, was sie anbau­en, sind dabei die bes­ten Agrar­öko­lo­gen. Schliess­lich ist eine mul­ti­funk­tio­nal gedach­te Agrar­öko­lo­gie auch „ein Tritt­stein auf dem Weg“ zu einer gerech­te­ren Gesell­schafts­ord­nung. (S.97)

Aber kann sie auch die Welt ernäh­ren? Die­se span­nen­de Fra­ge beant­wor­tet Claus­ing mit einem Ver­weis auf zwei Meta­stu­di­en, die zusam­men rund 650 Ein­zel­ex­pe­ri­men­te zum Ertrags­po­ten­ti­al des agrar­öko­lo­gi­schen Anbaus ana­ly­sie­ren. Zumin­dest in den Län­dern des Südens schnei­det die Agrar­öko­lo­gie bes­ser ab als der kon­ven­tio­nel­le Anbau. Und „ins­be­son­de­re dort“, so die Schluss­fol­ge­rung der AutorIn­nen, der sich Claus­ing anschliesst, lies­se sich mit ihr der Hun­ger besei­ti­gen (S.101).

Die abseh­ba­re Boden­mü­dig­keit nach jahr­zehn­te­lan­gem Ein­satz von Agro­che­mi­ka­li­en ist ein wei­te­res star­kes Argu­ment für Agrar­öko­lo­gie. In Indi­en und Chi­na, den Vor­zei­ge­län­dern der Grü­nen Revo­lu­ti­on, sind die­se Fol­gen schon heu­te in Was­ser­man­gel und Ertrags­rück­gän­gen spür­bar. Hier könn­te zum Bei­spiel das Sys­tem der agrar­öko­lo­gi­schen Reis-Inten­si­vie­rung (SRI) Abhil­fe schaf­fen. Claus­ing stellt es als Fall­bei­spiel vor (S. 106). Die Was­ser­ein­spa­rung gegen­über dem kon­ven­tio­nel­len Reis­an­bau beträgt 20-30 Pro­zent, zugleich fah­ren die Bau­ern einen Mehr­ertrag von 20-60 Pro­zent ein und haben einen gerin­ge­ren Saat­gut­be­darf.

Es fol­gen wei­te­re inspi­rie­ren­de Fall­stu­di­en zu Mais in Afri­ka und agrar­öko­lo­gi­schen Sys­te­men in Mala­wi und Niger, bei denen die Dün­gung und Boden­re­ge­ne­rie­rung mit Legu­mi­no­sen eine zen­tra­le Rol­le spielt.

Danach kommt der Autor zu einem abrup­ten Ende. Es folgt nur ein knap­per Epi­log und Leserin/Rezensentin wun­dern sich, war­um Claus­ing sei­nem Buch nicht noch ein Fazit aus dem Dar­ge­stell­ten gönnt. Scha­de ist auch, dass die an ande­rer Stel­le (S.88) auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge unbe­ant­wor­tet bleibt, ob Acker­bau ohne Pflü­gen (No-Till, der­zeit prak­ti­ziert unter Ein­satz che­mi­scher Her­bi­zi­de) auch mit bio­lo­gi­schen Ver­fah­ren ver­ein­bar ist.

Ins­ge­samt setzt das den Wert von „Die grü­ne Matrix“ nicht her­ab. Der Autor hat auf kom­pak­ten 136 Sei­ten (plus 12 Sei­ten Quel­len­ver­zeich­nis) eine Fül­le bri­san­ten Mate­ri­als auf­be­rei­tet und ent­wick­lungs­po­li­tisch inter­es­sier­ten Men­schen in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en vor allem des angel­säch­si­schen Raums zugäng­lich gemacht. Es wäre zu wün­schen, dass sich die­se Inhal­te auch in unse­ren Debat­ten nie­der­schla­gen.

Peter Claus­ing, Die grü­ne Matrix. Natur­schutz und Welt­ernäh­rung am Schei­de­weg, Unrast-Ver­lag 2013, 155 Sei­ten, 13,00 Euro

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